Der Literaturschock-Fortsetzungsroman

Es gibt 138 Antworten in diesem Thema, welches 57.444 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von BigBen.

  • Kapitel 34 mit Kriemhilds Duschszene wurde von der Zensurbehörde als jugendgefährdend auf den Index gesetzt.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Ersatz für Kapitel 34


    Betreten schweigend und auf seine Füße schauend stand Kriemhilds Kutscher in der Tür. "Was ist den nun schon wieder?", fuhr Kriemhild ihn an. "Ähm ... ja ... also, ich kann die Kutsche nicht beladen." "Wie bitte? Wieso das denn?" "Naja, Mylady, Sie wissen doch, das durch die Ritterreisetage hier alles überfüllt ist. Dasselbe gilt für die Kutschenabstellplätze. Gestern Abend konnte ich nirgendwo einen Platz für Ihre Kutsche finden. Also habe ich sie vor dem Burgreserveseitentor im Halteverbot abgestellt. Ich dachte, das Tor benutzt sowieso niemand. Leider hat die Gendarmerie die Kutsche abschleppen lassen. Und dabei ist die hintere Achse gebrochen. Der Schmied sagt, er braucht für die Reparatur mindestens noch drei Tage." "Drei Tage! Solange kann ich unmöglich hier bleiben. Ist Er nicht Mitglied bei den 'Güldenen Engeln'? Die haben doch diesen Kutschenersatzrückreiseservice. Besorge Er da eine neue Kutsche. Aber dalli!" Kriemhild wendete sich wieder ihrer Lektüre zu. Ein Roman über die Härten des Lebens auf Reisen...

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 35


    Geoorge fühlte eine gewisse Genugtuung. Anfangs war es ihm schwer gefallen, Earl und Kaarl von seiner Idee zu überzeugen. Aber er war schon immer der hartnäckigste in seiner Familie gewesen. Also kam es so, wie es kommen sollte. Earl und Kaarl hatten nun einen festen Wohnsitz. Es waren zwar nur zwei kleine Zimmerchen beim YMCA, der Yorik-Mitwohngenossenschaft für coole Arbeitssklaven, aber Yorik war als Vermieter in Ordnung, und es gab zwei warme Mahlzeiten am Tag. Außerdem hatte er es geschafft, den zweien eine geregelte Arbeit zu vermitteln. Ein alter Freund, Paol MacHicks, hat eine Destille in der Stadt. Earl und Kaarl durften die gebrauchten Fässer putzen. Was Geoorge aber nicht wußte, war das die beiden schon wieder krummen Geschäften nachgingen. Sie sammelten das Spülwasser, dampften es ein und verkauften den Sud als Whiskey an vorbeiziehende Straßenhändler...

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 36


    Earl suchte Kaarl nun schon seit über zwei Stunden. Wenn sie nicht bald zur Arbeit erscheinen würden, gänge der ganze Ärger mit der Polizei von vorn los. Aber Kaarl war nicht nach Hause gekommen und seit gestern Abend in keiner seiner Lieblingskneipen mehr gesehen worden. Einer der Kneiper erzählte Earl, daß gestern ein vornehmer Herr nach Kaarl gefragt hätte. Als Kaarl dann wenig später kam, sind sie beide zusammen weggegangen.
    Verdammter Mistkerl! Wo konnte er nur stecken? Setzt einfach so ihrer beider Zukunft aufs Spiel.
    Von weitem sah er den Laufburschen aus der Destille kommen. Der hatte ihm jetzt auch noch gefehlt. "Jaja, ich komme ja schon. Kaarl ist nicht hier, und ich kann nicht herausfinden, wo er ist." "Der liegt besoffen im Whiskey-Keller.", antwortete der Bursche, als er heran war. "Waaaas? Spinnt der Kerl den? Das wird uns unseren Job kosten!"
    Bevor der Bursche noch ein Wort sagen konnte, war Earl schon in Richtung Destille davongerannt. Im Keller mit den teuersten Whiskey-Sorten lag Kaarl zwischen den Fässern und schnarchte selig. Earl konnte es nicht fassen. Wie konnte er nur soweit gehen? Er schüttelte Kaarl:"Bist Du von allen guten Geistern verlassen? Wie kannst Du Dich nur einfach so hier vollaufen lassen?" "Das...hicks... ge...hicks...gehört jetzt ...hicks... alles mir!" lallte Kaarl. Er wühlte in seinen Taschen und hielt Earl einen zerknautschten Brief unter die Nase. Earl las. Es war ein Testament. Kaarl und Geoorge waren die alleinigen Erben dieser Destille. Vor ein paar Tagen wurde von Paol MacHicks und seiner Familie im Norden eine neue Destille in Betrieb genommen. Dabei kam es zu einer furchtbaren Explosion und die ganze Familie MacHicks mit allen ihren nahen und fernen Verwandten wurde ausgelöscht. Ein Anwalt, der mit der Testamentsvollstreckung betraut war, fand heraus, daß die Mac Geiwers nach dem tragischen Unfall die einzigen noch lebenden, sehr entfernten Verwandten der MacHicks sind. Daher hatte der Anwalt ihn gestern gesucht.
    Wenig später klang es zweistimmig aus dem Keller der Destille:"Nie wieder arbeiten! Hicks..."...

