James Joyce - Dubliner

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  • Two Gallants:


    "The Two Gallants" endet damit, daß das Dienstmädchen Lenehan ein Goldmünze gibt. In meiner Anmerkung steht:
    Die Goldmünze ist der Lohn von Wochen für ein Dienstmädchen, wenn sie nicht gestohlen ist.(...) Die zwei Kerle nehmen das Mädchen entweder aus wie eine Weihnachtsgans oder übereden sie zum stehlen. Fiese Typen.


    So habe ich die Geschichte auch aufgefasst, allerdings ließ Joyce uns hier lange im Unklaren darüber, was Corley mit der Frau vorhat. Anfangs dachte ich, es ginge ihm nur darum, sie ins Bett zu bekommen, das passte aber nicht ganz mit dem Alter der beiden Männer zusammen; die große Herausforderung an die manipulativen Fähigkeiten stellt das ja wohl eher in niedrigerem Alter dar, und für Corley gilt ja "Been there, done that". Nein, hier muss es um etwas anderes gehen, dachte ich mir. Unangenehme Typen, die beiden.


    The Boarding House:

    Zitat von "Tina"

    In der Erklärung meiner Ausgabe steht, daß "Madame" auch eine Bezeichnung für eine Bordellbesitzerin war. Das würde erklären, daß die Mutter es mit einem kleinen Trick sehr wahrscheinlich schaffte, der Tochter zu ersparen, in diesem Metier ihr Geld zu verdienen.


    Wobei ich nicht glaube, dass das Boarding House ein verstecktes Bordell ist. Mrs Mooney geht es weniger um Geld (es heißt im Text, dass andere Mütter sich vielleicht in dieser Situation mit Geld zufrieden geben, aber sie nicht), sie will ihre Tochter unter die Haube bringen und wartet nur auf die passende Situation. Am interessantesten fand ich, wie viele Gedanken und Sorgen sich die Protagonisten machen, wo der Ausgang der Sache doch von vorne herein feststeht. Aber das ist für mich als Außenstehende natürlich leicht zu sagen.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Hallo Ihr Lieben,


    das Madame auch eine Bezeichnung für eine Bordellbesitzerin ist, stand bei mir im Anhang. Ich selbst wäre auch nicht auf den Gedanken gekommen, aber ich weiß nicht warum es erklärt wird, wenn es mit der Geschichte nichts zu tun hat. Hm, keine Ahnung, denn ich sehe ansonsten auch keinen Anhalt in der Geschichte für diese These. Vielleicht ist ja dem "Anhangsschreiber" die Phantasie durchgegangen :breitgrins:. Manchmal sind mir die Geschichten etwas zu unklar. Ich bin auch nicht gerade ein Fan von Interpretationen. In der Oberstufe, habe ich wegen den Interpretationen regelmäßig Krach mit meinem Deutschlehrer bekommen, weil ich einfach nicht seiner Meinung war und mir das alles suspekt war, da man den Autor ja auch nicht mehr fragen konnte. :rollen: Oh, da habe ich mich nicht sehr beliebt gemacht :zwinker:.
    Ich habe jetzt bis "Efeutag" gelesen, aber da ich gerade auf dem Sprung zum Essen bin und die ganze Zeit meine Tasche gepackt habe, werde ich erst wieder am Donnerstag schreiben, wenn ich London zurück bin.


    Das Buch werde ich nicht mitnehmen, das HC ist und ich jegliches Gepäck einsparen möchte. Mein Koffer ist auch so schon schwer genug, denn ich darf ja kaum Handgepäck mitnehmen und meine arme Kameraausrüstung muß in den Koffer und dabei ist mir gar nicht wohl. :sauer: Ich weiß nicht was ich alles genommen habe zum Abpolstern, aber ich mach' drei Kreuze, wenn mein Equipement die Tour gut übersteht.
    So, ich mach mich jetzt vom Acker und wünsche Euch noch viel Spaß beim lesen. :winken:
    Ganz liebe Grüße Tina

  • So, ich bin nun auch wieder weiter.


