Empört habe ich in der Tagespost den folgenden Artikel gelesen! Das ist eine völlig neue Perspektive über einen meiner lieblings Dichter. Vielleicht muss ich mein Weltbild revidieren!!! Lest den Artikel mal durch, er íst sehr intressant...:
Denkmalsturz
DT vom 12.08.2006
ZitatAlles anzeigenAus Anlass seines 50. Todestages wird Bertolt Brecht in den Feuilletons viel Lorbeer gebunden. Kein Wunder, dass kritische Stimmen wie die seines Biographen John Fuegi kaum durchdringen. Dabei lohnt es, nachzulesen. Und plötzlich wackelt der Sockel, auf dem der Dichter heute steht.
Am 14. August 1956, kurz vor Mitternacht, war Bertolt Brecht ein toter Mann. Noch auf dem Sterbebett machte der Dichter und Stückeschreiber gleich zweimal sein Testament. Im ersten setzte er seine Ehefrau, Helene Weigel, zur alleinigen Erbin aller Tantiemen ein. Im zweiten wurden seine Tochter Barbara, sowie Käthe Reichel, Isot Kilian und Ruth Berlau mit einem Erbteil bedacht. Diese drei gehörten zur "Schwesternschaft", vulgo Brechts Harem.
Auch in der Todesstunde blieb der seiner Maxime treu, viele Frauen gleichzeitig im Spiel zu halten. Es gab sogar noch weitere letzte Verfügungen. Dieses Chaos nutzend, gelang es der weltberühmten Schauspielerin und Theaterdirektorin Weigel, die ihr missliebigen anzufechten. Seitdem fließen die aus aller Welt zusammenströmenden Einnahmen vor allem auf das Familienkonto des Brechtclans. Man kann davon ausgehen, dass es sich dabei um Millionen handelt. Schon zu seinen Lebzeiten war Bertolt Brecht reich. Mit dem überragenden Erfolg der "Dreigroschenoper" vom Sommer 1928 riss der Geldstrom aus Theater- und Rundfunkeinnahmen, Verfilmungen und Übersetzungen nie wieder ab. Gleichwohl hat es der 1898 in Augsburg geborene Großbürgerssohn verstanden, jedermann einzureden, er sei hilfsbedürftig. Ihm gelang dieses Kunststück, indem er einerseits in scheinbar billigen, aber in Wirklichkeit maßgeschneiderten Kleidern auftrat und andererseits durch das erstaunliche Talent, den Menschen weiszumachen, in jenen Gedichten, in denen "vom armen B.B." die Rede ist, stünde nichts als die reine Wahrheit.
Doch diese Verse sind bloß Zweckpropaganda. Agitprop sind auch Gedichte, in denen Brecht seinen Klassenverrat und die Hinwendung zu den werktätigen Massen preist. Denn er hat nie unter Arbeitern gelebt. Wem es 1947 gelingen konnte, im ausgebombten, hungernden und sowjetisch besetzten Ostberlin ein subventioniertes Theater, eine auch im strengsten Winter wohlgeheizte 14-Zimmer-Villa mit Seeblick, ein Automobil mit Chauffeur und immer "ein fettes Huhn im Topf" zu ergattern und dabei die Mär vom darbenden Schlucker aufrechtzuerhalten, der ist allerdings ein phänomenaler Bursche. Ein Phänomen war Bertolt Brecht also ohne Zweifel. Aber war er auch die literarische Ausnahmeerscheinung, für die er bis heute gehalten wird? Sein nur leicht angekränkelter Nachruhm scheint keinen Zweifel daran zu erlauben. Ob Geburt und Tod, jeder runde Jahrestag der Brechtvita wird noch immer mit einem beeindruckenden öffentlichen Aufwand gefeiert. Auch zu seinem 50. Todestag gibt es in ganz Deutschland Theateraufführungen, Dichterlesungen, Ausstellungen und Filme zu seinen Ehren, und Festredner werden nicht müde, Brecht zu preisen.
