Der Krimi ist tot - es lebe der Krimi

Es gibt 17 Antworten in diesem Thema, welches 3.860 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von HoldenCaulfield.

  • Mal wieder ist mir ein Artikel (bzw. eine Glosse) aufgefallen, den ich gerne zur Diskussion stellen möchte: Wer war's? Der Krimi ist tot Der Beitrag stellt fest, dass Krimis heute längst nicht mehr der klassischen Linie Mord-Verwicklung-Aufklärung folgen: Denn längst hat sich aus der schmalbrüstigen Detektiverzählung eine literarische Artenvielfalt entwickelt, die nur im auch hier leicht verspäteten Deutschland ästhetisch nicht so recht wahrgenommen wurde.


    Nicht unbedingt neu, die Erkenntnis, oder? Haben wir bei LS doch schon gemerkt, denke ich. Viele der hier vorgestellten Krimis sind mehr als aufzuklärende Mordfälle: Oft geht es sehr intensiv um die Hintergründe zur Tat, um Familienprobleme beim Opfer und Täter oder beim Ermittler. Es ermitteln Schafe oder Katzen. Es ermitteln Personen aller Couleur: Rentnerinnen, Polizisten, Journalisten, Anwälte, Forensiker, Mönche...


    Nicht zuletzt werden Krimis mit der Aufschrift "Roman" verkauft, alleine das schon ein Hinweis, das man mehr als nur den Krimi sehen muss?

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  • Hallo zusammen!


    Wobei ich mir die Frage stelle, ob das dem Krimi wirklich gut getan hat. Mir persönlich gefallen die alten, geradeaus erzählten Who-dunnit-Schmöker à la Doyle, Christie oder Sayers immer noch besser als die modernen Sachen, wo der Detektiv neurotischer und psychotischer ist als alle anderen Figuren um ihn herum ... (So neurotisch und psychotisch in der Tat, dass ihn in der Realität schon längst das gelbe Wägelchen geholt hätte, wie wir bei uns sagen ... :zwinker:)


    Grüsse


    Sandhofer


    PS. Die männliche Form wird hier stellvertretend für alle Geschlechter verwendet ...
    PPS. Natürlich ist auch Holmes nicht "normal". Aber das ist für ihn selber nie ein Problem ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Diese Anpassung musste im Lauf der Zeit einfach kommen, schließlich verhält es sich im wahren Leben genauso. Die Möglichkeiten der Ermittlung haben sich massiv erweitert, angefangen beim Profiling bis hin zur DNA-Analyse. Wer sich heute als Autor noch auf das Uraltschema einlässt, würde sicher keine nennenswerten Verkaufszahlen mehr erzielen. Ob das dem Krimi gut tut, ist eher zweitrangig. Wie hieß es doch: Gebt dem Volk, was das Volk begehrt.


    Liebe Grüße
    Doris

  • sandhofer
    Warum wundert mich das jetzt bei dir nicht weiter? ;)


    Ich finde sowohl den Klassischen Krimi den auch schon Sandhofer angesprochen hat toll, aber auch das der Detektiv von heut eben nicht nur einfach ermittelt, sondern auch ein Privatleben hat und seine eigenen Probleme.
    Ich denke jedes Genre muss sich ein Stück weit weiterentwickeln damit es nicht stillsteht. Klar könnte man nur die alltbekannten Who Done It Romane schreiben aber ich glaube der heutige Krimileser erwartet auch das er nicht nur stur etwas über den Mord erfährt. Manche Autoren können das gut manche weniger...

  • Ich finde es gut, dass beides nebeneinander besteht - der klassische und der moderne Kriminalroman. Für beides ist eine Leserschaft vorhanden, die sich unter Umständen auch deckt - und warum sollten nicht beide Lager mit ihrem Lieblingslesefutter bedient werden? Außerdem finde ich, sind die Grenzen viel fliessender als es in diesem Artikel dargestellt wird und man würde wohl manchem Krimi unrecht tun, wenn man ihn in eine von beiden Schubladen steckt. Was meinen eigenen Lesegeschmack betrifft: die Abwechslung machts! Ich lese beides sehr gerne...


    Viele Grüße
    Miramis

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel

  • Ich finde es gut, dass beides nebeneinander besteht - der klassische und der moderne Kriminalroman.


    Geht mir genauso. Ich liebe die alten Whodunits sehr, von Christie, Marsh, Sayers etc. Kombinationsgabe und Menschenkenntnis als Lösungsgrundlage.