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Extraausgabe


    Die weltweit für ihre ausgezeichneten Produkte wohlbekannte Destillerie MacHicks brannte letzten Samstag aus bisher noch unbekannten Gründen bis auf die Grundmauern nieder. Einer der neuen Besitzer, Kaarl Mac Geiwer, und ein ihn begleitender Gentleman konnten in letzter Minute aus den Flammen gerettet werden. Mister Mac Geiwer stand offenbar so unter Schock, daß vorerst kein klares Statement über die Zukunft der Belegschaft und der Whiskeyproduktion in unserer schönen Stadt von ihm zu bekommen war.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Aus den internen Unterlagen der Criminalabtheilung betreffs des Brandes in der Destillerie MacHicks:


    Der Zeuge Kröger (Destillateur 2. Klasse) gab zu Protokoll, daß er zirka eine halbe Stunde vor Ausbruch des Feuers im Lagerbereich der Destillerie einen ihm unbekannten Mann mit zwei großen, verdächtigen Steingutflaschen sah. Der Zeuge bescheibt den Mann als sehr groß und schlank. Weitere Details sind unbekannt, da der Zeuge den Verdächtigen nur aus einiger Entfernung und nur ganz kurz gesehen hatte.
    Die Untersuchungen sind auf diesen Verdächtigen zu konzentrieren. Es muß versucht werden, weitere Zeugen zu finden.


    Obercommissarius Brösecke (leitender Beamter)

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Beweisstück 08/7/15/B-43


    Eine Scherbe, ca. 23 mal 12 Zentimeter groß, im Mittel 1,2 Zentimeter dick, von brauner Farbe, Material gebrannter Ton. Sie wurde 211,43 Meter nord-nord-westlich von der Destillerie MacHicks in einem Ginsterbusch gefunden. An der Innenseite fanden sich Spuren von Petroleum. Ein Zusammenhang mit dem Brand in der Destillerie ist nicht auszuschließen.


    Otto von Knödlinger (stellvertretender Leiter der Aservatenkammer)

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • "Lady Kriemhild, kann ich Ihnen noch dieses Buch hier empfehlen? Es scheint so, als würde dieses neue Genre sehr gern gelesen." "Worum geht es denn?" " Es ist etwas Märchenhaftes. Mit einer neuen Art von Helden, Trolle genannt." "Trolle? Davon habe ich schon gehört. Sind das nicht diese zwergenhaften Männer mit Keulen und schlechten Manieren? Nein danke, das ist Nichts für mich. Da bekomme ich nur schlechte Träume davon. Ich mag Nichts lesen, was mich erschreckt. Ich nehme heute nur diesen Ratgeber "Gepflegtes Haar trotz Salzwasser - Freibeuter empfehlen" und den Bildband "Die tausend schönsten Frisuren der Karibik" mit." "Wie Mylady wünschen. Übrigens, Ende des Monats soll ein neues Journal in der Stadt erscheinen. Der Lischofor-Verlag wird es herausgeben. Soll ich Ihnen ein Probeexemplar zuschicken?" "Ja, ich kann es ja mal versuchen." "Sobald es da ist, werde ich einen Boten damit zu Ihnen schicken. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag und viel Freude mit Ihren neuen Büchern." Auf dem Weg zur Kutsche blätterte Kriemhild schon etwas in dem Bildband. Tolle Burschen...

