Thomas Glavinic - Die Arbeit der Nacht

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  • [size=13pt]Die Arbeit der Nacht[/size]
    Thomas Glavinic


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    Autorenportrait:


    Thomas Glavinic, geboren 1972 in Graz, war Taxifahrer, Bergbauer und Werbetexter und schreibt seit 1991 Romane, Essays, Erzählungen, Hörspiele und Reportagen. "Der Kameramörder", sein dritter Roman nach "Carl Haffners Liebe zum Unentschieden" und "Herr Susi", wurde 2002 mit dem Friedrich-Glauser-Krimipreis für den besten deutschsprachigen Roman ausgezeichnet.


    Inhaltsangabe:


    Jonas ist allein. Zuerst ist es nur eine kleine Irritation, als die Zeitung nicht vor der Tür liegt und Fernseher und Radio nur Rauschen von sich geben. Dann jedoch wird Jonas klar, dass seine Stadt, Wien, menschenleer ist. Ist er der einzige Überlebende einer Katastrophe? Sind die Menschen geflüchtet? Wenn ja, wovor? Jonas beginnt zu suchen. Er durchstreift die Stadt, die Läden, die Wohnungen und bricht schließlich mit einem Truck auf, um nach Spuren der Menschen suchen. Mit wachsender Spannung erzählt Thomas Glavinic davon, was Menschsein heißt, wenn es keine Menschen mehr gibt.


    Eigene Meinung:


    Die Idee von Thomas Glavinics Roman "Die Arbeit der Nacht" fand ich sehr originell, also kaufte ich mir das Buch kurzerhand. Zwar mag ich die Einsamkeit selbst nur an gewissen Tagen erleben, wenn man sich matt fühlt und mal eine Auszeit nehmen möchte. Aber nach einer Weile gewöhnt man sich als Leser an diese ungewöhnliche Erzählform. Die Art, wie Glavinic diese Geschichte um den jungen Jonas strickt, der im menschenleeren Wien Riesenrad fährt und überall nach den verschwundenen Menschen sucht, ist spannend und literarisch sehr preisverdächtig. "Die Arbeit der Nacht" ist eine Geschichte, bei der einem nach dem Lesen noch unzählige Gedanken durch den Kopf schwirren. Man fragt sich zum Beispiel, was man wohl selbst in so einer verlassenen Welt getan hätte, wie sie in dem Buch dargestellt wird.
    _______________________________________________________________
    Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch. Erich Kästner
    Mein Buch


    Gruß, Erik

  • Ich bin mit sehr großen Erwartungen an dieses Buch herangegangen, vielleicht mit zu großen. Thomas Glavinic wird momentan als großer österreichischer Nachwuchsschriftsteller gefeiert und dementsprechend befindet sich dieses Buch momentan in aller Munde bzw. auf den Bestsellerlisten.


    Meinen Erwartungen wurde nicht entsprochen.


    Würde ich in der Früh aufwachen und feststellen, dass niemand - absolut niemand, kein Mensch und kein Tier – anwesend wäre, ich vollkommen alleine wäre, würde ich diesen Zustand anfangs wohl einmal genießen. Wien für mich alleine, ganz Österreich für mich alleine zu haben, ohne Stau, ohne Verkehr, ohne Lärm, das wäre schon verlockend!
    Nicht aber der Protagonist dieses Buches. Ab dem Zeitpunkt geht er nur mehr bewaffnet aus der Wohnung, leidet unter Verfolgungswahn und hat das dringende Bedürfnis, Stätten seiner Kindheit aufzusuchen.
    Langsam aber sicher entwickelt er eine Paranoia, glaubt, Geräusche zu hören und Schatten zu sehen. Er beginnt, die leeren Straßen zu filmen, stellt überall in ganz Wien (und später in ganz Europa) Kameras auf und filmt sich selber im Schlaf.


    Leider wiederholen sich auf den 400 Seiten immer wieder dieses Handlungsstränge. Er filmt sich und die Welt, er fährt durch Österreich (später durch Europa), besucht fremde Wohnungen und Geschäfte. Die Spannung und das flaue Gefühl, das zu Beginn aufgebaut wir, können leider nicht gehalten werden, und so wird das Buch ab der Hälfte eigentlich nur mehr langweilig.
    Die in den Rezensionen bei Amazon erwähnte Unlogik mancher Dinge (von einem Moment auf den anderen verschwinden alle Menschen und Tiere ohne dass ein Chaos hinterlassen wird, manche Geschäfte sind geöffnet, manche geschlossen, Strom- und Elektrizität funktionieren einwandfrei, etc) hat mich eigentlich nicht so gestört.




