Amos Oz - Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

Es gibt 33 Antworten in diesem Thema, welches 10.077 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von tina.

  • Ja, die Mutter tut mir sehr leid. Ich habe das auch so verstanden, dass sie an einer schweren Depression leidet.
    Mittlerweile habe ich das 56. Kapitel beendet und finde es sehr berührend, wie Oz seit einigen Kapiteln (etwa seit dem 48.) um den Tod seiner Mutter "kreist". Er kommt dem Ereignis nah, zu nah (ich meine immer noch einen großen Schmerz zu verspüren), beginnt mit einem anderen Thema um nach einigen Kapiteln etwas wie "Mutter ging es im Herbst wieder schlechter" zu erwähnen, beschreibt kurz, wie es zu der Zeit war, kommt wieder zu nah und stürzt sich auf ein späteres Erlebnis. Verstehst du, was ich auszudrücken versuche?
    Beinahe am Heulen war ich am Ende meines 53. Kap. als er schreibt:Tausend Lichtjahre lagen zwischen uns. Nicht Lichtjahre, Dunkeljahre. (...) auch in diesem Augenblick, dem wertvollsten Augenblick meiner Kindheit trennten uns 1000 Dunkeljahre voneinander.


    Viel habe ich nicht mehr zu lesen. Ich hätte nicht gedacht, daß diese 765 Seiten so schnell verfliegen.
    Ich merke schon wieder, daß mir absichtlich etwas mehr Zeit lasse mit dem lesen, um die Freude an dem Buch noch etwas auszukosten, aber zum Glück hat Amos Oz ja noch ein paar mehr geschrieben :klatschen: und ich lese sie auch in englisch, :pueh: wenn sie nicht übersetzt sind.


    Ich lasse mir nicht absichtlich mehr Zeit, merke aber deutlich, dass ich immer wieder Pausen einlegen muss, um das Gelesene sinken zu lassen. Das Buch bewegt mich wie kaum ein anderes. Mit diesem Buch hat sich Oz eindeutig als meine Autorenentdeckung des Jahres erwiesen.
    Übrigens gibt es auch einige Bücher, die es nur auf deutsch aber nicht auf englisch oder schwedisch gibt :zwinker: . Hier gibt es eine Liste aller (?) Bücher von Oz, erst mit englischem und hebräischem Titel, und dann eine Auflistung aller Übersetzungen der einzelnen Bücher. Wie vollständig die Liste ist, weiß ich allerdings nicht.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Hallo Saltanah,


    in meinem Kapitel 54 (bei Dir 53) auf Seite 651:
    Diese Zeilen haben mich auch sehr bewegt, sind bei mir ein wenig anders übersetzt. Ich zitiere jetzt einmal, vielleicht interessiert es Dich ja, wie es bei mir steht.


    Tausend Jahre der Finsternis zwischen jedem und jedem. Sogr zwischen den drei Verurteilten in einer Zelle. Und sogar damals, in Tel Arsa, an jenem Shabbat morgen, als Mutter an einen Baum gelehnt saß und Vater und ich unsere Köpfe auf ihre Knie legten, auf jedem Knie ein Kopf, und Mutter uns beide streichelte, sogar in jenem Augenblick,der mir der kostbarste aller Momente meiner ganzen Kindheit ist, trennten uns tausende Jahre der Finsternis.


    In Kapitel 58 (57) ab Seite 703
    Mir gefällt, was Amos Oz über Literatur schreibt. Man muß nicht die ganz Welt kennen um hervorragende Literatur zu vollbringen. Man einfach nur seine eigene kleine Welt kennen, lieben und in der Lage sein, sie anderen nahe zu bringen. Das ist Literatur, die Heldentaten und Kosmopolitk nicht braucht um zu Herzen zu gehen und einen zu berühren.


    Kapitel 59 ab Seite 712


    Ich finde es schön was Amos Oz über und von Frauen und Sexualität schreibt.
    "Uns seither geht es mir gut mit Frauen...Der Ausruck "Sie schenkte ihm ihre Gunst" finde ich richtiger und treffender als andere Wendungen. Die Gunst von Frauen löst bei mir, außer Begehre und Bewunderung, auch eine Woge kindlicher Dankbarkeit aus, den Wunsch mich zu verneigen: Ich bin zu gering, um all diese Wunder zu verdienen. Auch für einen Tautropfen schon würde ich dir doch voller Staunen und Verehrung danken - und wie erst für dieses weite Meer. Und immer fühle ich mich wie ein armer Bettler an der Tür: Eine Frau ist doch immer mächtiger als ich, und nur in ihrer Hand ist es, freigebig, zu schenken oder nicht zu schenken.
    So was hört man doch als Frau gerne von einem Mann.


