Wieviel «Science» benötigt diese «Fiction»?

Es gibt 83 Antworten in diesem Thema, welches 23.442 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von sandhofer.

  • Real ist, was man für real hält. Deshalb ist SF, was man für SF hält. Ein Roman aus vergangenen Jahrzehnten, in dem eine damals völlig unmögliche Reise zum Mond beschrieben wird oder eine ebenso unmögliche Maschine, die schneller rechnen kann als ein Mensch, kann auch dann noch ein SF-Klassiker sein, wenn es beides in genau der beschriebenen Form inzwischen bereits gibt.


    Mit SF-Instinkt meint Zolti wahrscheinlich das Phänomen, daß der Leser eigentlich selbst immer recht genau zuordnet, was er liest.

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Kringel"

    Real ist, was man für real hält. Deshalb ist SF, was man für SF hält.


    Damit komme ich zwar ohne grössere Beulen durch meinen Alltag, in der Sache bringt es mich nicht weiter. Bestenfalls ist es eine Tautologie (real = real; SF = SF).


    Das mit dem SF-Klassiker bestreitet m.E. niemand. Es gibt auch SF-Klassiker, in denen Computer noch mit Röhren funktionieren, oder gänzlich fehlen (und der "Computer" ein Mensch ist, der den Weg durchs All berechnet).


    Zitat von "Kringel"

    Mit SF-Instinkt meint Zolti wahrscheinlich das Phänomen, daß der Leser eigentlich selbst immer recht genau zuordnet, was er liest.


    Wer aber "hat Recht", wenn die Meinungen auseinander gehen? In diesem Forum finde ich "Harry Potter" in der Abteilung "Fantasy", obwohl ich es "instinktiv" als Kinderbuch einordne. Hohlbein als SF, obwohl ich ihn der Abteilung "unfreiwilliger Unsinn" zuordne. "Alien vs. Predator" unter SF, obwohl ich schon beim Cover instinktiv zurückschaudere und meine Gummihandschuhe suche ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Zitat von "sandhofer"

    Sagst Du hier nicht mit andern Worten dasselbe wie ich? Bejahst Du im zweiten Teil Deiner Aussage nicht genau das, was Du im ersten Satz verneinst?


    Absolut nicht. Dazu möchte ich ein Gleichnis entwerfen:


    Wenn ich unter dem Mikroskop einen Öltropfen beobachte, der sich in der Milch nach den Regeln der Thermodynamik hin und herbewegt (Brownsche Bewegung) und seine Formen ändert, eingeengt durch andere benachbarte Öltröpfchen, dann habe ich IMMER NOCH mit einem und denselben Tröpfchen zu tun.


    Zitat von "sandhofer"


    Tut mir leid, bei Definitionen denke ich zweiwertig: Ja oder nein. Kein Veilleicht, kein Sowohl-als-auch. Wenn ich einen Bernhardiner mit einem Dackel kreuze, habe ich nachher auch etwas Neues, weder einen Bernhardiner, noch einen Dackel. (Und schon gar keinen Hund, den ich sowohl an einer Bernhardiner- als auch an einer Dackelschau zeigen könnte!)


    Hier gehst du zu hart mit mir um, sandhofer. Ich habe von den Ausnahmen geredet, die die Regel bestätigen (und die zweifelsfrei bei einem so hochkomplexen Phänomen, wie eine literarische Gattung es ist, vorhanden sind), du unterstellst mir Wischi-waschi-Definieren. Ein "Hund" wird durch die "harten" Gesetze der Genetik definiert - da hat man ein leichtes Spiel. Wie du selbst zuvor geschrieben hast, ist ein(e) Schriftsteller(in) in der Lage, bewußt ein Buch zu schreiben, mit dem er/sie sich zwischen zwei Genres positioniert. Und, wie du selbst sagst, mit einem solchen "Bernhardiner-Dackel-Werk" gehört er/sie eben in KEINE der beiden Genres uneingeschränkt hinein. Das ist aber allgemeingültig und negiert in unserem speziellen Fall die Definitionen der Genres überhaupt nicht, sondern ermöglicht sogar unter Umständen deren Präzisierung.