    Aber die "erweiterten" Krimis haben auch was für sich. Wenn ich auch nicht Serien über Serienmörder lesen muss, denn die meisten Morde geschehen nach wie vor aus denselben Beweggründen wie vor siebzig Jahren. Nervig ist es aber, dass "alle" Ermittler verkrachte Existenzen sind, die kein ruhigeres Privatleben auf die Reihe kriegen. Was lobe ich mir da den Brunetti *seufz*
    Ach ja, und viele der Bücher haben plötzlich fünfhundert Seiten und mehr - wer soll das alles lesen? :zwinker:


    Eine Autorin, die mir einer Serienfigur den Wechsel vollzogen hat, ist in meinen Augen Martha Grimes. Ihr Inspektor Jury machte zu Beginn die klassische Mördersuche mit. Irgendwann wurden die Bücher dicker und Jury verlor den Charakter des klassischen Whodunit-Ermittlers. Ich persönlich finde es schade, weil sich der spöttische Charme verloren hat. Da hätte ich mir lieber eine neue Figur gewünscht...

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  • Naja, die Figur des "verkrachten Ermittlers" ist ja nun wirklich kein modernes Phänomen, und darum geht's in dem Artikel auch wohl nicht. Schon der Protagonist der ersten "Schwedenkrimis" mit sozialkritischem Anklang (Kommissar Martin Beck) war eine ziemlich vermurkste Persönlichkeit, und seine privaten Probleme haben von Anfang an in der Serie eine große Rolle gespielt - und das war in den 60ern, also vor 40 Jahren. Gleiches gilt für die amerikanischen Hardboiled-Krimis (Chandler, Hammett, MacDonald und Co.), deren Ermittler auch alles andere als unbescholtene Lichtgestalten waren und deren Privatleben immer in die Fälle mit reinspielte - und das bereits in den 30er und 40er Jahren. Kann man also nicht wirklich als "modernes" Phänomen bezeichnen.


    In dem Zeit-Artikel geht es glaub ich eher um die literarischen Formen, die in letzter Zeit erfreulich oft von der typischen geradlinigen Erzählweise abweichen. Wolf Haas hat z.B. in seinen Brenner-Krimis schon einige Exerimentierfreude bewiesen, und das in dem Zeitartikel erwähnte "Tannöd" interessiert mich aus den gleichen Gründen sehr.

    Viele Grüße aus dem Zwielicht<br />[size=9px]Rihla.info | blooks - Rezensionen und mehr<br />[b][url=http://www.librarythi

  • Diese Anpassung musste im Lauf der Zeit einfach kommen, schließlich verhält es sich im wahren Leben genauso.


    Ich fürchte, im "wahren Leben" würde ein derart verkorkster Charakter, wie er heute im Krimi als Ermittler modern ist, schlicht und ergreifend vom Dienst suspendiert oder gar fristlos entlassen. Die moderne Technik hinwiederum hat die Rolle des Ermittler wohl weiter reduziert, anonymisiert. Der Einzel-Ermittler, der sich logischen Denkens bedient und sich in den Fall "einfühlt" kann in dieser Atmosphäre nicht gedeihen. Da dies nun in einem Krimi echt langweilig wäre, müssen halt die seltsamsten Charakterkonstruktionen herhalten. Martin Beck, nebenbei gesagt, war einer der ersten "modernen" Kommissare. Und ungefähr der Punkt, wo ich dem Krimi den Rücken gekehrt habe.


    Grüsse


    Sandhofer

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  • Naja, die Figur des "verkrachten Ermittlers" ist ja nun wirklich kein modernes Phänomen, und darum geht's in dem Artikel auch wohl nicht. ...


    Ich hätte die verkrachten Ermittler zu früheren Zeiten nicht so als Standard angesehen. Vielleicht irre ich mich da aber auch. Heute jedenfalls fällt es mir einfach gehäuft auf.


    Es geht im Artikel nicht direkt um das Phänomen verkrachter Ermittler, das stimmt. Für mich gehört es aber in den Zusammenhang, weil die klassische Schiene nicht mehr bedient wird und das Privatleben der Protagonisten umso mehr. Man könnte vielleicht sagen: Statt Krimis zu schreiben, in denen ein Mörder gesucht wird, schreiben die modernen Autoren Gesellschaftsromane, in denen persönliche Probleme jeder Art zum Äußersten, nämlich zu Mord führen.