    Dieses Kreisen um den Tod von Fania, wie Du schon beschrieben hast, macht einen ganz beklommen. Ich denke darin drückt sich das jahrelangem Stillschweigen über ihren Tod aus. Vater und Sohn haben ja nach dem Tod von Fania nie wieder von ihr gesprochen, als wäre si enie existent gewesen und ich glaube, das Amos Oz sich auch in diesem Buch erst langsam und behutsam nach und nach diesem Thema, daß er so lange verdrängt hat, nähern kann.


    Allgemein gefallen mir die Beschreibungen vom Leben im Kibbuz sehr gut. Grinsen mußte ich über seine Begegnung mit Ben Gurion.
    Zur Eklärung: Wenn im Kibutz von Kinderhäusern die Rede ist, dann ist das tatsächlich damit gemeint. Mittlerweile gibt es große Diskussionen über dieses wirklich strittige Thema un din vielen Kibbuzim wird es auch nicht mehr praktiziert, aber früher war es gang und gäbe, daß eine Frau nach der Geburt eines Kindes sofort wieder im Kibbuz mitgearbeitet hat, da wirklich jede Hand von unschätzbarem Wert ist. Die Kinder kamen in Kinderhäuser in denen sie großgezogen und sogar teilweise geschlafen haben. Also komplett getrennt von den Eltern und das schon als Säugling. Irgendwann lehnten sich Mütter und auch Väter gegen diese Regel auf und in wenigen Kibbuzim wird man das heute noch finden. Es gibt dort jetzt einen normalen Kindergarten, aber die Kinder leben bei ihren Eltern.


    So ich werde jetzt noch ein wenig weiterlesen, solange mein Mann noch da ist und unsere Tochter beschäftigt. :breitgrins:


    Liebe Grüße Tina

  • Hi, ich bin's schon wieder. :winken:
    Ich habe weitegelesen und muß es einfach festhalten:


    "...Von den Frauen, die Tyrannen lieben, halte dich fern, und von denen, die einen Freund suchen, versuche möglichst nicht diejenigen zu wählen, die einen Freund brauchen, weil sie sich innerlich ein wenig leer fühlen, sondern diejenigen, die Freude daran haben, dien Leben reicher zu machen. Und merk dir, daß Freundschaft zwischen Mann und Frau etwas sehr viel Kostbareres und Selteneres ist als Liebe: Liebe ist eigentlich eine ziemlich deftige und sehr plumpe Angelegenheit im Vergleich zur Freundschaft. Freundschaft enthält Feingefühl, Aufmerksamkeit und Großzügigkeit und ein feines Gespür für das richtige Maß.


    Wie kann man es besser beschreiben?


    Tina


  • Diese Zeilen haben mich auch sehr bewegt, sind bei mir ein wenig anders übersetzt. Ich zitiere jetzt einmal, vielleicht interessiert es Dich ja, wie es bei mir steht.


    An dieser und vielen anderen Stellen habe ich mich gefragt, wie es wohl auf deutsch ausgedrückt ist. Bei allen Stellen, die ich "zitiert" habe, ist zu bedenken, dass es meine ungeschickte Übersetzung der schwedischen Übersetzung der englischen Übersetzung des hebräischen Originals ist. Ich wünschte, ich könnte Oz' Bücher im Original lesen.



    Mir gefällt, was Amos Oz über Literatur schreibt. Man muß nicht die ganz Welt kennen um hervorragende Literatur zu vollbringen.


    Und man braucht vor allem nicht dort zu leben, wo das Leben tobt, wie z. B. in Paris, New York oder den skandinavischen Wäldern :elch: ! An dieser Stelle bin ich vor Lachen fast zusammengebrochen. Sherwood Anderson ist mit diesem Kapitel auf meiner Leseliste gelandet.


    Letztes Kapitel:
    g020.gif Was kann man mehr dazu sagen?


    Richtig furchtbar fand ich, dass der Vater alle ihre Sachen wegwarf, selbst ihre Notizbücher und Fotografien. Ich kann diese Reaktion zwar verstehen, aber vor allem für Amos Oz tut es mir leid, dass er kaum etwas von seiner Mutter übrig geblieben ist.