    Zitat von "sandhofer"


    Ein SF-Instinkt? :entsetzt: Im Ernst, ich verstehe jetzt nicht ganz, was Du meinst.


    Es gibt immer noch Werke, die 99,99% aller Kritiker als SF-Literatur einordnen würden (z. B. die Bücher aus dem STAR Trek-Universum). Oder willst du jetzt unbedingt zu den 0,01% gehören, die darin Tatsachenberichte sehen? :zwinker: Und da es eben solche Bücher gibt, die ich bildhaft als "den ruhenden Pol im Zentrum des Öltröpfchens" bezeichnen möchte, GIBT es das "Tröpfchen" SF noch, unabhängig von allen Veränderungen an seinen Rändern.

    Gesegnet diejenigen, die nicht gegoogelt haben, und dennoch glauben.

  • sandhofer: Du hast mich unbewußt genau richtig verstanden. Ich will eigentlich nur sagen: Es GIBT keine allgemeingültige Definition der SF. Du müßtest inzwischen bemerkt haben, daß jede Definition, auf die du bis jetzt gestoßen bist, nicht mit DEINER Definition übereinstimmt und darüber hinaus möglicherweise auch noch anderen Definitionen widerspricht oder nicht ganz mit ihnen übereinstimmt. Ein "Ja oder nein", wie du es verlangst, gibt es einfach nicht.

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Zoltar"

    Wenn ich unter dem Mikroskop einen Öltropfen beobachte, [...] dann habe ich IMMER NOCH mit einem und denselben Tröpfchen zu tun.


    Gut, ich sehe jetzt, was Du meinst. Ich sehe die Sachlage allerdings anders, wie ja schon mein Hunde-Mischlings-Beispiel zeigt: Nicht Öl in Milch, sondern Milch in Kaffee ...


    Zitat von "Zoltar"

    Es gibt immer noch Werke, die 99,99% aller Kritiker als SF-Literatur einordnen würden (z. B. die Bücher aus dem STAR Trek-Universum). Oder willst du jetzt unbedingt zu den 0,01% gehören, die darin Tatsachenberichte sehen?


    Ich gehöre zu den 0.00000000000000000000000000000000001 %, die das als "Buch zum Film" (bzw. zur TV-Serie) betrachten. Film und Fernsehen haben die SF gerade erst entdeckt, während sie in der Literatur ihre Blütezeit (ihre Reinrassigkeit, wenn man so will!) hinter sich und verloren hat. Insofern sind Bücher zu Star Trek oder Star Wars eher Fandom-Phänomene und repräsentieren nicht die Spitze der Entwicklung der SF-Literatur.


    Und die Frage bleibt bestehen: Aufgrund welcher Kriterien werden solche Werke als SF eingestuft?


    @Kringel: Wenn aber Deine Definition, die von Zoltar, Bartlebooth, von mir etc. etc. nicht irgendwo eine Schnittmenge ergeben, haben wir gar nichts, worüber wir reden könnten. Und diese Schnittmenge suche ich.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Ich glaube, wir haben die Schnittmenge durchaus schon gefunden, aber ihre "Grenzen" sind zu schwammig, als daß wir sie definieren könnten. Hätten wir keine gemeinsame Basis, wäre der Thread wahrscheinlich nicht so lang geworden! :zwinker:

  • Zitat von "sandhofer"


    Gut, ich sehe jetzt, was Du meinst. Ich sehe die Sachlage allerdings anders, wie ja schon mein Hunde-Mischlings-Beispiel zeigt: Nicht Öl in Milch, sondern Milch in Kaffee ...


    Dann hast du aber ein Problem. Man kann "Milchkaffee" in der Tat schlecht kompartimentieren. Sicherlich gibt es in einem solchen Gebräu gewisse Aggregationen und Dichteunterschiede. Aber, ob die für eine Definition ausreichen ...?