Gewiss, so uneingeschränkt wie bei der offiziellen Trauerfeierlichkeit am 18. August 1956 in Brechts Berliner "Theater am Schiffbauerdamm", bei der Walter Ulbricht, der erste rote Diktator der DDR, den Stalinpreisträger Brecht für dessen Verdienste im Klassenkampf lobte, sind die Elogen heutzutage nicht mehr. Vom linken Kämpfer ist nur noch selten die Rede. Dafür wird sein lyrisches Werk in den Olymp erhoben und manches Theaterstück. Doch obwohl der Anteil der "vorzeigbaren" Bühnenwerke von Jahr zu Jahr kleiner wird, steht das Wort vom Jahrhundertgenie immer noch hoch im Kurs. Deshalb nimmt es nicht weiter wunder, dass die 1997 erschienene Biographie "Brecht & Co." von John Fuegi beim diesjährigen Festrummel kaum erwähnt wird. Bei ihrem Erscheinen ist das noch ganz anders gewesen. "Fuegi bringt alle Vorstellungen über den größten dramatischen Dichter des 20. Jahrhunderts ins Wanken", schrieb die Los Angeles Times. "Eine der wichtigsten Studien dieses Jahrhunderts", meinte gar das New York Magazine. Auch in Europa registrierte man aufmerksam, was John Fuegi, Jahrgang 1936, in London geboren, und Professor für Vergleichende Literatur mit Lehrstühlen an den Universitäten von Berlin, Mainz, Harvard, Wisconsin und Cambridge zu sagen hat.
Nur im Heimatland Brechts war man nicht sonderlich amüsiert. Dass die Großverdiener am Brechterbe und ihre Turmbläser Einspruch erheben würden, verstand sich von selbst. Aber auch geistig unabhängige Publizisten waren darüber empört, dass ausgerechnet ein ausgewiesener Brechtforscher das Denkmal vom Sockel gestürzt hatte. Manche meinen, Fuegi als eifernden Konvertiten in die Ecke stellen zu können, und immer noch hält sich die Mär, es sei ihm vor allem um Brechts unmoralischen Lebenswandel gegangen.
Tatsächlich: auf ungezählten des 900 Seiten starken Lebensberichts ist nachzulesen, wie gnadenlos Brecht mit seinen Ehe- und Nebenfrauen umging und sie durch ein sorgfältig abgestimmtes System von Zuckerbrot und Peitsche zu seinen "Kreaturen" machte. Jede Frau ist, so Brecht, wie ein Apfel, dessen naturgegebenes Ziel es sei, gegessen zu werden. Doch dieser vulgärdarwinistische Aspekt der Fuegigeschichte ist nur das Psychogramm zu einer Betrugsstory, die ihresgleichen sucht. Wenn "der Meister" irgendwo singulär war, dann im Aneignen von Urheberrechten. Schon der Titel "Brecht & Co." deutet es an: was der Autor B.B. ins Leben rief, war ein Kollektiv, und das bestand in aller Regel aus Frauen. Die Namen Elisabeth Hauptmann, Margarete Steffin und Ruth Berlau sind in diesem Zusammenhang an erster Stelle zu nennen. Bis heute werden sie meist als "Mitarbeiterinnen" bezeichnet, und für manch Ahnungslosen sind sie "Groupies" gewesen, die froh gewesen sein müssten, von einem Genie begattet worden zu sein.
Doch diese Machismosicht auf die Dinge geht ebenso am Kern der Recherchen Fuegis vorbei, wie die naiv-euphemistische Annahme, Brecht habe aus den Frauen der Schreibwerkstatt gewissermaßen deren Kreativität "herausgekitzelt". Was John Fuegi massiv bezweifelt, ist die alleinige Autorenschaft Brechts über zentrale Teile des offiziellen Werkes. Mit anderen Worten: da wo Brecht draufsteht, ist nicht nur Brecht drin! Hierzu nur die wichtigsten aus einer Fülle von Details, die Fuegi aus lange unzugänglichen Archiven und in Gesprächen mit Zeitzeugen zusammengetragen hat: Ruth Berlau verfasste Szenen zum "Kaukasischen Kreidekreis", trug zu "Herr Puntila und sein Knecht Matti" bei - das außerdem in Coautorenschaft mit der Finnin Hella Wuolijoki entstanden war. Berlau hatte zudem einen großen Anteil an "Die Gesichte der Simone Marchard". Ohne Margarete Steffin hätte es, so Fuegi, weder das "Leben des Galilei" noch den "Guten Menschen von Sezuan" oder "Furcht und Elend des Dritten Reiches" gegeben. Sie hat auch die Strukturentwürfe und ganze Passagen des "Dreigroschenromans" verfasst. Auf das Konto von Elisabeth Hauptmann sollen die "Ausnahme und die Regel" und Gedichte "Aus einem Lesebuch für Städtebewohner" sowie noch einiges andere gehen. "Happy End" galt lange Zeit als Brechtstück und ist doch tatsächlich ausschließlich von Elisabeth Hauptmann geschrieben worden. Was Brecht nicht daran hinderte, die Filmrechte an "Happy End" zu verkaufen, ohne die Autorin zu fragen, geschweige denn mit ihr zu teilen.