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

    Einmal editiert, zuletzt von BigBen ()

  • Das Kapitel, das nach dem Kapitel kommt, das Kapitel 37 war


    Brösecke schob Earl von sich. "Junger Mann. Ich kann ihren Schmerz ja verstehen. Die Destillerie ist ein großer Verlust. Nicht nur für Sie. Auch für die Stadt. Aber lassen Sie sich nicht so gehen. Und heulen Sie mir vor allem nicht die Jacke voll." In dem Zustand machte es keinen Sinn, ihn weiter zu befragen. Da mußte er morgen wohl nochmal wiederkommen.
    Wie er das haßte! Durch die Gegend latschen, Zeugen befragen, Verdächtige ausquetschen. Und das für einen Hungerlohn. Nix mit schicken Bräuten, Ballerei und Whiskey. Diese Kriminalschreiberlinge sollten einen Warnhinweis in ihren Büchern drucken lassen, daß das wahre Leben gaaaaaanz anders. Mehr so wie schrullige Sekretärinnen, Papierkrieg und Blasentee.
    Aber zurück zur Sache. Das Ding mit der Destille machte ihm ganz schön Kopfzerbrechen. Der Typ mit den Krügen war mittlerweile gefunden worden. Das blöde war nur, daß er einer der Angestellten von MacHicks war. Und die Krüge sich in seiner Wohnung fanden, gefüllt mit geklautem Whiskey.
    Die Scherbe war auch ein Reinfall. Man hatte sie einem Keramikspezialisten an der hiesigen Universität gezeigt. Und der war ganz aus dem Häuschen gewesen. Er war nämlich der Meinung, diese Scherbe wäre über 2000 Jahre alt und der erste Hinweis darauf, daß die Römer auch in dieser Gegend gewesen waren.
    Geklauter Whiskey und Römer! So komme ich nicht weiter. Ich glaube, ich gehe jetzt erstmal nach Hause eine Runde stricken. Dabei sind mir bisher immer noch die besten Ideen gekommen.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 39


    "Von mir erfahren Sie nichts!", brüllte Brösecke fäusteschüttelnd dem die Treppe hinunterrollenden jungen Mann hinterher. In seine gute Stube zurückstapfend murmelte er: "Wie soll ich bis zum Winter genügend Socken fertig bekommen, wenn ich ständig beim Stricken gestört werde."

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 40


    Jetzt war es wieder soweit. Bröseckes Kollegen wußten, immer wenn er selbstgestrickte Socken im Revier verteilte, war er der Lösung seines aktuellen Falles einen Schritt näher gerückt. So wohl auch heute.
    Mit dem dem letzten Paar roter Socken betrat er das Büro seines Chefs. "Chef, ich brauche eine Vorladung für Amazonius und Lady von Wobblestone." Sein Chef sah ihn mit großen Augen an. "Wieso gerade für die beiden? Bisher gehörten sie nicht zum Kreis der Verdächtigen." "Für mich schon. Für mich ist erst einmal jeder verdächtig. Aber die beiden haben sogar ein Motiv. Wenn auch jeder ein anderes. Amazonius ist Mitglied der Anonymen Abstinenzler. Wie mir meine Quellen mitteilten, war ihm die Destille schon lange ein Dorn im Auge." "OK, das kann ich nachvollziehen. Aber was für einen Grund sollte Lady Wobblestone haben?" "Der ging es weniger um die Destille, sondern mehr um deren neuen Teilhaber. Offensichtlich gab es da Querelen aufgrund einer Heirat und auch wegen seiner Arbeitsmoral." Der Chef legte zweifelnd seine Stirn in Falten: "Das reicht mir aber noch nicht als Vorladungsgrund." "Und wenn ich Ihnen anhand mehrere Zeugenaussagen noch nachweisen könnte, daß die beiden in letzter Zeit immer öfter zusammen gesehen wurden?" "Gut, das reicht. Veranlassen Sie alles Notwendige. Aber ich möchte selbst an den Befragungen teilnehmen. So eine Pleite wie mit Metzger Bloodinger können wir uns nicht noch einmal leisten." "Eh Chef, wer konnte denn ahnen, daß der Vegetarier ist. Wie lange wollen Sie mir die ollen Kamellen noch vorwerfen." "Olle Kamellen? Soll ich Ihnen die Akten von allen von Ihnen verbockten Fällen zeigen?" "Nein, nein, Chef, heben Sie sich bloß keinen Bruch. Ich geh jetzt mal lieber den Papierkram vorbereiten." Brösecke sah noch voller Stolz beim Hinausgehen, wie sein Chef die neuen Socken anprobierte.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Ausschnitt aus dem Verhörprotokoll mit Kriemhild von Wobblestone
    Anwesende: Obercommissarius Brösecke, Hauptmann Wachinger (Leiter des Commissariats)