    Wie schon erwähnt kann ich die Begeisterung, die um dieses Buch herrscht, nicht teilen.


    2ratten:marypipeshalbeprivatmaus:

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

  • Zitat

    Würde ich in der Früh aufwachen und feststellen, dass niemand - absolut niemand, kein Mensch und kein Tier – anwesend wäre, ich vollkommen alleine wäre, würde ich diesen Zustand anfangs wohl einmal genießen.


    Ernsthaft ...? Das wäre deine Anfangsreaktion? *skeptisch guck*


    Zitat

    Nicht aber der Protagonist dieses Buches. Ab dem Zeitpunkt geht er nur mehr bewaffnet aus der Wohnung, leidet unter Verfolgungswahn und hat das dringende Bedürfnis, Stätten seiner Kindheit aufzusuchen.
    Langsam aber sicher entwickelt er eine Paranoia, glaubt, Geräusche zu hören und Schatten zu sehen.


    Ohne das Buch gelesen zu haben - aber mir kommt diese Reaktion dann doch realistischer vor, als sich gleich einmal über die Ruhe zu freuen ...


    LG, Bluebell

    [color=darkblue]&quot;Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of b

  • Hallo zusammen!


    Ernsthaft ...? Das wäre deine Anfangsreaktion? *skeptisch guck*


    Ich würde wohl erst mal den Kurt Felix und seine Paola suchen ...


    Aus Graz kamen seinerzeit einige nicht üble Autoren. Ma kucken ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Zitat


    Ernsthaft ...? Das wäre deine Anfangsreaktion? *skeptisch guck*


    Naja, das war zugegebnermaßen etwas übertrieben.
    Wie man selber reagieren würde, kann man wohl vorher schwer sagen. Allerdings fand ich es im Buch nicht so sehr nachvollziehbar. Und die Waffe fand ich irgendwie übertrieben. Wenn schon jemand/etwas es geschafft hat, sozusagen über Nacht sämtliche Menschen und Tiere rückstandslos zu entfernen, dann wird wohl das Schießgewehr auch nicht helfen können :zwinker:

    :blume:&nbsp; Herzliche Grüße!&nbsp; :blume: <br />creative

  • Ich hätte ja fest damit gerechnet, dass mir das Buch gefallen würde. Halb gelesen bin ich es dann heute sehr leichten Herzens wieder losgeworden. Schade. Schade um die gute, wenn auch nicht ganz neue Idee, die mich sehr neugierig gemacht hat.
    Am Anfang fand ich es auch noch recht spannend, weil ich damit rechnete, dass noch irgendetwas passiert. Irgendetwas. Vor allem im Zusammenhang mit den Dingen, die er in der Nacht mit der Kamera aufnimmt. Wenn doch nur etwas spannendes gefolgt wäre. Aber nichts. Er tut jeden Tag das Gleiche... isst etwas... stellt Theorien auf, die er wieder verwirft... isst etwas... sieht Dinge, die die dann doch nicht da waren... isst etwas... :schnarch: Und beim Durchblättern immer das Gleiche, bis zum Schluss. Um das klarzustellen, ich wollte keine actionreiche Handlung oder konfuse Erklärung der Geschichte (á la Entführung der Menschheit durch Außerirdische o.ä. :wand:), um Himmels Willen.
    Nunja, vielleicht wäre ja noch etwas gekommen, wenn ich richtig weitergelesen hätte.
    Ich würde es nicht weiterempfehlen.

  • Bisher kenne ich nur "Wie man leben soll" von ihm und das fand ich nicht schlecht. Die Idee hier finde ich auch ganz gut, ich zögere schon seit einiger Zeit, mir das Buch wirklich zu kaufen. Was mich jetzt - rein aus euren Rezensionen - neugierig gemacht hat: Was isst er denn die ganze Zeit? Weil wenn die Menschheit verschwunden ist, wer liefert das Essen?

