Jeanette Winterson - Die Last der Welt

Es gibt 9 Antworten in diesem Thema, welches 4.592 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von schokotimmi.

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    Inhalt


    "Als ich gebeten wurde, einen Mythos auszuwählen und darüber zu schreiben, erkannte ich, dass die Entscheidung schon feststand. Das Telefonat war noch nicht zu Ende, da schwebte mir bereits die Geschichte von Atlas vor, der die Welt auf den Schultern trägt. Ohne den Anruf hätte ich die Geschichte womöglich nie geschrieben, aber als er kam, wartete genau diese Geschichte darauf, erzählt zu werden. Der Leitspruch von Die Last der Welt heißt: 'Ich will die Geschichte von neuem erzählen.’ Die Last der Welt bewegt sich weg von der einfachen Geschichte der Strafe des Atlas und der vorübergehenden Erleichterung, die er erfährt, als Herkules ihm die Welt von den Schultern nimmt. Ich wollte Einsamkeit, Isolation, Verantwortung, Bürde und schließlich auch die Freiheit erforschen, denn meine Version hat einen besonderen Schluss, der sonst nirgends zu finden ist."



    Meine Meinung


    Der Mythos von Atlas und Herkules wird neu erzählt, und neben einem besonderen Schluss auch mit Themen der Kosmologie und Mineralogie ergänzt. Die beiden Figuren sind dabei sehr unterschiedlich: Atlas ist nachdenklich und oft philosophierend, Herkules dagegen ein Draufgänger und Schürzenjäger.


    Die Vorgeschichte, also den Grund für die Bestrafung von Atlas, hätte ich mir etwas detaillierter gewünscht - es wird zwar beschrieben, dass er sich gegen die Götter gewendet hat, aber eher oberflächlich. Für diejenigen, die sich mit Mythen sehr gut auskennen, ist das sicher unerheblich - aber für einen nur gelegentlichen Leser von Mythen wie mich wäre das hilfreich und aufschlussreich.


    Die Geschichte lässt sich größtenteils flüssig lesen, sie konnte mich schnell fesseln und mir gefällt der Stil. Die biografischen Teile fand ich manchmal interessant, manchmal aber auch recht ausschweifend - da wollte ich dann lieber schnell zu der eigentlichen Geschichte zurück. Es gibt auch einige Stellen, die zum Nachdenken anregen, z.B. über Grenzen und Sehnsucht, und die mich sicher noch etwas länger beschäftigen werden.


    Das Vorwort hat mir ausgesprochen gut gefallen, besonders diese Stelle:


    Zitat

    Zurzeit haben massenhaft Menschen eine schauerliche Lust am vermeintlich Realen, sei es in Form von Reality-TV oder jener Art primitiver Fiktion, die uns als halb dokumentarisch verkauft wird. Oder aber in Form der nur geringfügig besseren Tatsachenberichte, Biografien und Reportagen aus dem "wahren Leben", die den angestammten Platz der Fantasie eingenommen haben.
    Dieses Phänomen verweist auf eine schreckliche Angst vor Innerlichkeit, vor dem Erhabenen, dem Poetischen, dem Geistigen, dem Kontemplativen,


    Geschichtenerzähler wie ich, die weniger an die erklärende als die mythische Kraft des Erzählens glauben und die überzeugt sind, dass Sprache mehr ist als Informationsvermittlung, müssen gegen den Strom schwimmen, so wie Siegfried, der rheinaufwärts rudert.
    Anhand von Mythen lassen sich wunderbar Geschichten erzählen - neu erzählen, um ihrer selbst willen, und bleibende menschliche Wahrheiten entdecken. Wir können nicht mehr tun, als diese Geschichten immer wieder zu erzählen, in der Hoffnung, nicht nur auf taube Ohren zu stoßen. In der Hoffnung, dass inmitten des Albtraums aus endlosen Nachrichtenströmen und Promi-Klatsch auch noch andere Stimmen Gehör finden, die vom lebendigen Geist und den Irrfahrten der Seele sprechen.


    Wenn man sich mit Göttern und Sagengestalten nicht so gut auskennt, muss man allerdings ein paar mal nachschlagen - aber es hält sich in Grenzen, und ich empfand das als eine Bereicherung. Ein kurzes Glossar mit einer groben Zuordnung wäre da aber vielleicht hilfreich gewesen.


