Elias Canetti - Die Blendung

Es gibt 4 Antworten in diesem Thema, welches 3.507 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Rydal.

  • Eine Rezension zu Canettis Blendung konnte ich hier nicht finden, also will ich mich mal daran versuchen.


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    Inhalt: Peter Kien; Privatbibliothekar, Universalgelehrter und wohl bedeutendster Sinologe seiner Zeit; lebt ein Leben diktiert von Fleiß und Ordnung. Es sind die Bücher und die wissenschaftlichen Arbeiten, denen er sein ganzes Leben widmet. Für den Rest, für das unbedachte Herummenscheln seiner Zeitgenossen etwa, hält er ein Notizbuch bereit, in das er hineinschreibt, was es besser zu vergessen gilt. Anders kommt er seinem phänomenalen Gedächtnis nicht bei. Sein Haus in der Ehrlichstraße verlässt er nur auf eine Stunde jeden Morgen, um sich den Rest des Tages an seinen Schreibtisch zu setzen.


    Aus reiner Gutmütigkeit beschließt Kien eines Tages, seine langjährige Haushälterin Therese Krumbholz zu heiraten. Für einen ungebildeten Menschen, geht Therese sehr liebevoll mit seinen Büchern um, ja, manchmal gar liebevoller als er, und es ist letztlich sein Gerechtigkeitssinn, der ihn zur Heirat verpflichtet. Schon in der Hochzeitsnacht aber muss Kien seinen schweren Fehler einsehen. Nach und nach wird Kiens Wohnung von den Ansprüchen seiner Gattin usurpiert. Längst ist es ihr nur noch des materiellen Wertes wegen um die Bibliothek von 25000 Bänden zu tun. Ein erbitterter Kampf bricht los, der Kiens Weltordnung völlig auf den Kopf stellt, ein Kampf, den er nicht gewinnen kann; Sie wirft ihn kurzerhand hinaus.
    Damit ist nicht zuviel verraten, denn hier beschrieben ist lediglich das erste Drittel des Buches, betitelt „Kopf ohne Welt“. Ihm folgen der zweite Teil „Kopflose Welt" und schließlich der dritte Teil „Welt im Kopf".


    Meine Meinung: Es ist nicht eigentlich eine Beleidigung, dass mir, seit ich die Blendung ausgelesen habe, zum Wort „grotesk" nur immer ebendieses Buch einfällt. Wo die meisten Schriftsteller bizarre Morde oder grausame Folter en detail beschreiben, benötigt Canetti in seinem Erstling bloß eine erschreckend authentische, unsäglich dämliche Wirtschafterin im Gespräch mit einem asozialen, introvertierten Gelehrten, um seine Leser vor den Kopf zu stoßen. Es war dann auch Empörung, die mich bei der Lektüre über weite Strecken begleitete. Die extremen und extrem verschiedenen Charaktere, ihre ständige Wiederholung der dümmsten Phrasen und die ständigen Missverständnisse unter ihnen haben mich nicht selten zynisch werden lassen. So sehr in diesem Buch die Satire auf die Spitze getrieben wurde, so erschütternd ist die Tatsache, dass sowohl die Charaktere als auch deren Sprache fast immer glaubwürdig sind. Wen überrascht es da, wenn Canettis Therese eine ehemalige Vermieterin aus Wien zum Vorbild hat, die er im dritten Kapitel sogar wörtlich zitiert? Seine eigene Sprache, sein Schreibstil also, liest sich schnell und mühelos. Einige sprachliche Absonderlichkeiten lastete ich anfangs im Geiste der Tatsache an, dass Deutsch nicht Canettis Muttersprache war. Im letzten Drittel wurde mir dann aber klar; es sind die ureigenen sprachlichen Absonderlichkeiten seiner Protagonisten. Deutlich wird zuweilen Kafkas Einfluss auf Canetti. So geschehen mitunter höchst sonderbare Dinge, wie etwa die Versteinerung Kiens Kraft seines Willens. Der phantastischen Literatur würde ich das Buch dennoch nicht zuordnen. Es ist vielmehr ein stellenweise märchenhafter, moderner Roman mit viel Witz und dem Charme eines Menschen, den man um seine Böswilligkeit bewundert, zur gleichen Zeit verspielt und mitleidlos.


    Mit diesem Roman ist Canetti eine ganz eigenartige Mischung gelungen, die man sich wirklich nicht entgehen lassen sollte. Vielleicht übereifrigen Emanzen und Frauenrechtlern möchte ich von der Lektüre abraten, da das schöne Geschlecht hier durchaus nicht gut wegkommt. Wer sich davon nicht abschrecken lässt: Lesen!