    Brösecke: "Mehreren Zeugen haben Sie wiederholt beim Betreten des Geschäftes von Amazonius beobachtet. Sie müssen doch zugeben, daß das ein verdächtiges Verhalten ist. Niemand geht mehrmals pro Woche in ein Geschäft, das ausschließlich mit Büchern handelt. Dafür gibt es doch gar keinen plausiblen Grund. Also, Mylady, sagen Sie uns, was Ihr Grund war, immer wieder zu Amazonius zu gehen."
    Kriemhild: "Ich weiß gar nicht was Sie von mir wollen. Für mich ist es normal, mehrmals pro Woche in eine Buchhandlung zu gehen. Ich liebe es, bei den Neuerscheinungen zu stöbern, und außerdem bekomme ich regelmäßig Bände eines Fortsetzungsromanes, die ich abholen muß."
    Brösecke: "Mylady, verzeihen sie meine direkte Art, aber was soll eine junge Frau wie Sie mit so vielen Büchern anfangen? Das ist doch nur ein vorgeschobenes Alibi."
    Kriemhild: "Ich lese die Bücher! Und wenn Sie nichts Handfesteres als das gegen mich in der Hand haben, werde ich jetzt gehen. Ich werde mit meinem Advocatus darüber diskutieren, ob ich eine Beschwerde gegen diese Behörde ins Auge fassen sollte."


    [Danach hat die Befragte das Commissariat ohne weitere Worte verlassen.]

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Ausschnitt aus dem Verhörprotokoll mit Amazonius
    Anwesende: Obercommissarius Brösecke, Hauptmann Wachinger (Leiter des Commissariats)


    Brösecke: "Wir wissen aus sicherer Quelle, daß Sie Mitglied der Anonymen Abstinenzler sind. Finden Sie nicht, daß Sie das zu einem Verdächtigen macht?"
    Amazonius: "Wieso Absinenzler? Ich gehe nur manchmal zu den Treffen der Anonymen Appetenzler."
    Brösecke: "Abstinenzler. Appentenzler. Wo ist da der Unterschied?"
    Amazonius: "Die Abstinenzler sind gegen den Konsum von Alkohol. Und wir Appentenzler fanden diesen Namen einfach besser als 'Anonyme Lustmolche'. Durch den neutraleren Namen sind wir etwas besser geschützt gegen Angriffe der Öffentlichkeit und der Medien. Ich könnte Ihnen, damit es nicht wieder zu solchen solche Mißverständnissen kommt, ein gutes Fremdwörterbuch aus meinem Sortiment empfehlen - "Der kleine Knottrich. Fremdwörterbuch für Beamte im mittleren und höheren Dienst. Mit besonders einfacher Worterklärung.'"


    [Die beiden anwesenden Beamten verließen an dieser Stelle den Vernehmungsraum. Nach einem kurzen, sehr lauten Wortwechsel kam Hauptmann Wachinger allein zurück in den Raum.]