    Zitat von "sandhofer"


    Ich gehöre zu den 0.00000000000000000000000000000000001 %, die das als "Buch zum Film" (bzw. zur TV-Serie) betrachten.


    Sympthomatisch das: Ein Buch zum Film ist es AUCH. Zu einem SF-Film, allerdings. :zwinker:


    Zitat von "sandhofer"


    Film und Fernsehen haben die SF gerade erst entdeckt, während sie in der Literatur ihre Blütezeit (ihre Reinrassigkeit, wenn man so will!) hinter sich und verloren hat.


    Na, ja. "Gerade erst" ist (mit einem schielenden Blick auf "Metropolis") vielleicht etwas zu hart ausgedrückt.


    Zitat von "sandhofer"


    Und die Frage bleibt bestehen: Aufgrund welcher Kriterien werden solche Werke als SF eingestuft?


    Handlung in einer (sozio- und technologisch pseudo-möglichen) Zukunft reicht, würde ich sagen.

    Gesegnet diejenigen, die nicht gegoogelt haben, und dennoch glauben.

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Zoltar"

    Dann hast du aber ein Problem. Man kann "Milchkaffee" in der Tat schlecht kompartimentieren.


    Und einmal gemischt ist das Ganze irreversibel ...


    Deswegen frage ich mich mittlerweile - und die Idee ist mir wirklich erst unter unserer Diskussion gekommen -, ob ich nicht "Milch" und "Kaffee" als Unterscheidung in der Vergangenheit und "Milchkaffee" als neues Phänomen in der Gegenwart unterscheiden sollte. (Sprich: "SF" und "Utopie" und "Fantasy" und ... und ... und in der Vergangenheit - "Phantastische Literatur" im 21. Jahrhundert?)


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Hallo zurück!


    Zitat von "sandhofer"


    Deswegen frage ich mich mittlerweile - und die Idee ist mir wirklich erst unter unserer Diskussion gekommen -, ob ich nicht "Milch" und "Kaffee" als Unterscheidung in der Vergangenheit und "Milchkaffee" als neues Phänomen in der Gegenwart unterscheiden sollte.


    Eine durchaus verlockende Idee. Ich glaube, ich sprach von etwas Ähnlichem, als ich anmerkte:


    "Die Lügengeschichten von gestern konnten vor dem neuen "Kritizismus" nicht mehr bestehen. Dieser Prozeß beschleunigt sich heutzutage (höchstwahrscheinlich sogar mit exponentiell wachsender Geschwindigkeit) und die SF breitet, in einem vergeblichen (?) Versuch, dem rasant wachsenden Wissenshorizont zu entkommen, ihre "Fühler" zunehmend in Bereiche der Literatur aus, in denen sie früher wenig zu suchen hatte."


    Spinnt man diesen Gedanken konsequent weiter, so wird vielleicht irgendwann in der Zukunft ein Otto-Normalleser in der Lage sein, wesentlich komplexere Themen der Wissenschaft zu verstehen, als es heutzutage der Fall ist. Die Entwicklungen des WWW und der Biotechnologien könnten uns irgendwann dahin bringen, dass wir immense Mengen an Information aufnehmen und behalten werden können. Und ALLES wird von der SF- Literatur betroffen werden (ein vollständiges Auflösen der Milch im Kaffee).


    Aber auch ohne dieser Spekulation glaube ich wirklich, dass die SF deswegen so schwer fassbar ist, weil sie praktisch zu einem jeden Aspekt des menschlichen Lebens eine "Meinung" beisteuern kann. Ein historischer Roman wird immer ein solcher bleiben - doch es gibt genügend SF-Werke, die Historisches zum Thema haben. Krimis, Horror, Liebesgeschichten, Reiseberichte: Alle diese Genres sind klar umrissen (verglichen mit SF natürlich) - sie wirken auf mich wie die Schoko-Stückchen im Stracciatella. SF dagegen schein die homogene Speiseeismasse dazwischen zu sein ... :eis:

    Gesegnet diejenigen, die nicht gegoogelt haben, und dennoch glauben.