    4ratten

  • Obwohl weiblichen Geschlechts habe ich das Buch mit großem Vergnügen gelesen und es war genau nach meinem Geschmack. Außerdem liebe ich alles, was aus Canettis Feder stammt.
    Von geschlechtsspezifischen Empfindlichkeiten halte ich jedoch prinzipiell nichts. Für mich gelten andere Kriterien.


    Danke für die tolle Rezi,


    liebe Grüße, Sue.

  • Ich habe sein Werk "Masse und Macht" gelesen. War wirklich unglaublich interessant . In der zweiten hälfte ging es richtig ab. Viele, interessante Beispiele wurden angeführt, um Canettis Thesen zu bekräftigen . Solle man gelesen haben. Ist auch nicht sonderlich schwer zu verstehen . Er ist kein Heidegger und auch kein Spengler, bei dem man häufig Googlen muß !

  • Das erste Drittel Kopf ohne Welt habe ich geschafft, danach habe ich entnervt zugeklappt. Zwar kann ich mich Egophagus' Charakterisierung von Therese als „erschreckend authentische, unsäglich dämliche Wirtschafterin“ noch anschließen, aber Kien ist beileibe nicht bloß einfach introvertiert, das grenzt eher verdächtig an Autismus. Das allein wäre kein Grund, den Roman nicht zu beenden, aber nachdem ich in diesem ersten Drittel schon das Gefühl hatte, mindestens siebenunddreißigmal das Gleiche mit wenig bis gar keinen Abweichungen gelesen zu haben, war ich derartig gelangweilt, daß mir für eine Fortsetzung dieser Erfahrung meine Zeit zu schade war, zumal der „Rest“ in dieser Hinsicht auch nicht unbedingt Besserung versprach. Auf mich wirkte das Ganze wegen dieser vielen Wiederholungen auch nicht mehr satirisch oder ironisch. Das mag an meinem spezifischen Sinn für Humor liegen, ändert aber nichts an der Tatsache an sich.



    Vielleicht übereifrigen Emanzen und Frauenrechtlern möchte ich von der Lektüre abraten, da das schöne Geschlecht hier durchaus nicht gut wegkommt.


    Nun ja, Therese ist sicher kein Sympathieträger, aber die Männer kommen hier so gut nun auch nicht weg. Das gilt nicht nur für Kien selbst, sondern vor allem für den Hausbesorger Pfaff. Und der Möbelverkäufer Grob ist auch nicht gerade ein Prachtexemplar.


    Da dies nun mein zweiter Versuch mit Canetti war und mich beide nicht überzeugt haben (wobei ich Die Stimmen von Marrakesch zumindest beendet habe, war ja auch deutlich kürzer), werde ich ihn wohl auf die Liste der mit mir nicht kompatiblen Autoren setzen.


    Schönen Gruß
    Aldawen

    Einmal editiert, zuletzt von Aldawen ()

  • Elias Canettis Bücher haben seltsamerweise einen etwas schlechten Ruf, gerade die "Blendung" gilt als sperriges und nicht ganz gelungenes Frühwerk. Mich beeindruckt an diesem Roman besonders, dass schon der junge Canetti einen ganz eigenen Sound gefunden hat, es ist ein unvergleichbarer Stil, mit dem er seine bis ins Groteske und darüber hinaus zugespitzten Figuren beschreibt. Und das Erstaunlichste ist, dass einem diese papiernen Gestalten doch irgendwie ans Herz wachsen, jedenfalls ist es mir so ergangen. Sie haben alle ihre Berechtigung (ausser vielleicht der brutale Hausbesorger) und stolpern kommunikationslos und einander niemals verstehend durch die Welt, stossen zusammen und begreifen nichts. Als Titel war ursprünglich "Kant fängt Feuer" vorgesehen, Kien hiess im Manuskript auch nocht Kant. Obwohl Canetti ein ungewöhnlich gnadenloser Schriftsteller ist, hat mich die "Blendung" schon auf den ersten Seiten gefangen genommen und bis zuletzt nicht mehr losgelassen. Vieles andere des langlebigen Canetti ist sehr lesenswert, nichts von dem, was ich kenne, hat mich jedoch wieder so angesprochen wie dieses kühne, wunderbare Frühwerk.
    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

    Tell all of my friends, I don&#039;t have too many: just some rain-coated lovers&#039; puny brothers. Dallow, Spicer, Pinkie, Cubitt - rush to danger, wind up nowhere.<br />Patric Doonan - raised to wait. I&#039;m tired again, I&#039;ve tried again...<br />and now my heart is full. Now my heart is full and I just can&#039;t explain, so I won&#039;t even try to.<br />(Morrissey)

    Einmal editiert, zuletzt von Rydal ()