    Wachinger: "Sehr geehrter Amazonius, diese Verwechslung tut uns sehr leid. Sie können gehen, wir haben keine weiteren Fragen. Wenn Sie gestatten, wird Herr Brösecke noch heute Nachmittag bei Ihnen im Geschäft vorbeischauen, um die von ihnen empfohlenen Bücher zu kaufen. Einen schönen Tag noch."


    [Anhang: Kaufbeleg über drei Dutzend Exemplare "Der kleine Knottrich". Die Rechnung wurde durch Obercommissarius Brösecke beglichen.]

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 41


    Brösecke legte niedergeschlagen den letzten Band des Knottrich beiseite. Offenbar stand in allen 36 Bänden dasselbe. Irgendwie war das heute nicht sein Tag. Sowohl die Wobblestone als auch Amazonius waren ihm vom Haken gehüpft. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, nein, sein Chef hatte ihm auch noch die Schuld für alles gegeben.
    Jetzt saß er in seinen 2,45 Quadratmeter großem Büro im 2. Kellergeschoß, direkt neben der Heizungsanlage, die er manchmal mit zu warten hatte, und suchte nach dem einen Faden, an dem er die Geschichte endlich vom richtigen Ende her aufdröseln konnte.
    Ein Poltern weckte ihn auf. Irgendjemand hatte einen Zettel unter der Tür hindurch geschoben. Als er endlich an der Tür war und auf den Gang hinaus sah, war da schon niemand mehr. Er bückte sich nach dem Zettel. Es war eine Serviette der Bar, die direkt gegenüber der Gendarmerie lag. Die Serviette war voller Bierflecken. "Der Gärtner war's." stand darauf in krakeliger Handschrift. Wollte ihn jemand auf die Schippe nehmen...

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Bericht der Abteilung Spurensicherung


    Gegenstand: eine Serviette
    Material: Papier (wahrscheinlich aus der Papiermühle Drosenthal)
    Größe: 21.24 Zentimeter mal 21.23 Zentimeter, 0.98 Millimeter dick
    Farbe: die ursprüngliche Farbe ist nicht mehr zu identifizieren
    Aufdruck: Bar "Zum frechen Bullen" (Schriftart Fresendorf fett, 13pt)
    Handschriftliche Notiz: "Der Gärtner war's.", Tinte schwarz, Schreibinstrument: wahrscheinlich Gräte vom baltischen Riesenhering
    Anmerkung des Graphologen: Der Schreiber ist wahrscheinlich ein lispelnder, einbeiniger Linkshänder mit Stirnglatze und Vorliebe für scharfe Soßen.
    Analyse der Flecken: Die Flecken sind gleichmäßig über das Untersuchungsobjekt verteilt. Es konnten 5 Sorten Bier (Marken: Boddenbrühe, Süffelstolz, Besenbock, Gilmores Trübes, Bananen-Litschi-Bräu) und 2 Sorten Schnaps (Marken: nordböhmischer Kumpeltod, atlantisches Strandwasser) identifiziert werden. Desweiteren gibt es zwei Flecke von unbekannten Flüssigkeiten. Dem unterschiedlichen Alter der Flecken zufolge war der Gegenstand mindestens 47 Jahre in Gebrauch.


    Der Gegenstand wurde nach dem Abschluß der Untersuchung unter dem Aktenzeichen XY 08/15 abgelegt.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 42


    Brösecke saß strickend in seinem Lieblingssessel. Wieder mal! Die Sache mit der Destille war verzwickt. Wenn er nicht bald eine Lösung fand, würde ihm die Wolle ausgehen.
    Die Serviette brachte ihn auch nicht wirklich weiter. Was hatte ein Typ, der wie sein Schwiegervater aussah, mit der Sache zu tun? Wie konnte die Serviette 47 Jahre im Gebrauch gewesen sein, wenn es doch die Bar erst seit 7 Jahren gab? Wer zum Teufel trinkt Bananen-Litschi-Bräu?
    Auf dem alten Grammophon rotierte gerade eine dieser äußerst seltenen Platten, die ihm mal eine Base aus deutschen Landen geschickt hatte. Im Augenblick sang ein gewisser Herr Mey "Der Mörder ist immer der Gärtner". Schon wieder der Gärtner! Brösecke war plötzlich hellwach. Er schlug sich gegen die Stirn. Na klar! Oleander Honorius Gärtner. Der Vize-Chef der Destille. Das mußte der Brandstifter sein.
    Nur warum? Vor sich hinsummend nahm Brösecke die Maschen für den nächsten Socken auf ...