    After the Race
    Was soll man dazu groß sagen? Männer! :rollen: Besonders viel Mitleid kann ich für Jimmy jedenfalls nicht aufbringen. Mit den "richtigen" Leuten gesehen zu werden, hat halt seinen Preis. Aber sein Vater ist auch "klasse", denn der scheint das Verhalten seines Sohnes ja zu unterstützen und an einer Stelle heißt es ja auch, er sei "covertly proud of the excess". Aber gut, es kann ja wirklich sein, dass die Beziehungen zu den anderen im Endeffekt das verlorene Geld aufwiegen.
    Interessant fand ich aber irgendwie Villona, von dem es ja zu Anfang heißt, er sei sehr arm und der ja dann - sofern ich das richtig verstanden habe - auch nicht bei dem Kartenspiel mit dabei ist, sondern am Piano spielt und die Rolle des Hahns inne hat (das "Daybreak, gentlemen!") hat in der Tat etwas.


    Two Gallants
    Bei dieser Geschichte muss ich sagen, dass ich auch einige Schwieirgkeiten hatte, was das Verständnis anging - zumindest wenn es um die junge Frau ging. Aber von dem Verhalten der beiden "Gallants" mal abgesehen, fand ich Lenehans Streifzug durch die Straßen recht interessant, wie er da so ganz ohne Corley nichts mit sich anzufangen weiß und einfach nur mal hierhin und mal dorthin geht, und die ganze Zeit darauf wartet, dass die Stunden endlich verstreichen.
    Corley ist dem Anschein nach ja wirklich einfach nur grässlich und langweilig (weil ich-bezogen), aber Lenehan zumindest scheint diese Art des Gelderwerbs ja nicht wirklich Spaß zu machen. Denn es heißt doch, dass er die Nase voll, und lieber ein richtiges Heim und eine Frau hätte. Was dann die Frage aufwerfen würde, warum er überhaupt mit dabei. Mir ist sowieso nicht so ganz klar, worin Lenehans Aufgabe besteht, denn eigentlich macht doch Corley die ganze "Arbeit"? :confused:



    Penta

  • Meiner Meinung nach besteht Lenehans "Aufgabe" darin, Zeuge zu sein, und Bewunderer. Ohne ihn würde sich Corley wohl kaum die ganze Mühe machen. Ich glaube nämlich nicht, dass es ihm primär um das Geld geht, sondern darum, die Frau soweit zu bringen, dass sie ihr sauer erworbenes Geld hergibt/für ihn stiehlt. Ich sehe das als Spiel. Es wird zwar nicht erwähnt, dass die beiden darum gewettet hätten, aber auch das würde mich nicht wundern. Corley jedenfalls hat "gewonnen", hat sich eine schwere Aufgabe gesetzt und diese erfolgreich gelöst, und Leneham wird das schön im Freundeskreis weitererzählen. Auch eine Art des Prestigegewinns :rollen: .

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Hallo!


    Nach erneutem Lesen von The two Gallants" denke ich auch, dass eine Wette wahrscheinlich ist. Besonders witzig finde ich ja auch den Titel zu der Kurzgeschichte... :rollen:



    Eine kleine Wolke / A little Cloud
    Eine schöne Beschreibung, was für Gefühle ein Mensch hat, der auf einmal merkt, daß das Leben, welches er eigentlich leben wollte an ihm vorbeogezogen ist, ohne daß er daran Teil hatte. Noch schlimmer ist es, wenn man erkennt, daß es zu spät ist um veräumte Gelegenheiten nachzu holen, weil man ansonsten einen sozialen Scherbenhaufen hinterlassen würde. Die Entäuschung schlägt um in Wut, und obwohl man dies alles selbstverschuldet hat, bekommt es das schwächste glied der Kette ab, auch wenn man es hinterher noch so bereut. Wieder ein Beispiel dafür, daß man vielleicht manchmal im Leben einfach egoistischer sein sollte.


    Diese Geschichte ist mir richtig nahe gegangen! Wie schrecklich muss es sein, wenn man bemerkt, dass man aus seinem Leben nicht mehr herauskommt und nichts "neues" mehr erleben kann, weil man bereits zu viel Verantwortung trägt.


    Aber zumindest zeigt er am Ende Reue und spielt hoffentlich nicht mit dem Gedanken seine Familie alleine zu lassen!


