Jeremias Gotthelf

Es gibt 12 Antworten in diesem Thema, welches 4.055 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Alfa_Romea.

  • Ich habe übrigens mit dem ersten Buch für den SUB-Listen-Wettbewerb angefangen: "Die Käserei in der Vehfreude" von Jeremias Gotthelf. Nach dem 1. Kapitel weiss ich auch schon, was die Leute meinen, wenn sie von seiner Sprachgewalt reden :bang:


    Liebe Grüsse


    Alfa Romea

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

    Einmal editiert, zuletzt von ()

  • Oh, von Gotthelf kenne ich nur "Die schwarze Spinne" und, zumindest vom Titel her, "Das Erdbeerresli" :bang: . Oder Gretli?


    ...Wie auch immer, ich konnte mit ihm nichts anfangen. Viel Vergnügen, Alfa!


    lg, adia

  • Zitat von "adia"

    ...Wie auch immer, ich konnte mit ihm nichts anfangen.


    Das glaube ich dir sofort. Ich glaube, um Gotthelf verstehen zu können muss man 1. die Schweizer, insbesondere die Emmentaler kennen und 2. wohl auch Schweizerdeutsch resp Berndeutsch verstehen - und zwar sehr gut, Gotthelfs Sprache ist sehr urtümlich und halt auch schon alt. Viele Ausdrücke haben sich geändert oder existieren gar nicht mehr. Um sie richtig einordnen zu können, muss man die Sprache wirklich gut kennen. In Deutschland kann man wahrscheinlich lange suchen, bis man jemanden findet, der Gotthelf versteht :zwinker:


    Liebe Grüsse


    Alfa Romea

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Alfa_Romea"

    Das glaube ich dir sofort. Ich glaube, um Gotthelf verstehen zu können muss man 1. die Schweizer, insbesondere die Emmentaler kennen


    Ausser dem Käse kenne ich keine Emmentaler ... dennoch mag ich Gotthelf sehr.


    Zitat von "Alfa_Romea"

    und 2. wohl auch Schweizerdeutsch resp Berndeutsch verstehen


    Gotthelfs Werke wurden ursprünglich in Berlin verlegt. Thomas Mann war einer seiner "Fans". Schon alleine dies widerspricht, glaube ich, Deiner These, Alfa_Romea.


    Zitat von "Alfa_Romea"

    - und zwar sehr gut, Gotthelfs Sprache ist sehr urtümlich und halt auch schon alt.


    Nicht älter und regionaler geprägt als z.B. die von Stifter.


    Zitat von "Alfa_Romea"

    In Deutschland kann man wahrscheinlich lange suchen, bis man jemanden findet, der Gotthelf versteht :zwinker:


    Das halte ich, entschuldige bitte, für eines dieser so wahnsinnig gern kolportierten Gerüchte rund um die Rezeption von Gotthelf. Er ist kein Heimatautor, kein Regionalautor - nix. Er ist - auch sprachlich - Bestandteil der deutschsprachigen Hochliteratur; Mann hat ihn zur Weltliteratur gezählt.


    Grüsse


    Sandhofer


    der sich jedemal grün und blau ärgert, wenn man Gotthelf in die Schweizer Heimatecke zu drängen versucht. :grmpf:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Zitat von "sandhofer"

    Das halte ich, entschuldige bitte, für eines dieser so wahnsinnig gern kolportierten Gerüchte rund um die Rezeption von Gotthelf. Er ist kein Heimatautor, kein Regionalautor - nix. Er ist - auch sprachlich - Bestandteil der deutschsprachigen Hochliteratur; Mann hat ihn zur Weltliteratur gezählt.


    Es gibt nichts zu entschuldigen, ich lerne gerne dazu :zwinker:
    Ich habe mich nur während des Lesens gefragt, wie und ob ein Deutscher das verstehen kann/soll. Zumindest in meiner Ausgabe – die in der Schweiz hergestellt wurde und wohl mindestens 40 Jahre auf dem Buckel hat (leider hat es keine Jahreszahl im Vorsatz) – sind Sätze in der direkten Rede ziemlich Schweizerdeutsch* geschrieben. Wenn mir ein ähnliches Buch von einem norddeutschen Autor vorliegen würde, würde ich nicht allzu viel verstehen – nehme ich zumindest an.


    Zitat von "sandhofer"

    ...der sich jedemal grün und blau ärgert, wenn man Gotthelf in die Schweizer Heimatecke zu drängen versucht. :grmpf:


    Das war keineswegs meine Absicht! Dort gehört er auch meiner Meinung nicht hin. Nur frage ich mich eben, ob man seine Sprache im Ausland versteht, oder ob es da «Übersetzungen» gibt. Vielleicht kannst du mir da weiterhelfen...