  • Hallo,
    kann man dieses Buch vielleicht mit Marlen Haushofer's "Die Wand" vergleichen?
    Irgendwie interessiert mich das Thema und "Die Wand" fand ich klasse.Möchte jetzt nur nicht sozusagen einen Abklatsch dessen lesen.


    LG

    Manche Leute glauben, Durchhalten macht uns stark.Doch manchmal stärkt uns gerade das Loslassen.Hermann Hesse

  • Ja, kann man durchaus mit der Wand vergleichen.


    Ich habe das Buch voriges Jahr auf einem Segelturn gelesen und fand es sehr spannend, sehr beklemmend.
    Ich habe meinen Mitreisenden immer wieder vorgelesen und zum letzten Kapitel habe ich dann überhaupt eine
    Lesung gemacht, war total witzig.


    Ich mag den Glavinic aber überhaupt sehr, seine Bücher schaffen es immer wieder, mich zu überraschen. Ich habe dann
    auch noch "Das bin doch ich" von ihm gelesen und in diesem Buch schildert er ja seine Erfahrungen beim Schreiben von der Arbeit
    der Nacht und geht auch auf seine Freundschaft mit Daniel Kehlmann ein.

    Lesen ist Schokolade für die Seele!

  • Ich habe kürzlich mit dem Buch begonnen, bin derzeit ca. auf Seite 80 (von 400) und naja... bin bisher nicht so begeistert. Noch bevor sich der Inhalt irgendwie entwickeln konnte, ist mir schon negativ aufgefallen, dass Glavinic offenbar am Kurze-Sätze-Syndrom leidet, das ist für mich leider furchtbar, da geht so viel Stimmung verloren. Manchmal ist es so schlimm, dass seine Sätze gar keine Sätze mehr sind, sondern nur mehr kurze Wortverbindungen. Das muss man einfach mögen oder auch nicht - ich mag es nicht.


    Beispiele:

    Zitat von Anfang von Kapitel 2

    Er erwachte mit Halsschmerzen. Er befühlte seine Stirn. Fieber hatte er nicht. Er starrte an die Decke.


    Zitat von S.37

    Hundert Meter nach dem Autohaus hielt er an einer Tankstelle. Der Zapfhahn ließ sich ohne Schwierigkeiten bedienen. Er tankte voll. Auf der Strecke nach Salzburg testete er das Potenzial des Spider. Die Beschleunigung preßte ihn in den Sitz.


    Zitat von S.40

    Er sperrte ab. Ließ sich ein Bad ein.


    Oder hier - da gibt es schon längere Sätze (wow!), trotzdem ist Glavinic' Stil einfach furchtbar abgehackt:

    Zitat von S.50

    Er schrak aus einem Alptraum auf. Er zwinkerte in die Dunkelheit. Allmählich erkannte er Umrisse der Möbel. Er verstand, daß er zu Hause im Bett lag. Mit dem Ärmel wischte er sich über das feuchte Gesicht. Er schlug die dünne Leinendecke zurück, mit der er sich im Sommer zudeckte, und lief ins Bad. Seine Nase war verstopft, seine Kehle rauh. Er trank ein Glas Wasser.


    Neben diesem Stil-Minuspunkt ergeben sich leider noch ein paar andere Probleme. Wie gesagt bin ich bereits 20% im Buch drinnen und es tut sich immer noch nicht wirklich was. Klar, der Plot ist eigentlich ganz interessant, aber - bis jetzt - in einem Satz erzählt: Jonas wacht am 4. Juli in Wien auf und alle Menschen & Tiere sind verschwunden, einfach weg, worauf er sein Auto schnappt und doch noch versucht irgendwo Leben zu entdecken.
    Da denkt man sich "Hm.. ja, nicht uninteressant, das ist ja DIE Gelegenheit schriftstellerisch zu erforschen wie sich so ein "letzter Mensch" fühlt, welche Gedanken ihm durch den Kopf gehen, was er über die Welt denkt, über die Menschheit, was seine Erklärungsmodelle sind und überhaupt." Denkste. Im Grunde beschreibt Glavinic - bis jetzt - mehr oder weniger minutiös was Jonas so tut und macht. An den zitierten Beispielen merkt man es schon. So geht es zB gar nicht darum, was Jonas' Alptraum so beinhaltet hat, sondern darum, dass seine Nase verstopft und seine Kehle rauh ist. Und natürlich, dass er ein Glas Wasser trank. Nur - wen interessiert's?