    Vielleicht liegt es daran, was sandhofer feststellt: Wenn man heute vieles über Analysen ermitteln kann, was früher über Verhöre, Schlussfolgerungen und briefliche Anfragen erledigt werden musste, dann muss man den Krimi auf andere Art interessant machen. Deshalb haben ja inzwischen auch Reihen Erfolg, die ihren Schwerpunkt auf genau diese Analysen legen.

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  • Nervig ist es aber, dass "alle" Ermittler verkrachte Existenzen sind, die kein ruhigeres Privatleben auf die Reihe kriegen. Was lobe ich mir da den Brunetti *seufz*
    Ach ja, und viele der Bücher haben plötzlich fünfhundert Seiten und mehr - wer soll das alles lesen? :zwinker:


    Eine Autorin, die mir einer Serienfigur den Wechsel vollzogen hat, ist in meinen Augen Martha Grimes. Ihr Inspektor Jury machte zu Beginn die klassische Mördersuche mit. Irgendwann wurden die Bücher dicker und Jury verlor den Charakter des klassischen Whodunit-Ermittlers. Ich persönlich finde es schade, weil sich der spöttische Charme verloren hat. Da hätte ich mir lieber eine neue Figur gewünscht...


    Was muss ich dir da recht geben!! Ganz schlimm tritt dieses Phänomen bei den skandinavischen Krimis auf. Anne Holt oder Liza Marklund haben hier m. E. den Bogen drastisch überspannt. Bei Mankell kann ich es gerade noch so tolerieren, aber ab und an geht mir auch die Charaktere eines bei Herrn Wallander gehörig auf die Nerven.
    Was die Bücher von Martha Grimes angeht, stimme ich dir auch völlig zu. Ich habe die Jury-Reihe vorzeitig abgebrochen, weil es nicht mehr das war, was ich mir wünschte, nämlich einen Krimi mit Leichtigkeit und Humor, aber nie seicht.


    Grüße,
    Elke

  • Hallo zusammen,
    ich habe viel Schwierigkeiten einen guten Krimi zu finden. Die abgelutschten 08/15 Psychopathen, die wegen Inzest, sexuellem Missbrauch, zu strengen, zu antiautoritären, nicht vorhandenen oder zu viel liebenden Eltern (meist Müttern) zu Mördern werden und wiederum von Inspektoren, Kommissaren, Journalisten, Anwälten, usw. , deren Liebesleben im 2/3 des Romans plattgewalzt wird, gehen mir aber ganz gewaltig auf die Nerven.
    Meinetwegen kann es auch so was geben, aber ich sehne mich nach originellen Verbrechen, ohne blutige Details, intelligenten Ermittlern, die nicht dauernd verliebt, schwanger oder grad geschieden sind.
    Den meisten Krimis fehlt einfach der Suspense.
    Natürlich soll der Protagonist ein privates Leben haben, ich will ihn ja auch mögen, aber es darf nicht Überhand nehmen.
    Außer Mankell kenne ich keinen solchen Krimiautor und ich sehne mich nach einem neuen Hercule Poirot, Sherlock Holmes u.ä.


    Vielleicht kennt jemand genau den, den ich suche... :zwinker:


    liebe Grüße
    dora


    Auch bei mir gilt:


    PS. Die männliche Form wird hier stellvertretend für alle Geschlechter verwendet ...

  • Noch eine Ergänzung zu meinem obigen Beitrag: Die menschliche Komponente habe ich total vergessen, was daran liegen könnte, dass sie für mich nicht das Wichtigste ist. Natürlich rundet das Privatleben eines Ermittlers einen Krimi gut ab, und bei den neueren Krimis erwarte ich das auch in gewissem Rahmen, aber mir ist eine detailgetreu erzählte Ermittlung lieber. Schlimmer als das manchmal endlose Privatleben finde ich, dass die meisten Krimis oder Thriller sehr brutal sind und diese Szenen endlos ausgeschmückt werden. Der richtige Kick ist, wenn die Handlung ohne viel Gewalt und Blutvergießen spannend ist.


    @ Sandhofer
    In Fernseh-Dokumentationen hört man immer wieder, dass Polizisten oder auch Mitglieder von Sonderkommissionen oft große Probleme haben, mit dem menschlichen Elend fertig zu werden, mit dem sie konfrontiert sind. Allerdings wird man nie die genauen Ausmaße dieser Probleme kennen lernen, weil diese realen Personen nicht so "seziert" werden wie die Protagonisten in Büchern. Ich denke, dass diese Betroffenen früher oder später von alleine um Versetzung bitten.