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 43


    "Herr Oleander Honorius Gärtner. Ich verhafte Sie hiermit wegen Brandstiftung und versuchten Mordes." Brösecke grinste vor lauter Zufriedenheit über das ganze Gesicht.
    Er war so froh, daß ihm gestern die Wolle ausgegangen war. Um nicht den Faden zu verlieren, war er schnell zur Wollhändlerin seiner Vertrauens, Madame Flanell, gelaufen. Irgendwie war er dort mir ihr ins Schwatzen geraten. Dabei fiel dann auch irgendwann der Name Gärtner. Und wie es der Zufall so wollte, Madame Flanell wußte so einiges über diesen sauberen Herren. Er war wohl mit Lady von Wobblestone in einem Benimmkurs gewesen und soll seitdem immer wieder versucht haben, sich ihr zu nähern. Da sie sich aber in festen Händen wähnte, hatte sie diese Offerten immer abgelehnt. Außerdem ging das Gerücht, daß er seit dem Besitzerwechsel der Destille um seinen Job gefürchtet hätte.
    Den Rest fand Brösecke schon nach dem nächsten Paar Socken heraus. Als Gärtner Earl besoffen im Lager sah, meinte er die perfekte Lösung für all seine Problem zu haben. Durch den Brand wäre er einerseits den Nebenbuhler losgeworden und hätte außerdem als Entschädigung für den Verlust der Arbeitsstelle noch eine fette, vertraglich zugesicherte Entschädigung erhalten. Das Zubehör für die Brandstiftung fand man in Gärtners Schreibtisch. Er war so sicher gewesen, das keiner auf ihn als Täter kommen würde, das er das Zeug nicht mal entsorgt hatte.
    Als Brösecke Gärtner in die Zelle schubste ging im nur noch eine Frage durch den Kopf. Wer hatte ihm den Tip zukommen lassen?

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 44


    Brösecke saß gelangweilt in seinem Büro und wartete auf den nächsten Fall. Plötzlich stand ein kleiner Herr im schwarzen Anzug und Zylinder, mit einer riesigen Ledertasche in der Tür. "Hallo! Entschuldigen Sie, daß ich hier einfach so reinplatze." "Nein, ich entschuldige das nicht. Was wollen Sie hier überhaupt? Die Pathologie ist im Nachbargebäude." Der kleine Herr schaute verwirrt drein. "Pathologie? Oh nein, Sie müssen mich verwechseln. Ich komme, um Ihre Meinung zu unseren Scherzartikeln zu erfahren." Jetzt schaute Brösecke verwirrt drein. "Scherzartikel? Wovon reden Sie?" "Na von unseren Scherzartikeln. Mein Name ist Ottokar Theobald Grisenius Schnüpke. Ich bin Vertreter für Scherzartikel der Firma 'Lach und weg'. Wir haben vor ein paar Tagen hier im Haus ein paar Proben verteilt." "Also ich habe nichts bekommen." "Doch, doch, erinnern Sie sich nicht an die Serviette, die ich Ihnen unter der Tür durchgeschoben habe? Das war einer unserer Artikel aus der Kriminalbeamten-Serie." Brösecke klappte der Kiefer herunter. "Die Serviette war ein Scherzartikel?" "Ja genau. Und wie fanden Sie sie? Ich kann Ihnen gerne noch andere Artikel aus der Serie zeigen. Wir hätten da das gefälschte Geständnis, die Gehaltserhöhung, diverse Leichenteile und ähnliches." "Die Serviette war ein Scherzartikel?" Brösecke schien in einer Endlosschleife festzuhängen. Er kippte nach hinten in seinen Sessel und der Kiefer wippte sanft auf und ab. Schnüpke als erfahrener Vertreter sah sofort, daß er im Augenblick nichts weiter verkaufen können würde. "Na gut, ich komme später wieder. Ich lasse Ihnen meine Visitenkarte und diese Scherz-Handschellen da. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag." Und so schnell wie er erschienen war, war er auch schon wieder weg. Bröseckes Unterkiefer ging immer noch auf und ab, auf und ab...