    Gleiches kann man zu Counterparts sagen, wie Tina bereits sagte.


    Clay
    Bei Maria sehen es alle einfach für verständlich an, dass sie für alle da ist und alle denken, dass sie mit ihrem Leben zufrieden ist.


    Gruß, fairy

    [size=9px]&quot;I can believe anything, provided that it is quite incredible.&quot;<br />~&quot;The picture of Dorian Gray&quot;by Oscar Wilde~<br /><br />:leserin: <br />Henry Fielding - Tom Jones<br /><br />Tad Williams - The Dragonbone Chair<br /><br />Mark Twai

  • Ich habe mittlerweile auch wieder ein wenig weiter gelesen. Das Lesen fällt mir etwas schwer, da ich die englische Ausgabe lese und in manchen Geschichten doch recht viele Wörter vorkommen, die mir noch fremd sind. :redface:

    Araby


    Ich hatte zunächst den Verdacht, dass es sich bei dem Protagonisten um den selben Jungen handelt, der auch bereits in "The Sisters" vorkommt.
    Die Geschichte beschreibt für mich eine unglückliche Liebe, die Gefühle des Jungen sind wundervoll geschildert. Der Junge will seiner Liebe einen Wunsch erfüllen und scheitert darin wegen seines Onkels, der den Wunsch seines Neffen nicht ernst nimmt. Die Tante scheint mehr Verständnis für den Jungen zu haben, kann ihm allerdings nicht helfen.
    Sehr gut kommt in der Geschichte auch die Hilflosigkeit des Kindes heraus.


    Eveline


    Bei dieser Geschichte ging es mir ebenso wie euch, ich habe sie als sehr bedrückend empfunden und sie hat mich nachdenklich gemacht.
    Ich glaube, Eveline hat Angst davor, sich ein neues Leben aufzubauen, so weit weg von allem Gewohnten. Obwohl sie tief in sich weiß, dass es ihre große Chance wäre, ihrem bisherigen Leben zu entkommen (dass ihr bisheriges Leben alles andere als zufriedenstellend ist, macht der Autor ja sehr deutlich), wagt sie es im entscheidenden Augenblick nicht, sich für das Ungewisse zu entscheiden. Über diese Entscheidung scheint sie selbst sehr entsetzt zu sein, wie ihre passive, hilflose Haltung zum Schluss andeutet.


    Edit:

    After the Race


    Da ist der gute Jimmy natürlich selbst schuld, wenn er denkt, um jeden Preis dazugehören zu müssen und sich dazu noch mit diesen Männern betrinkt, damit er kaum noch einen klaren Gedanken fassen kann. Zum Schluss hat mich die Dummheit dieses Jungen richtig geärgert. Ständig dieser Gedanke: "Ach, was für eine tolle Gesellschaft diese Männer doch sind" und währenddessen wird er gnadenlos abgezockt. :rollen: Es kommt für mich richtig deutlich heraus, dass Jimmy seine Freundschaften nur des Prestiges wegen pflegt, wirkliche freundschaftliche Gefühle sind da wohl kaum im Spiel. Irgendwie tut er mir auch leid - vielleicht weiß er gar nicht, was Freundschaft wirklich bedeutet.

    :lesen: Joe Navarro - Menschen lesen

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  • Hallo ihr!


    Heute habe ich wieder ein Stückchen weitergelesen.


    A Painful Case
    Ja, das war wohl für beide "A Painful Case" und ich finde es wirklich sehr feige von ihm, dass er sie einfach hat fallen lassen und jeglichen Kontakt zu ihr abgebrochen hat. Er hätte wenigstens versuchen können, ihr einen Brief zu schicken. Andererseits finde ich, dass er sich am Ende auch zu viele Vorwürfe macht. Wäre Mrs Sinicio wirklich so schrecklick einsam gewesen, hätte sie ihn schon irgendwie auftreiben können.