    Resümee:
    Ein ganz wunderbares Buch, von der ersten bis zur letzten Seite und mit Abstand das beste Buch, das ich dieses Jahr gelesen habe. Ein wundervoller Stil, der auch mehrere Übersetzungen überlebt hat, eine tolle Mischung aus privaten Erlebnissen und Gegenwartsgeschichte, ein autobiographischer Roman eines Autors, von dem ich noch ganz viel lesen werde, ein fantastisches Leseerlebnis, kurz gesagt:
    5ratten



    Danke, dass ich mich mit dir über dieses Buch austauschen durfte, Tina! So habe ich es noch intensiver und aufmerksamer gelesen.

    Wir sind irre, also lesen wir!

    Einmal editiert, zuletzt von Saltanah ()

  • Hallo,


    ich habe das Buch auch heute beendet, aber ich brauchte einfach noch etwas Zeit um es nachwirken zu lassen.
    Am Schluß gab es in meinem Buch noch eine Überraschung. Auf einer der letzten Seiten erschien auf einmal ein Bild von Amos und seinen Eltern. Dadurch wurde am Ende des Buches die Tragödie noch beklemmender, da auf einmal die Familie ein richtiges Gesicht bekam, vor allem die Fania, mit einem so warmen liebevollen Lächeln, daß es einem das Herz zusammen zieht.
    An der Stelle, an der Amos Vater alle Dinge von Fania wegwirft, wird die Verzweiflung erst richtig bewußt. Viele Menschen empfinden Wut auf den Verstorbenen Angehörigen, weil sie das Gefühl haben alleingelassen und verlassen worden zu sein, aber kann nicht von dem Gedanken loskommen, daß diese Wut auch Wut auf ihn selbst ist, weil er sich vielleicht doch schuldig fühlt, an den Depressionen und dem Tod seiner Frau.


    Eine ähnliche Reaktion kenne ich von einem meiner Lieblingsfilme: "Carrington", aber da hat die Zerstörung der Besiztümer des geliebten Menschen eine andere Bewandnis. (Übrigens auch eine wahre Geschichte mit hervorragenden Schauspielern)
    Amos Oz erzählt die Geschichte seiner Familie. Angefangen von der Jugend der Großeltern und Eltern in Rußland und Polen, die Auswanderung nach Israel auf der Flucht vor den Nazis. Seine Kindheit in Jerusalem, seine Teenager-Zeit, die gleichzeitig der Ausbruch aus anerzogenen Konventionen ist und ein Neubeginn, bis hin zu Einblicken in sein Leben als Wehrpflichtiger und von heute.


    Dieses Buch ist ein absoluter :tipp:, wie bis jetzt eigentlich alle Bücher, die Saltanah und ich zusammen gelesen haben. :five:
    Vielen Dank Saltanah. Die Leserunden machen sehr viel Spaß und ich genieße es mich mit Dir austauschen zu können, denn solche Bücher lese ich erst recht nicht gerne alleine, weil sie vor allem eine Diskussion und ein Austausch verdienen. Ich denke das ist man Amos Oz schuldig (im positiven Sinne). Auch bei mir ist es mit Sicherheit nicht das letzte Buch, welches ich von ihm gelesen habe.
    Trotzdem brauche ich jetzt erst einmal was seichtes, triviales zum Entspannen mit viel Happy End :breitgrins:

  • Och menno :traurig: . Da hatte ich mich heute so gefreut, als ich in der Hörbuchbibliothek dieses Hörbuch fand:

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Das wollte ich mir natürlich sofort ausleihen, habe das dann aber doch gelassen, nachdem ich feststellte: nur sechs Cds, d. h., eine gekürzte, und zwar stark gekürzte Fassung. Schade, bei einem so tollen Buch.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Hallo Saltanah und Tina,


    ich habe mir das ganze Wochenende nichts vorgenommen, nur um dieses Buch genießen zu können. Eure Beschreibungen haben mir so gut gefallen, dass ich eine wahnsinnige Lust auf die Geschichte habe. Vielen Dank dafür!