    Liebe Grüsse


    Alfa Romea


    *ziemlich Schweizerdeutsch = deutsche Worte, aber schweizerdeutsche Ausdrücke. Habe leider das Buch nicht dabei, aber in etwa so, wie wenn ich schreiben würde «wenn man Deutsch und Schweizerdeutsch mischt, gibt das einen u hueren Chrüsimüsi, wo keiner versteht.» (Nur so als aus dem Ärmel geschütteltes Beispiel.)

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Hi!


    Nein, es gibt keine «Übersetzungen» - vielleicht einfach, weil es bei Gotthelf nichts zu übersetzen gibt? Natürlich verwendet er regionale Ausdrücke - das tat Böll, das tut Grass; selbst bei Goethe gibt es Verse, die sich nur auf Frankfurterisch reimen. Und vielleicht haben Schweizer einen Heimvorteil, aber auch Stifter fällt einem Alemannen leichter als einem Hannoveraner, z.B.


    Grüsse


    Sandhofer


    PS. Sollte man das nicht abtrennen und einen eigenen Thread (unter "Klassiker und Weltliteratur"! :zwinker: ) daraus machen?

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Zitat von "sandhofer"

    PS. Sollte man das nicht abtrennen und einen eigenen Thread (unter "Klassiker und Weltliteratur"! :zwinker: ) daraus machen?


    Doch, sollte man. Habe ich soeben getan.


    Jetzt interessiert mich die Meinung von Menschen ohne Heimvorteil, also von Österreichern und Deutschen, die schon Bücher von Gotthelf gelesen haben: Wie gut habt ihr das verstanden? Hattet ihr bisweilen das Gefühl, in einer Fremdsprache zu lesen oder war alles immer sonnenklar?


    Dass es bei Gotthelf nichts zu übersetzen gibt (ausser ein paar Ausdrücken im Glossar), kann ich fast nicht glauben...


    Liebe Grüsse


    Alfa Romea

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Es ist schon ewig her, dass ich "Die Schwarze Spinne" gelesen habe (war in der Schule), aber wir hatten damals keine Probleme mit der Sprache.


    Liebe Grüße
    wolves

  • Hallo, Alfa Romea!


    Zitat von "Alfa_Romea"

    Hattet ihr bisweilen das Gefühl, in einer Fremdsprache zu lesen oder war alles immer sonnenklar?


    Nein, ist es natürlich nicht. Man braucht nicht lange zu suchen, um bei Gotthelf Sätze wie diesen zu finden:

    Zitat

    Sie haßten die Diensten afe gar, denen seis nicht zu breichen. Wunderselten treffe man einen an, der öppe zufrieden sei mit dem, wie man es selbsten habe, und sie hätten es nadisch bei ihnen gut; aber sie meinten, man solle die Erdöpfel selbst fressen und ihnen eiertätschlen.


    Bei Goethe oder Stifter, die Sandhofer hier erwähnt hat, findet man eine solche Vermischung von Hochsprache und Mundart nicht. Auch bei Sätzen, die hochdeutsches Vokabular verwenden, bleibt man immer wieder mal hängen, weil Gotthelf ungewohnte Formulierungen verwendet, z.B.:


    Zitat

    Die Mutter machte sich ganz unschuldig. Sie wies das Zuckerstöcklein vor (den Kaffee verschwieg sie), das hätte er als Kram gebracht für seine Verpflegig, und da hätte sie ihn müssen hinein heißen und ihm etwas Warms machen, wegem allgemeinen Gebrauch; an etwas anders hätte sie nicht gesinnet.


    Ungewöhnlich ist hier die Formulierung "sich unschuldig machen", hier würde ich eher "<b>gab</b> sich ganz unschuldig" erwarten. "Kram" klingt in diesem Kontext merkwürdig, und "nicht an etwas sinnen" ist zwar verständlich, aber eben auch ungewohnt. Wegen dieser Stolpersteine finde ich, daß Gotthelf wesentlich schwieriger zu lesen ist als etwa der erwähnte Stifter oder auch als Gottfried Keller. Aber diese sprachlichen Besonderheiten machen eben auch den Reiz von Gotthelfs Prosa aus. Bei Gotthelf kommen auch die "Schneckentänze" vor, eines meiner Lieblingswörter. :)


    Noch ein anderes Beispiel:

    Zitat

    Denn die sind auch früh auf, und je länger je weniger soll man den Bettlern Faulheit vorwerfen, hoschen und doppeln sie einem ja manchmal schon vor fünf Uhr an der Türe.


    Hier ist "hoschen" und "doppeln" unklar, und über "je länger je weniger soll man ... vorwerfen" muß man auch erst einmal nachdenken.


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Zitat von "Wolf"

    Wegen dieser Stolpersteine finde ich, daß Gotthelf wesentlich schwieriger zu lesen ist als etwa der erwähnte Stifter oder auch als Gottfried Keller.