    Liebe Grüße
    Doris


  • Die menschliche Komponente habe ich total vergessen, was daran liegen könnte, dass sie für mich nicht das Wichtigste ist. Natürlich rundet das Privatleben eines Ermittlers einen Krimi gut ab, und bei den neueren Krimis erwarte ich das auch in gewissem Rahmen, aber mir ist eine detailgetreu erzählte Ermittlung lieber. Schlimmer als das manchmal endlose Privatleben finde ich, dass die meisten Krimis oder Thriller sehr brutal sind und diese Szenen endlos ausgeschmückt werden. Der richtige Kick ist, wenn die Handlung ohne viel Gewalt und Blutvergießen spannend ist.


    Doris, Du schreibst mir aus dem Herzen. :smile:


    liebe Grüsse
    dora

  • Hallo!


    In Fernseh-Dokumentationen hört man immer wieder, dass Polizisten oder auch Mitglieder von Sonderkommissionen oft große Probleme haben, mit dem menschlichen Elend fertig zu werden, mit dem sie konfrontiert sind.


    Das ist sicher richtig. Aber das sind Probleme, die der Beruf mit sich bringt. Mir will aber scheinen, "seit den Schweden" kommen zusehends Ermittler auf, die privat derart verknorkst sind, dass sie eigentlich in eine geschlossene Abteilung gehörten und nicht hinter das Pult eines Ermittlers.


    Ja, Hammet & Co. haben auch schon "kaputte" Ermittler vorgestellt. Sherlock Holmes und Konsorten waren - zumindest an der Oberfläche - nahtlos ins bürgerliche Leben eingefügt. Diese Amerikaner stehen am Rande der Gesellschaft. Doch allen, wenn ich mich recht erinnere, ist gemeinsam, dass sie selber kein Problem mit sich selber haben. Jedenfalls kein gravierendes. Die "Schweden-Kommissare" können ja nicht einmal sich selber ausstehen ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)


  • Die "Schweden-Kommissare" können ja nicht einmal sich selber ausstehen ...


    Das stimmt schon, aber nicht der gute Wallander. :pueh:


    liebe Grüsse
    dora

  • Hallo!


    Ich mag es, dass die Krimis komplexer geworden sind und der Ermittler nicht mehr der einsame Wolf ist. Mich stört es nicht, dass man etwas über das Privatleben der ermittelnden Personen erfährt oder dass nicht zwangsläufig ein Polizist oder Detektiv ermittelt. Was ich dagegen gar nicht leiden kann ist wenn der Ermittler mit seinem ganzen Seelenmüll im Vordergrund steht und nicht mehr die Tat.


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • @ dora :winken:


    Das ist sicher richtig. Aber das sind Probleme, die der Beruf mit sich bringt. Mir will aber scheinen, "seit den Schweden" kommen zusehends Ermittler auf, die privat derart verknorkst sind, dass sie eigentlich in eine geschlossene Abteilung gehörten und nicht hinter das Pult eines Ermittlers.


    Wenn Du alle gleich in die Geschlossene stecken würdest, die geschieden sind, ohne feste Beziehung, übergewichtig, und gerne mal einen über den Durst trinken (um Wallander als Beispiel beizubehalten), würde dort alles bald aus den Nähten platzen :breitgrins:. Nicht umsonst ist die Scheidungsrate bei Kriminalbeamten höher als beim Durchschnitt der arbeitenden Bevölkerung.


    Mir sind die modernen Krimis trotzdem lieber als die früheren, und wenn man sich den Erfolg von Wallander, Erlendur & Co. ansieht, stehe ich nicht alleine mit meiner Meinung.


    Liebe Grüße
    Doris

  • Also wenn ich an den Krimi denke den ich gerade für eine Rezension lesen muss... hab ich das Gefühl der Krimi könnte doch tot sein... Zum Glück gibt es aber heute auch Autoren die ihren Kriminalromanen eine spannende und überraschende Handlung geben können und dann scheint ja doch noch nicht alles verloren. *g*


    Ich finde das es nur wenige Autoren hinbekommen eine schöne Mischung aus dem alten Stil und dem Neuen zu kreieren. Was heute natürlich auch zu beobachten ist das sich wie in vielen Genres Krimis durchsetzen die sich ähneln... vieles ist austauschbar geworden. Das finde ich sehr schade, bei manchen Romanen weiß man nachher nichtmal mehr ob das jetzt nicht vielleicht aus derselben Reihe war die man kurz davor gelesen hat. Mir gehts jedenfalls so das ich schon praktisch nach einem Krimi suche der mal nicht aus einer Reihe stammt.