    4ratten



    Das Projekt


    Gemeinsam mit 30 internationalen Verlagen ruft der Berlin Verlag ein einzigartiges Projekt ins Leben - die Buchreihe Die Mythen. Sie startet weltweit gleichzeitig als Auftakt zu einer verlegerischen Herkulestat. Renommierte Schriftsteller aus der ganzen Welt versammeln sich zu diesem groß angelegten literarischen Unternehmen und schaffen mit ihren ganz eigenen Versionen mythischer Geschichten einen modernen Kanon klassischer Erzählkunst.


    Soweit ich herausfinden konnte, sind neben Die Last der Welt noch folgende Titel erschienen:
    ~ Karen Armstrong - Eine kurze Geschichte des Mythos
    ~ Margaret Atwood - Die Penelopiade
    ~ Viktor Pelewin - Der Schreckenshelm. Der Mythos von Theseus und dem Minotaurus.

  • Danke für die Rezension, Seychella. Das Buch subt noch bei mir.



    Soweit ich herausfinden konnte, sind neben Die Last der Welt noch folgende Titel erschienen:
    ~ Karen Armstrong - Eine kurze Geschichte des Mythos
    ~ Margaret Atwood - Die Penelopiade
    ~ Viktor Pelewin - Der Schreckenshelm. Der Mythos von Theseus und dem Minotaurus.


    Zu der Reihe gehören auch noch folgende zwei Bücher:
    ~ David Grossman - Löwenhonig. Die Geschichte von Samson
    ~ Alexander McCall Smith - Der Gott der Träume. Der Mythos von Angus und Bride

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    Den "Gott der Träume" habe ich letztes Jahr gelesen (ich hatte irgendwem eine Rezension versprochen, aber :redface: ), zu der Penelopiade habe ich hingegen eine Rezi verfasst, die anderen Mythenbücher subben noch. Ich denke, dass es bei allen von großem Vorteil ist, die Vorlage zu kennen. Von Angus, über den McCall Smith geschrieben hat, hatte ich leider noch nie was gehört, und wenn ich auch einiges über ihn im Netz gelesen habe, so hätte mir das Buch mit größerem Hintergrundwissen sicher mehr gesagt.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Oh, Danke für die Ergänzung! :smile:
    Ich möchte nämlich die ganze Serie haben.


    Angus und Bride tauchen in meiner Mythologie-Enzyklopädie auch gar nicht auf, da muss ich dann mal schauen wo ich Hintergrundwissen herbekommen kann...


    Deine Rezi zur Penelopiade habe ich mehrfach gelesen, mich hatte eigentlich nur mein fehlendes Hintergrundwissen abgehalten. Ich kenne ihn momentan nur aus der Troja-Geschichte etwas näher.

  • Danke vielmals! :smile: Klingt ja interessant... kommt auf alle Fälle auf die Liste...
    Ich werde mich hier melden, sollte ich es mal lesen!


    lieben Gruß


    :winken:

    :schmetterling: <br /><br />Wer zu lange in sich geht, kommt auf der anderen Seite wieder heraus.

  • Hierzulande ist gerade der erste schwedische Beitrag zum Mythenprojekt erschienen:
    Klas Östergren: Orkanpartyt (Titelbild)
    Laut schwedischem Verlag soll das Buch zumindest ins Englische übersetzt werden.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Es ist ausgesprochen nett, daß Winterson in ihrem Vorwort (aus dem auch der Seychella schon zitierte Klappentext stammt) ihre Absichten so präzise ausführt, denn sonst hätte sich mir ihre Intention nicht erschlossen. Die wäre vielleicht deutlicher geworden, hätte sie den ohnehin bescheidenen Umfang ihrer Nacherzählung nicht noch mit Ausführungen zu Kosmologie und Mineralogie überschwemmt, die ich in diesem Zusammenhang hochgradig überflüssig empfand. Noch nerviger allerdings war die Darstellung des Herakles, vor allem, weil er zu Atlas in seiner erzählerischen Anlage nicht paßte. Man muß Herakles nicht mögen, aber deshalb muß man ihn noch lange nicht zu einem derartig rumnölenden Prol degradieren. Schade, die Figur des Atlas hätte, so wie Winterson sie versteht, durchaus interessante Ansätze geboten, gerade im Hinblick auf die von ihr genannten Aspekte der Einsamkeit, Isolation und Verantwortung, aber die hat sie für mein Empfinden grandios vertan.