    Vielleicht kann man Glavinic' Stil als "filmisch" bezeichnen, weil es sich im Grunde wie ein Drehbuch liest - Jonas macht dies, Jonas macht das. Dort trinkt er Limonade, da hinterlässt er eine Notiz, hier fährt er herum, dann tut er außerdem noch blabla. Genau das, was ein Film viel schwieriger rüberbringen kann, was aber die große Stärke des Buches ist, die Innenschau, die Möglichkeit ganz nah an den Gefühlen des Protagonisten dran zu sein (gerade bei so einem großen Thema verführerisch), da setzt Die Arbeit der Nacht völlig aus. Aber auch abseits von "Innenschau" gibt es doch noch so viele andere Möglichkeiten ein Buch interessant zu gestalten, die ich hier auch nicht entdecken kann.


    Daraus resultiert meiner Meinung nach vor allem Langweile. Ich bin auf Seite 80, es hat sich nichts entwickelt und beim vorsichtigen Weiterblättern wird sich auch auf den nächsten 200 Seiten nichts entwickeln - man kann nur auf ein absolut fulminantes Ende hoffen.


    Als Kontrast: Letztes Jahr habe ich Arno Schmidts Schwarze Spiegel gelesen, das sich einem ähnlichen Thema widmet. Der Ich-Erzähler ist dort der vermeintlich "letzte Mensch", obwohl in einer kurzen Randbemerkung erklärt wird, wie es dazu gekommen ist (der Mystery-Faktor fällt also weg) und treibt sich nun in der Gegend rum, plündert ebenfalls ein bisschen, schaut sich die leere Welt an. Auch Schmidts Stil ist nicht gerade 0815-Schriftstellerei, also auch sehr eigen, aber auf eine - wie ich finde - viel interessantere Art als das Kurze-Satz-Syndrom. Trotzdem schafft Schmidt das, was Glavinic nicht schafft, nämlich mit Sprache und Inhalt dem Leser auch ein angenehmes Leseerlebnis zu bieten, obwohl sich nicht viel tut - allerdings ist Schwarze Spiegel schon mit Kommentar nicht länger als 150 Seiten und kein 400-Seiten-Werk.

    ... this is nat language at any sinse of the world.<br />:lesen: Gustave Flaubert: Madame Bovary&nbsp; &nbsp; &nbsp; &nbsp; :buecherstapel: [url=https://literaturschock.de/literaturforum/forum/index.php?thread/16631

  • "Die Arbeit der Nacht" ist wirklich so ein Buch, wo viel Potenzial verschwendet worden ist. Wir haben es letztes Jahr im Lesekreis gelesen und alle fanden es unsagbar langweilig. Ich habe mit einer durchschnittlichen Bewertung das Buch noch am wohlwollendsten beurteilt, weil ich einige der beschriebenen Gedanken schon ganz interessant fand. Allerdings will mir gerade auch partout nicht einfallen, welche das waren - das spricht nicht gerade für das Buch.


    Am schlimmsten fand ich das Verhalten der Hauptfigur Jonas. Was er da zuweilen an Aktionen startet, ließ mich nur mehr den Kopf schütteln. Warum er das alles macht, was er macht - man erfährt es nicht, denn wie du schon sagst, Isadora, die Innenschau des Charakters fehlt.


    Dafür passiert am Ende etwas Spektakuläres, nämlich

  • Interessant eure Meinungen, ich fand "Die Arbeit der Nacht" nämlich atemberaubend spannend. Es ist eins von den Büchern, die ich als echte Pageturner in Erinnerung habe. :totlach: Nur vom Ende war ich etwas enttäuscht, wobei ich mich partout nicht mehr daran erinnern kann. :rollen:



    Letztendlich fand ich es trotz der Spannung inhaltlich etwas zu mager, weswegen ich das Buch schweren Herzens mit dreieinhalb Ratten bewertet hatte.


    Obwohl ich hauptsatzartigen Stil sonst ebenfalls nicht bevorzuge, hat es mich in diesem Fall nicht gestört. Ich lese gerade ein anderes Buch von Glavinic (Unterwegs im Namen des Herren - zum Schreien komisch :breitgrins: ), dort ist der Stil auch nicht so ausgeprägt wie in den Beispielen von Isadora bzw. finde ich es für diese Art von "Erlebnisbericht" auch passend.