Brecht sah sich als Herr einer Literaturmanufaktur, deren Erträge ausschließlich ihm gehörten und nur unter seinem Namen veröffentlicht werden durften. Denn er allein war, nach eigenen Aussagen, "eine Marke". Schon bei der "Dreigroschenoper", seinem ersten wirklich großen Erfolg, ist Brecht in Vertragsangelegenheiten mit einer Skrupellosigkeit vorgegangen, die als Lehrstück für "Raubtierkapitalisten" bestens geeignet ist. Denn Elisabeth Hauptmann war es, die den historischen Stoff entdeckt, übersetzt und in eine erste deutsche Theaterfassung gebracht hatte. Brecht war an dem Stoff zunächst völlig desinteressiert. Alle Ingredienzien, die später zum Welterfolg beitrugen, hatte Hauptmann bereits zu einem Paket verschnürt, als sich die Gelegenheit bot, es zu verkaufen. Brecht schnappte zu, bat Kurt Weil um die Musik für das Stück und hatte die Stirn, ohne die Autorin, allein mit Weill, zur Vertragsunterzeichnung zu gehen, um dort einen Kontrakt zu unterschreiben, der für Hauptmann 12,5 Prozent, für Weill 25 Prozent und für ihn selbst 62,5 Prozent vorsah.
Bei den turbulenten Proben am Stück wirkten noch andere mit. John Fuegi sieht das so: "Das Grundgewebe, dazu mehrere Songs, stammte im wesentlichen von Elisabeth Hauptmann. Die raffinierte Partitur war ausschließlich Weill. Die charakteristische Optik der Inszenierung von Caspar Neher. Der Titel kam von Lion Feuchtwanger. Einige Schlüsselsongs waren das Werk des französischen Mörders, Diebs und Poeten Villon aus dem 15. Jahrhundert, in der deutschen Fassung des stramm rechtsnationalen Oberstleutnants a.D. Karl Klammer aus dem 20. Andere sind Kipling, abgewandelt durch Hauptmann, manchmal auch noch durch Brecht. Der Text zumindest von "Mackie Messer", dazu das Umschreiben des "Kanonensongs" und dieses und jenes auf den letzten Drücker, kleine Einfügungen und große Umverteilungen machten schließlich den unerlässlichen Beitrag Bertolt Brechts zu diesem Stück aus."
Soweit Fuegi zur Entstehungsgeschichte eines Welterfolgs, der bis zur Stunde Millionen auf die Konten der Erbberechtigten lenkt. Nicht nur Fuegi ist davon überzeugt, dass die "Dreigroschenoper" zu mindestens 80 Prozent von Elisabeth Hauptmann stammt. Doch genützt hat ihr das nichts. Selbst von den ihr zugesicherten Prozenten hat sie so gut wie nie etwas gesehen. Immer noch wird an linken Stammtischen Brechts Satz von seiner "grundsätzlichen Laxheit in Fragen geistigen Eigentums" mit klammheimlicher Freude gerne zitiert. Es mag ja sein, dass für einen "Revolutionär" die diesbezügliche Ehrlichkeit "bürgerlich", also "überholt" ist. Doch dann hätte Brecht die Einnahmen auch in seinem Schreibkollektiv gerecht verteilen sollen.
Das aber hat er gerade nicht getan. Im Gegenteil! Seine Parole war offenbar: Alle für einen, und dieser Eine war er ganz allein. Was Brecht 1928 begann, das hat er, davon ist John Fuegi fest überzeugt, von da an im großen Stil weiterverfolgt. Nicht nur gebrochene Frauen pflastern seinen Weg, sondern auch Lug und Betrug. Das Buch "Brecht & Co." liest sich wie das Ticken einer Zeitbombe, die, allen Abwiegelungen zum Trotz, irgendwann explodieren wird.