    2ratten (mit ein bißchen Goodwill)


    Schönen Gruß
    Aldawen

  • Jeanette Winterson widmet sich in ihrem Text dem Teil der griechischen Mythologie, in dem der Titan Atlas und der Halbgott Herkules aufeinandertreffen, wobei sie verschiedene, teils unbekanntere Aspekte des Mythos verarbeitet. Der Titan trägt als Strafe für sein Aufbäumen gegen die olympischen Götter den Kosmos auf seinen Schultern. Herkules sucht ihn auf mit der Bitte, ihm bei einer seiner zwölf Aufgaben zu helfen: drei goldene Äpfel von einem Baum der Göttin Hera zu holen, der im Garten der Hesperiden steht, den Töchtern des Atlas.


    Der Mythos selbst wird innerhalb des rund hundert Seiten umfassenden Textes sehr knapp behandelt, wobei Winterson auch auf weitere Episoden kurz eingeht. Im Wesentlichen befasst sie sich mit Atlas und Herkules, wobei der eine reflektiert und ruhig, der andere dumm und draufgängerisch dargestellt wird. Winterson scheint nebenher eine ausgeprägte Abneigung gegen Männer zu verarbeiten, denn nicht nur Herkules selbst, der eigentlich ein Sympathieträger der griechischen Mythologie ist, sondern auch andere Figuren daraus kommen mehr als schlecht weg. Göttervater Zeus ist ein debiler Lustmolch und zahlreiche andere (Halb-)Götter treten als faules, streitsüchtiges und promiskuitives Pack am Rande auf. Die Damen des Olymps bekommen zwar auch ihre Seitenhiebe zugedacht, Frauen erscheinen aber fast durchweg in der Opferrolle. Ein Wunder, dass Atlas in diesem verqueren Weltbild so gut weg kommt. Hinzu kommen diverse Einschübe aus der Erd- und Menschheitsgeschichte, die streckenweise esoterisch anmuten, und zahlreiche biografische Teile, die in meinen Augen absolut überflüssig sind.


    Die Passagen, in denen Atlas über seine Situation, über Schicksal, Isolation und Freiheit nachdenkt, haben mir ausgesprochen gut gefallen. Insgesamt konnten sie den restlichen Quatsch aber nicht aufwiegen, daher


    1ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Jeanette Winterson - Die Last der Welt
    Der Mythos von Atlas und Herkules


    Ein weiteres Buch in der Mythenreihe was ich gelesen habe und ich muss sagen, mir hat es gut gefallen.
    Winterson zeichnet den Atlas als einsamen, nachdenkenden und philosophischen Mann, der sein Gegenstück im draufgängerischen, wilden Herkules findet. Alle Mythenteile werden nur angerissen und um moderne Elemente sowie neuzeitliche Einflechtungen ergänzt.


    Atlas ist hier der ruhige besonnene, der seine Strafe geduldig trägt und seine Zeit zum Nachdenken nutzen - über Freiheit, Sehnsucht, Grenzen. Zwar wird Herkules als brutaler Draufgänger gezeichnet, doch lies auch er Tiefe und Gewissen erkennen. Die Götter, v.a. Zeus werden vorwiegend in ihren negativen Eigenschaften dargestellt, aber das Buch zeigt für mich ja auch eher die Geschichte aus Atlas und Herkules Sicht und dass ihre "Feinde" dann nicht so gut wegkommen, war für mich logisch.
    Interessant fand ich den Schluss, bei dem sie auf den Kosmos und die Raumfahrt zu sprechen kommt.
    Die autobiografischen Einschübe empfand ich zwar nicht als störend, aber kleine Brüche mit dem Rest der Geschichte waren es schon.


    Insgesamt ein nettes kleines Büchlein, was ich gern gelesen habe.


    3ratten:marypipeshalbeprivatmaus:


    Viele Grüße
    schokotimmi