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

    Einmal editiert, zuletzt von BigBen ()

  • Sondermeldung


    Nachdem gemeldet wurde, daß Obercommissarius Brösecke durch die mißbräuchliche Anwendung eines Scherzartikels dem Wahn verfallen sei, wurde der Scherzartikelvertreter Ottokar Theobald Grisenius Schnüpke wegen des Tatbestandes der schweren geistigen Mißhandlung ins Zuchthaus geworfen. Nach einer Woche Einzelhaft bei Wasser und Brot holte ihn der breit grinsende Brösecke persönlich aus der Zelle mit dem Kommentar: "Das war ein Kriminalbeamtenscherz!" Schnüpke ist seitdem nicht mehr gesehen worden.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Kapitel 45


    "Mylady! Bitte kommen Sie schnell in die Bibliothek. Da haben sich gerade zwei Männer Zugang zur hoheitlichen Villa verschafft und haben sich direkt zu Ihrer Büchersammlung führen lassen. Sie sagen, sie kämen von irgendeiner Behörde." Kriemhild schwante nichts Gutes. Seit der Umbildung des Stadtrates und der Neubesetzung des Bürgermeisteramtes mit Freiherrn Theobald Joseph von Krümel war der Anteil der administrativen Schreiben in der täglichen Post rapide angestiegen. Irgendwann hatte sie einfach keine Lust mehr gehabt, daß alles zu lesen und irgendwelche Formulare auszufüllen. Zu diesem Moment hatte sie begonnen, Schreiben von der Stadt und deren Verwaltung einfach als Zubehör für ihre Scherenschnitte zu verwenden. Besonders die ganz großen, langen Formulare liebte sie seitdem besonders.
    "Meine Herren. Können Sie mir bitte sagen, was das Ganze hier soll." Der Ältere der beiden zückte mit einer geschäftigen Geste irgendeinen Ausweis, hielt ihn Kriemhild kurz hin und sagte: "Wir kommen von Amt für Leseverhalten, Lesestatistik, Medien, Archive, Chroniken, Hoch- und Tiefbau, kurz ALLMACHT. Sie haben trotz mehrmaliger Aufforderung Ihren diesjährigen, gegenüber den Vorjahren gekürzten, nur 47-seitigen Fragebogen bezüglich Ihres Buchkauf- und Leseverhaltens nicht termingerecht abgeliefert. Daher ermächtigt uns die königliche Verordnung über amtliche Statistiken bezüglich Buchkauf und Leseverhalten, kurz kVüaSbBuL, direkte amtliche Zählungen auf Ihrem Grundstück vorzunehmen." Kriemhild glaubte nicht richtig gehört zu haben. "Wie bitte? Ich kaufe und lese soviel wie ich will! Keine Verordnung kann mich davon abhalten. Und jetzt verschwinden Sie von hier und lassen sich niemals wiedersehen. Und falls Sie den Weg nicht finden, kann ich gerne ein paar meiner Knechte bitten, Sie hinaus zu geleiten." Das saß. Die beiden waren schon auf dem Weg die große Freitreppe hinab und halb zur Tür hinaus. Die blauen Flecken aus der Villa Gösach waren noch nicht ganz verheilt.
    Kriemhild lies sich in ihren Lesesessel fallen. Sie mußte sich erst einmal wieder etwas beruhigen. In solchen Fällen half oft ein kleiner Scherenschnitt. Sie griff zu einem Blatt und der Schere. Während sie die Schere ansetzte las sie: "Länger als 2 Jahre im Haushalt befindliche Bücher, die von keinem der Haushaltsangehörigen bisher gelesen wurden, stellen einen besonders schweren Tatbestand dar. In diesem Falle ist bitte außerdem Formblatt 34/z/873-tr-4/121 in zwölffacher Ausfertigung beizulegen." Die spinnen doch, dachte Kriemhild noch. Das Blatt ergab eine viertel Stunden später eine wunderschöne Rose.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001