Hallo, ihr Lieben!
Melde mich gerade aus den Tiefen der Papierberge -- auf gut Deutsch: Eigentlich räume ich gerade auf, aber Pause muß sein!
Die Pferdegangarten hat Nimue ja schon angesprochen. Dazu nur noch eins: Die Hauptursache dafür, daß die allermeisten Reitpferde heutzutage reine Dreigänger sind, liegt schlichtweg daran, daß die Bereiter (d.h. die "Lehrer" der Pferde) kaum mehr als Schritt, Trab und Galopp beherrschen. Denn es erfordert eine bestimmte, das Pferd in der Bewegung unterstützende Haltung und der entsprechenden Körpersprache zur "Befehlsübermittlung" ("Hilfen").
Außerdem würde die Ausbildung des Pferdes mehr Zeit und damit auch mehr Geld kosten.
Mir fällt auf, daß bei den kritischen Anmerkungen der Aspekt der Heimatlosigkeit nicht zum Zuge kommt. Möglich, daß es mir nicht in ausreichendem Maße gelungen ist, die damals feste Einbindung der Menschen in das jeweilige soziale Umfeld deutlich genug zu vermitteln. Das Wohl des Einzelnen hing von seinem direkten sozialen Umfeld ab, von der Familie, in die er hineingeboren wurde, dem Handwerk oder Beruf, dem diese Femilie zugerechnet wurde, dem Viertel, in dem diese Familie wohnte, der Region, in der sich der Wohnort befand, etc. Wir dürfen nicht vergessen, daß es damals keine sozialen Netze gab, und Armenpflege weitestgehend von wohlhabenden Einzelpersonen abhing. Ein sozialer Abstieg war meist endgültig, ein Ausbruch aus dem Gefüge gefährlich für das Individuum, sich in irgendein Umfeld verpflanzt zu sehen bedeutete, daß man alles daransetzen mußte, sich in diesem als geachtetes Mitglied zu behaupten.
Sunja und Lucilla sind aus ihrem jeweiligen ursprünglichen (völlig unterschiedlichen) Sozialgefüge herausgerissen. Beide haben allerdings ihr jeweiliges Weltbild (incl. aller damit verbundenen jeweiligen Vorurteile) beibehalten, obwohl sie nun quasi in der Luft hängen, ohne Familie, ohne Freundeskreis usw. Die eine knüpft ihr Wohl und Wehe an einen Kinderwunsch, die andere klammert sich krampfhaft an ihren (verlorenen) Sozialstatus als adlige Stadtrömerin. Die Desillusionierung stellt sich mit der Zeit unvermeidlich ein, beide begreifen, daß sie aufeinander angewiesen sind, daß sie Teil einer Familie sind und zusammenarbeiten müssen, um in dieser Umwelt zurechtzukommen (auch eine Vitalina ist auf Dauer nur eingeschränkt eine Hilfe ...).
Schwierig ist auch, daß in Romanen vielfach ein Frauenbild erwartet wird, daß nicht bloß anachronistisch ist, sondern vor allem unrealistisch. Inzwischen sind diese Figuren aber so allgegenwärtig und so vertraut, daß die Realität sich dagegen jämmerlich und unglaubwürdig ausmacht. Als hätte eine "richtige" Frau schon damals moderne emanzipatotische Tendenzen haben müssen, und wenn nicht, dann gefällt sie auch nicht.
Das kann ich nicht ändern, weil ich das Klischee der Heldin, die sich im Kampf gegen eine feindselige männliche Umwelt "frauhaft" behauptet, nicht bedienen will.
Aus diesen Gründen habe ich sehr, sehr lange gezögert, Sunjas Perspektive in diesem Roman einzuführen, da es aufgrund verbreiteter Erwartungshaltungen fast unvermeidlich zu diesen Mißverständnissen kommen muß.
Daß es diese Erwartungshaltungen gibt, werfe ich niemandem vor. Aber ich nehme mir trotzdem die Freiheit -- bitte nicht böse sein! --, dem nicht entsprechen zu wollen, wenn ich sie für grundfalsch halte.
Liebe Grüße
Iris