    Eben. Deshalb habe ich mich auch gefragt, ob es da keine Übersetzungen gibt. Und falls nein (was ja der Fall ist), wer denn ausserhalb der Schweiz diese Bücher (freiwillig) liest.
    Aber das hängt wahrscheinlich mit meiner persönlichen Einstellung zusammen: Ich mag mich beim Lesen durchaus ein wenig anstrengen, um den Text zu verstehen, aber es gibt Grenzen. Und wenn diese überschritten werden, macht mir das Lesen keinen Spass mehr. Wenn ich in Deutschland oder Österreich aufgewachsen wäre, fände ich Gotthelf wohl nicht zumutbar... Aber offenbar gibt es noch unentwegte Kämpfer, die sich gerne durch exotische Ausdrücke und Formulierungen kämpfen... :)


    Zitat von "Wolf"

    Hier ist "hoschen" und "doppeln" unklar...


    Da kann ich teilweise helfen: "hoschen" kenne ich auch nicht, "doppeln" heisst klopfen. Das nur so am Rande...


    Liebe Grüsse


    Alfa Romea

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  • Hallo zusammen!


    Nun, bei Stifter hat Wolf nun seinerseits Heimvorteil, indem er ("Nähe München") aus demselben Dialektraum zu kommen scheint.


    Aber wie steht es denn z.B. mit Gerhart Hauptmann? Viele seiner Stücke sind im schlesischen Dialekt seiner Heimat verfasst. Da habe ich auch noch nie eine "Übersetzung" gesehen.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Zitat von "Alfa_Romea"

    Deshalb habe ich mich auch gefragt, ob es da keine Übersetzungen gibt.


    Na ja, "The Black Spider" oder "Uli le fermier" gibt es natürlich schon. :breitgrins:


    Aber Übersetzungen ins Hochdeutsche gibt es wohl nicht, das stelle ich mir auch ziemlich schwierig vor, denn Gotthelf schreibt ja weitgehend schon Hochdeutsch, nur eben mit Mundartausdrücken durchsetzt. In direkter Rede sprechen die Personen freilich manchmal kein Hochdeutsch, sondern "richtigen" Dialekt. Für einen nichtschweizerischen deutschen Muttersprachler ist es völlig ausreichend, wenn Fußnoten oder ein Stellenkommentar die unbekannten Wörter und Wendungen erklären. Zu Autoren, die tatsächlich durchgehend Mundart schreiben, gibt es manchmal schon hochdeutsche Übersetzungen, Fritz Reuter wäre da ein Beispiel. Wie es diesbezüglich bei Gerhart Hauptmann aussieht, den Sandhofer erwähnt hat, weiß ich nicht.


    Zitat von "Alfa_Romea"

    Und falls nein (was ja der Fall ist), wer denn ausserhalb der Schweiz diese Bücher (freiwillig) liest.


    Wahrscheinlich dieselben, die auch Goethe, Heine, Jean Paul usw. lesen. :) So schwierig ist Gotthelf nun auch wieder nicht, es gibt ja auch Leute die Barockliteratur lesen, Zesen oder Moscherosch etwa, so etwas kann man auch nicht einfach so herunterlesen, wenn man damit zum ersten Mal in Kontakt kommt. Alles eine Frage der Motivation.


    Zitat von "Alfa_Romea"

    Ich mag mich beim Lesen durchaus ein wenig anstrengen, um den Text zu verstehen, aber es gibt Grenzen. Und wenn diese überschritten werden, macht mir das Lesen keinen Spass mehr.


    Wie wär's denn mal mit "Finnegans Wake"? :breitgrins:


    Zitat von "Alfa_Romea"

    Wenn ich in Deutschland oder Österreich aufgewachsen wäre, fände ich Gotthelf wohl nicht zumutbar...


    Wie gesagt, gar so schwierig ist das auch wieder nicht. Auch in Grimms Märchen kommen ja einige Mundartstücke vor, an denen man sich schon als Kind üben kann. :) Wenn Gotthelf nur irgendein nichtssagender Unterhaltungsschriftsteller wäre, dann würde man sich die Mühe natürlich nicht machen. Aber wenn es Literaturkenner gibt (Thomas Mann wurde schon genannt), die Gotthelf zur Weltliteratur zählen, dann verlockt das natürlich schon zum Lesen, da kann man sich dann ruhig ein wenig anstrengen, denn man wird ja dann auch dafür belohnt. :)


    Schöne Grüße,
    Wolf

  • Zitat von "Wolf"

    Wie wär's denn mal mit "Finnegans Wake"? :breitgrins:


    Habe mal bei Wikipedia nachgeschlagen, worum es da geht. Definitiv nichts für mich :breitgrins:


    :winken:


    Alfa Romea

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