  • Hallo nochmal,


    ich bin noch nicht zufrieden. Ich kann auch nicht behaupten, dass ich all eure Vergleiche bis ins Detail nachvollziehen konnte, aber eines scheint mir sonnenklar zu sein: Wenn wir von irgendwelchen "Mischungen", "Kreuzungen" oder meinetwegen auch Bernhardackeln oder sonstigen Getränken spreche, dann muss ich eine Vorstellung von dem haben, was die einzelnen Dinge sind, die gekreuzt wurden, und die mich dazu bringen sagen zu können, das eine Getränk könnte man unmöglich auf einer bestimmten Hundeschau bestellen.


    Auch wenn ich also davon ausgehe, dass es heute lupenreine SF nicht mehr gibt, dann folgt automatisch die Frage: Wann hat es sie gegeben und worin bestand sie?


    Heute alles unter einem veränderten Begriff von "Phantastischer Literatur" laufen zu lassen, ist dabei keine völlig unmögliche Idee. Die von mir schon im Nebenthread zur Geschichte des Genres erwähnte Renate Lachmann versucht zB Phantastik nicht mehr wie Todorov vom Wunderbaren und vom Seltsamen abzugrenzen, sondern stützt ihren Begriff auf drei historische Traditionslinien: eine mittelalterlich-karnevaleske, die auf parodistische Verfremdung aus ist; eine rhetorische, die auf kühne Bildlichkeit und originellen Sprachwitz gestützt ist; und eine des geheimen Wissens, zu dem dann zB sowohl magische als auch wissenschaftlich-technische Elemente gehören würden. Für Lachmann ist Phantastik damit so etwas wie eine Ausreizung des Möglichen in all seinen Formen.


    Ich habe es schon nebenan gesagt: Ich finde das sehr interessant, bin mir aber nicht so sicher, wie trennscharf dieser Begriff wirklich wäre.


    Herzlich, B.

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Bartlebooth"

    Auch wenn ich also davon ausgehe, dass es heute lupenreine SF nicht mehr gibt, dann folgt automatisch die Frage: Wann hat es sie gegeben und worin bestand sie?


    Als erste zeitliche Näherung:


    Von der Industriellen Revolution bis und mit Kalter Krieg. (Bzw., über Autoren ausgedrückt: von Shelley / Verne / Wells bis Heinlein / Asimov.) Inhaltlich darin bestehend, dass ein wichtiger Aspekt der Geschichte präsentiert wird als eine als möglich dargestellte technisch-wissenschaftliche Weiterentwicklung der aktuellen Situtation. Spielt also vorwiegend in einer näheren oder ferneren Zukunft vom Autor aus betrachtet.


    Nicht dazu gehören: Satiren, Mythen und religöse Texte, Utopien als gesellschaftspolitsche Entwürfe.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Hallo sandhofer,


    Zitat von "sandhofer"

    Spielt also vorwiegend in einer näheren oder ferneren Zukunft vom Autor aus betrachtet.


    Ist das so? Gerade bei den älteren von dir genannten Beispielen, spielt das doch eigentlich keine Rolle. Sowohl Mary Shelleys "Frankenstein" (ich nehme an, den meinst du) als auch die meisten (alle?) Texte von Jules Verne als auch die meisten von HG Wells (mit Ausnahme der "Zeitmaschine", deren Handlung aber ihren Ursprung auch in Wells' Gegenwart nimmt) sind doch nicht in der Zukunft angesiedelt - ganz anders als vieles aus der utopischen Ecke (Mercier, Bellamy, Werfel etc.).


    Herzlich, B.

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Bartlebooth"


    Ist das so?