    Ivy Day in the Committee Room
    Ich habe auf Wikipedia etwas über Parnell nachgelesen Klick und bin zu dem Schluss gekommen, dass Joyce hier wahrscheinlich schon wieder einen kleinen Seitenhieb auf die katholische Kirche abgibt.
    Als nämlich herauskam, dass Parnell eine Affäre hatte, hetzte die Kirche den Mob gegen ihn auf. Ich nehme an, dass Joyce ihn verehrt hat, so kommt es zumindest in der Geschichte herüber.


    Gruß, fairy

    [size=9px]&quot;I can believe anything, provided that it is quite incredible.&quot;<br />~&quot;The picture of Dorian Gray&quot;by Oscar Wilde~<br /><br />:leserin: <br />Henry Fielding - Tom Jones<br /><br />Tad Williams - The Dragonbone Chair<br /><br />Mark Twai


  • Meiner Meinung nach besteht Lenehans "Aufgabe" darin, Zeuge zu sein, und Bewunderer. Ohne ihn würde sich Corley wohl kaum die ganze Mühe machen. Ich glaube nämlich nicht, dass es ihm primär um das Geld geht, sondern darum, die Frau soweit zu bringen, dass sie ihr sauer erworbenes Geld hergibt/für ihn stiehlt. Ich sehe das als Spiel. Es wird zwar nicht erwähnt, dass die beiden darum gewettet hätten, aber auch das würde mich nicht wundern. Corley jedenfalls hat "gewonnen", hat sich eine schwere Aufgabe gesetzt und diese erfolgreich gelöst, und Leneham wird das schön im Freundeskreis weitererzählen. Auch eine Art des Prestigegewinns :rollen: .


    ich habe diese erzählung auch so verstanden. kennt zufällig von euch jemand die moritat "sabinchen war ein frauenzimmer"? als ich das ende von "two gallants" las, fühlte ich mich an dieses lied erinnert.
    interessant ist übrigens, dass, wenn man die schlussszene, in der das dienstmädchen corley die münze gibt und lenehan unter der laterne auf ihn wartet, aus dem kontext herausnimmt, eine typische dreierkonstellation vorliegt, nämlich mit corley als "hure", indem er nach dem sex geld entgegennimmt, dem dienstmädchen als "freier", indem sie die münze herausrückt und lenehan als "luden", indem er ungeduldig auf corley und das geld wartend nicht weit entfernt unter der laterne steht.

    Liebe Grüße<br /><br />em


  • A Little Cloud
    Diese Geschichte ist mir richtig nahe gegangen! Wie schrecklich muss es sein, wenn man bemerkt, dass man aus seinem Leben nicht mehr herauskommt und nichts "neues" mehr erleben kann, weil man bereits zu viel Verantwortung trägt.


    Aber zumindest zeigt er am Ende Reue und spielt hoffentlich nicht mit dem Gedanken seine Familie alleine zu lassen!


    Ich kann diese Geschichte nicht so negativ sehen. Dazu durchschaut er meiner Meinung nach die Hohlheit Gallahers zu sehr (zumindest so lange er einigermaßen nüchtern ist). Erst später, mit zunehmenden Promillen im Blut, fängt er an, von einem neuen, abenteuerlichen Leben zu träumen, zu dem er aber völlig ungeeignet ist. Nein, ich glaube, dass er am nächsten Morgen - wieder nüchtern - sich sehr wohl in seinem behaglichen Nest fühlen wird.
    Wobei allerdings ein leichtes Unbehagen auch bei mir zurückbleibt, vor allem im Zusammenhang mit der folgenden Geschichte. Es könnte auch sein, dass Chandler in einigen Jahren in Farringtons Situation feststeckt. Richtig mag ich das nicht glauben, aber die Möglichkeit besteht natürlich.


    Counterparts:
    Diese Geschichte empfinde ich als viel finsterer als die vorhergehende. Farrington tut wirklich alles, um sich sein Leben zu vermiesen. Zwar steckt er in einer unangenehmen (Arbeits-)Situation, aber sein Verhalten dient nicht dazu, diese zu verbessern; im Gegenteil. Eine baldige Entlassung mit folgender Arbeitslosigkeit ist anzunehmen.
    Seine Reaktion darauf ist eine Sauftour mit seinen Genossen - sicher nicht die erste und auch nicht die letzte. Die letzten Pence gehen für Alkohol drauf. Während seines "Abendvergnügens" dacht ich noch "Hoffentlich ist er nicht verheiratet!". Aber natürlich ist er das, und büßen für sein bescheuertes Verhalten muss die erste Person, die ihm in die Quere kommt, sein Sohn, den er mit dem Stock verprügelt. Wahrscheinlich auch das weder zum ersten und letzten Mal. Ich denke es ist kein Zufall, dass seine Frau nicht zu Hause ist. Wohlweißlich geht sie ihm aus dem Wege, um nicht selbst das Opfer seiner Wur zu werden.