Was bleibt, ist die Frage, warum sich die Hauptleidtragenden Hauptmann, Steffin, Berlau nie ernsthaft gewehrt haben. Fuegi hat auch darauf eine schlüssige Antwort, und die geht über die bekannte These von der S.e.x.uellen Hörigkeit weit hinaus. Mitte der Zwanziger Jahre mimte Brecht nicht mehr den Bürgerschreck, sondern war ins Fach des sozialistischen Revolutionärs hinübergewechselt. Doch während "seine" Frauen es mit dem Kampf für den Sozialismus bitter ernst meinten und dafür alles gaben, war "die Weltrevolution" für Brecht eine florierende Einnahmequelle. Trotz Emigration ging es ihm materiell immer mehr als gut. Auch wenn er allen das Gegenteil weismachen konnte. Die Frauen hingegen darbten. Dafür nur ein Beispiel: Als Ruth Berlau in den USA nach der Geburt ihres von Brecht gezeugten Sohnes, der noch im Wochenbett starb, vorzeitig die Klinik verließ, obwohl sie von einer gleichzeitigen Turmorerkrankung noch nicht genesen war - denn sie nahm an, Brecht sei zu arm, um die Kosten zu zahlen! - betrog der seine Kindsmutter überdies um einen ihr zustehenden Filmrechteanteil von 9000 Dollar (damals viel Geld!), von dem sie nie etwas erfuhr. Weil Brecht von vielen gutgläubigen "Genossinnen und Genossen" umgeben war, flog sein perfides Treiben niemals auf. Im Kampf für den Kommunismus mussten Opfer gebracht werden.
So dachten sogar noch Zehntausende im sowjetischen Gulag, die sich unter der Folter oder bei der Zwangsarbeit verzweifelt fragten, wann sie von der offiziellen Parteilinie abgewichen sein könnten. Stimmgewaltige westliche Intellektuelle haben, trotz der Schauprozesse in den Dreißiger Jahren, bei denen Stalin fast das gesamte Leninsche Politbüro liquidierte, die Sowjetunion in einer Verkennung oder Leugnung der offensichtlichen Realitäten als Reich des "Neuen Menschen" gepriesen. Dieses System der Verblendung wirkte auch im Fall Brecht - und wirkt, so seltsam das anmutet, bis heute. Noch immer halten Menschen den Kommunismus für eine gute Idee, die leider nur schlecht gemacht worden sei. Gerade aus dieser Quelle speist sich ein Großteil der Ablehnung, die Fuegis "Brecht & Co." erfahren hat. Wenn schon der Sozialismus gescheitert ist, dann sollen wenigstens einige Ikonen ihren Platz im Weltbild der ewigen Utopisten behalten. Der Stückeschreiber hat in dieser Galerie der historischen Irrtümer einen Platz ganz weit oben.
Was also war Bertolt Brecht für ein Mensch? Aus welchem Stoff ist jemand gewebt, der sein Leben auf Lüge und Ausbeutung seiner Nächsten aufbaut, der sogar jene Menschen betrügt, die ihm auf der Flucht vor den Nationalsozialisten das Leben gerettet haben und dabei dreist die Larve des wohlmeinenden Weltrevolutionärs zur Schau trägt? In seinen Gedichten hat Brecht oft den kalten Egoisten herausgekehrt. Dort singt er allerdings auch das Marschlied des selbstlosen Kämpfers für die "gerechte Menschheitssache". Sind das nur "dialektische Widersprüche? Vielleicht sollte Brechts originäres Werk gerade jetzt wieder gelesen werden. Wir sagen voraus, dass man dabei, gewissermaßen unter dem Schleier der brechtschen "Verfremdung", auf ganz Erstaunliches stoßen wird. Stellvertretend für diese neue Lesart mag hier das Gedicht "Die Maske des Bösen" stehen, das zur Selbstentblößung Brechts gar nicht schlecht taugt: "An meiner Wand hängt ein japanisches Holzwerk/ Maske eines bösen Dämons, bemalt mit Goldlack./ Mitfühlend sehe ich/ Die geschwollenen Stirnadern, andeutend/ Wie anstrengend es ist, böse zu sein."Autor: VON INGO LANGNER
Frage kennt jemand das Buch, bez. hat es schon jemand gelesen???
Grüsse F.N.