    Deiner Beispiele bin ich mir wohl bewusst. Deshalb auch mein "vorwiegend". Vielleicht sollte man die Zukunft weglassen; sie wird aber "instinktiv" immer wieder mit SF assoziiert.


    Weiter darüber nachdenken ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Können wir uns auf die Erkenntnis einigen, daß es "die" SF nie gab?


    Gab es nicht schon immer so viele Definitionen für dieses Genre (selbst als es noch kein solches war), wie es Definierer gab?


    Ihr könnt ja auch mal nachlesen, wer wann erstmals den Begriff SF verwendet hat. Dessen Definition dafür müßte man dann, da es die erste und älteste ist, einfach akzeptieren.

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Kringel"

    Gab es nicht schon immer so viele Definitionen für dieses Genre (selbst als es noch kein solches war), wie es Definierer gab?


    Das steht zu befürchten, ist aber leider nicht hilfreich. Humpty Dumpty lässt grüssen ...


    Zitat von "Kringel"

    Ihr könnt ja auch mal nachlesen, wer wann erstmals den Begriff SF verwendet hat. Dessen Definition dafür müßte man dann, da es die erste und älteste ist, einfach akzeptieren.


    Ersteres könnte Campbell gewesen sein. Letzteres muss aber nicht sein. Sonst müssten wir wohl immer noch Physik im Sinne von Aristoteles treiben.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Hallo zusammen,


    ist denn jemandem die Arbeit von Prof. Marc Angenot mit dem Titel "Einführung in die Semiotik der SF" bekannt (erschienen ursprünglich in "Science Fiction Studies 17/1979)?


    Ich fand seinen Standpunkt (auch wenn ich wirklich sehr mit dem hochwissenschaftlichen Text zu kämpfen hatte) als recht einleuchtend. Anbei die wichtigsten Aussagen aus dem Essay in meiner Übersetzung aus dem Polnischen:


    "Von semiotischem Standpunkt kann man SF als einen fiktionalen Diskurs betrachten, der sich auf deutlich formulierten syntagmatischen Regeln gründet, die nicht-existente Paradigmen sowohl steuern, als auch von ihnen gesteuert werden."


    "SF wird nicht durch ein direktes Verhältnis zwischen ihrer fiktiven Welt und der empirischen Welt definiert, sondern durch die Relationen zwischen Syntagmen und Paradigmen."


    Wenn ich nun tollkühn annehme, dass ich diese Sätze richtig verstehe, dann wäre SF durch bestimmte Neologismen, fiktive Worte, die Anwendung von Exolinguistik, und (vor allem) durch die Schaffung einer "paradigmatischen Täuschung" des Lesers zu definieren. Die "Aufgabe" des Lesenden bestünde darin, aus einigen wenigen vorhandenen Paradigmen auf eine ganze, fiktive, doch "gesetzmäßige" Welt zu schließen. Das Lesevergnügen manifestiert sich dort, wo der Leser diese Aufgabe meistert.


    Was mir gefällt, ist der Versuch Angenots, die Definition der Gattung von ihren Themenkreisen zu trennen. Diese Themenkreise nahmen (wie schon oben in der Diskussion erwähnt) immer mehr Elemente anderer Gattungen in sich auf, wodurch der Begriff SF (auf diese Art und Weise definiert) ad absurdum geführt wird.


    Was meint ihr dazu?

    Gesegnet diejenigen, die nicht gegoogelt haben, und dennoch glauben.

  • Hallo Zoltar,


    mit diesem Modell kann ich gar nichts anfangen.


    Der erste Satz, den du zitierst, trifft auf eine ganze Menge von fiktionalen Texten zu. Er besagt einfach nur, dass die einzelnen Elemente einer Geschichte (vertikale, paradigmatische Ebene => Ähnlichkeitsbeziehung, dh Elemente, die sich innerhalb einer Geschichte ersetzen können) nach bestimmten Regeln miteinander verbunden werden (horizontale, syntagmatische Ebene => Kontiguitätsbeziehung, dh Elemente, die aneinandergereiht die Geschichte ergeben).