    Zu Two Gallants:

    interessant ist übrigens, dass, wenn man die schlussszene, in der das dienstmädchen corley die münze gibt und lenehan unter der laterne auf ihn wartet, aus dem kontext herausnimmt, eine typische dreierkonstellation vorliegt, nämlich mit corley als "hure", indem er nach dem S.e.x. geld entgegennimmt, dem dienstmädchen als "freier", indem sie die münze herausrückt und lenehan als "luden", indem er ungeduldig auf corley und das geld wartend nicht weit entfernt unter der laterne steht.


    Das finde ich eine sehr interessante Beobachtung. Eine solche Betrachtungsweise würde Lenehan einen aktiveren Part geben, als ich ihn ihm zugetraut habe. Er als treibende Kraft hinter Corley. Möglich, allerdings schien er mir dafür doch zu besorgt während der Warterei. Ich sehe ihn eher als passiven Nutznießer von Corleys Unternehmungen, aber an deiner Idee könnte durchaus was dran sein.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Two Gallants

    Gerade habe ich diese - auf mich sehr geheimnisvoll wirkende - Geschichte gelesen und finde sie atmosphärisch sehr schön geschrieben, ich konnte mir die beiden Männer richtig gut vorstellen. Allerdings habe ich die Geschichte beim Lesen auch nicht so richtig verstanden, aber eure Vermutungen und Beobachtungen machen die Bedeutung der Geschichte ein wenig klarer für mich, das hat mir sehr weitergeholfen... :smile:
    Corley war mir die ganze Geschichte über unsymphatisch. Wie er diese arme, naive Frau ausnutzt... Allerdings hätte ich auch eher gedacht, dass er nur darauf aus ist, sie ins Bett zu bekommen und nicht, dass er Geld von ihr ergaunern will.
    Lenehan dagegen tat mir eher leid, denn es wurde ja deutlich gemacht, dass er sich nach einem geregelten Leben mit einer Frau und einem Zuhause sehnt. Außerdem meinte ich, aus seinen Sätzen Mitgefühl für die Frau herauszulesen. Auf jeden Fall ist er charakterlich um Längen besser als Corley.


    So, dann bin ich schon mal auf die restlichen Geschichten gespannt...

    :lesen: Joe Navarro - Menschen lesen


  • Das finde ich eine sehr interessante Beobachtung. Eine solche Betrachtungsweise würde Lenehan einen aktiveren Part geben, als ich ihn ihm zugetraut habe. Er als treibende Kraft hinter Corley. Möglich, allerdings schien er mir dafür doch zu besorgt während der Warterei. Ich sehe ihn eher als passiven Nutznießer von Corleys Unternehmungen, aber an deiner Idee könnte durchaus was dran sein.


    ich denke, die konstellation ist vom autor so gewählt, um zu zeigen, wie armselig corley und lenehan in ihrem toughen verhalten eigentlich sind.


    ich habe dublin übrigens trotz allem mittlerweile richtig liebgewonnen :herz:
    einige straßen und orte tauchen ja regelmäßig auf, so z.b. dame street oder das custom house oder die antient concert rooms; und jedesmal, wenn in einer erzählung ein name wiederholt wird, den ich bereits aus einer vorhergehenden erzählung kenne, schleicht sich bei mir ein gefühl von vertrautheit ein, das eigentlich gar nicht zu rechtfertigen ist, da ich dublin eigentlich überhaupt nicht kenne :breitgrins:

    Liebe Grüße<br /><br />em

    Einmal editiert, zuletzt von emerald moon ()

  • Puh, Joyce' Geschichten sind ganz schön bedrückend! Ihm gelingt es äußerst gut, eine Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit und Tristesse zu erschaffen, auch wenn "eigentlich" nichts passiert.