    Den zweiten Satz verstehe ich nicht, denn wie genau muss denn nun das Verhältnis von syntagmatischer und paradigmatischer Ebene gestaltet sein, damit es sich um SF handelt? In dieser Allgemeinheit formuliert er das Credo des Strukturalismus: Nicht die Inhalte, sondern die Strukturen sind das, was an einem Text analysiert werden muss. Diese These ist deutlich älter als 1979.


    Herzlich, B.

    Einmal editiert, zuletzt von ()

  • Hallo Bartlebooth,


    tja, da wirst du unbestritten Recht haben und ich würde mich hüten, dir zu widersprechen. Im ersten Teil des Essays konzentriert sich Angenot nur auf recht einfache Kriterien, wie z. B. Neologismen. Vielleicht hilft ein kleines Beispiel aus derselben Quelle, um zumindest das Begreifen seiner Thesen zu erleichtern:


    Madame Bovary: "Herr Bovary wurde an der Tür von einer jungen Frau in einem blauen Wollkleid mit drei Falten begrüßt."


    Complot Venus Terre: "Sie hatte ein fließendes Kleid aus Vovax, verziert durch Applikationen aus Bernital."


    Einem Leser fällt es unschwer, den SF-Text auszuwählen, weil er den Kode kennt, der in dieser Gattung verwendet wird. Würden wir diese Passagen einem Vertreter eines Naturvolkes vorlesen, könnte er das womöglich nicht, weil für ihn "blaues Wollkleid mit drei Falten" und "fließendes Kleid aus Vovax" ähnlich "esoterisch" klingen.


    Solche "Kode-Paradigmen" (mein Neologismus :rollen: ) verwendet Angenot dann als, wie bereits gesagt, recht einfaches Unterscheidungskriterium. Im Lauf seiner Argumentationen geht er freilich wesentlich weiter und untersucht kompliziertere Zusammenhänge. Ich möchte jedoch "meine" Argumentation möglichst einfach halten (schon aus Selbsterhaltungstrieb :zwinker: ). Solltest du ihr ablehnend gegenüber stehen, so habe ich das rechtzeitig erfahren, um mir eventuelle unnötigen Ausführungen zu ersparen.

    Gesegnet diejenigen, die nicht gegoogelt haben, und dennoch glauben.

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Zoltar"

    Einem Leser fällt es unschwer, den SF-Text auszuwählen, weil er den Kode kennt, der in dieser Gattung verwendet wird.


    Drehen wir uns da nicht irgendwie im Kreis? Ich verstehe jetzt "SF ist, was wie SF klingt" - aber die Frage ist meines Dafürhaltens, warum etwas wie SF klingt.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Zitat von "sandhofer"


    Drehen wir uns da nicht irgendwie im Kreis? Ich verstehe jetzt "SF ist, was wie SF klingt" - aber die Frage ist meines Dafürhaltens, warum etwas wie SF klingt.


    Ich dachte, genau diese Frage beantwortet Angenot. Es sind weniger die Themen, als die Struktur, die das Genre heute definieren. Ich sehe es allerdings keineswegs als ein unverrückbares Axiom. Die Gewichtung zwischen "Thema" und "Struktur" scheint sich allerdings immer mehr in Richtung des zweiten Begriffes zu verschieben.


    Die eigentliche Frage lautet auch: "Wieviel "Science" braucht diese "Fiction"?" Und die Antwort wäre: Fast gar keins, denn auch solche Social Fiction ist denkbar. Man denke nur an alternative Geschichten a la "die Nazis haben den II Weltkrieg und die Südstaatler den Bürgekrieg gewonnen". Es gibt sogar, glaube ich, entsprechendes Werk von Ph. K. Dick. Entscheidend wäre, DASS überhaupt der Versuch einer solchen Erklärung unternommen wird.

    Gesegnet diejenigen, die nicht gegoogelt haben, und dennoch glauben.