    Clay:
    Maria: eine alleinstehende, alternde Frau, deren Daseinsberechtigung in den Augen ihrer Mitmenschen und auch ihren eigenen darin besteht, für andere da zu sein. Ganz schön trist (trotzdem dachte ich mir beim Lesen, dass sie vielleicht doch das bessere Los gezogen hat, ohne einen versoffenen, gewalttätigen Mann aus einer der anderen Dubliner-Geschichten).
    Außerdem ist die Geschichte ein typisches Beispiel dafür, dass man gefälligst doch auch den Titel lesen soll - das erleichtert die Deutung der Geschichte ungemein. Ich zerbrach mir den Kopf darüber, was wohl auf dem ersten Teller, den Maria berührt, gelegen haben könnte, kam schließlich auch über den Umweg von verrottenden Blättern zu Erde, wollte eure Meinung dazu befragen, als beim Tippen des Titels die Lösung offenbar wurde.
    Da fiel bei mir auch ein weiterer Groschen, mir wurde nämlichklar, wieso alle so sonderbar auf die Erdberührung reagierten: Anscheinend soll das Spiel ja prophezeihen was im nächsten Jahr passieren wird, und mit Marias Wahl der Erde wird ihr Tod vorausgesagt. Bzw. gehe ich davon aus, dass die Erde ihr von den jungen Mädchen aus dem Nachbarhaus untergeschoben wurde, wodurch sich die Aussage zu "du hast dein Leben hinter dir" verschiebt. Eine verständliche (Jugendliche können sich kaum vorstellen, dass ältere Leute auch ein lebenswertes Leben haben), aber herzlose Meinung der Jugend zu ältere Leuten.


    A Painful Case:
    In gewisser Hinsicht die männliche Variante zu "Clay". Ein alternder Junggeselle (allerdings wohl eigentlich nicht so alt, wie er den Eindruck macht; in der Zeitung hieß es, Mrs Sinico sei 43 Jahre alt, und er hielt sie früher für etwas jünger als er selbst) erlebt eine Romanze mit einer verheirateten Frau, bricht diese aber ab, als sie ihm zu gefühlsmäßig wird. Die Rückkehr zu seinem ereignislosen Leben stellt ihn zufrieden, bis er von dem Tod der Frau (dem Selbstmord?) unter Alkoholeinfluss in der Zeitung liest. Anfangs bestätigt ihn das in der Richtigkeit seines früheren Entscheidung, aber dann beginnt er doch zu grübeln: Why had he withheld life from her?, wobei ich glaube, dass er sich diese Frage eigentlich über sich selbst stellt. In erster Linie macht er sein eigenes Leben zu einem "ungelebten", und ist daher völlig ungeeignet als Hilfe für den Ausbruchsversuch von Mrs Sinico.



    Ja, das war wohl für beide "A Painful Case" und ich finde es wirklich sehr feige von ihm, dass er sie einfach hat fallen lassen und jeglichen Kontakt zu ihr abgebrochen hat. Er hätte wenigstens versuchen können, ihr einen Brief zu schicken. Andererseits finde ich, dass er sich am Ende auch zu viele Vorwürfe macht. Wäre Mrs Sinicio wirklich so schrecklick einsam gewesen, hätte sie ihn schon irgendwie auftreiben können.


    Sicher hätte sie wieder Kontakt zu ihm aufnehmen können, aber wozu? Er hat ja deutlich gemacht, dass er mit ihr nichts mehr zu tun haben will, und als Alternative zu ihrem Mann erwies er sich auch als ungeeignet. Sie hat mMn einen Versuch gemacht, aus ihrem bisherigen Leben auszubrechen, ist dabei leider auf den falschen Mann gestoßen.
    Natürlich meine ich nicht, dass er die Verantwortung für ihren Tod tragen würde - das tut sie selbst - aber er trägt die Verantwortung für sein eigenes Leben, und jetzt wird ihm klar, dass dieses wohl ziemlich leer und er allein ist.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • ich habe "dubliners" gestern nacht ausgelesen und ich bin begeistert :herz: natürlich habe ich mir auch gleich nachschub von joyce besorgt, nämlich "a portrait of the artist as a young man".

    Liebe Grüße<br /><br />em


  • ich habe "dubliners" gestern nacht ausgelesen und ich bin begeistert :herz: natürlich habe ich mir auch gleich nachschub von joyce besorgt, nämlich "a portrait of the artist as a young man".


    Leserunde? :breitgrins:

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  • Hallo!


    Ich habe das Buch heute ausgelesen und kann sagen, dass mir das Buch in seiner Gesamtheit sehr gut gefallen hat! Ich will auf jeden Fall noch mehr von Joyce lesen, am liebsten einen seiner Romane.


    Grace
    Endlich mal wieder eine Geschichte, die nicht so sehr negativ war. Zwar wollen seine Freunde Kernan manipulieren, aber sie wollen ihm auch einfach helfen. Die meisten Charaktere aus den anderen Geschichten hatten noch nicht einmal so etwas wie Freunde. Die Rede des Pfarrers am Ende war natürlich wieder etwas ironisch... :breitgrins:


    The Dead
    Die Geschichte hat mich wirklich beeindruckt. Der Anfang, als der Ball voll im Gange ist, fand ich nicht sooo toll, aber dafür wurde es gegen Ende richtig gut! Vor allem die Szene, in der Gretta der Weise lauscht, das war richtig atmosphärisch und das Gespräch zwischen den beiden am Ende total dramatisch.
    His soul swooned slowly as he heard the snow falling faintly through the universe and faintly falling, like the descent of their last end, upon all the living and the dead. Gänsehaut pur! :klatschen:


    Gruß, fairy

    [size=9px]&quot;I can believe anything, provided that it is quite incredible.&quot;<br />~&quot;The picture of Dorian Gray&quot;by Oscar Wilde~<br /><br />:leserin: <br />Henry Fielding - Tom Jones<br /><br />Tad Williams - The Dragonbone Chair<br /><br />Mark Twai

  • Mensch, seid ihr alle schnell. Ich hinke hoffnungslos hinterher, ich habe habe gerade erst "A Little Cloud" beendet. :redface: Nun ja, mir gefällt das Buch aber dennoch von Geschichte zu Geschichte besser. :smile:

    The Boarding House


    Hm, für die Bordell-Theorie kann ich auch keine Anzeichen in der Geschichte feststellen, finde sie aber durchaus interessant.
    Allerdings glaube ich auch, dass es in der Geschichte vor allem darum geht, dass die Mutter ihre Tochter möglichst schnell und gut verheiraten will und nun die Gelegenheit dazu sieht. Deshalb hat sie auch so lange gewartet und die Affäre sich entwickeln lassen, ohne einzugreifen, auch wenn es schon Gerede darum gab.


    A Little Cloud


    Da hat es wohl jemand versäumt, seinen Traum zu leben, solange noch die Möglichkeit bestand. Jetzt scheint er es zu bereuen, aber es ist zu spät. Er ist gebunden und kann seine Familie nicht guten Gewissens im Stich lassen. Gedichte oder Bücher könnte er allerdings auch trotz seiner Familie schreiben, da sehe ich kein Hindernis für ihn, es zu versuchen, sollte das wirklich sein Traum sein.
    Gallagher ist mir sehr unsympathisch, sowas von aufgeblasen und es scheint nicht viel hinter seiner reichen und "weltgewandten" Fassade zu stecken. Auch an seinen alten Freundschaften scheint ihm nicht viel zu liegen, weil er die Einladung seines Freundes nicht annimmt und ihn für sein geregeltes Leben zu belächeln scheint und herablassend behandelt.

    :lesen: Joe Navarro - Menschen lesen

  • meiner meinung nach geht es in "a little cloud" weniger darum, dass der protagonist versäumt hat, einen traum zu leben, als vielmehr um die fähigkeit, zu beinducken, und die bereitschaft, sich beindrucken zu lassen.
    wie saltanah bereits bemerkt hat, ist der protagonist (sorry, ich habe mein buch gerade nicht zur hand), ein akurater, sensibler, bescheidener mann, für ein leben, wie es sein freund ihm vor augen führt, absolut nicht geeignet. er lässt sich jedoch - wider besseren wissens - in den bann seines freundes ziehen, wodurch der keim der unzufriedenheit in ihm erwacht.
    das "little" im titel verrät aber bereits, dass es sich um eine eher kleine krise handelt, in der sich der protagonist befindet, die seinen alltag nicht allzu lange überschatten dürfte.

    Liebe Grüße<br /><br />em


  • das "little" im titel verrät aber bereits, dass es sich um eine eher kleine krise handelt, in der sich der protagonist befindet, die seinen alltag nicht allzu lange überschatten dürfte.


    Oh, das ist ein guter Aspekt, diesem Wörtchen hätte ich jetzt gar keine besondere Beachtung geschenkt. Ja, so betrachtet könnte es wirklich sein, dass der Protagonist sich nur in einer kurzen Krise befindet. Er scheint mir auch ein sehr ängstlicher und schüchterner Mensch zu sein, deshalb kann ich mir auch nicht vorstellen, dass ihm ein unstetes, aufregendes Leben wie das von Gallagher so richtig behagen würde.


    Counterparts


    Diese Geschichte ist bisher die bedrückendste und sie stimmt mich am meisten nachdenklich von allen bisher gelesenen. Der Mann scheint ja ein geborener Versager zu sein und an seiner Misere scheint er größtenteils selbst die Schuld zu tragen. Schließlich halten es seine Kollegen anscheinend auch alle aus, ohne sich selbst während der Arbeitszeit ein paar hinter die Binde gießen zu müssen. Das Verhalten seines Chefs finde ich auch nachvollziehbar, denn wenn der Mann nicht bereit ist, seine Arbeit ordentlich auszuführen, muss er ja mal ein Machtwort sprechen. Was mich an dem Mann sehr erschreckt hat, sind die aufgestauten Aggressionen und die Wut, die er ständig in sich trägt. Es war mir während der gesamten Geschichte klar, dass dieser Mensch irgendwann platzen wird. Schon während seines Wirtshausbesuchs dachte ich, er würde gleich eine Schlägerei mit Weather anzetteln, aber vor seinen Kumpels wollte er wohl keinen schlechten Eindruck hinterlassen. So muss, wie es auch in der Realität so häufig der Fall ist, sein unschuldiges Kind darunter leiden, dass der Vater nicht dazu imstande ist, sein Leben in den Griff zu bekommen. Unverantwortlich finde ich es auch von der Mutter, dass sie selbst flüchtet und ihre Kinder zuhause ihrem Schicksal überlässt, obwohl sie sicherlich genau weiß, wie der Abend schließlich enden wird...


    Clay


    Maria ist eine nette, warmherzige Person, die für alle da ist, die jedoch niemanden zu haben scheint, dem sie ihren Kummer anvertrauen kann. Dabei ist die ganze Geschichte über bemerkbar, dass sie sich nach solch einer Vertrauensperson sehnt. Aber solch ein Leben würde ich ehrlich gesagt tausendmal dem der armen Frau aus der vorhergehenden Geschichte, die mit ihrem alkoholkranken Mann zu kämpfen hat, vorziehen.

    :lesen: Joe Navarro - Menschen lesen

    Einmal editiert, zuletzt von Erendis ()

  • Hallo,


    ich habe gestern "Dubliner" beendet und das Buch hat mir gut gefallen. Die Kurzgeschichten waren unterschiedlich in ihrem Inhalt und das fand ich, hat das ganze recht kurzweilig gemacht.


    Die letzt Geschichte
    Tote/The Dead
    Tja. manchmal ist es schön, wenn verstorbene in Erinnerung bleiben, aber es kann auch ein Fluch sein, der sich in "Geister" äußert, die man sein ganz Leben nicht loswird. Wobei, vielleicht will man sie ja auch nicht loswerden. Ich fand diese Erzählung traurig.


    Alles in allem, haben mir die Erzählung gut gefallen, manche sehr gut, andere weniger, aber das lag vielleicht auch daran, daß ich einfach nicht wußte, was der Autor damit sagen wollte.


    4ratten


    Viele Grüße Tina