    Gerade auch weil es den autobiographischen HIntergrund hat, ist dieses Buch für mich die erste Wahl für meinen allerersten Amos Oz gewesen. Ich werde versuchen, parallel eure Kommentare von damals mitzulesen. Dann ist es ja fast so, als wäre ich beim gemeinsamen lesen dabei gewesen :zwinker:


    Viele Grüße
    Muertia

    :lesen: Rebecca Gablé - Der dunkle Thron<br />SuB: 6 (+16 bereits bestellte Bücher, um den SuB mal ein wenig aufzuwerten)

  • Da freue ich mich sehr, dass ihr ebenso berührt seid von diesem Buch wie ich. Jetzt kämpfe ich mich erst mal durch die Internetschwierigkeiten, dies ist nämlich schom mein dritter Beitrag, den ich loszuwerden versuche. Da schreib ich erst mal nicht mehr, weil meine Finger schon ganz abgearbeitet sind und außerdem wird die Zeit knapp.
    Gebt doch bitte "Laut", wenn ich diesmal durchgekommen bin! :grmpf:
    Kamü


  • Gebt doch bitte "Laut", wenn ich diesmal durchgekommen bin! :grmpf:
    Kamü


    Ja, du bist durchgekommen! :zwinker:

    :leserin: [color=#CC0077]<br />Leo Tolstoi - Anna Karenina<br />Geneva Lee - Royal Passion<br />Frank Schätzing - Tod und Teufel<br />Patrick Rothfuss - The Name of the Wind<br />Maggie Stiefvater - The Raven Boys

  • Amos Oz – Eine Geschichte von Liebe und Finsternis


    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Suhrkamp Verlag, 2008, Übersetzer Ruth Achlama, 829 Seiten
    Originalausgabe Ssipur al ahava we-choschech, 2002 in Jerusalem


    Inhalt/Klappentext
    Die Geschichte des Jungen Amos, der im Jerusalem der vierziger Jahre aufwächst – eine große Familien-Saga, ein Epos vom Leben und Überleben, ein Buch der Enttäuschungen und der Hoffnung.


    Zitat
    „Ich schaue aus dem Fenster und trauere. Nicht über das, was nicht mehr ist, sondern um das, was nie war.“ (Tante Sonia)


    Wie kam die Geschichte in meine Hände?
    Wir haben den Roman für ein Seminar in der Uni gelesen.


    Meine Meinung
    Eine Geschichte von Liebe und Finsternis ist ein ganz wundervolles Buch, das seinem Titel in jeder Hinsicht gerecht wird.
    Amos Oz erzählt seine Kindheit und Jugend in Israel auf eine Art und Weise, die einen regelrecht in das Buch hinein zieht. Mit viel Wärme beschreibt Amos seine Familienmitglieder, den verschrobenen Gelehrten Onkel Joseph, die hygienefanatische Oma Schlomit und Opa Alexander, Amos Eltern Fania und Arie. Man hat das Gefühl, man kennt diese merkwürdigen, aber überaus liebenswerten Gestalten, man ist dabei, wenn sie diskutieren und sitzt mit Amos und seinem Vater am Tisch und macht Lagebesprechungen.
    Das Buch beleuchtet aber auch die Schattenseite einer Familie, die vor dem Holocaust aus Odessa und Rowno nach Israel geflohen ist. Eine Familie, die viele Sprachen spricht, aber nirgends wirklich zu Hause ist, immer Angst vor einer erneuten Vertreibung hat und in sich eine endlose Sehnsucht trägt, nach der alten Heimat, nach verstorbenen Freunden und nach dem Land Israel, das es nie gegeben hat.
    Und während Amos Oz die Geschichte seiner Familie erzählt, erzählt er automatisch auch die Geschichte des Staates Israels, die Geschichte vieler Juden, die während der Zeit des dritten Reiches aus ihren Ländern fliehen mussten, um zu überleben und die einige Jahre später in den Kellern Jerusalems wieder ums Überleben bangen mussten.
    Eine Geschichte über Tragödien im großen und kleinen und die Hoffnung auf den Frieden.


    Was mir sehr gut gefällt, ist dass Amos Oz den Krieg sehr sachlich beschreibt. Natürlich ist das die jüdische Sicht des Krieges, aber sie ist nicht voller Hass und Abscheu. (wen die andere Seite auch interessiert, meine Kommilitonin hat mir das Buch "Es war einmal ein Land: Ein Leben in Palästina" von Sari Nusseibeh empfolen)
    Für mein Referat habe ich die politischen Essays von Amos Oz gelesen und je mehr ich lese, desto mehr beeindruckt mich dieser Mann, der ein riesiges Herz haben muss, der Mitglied der Friedensbewegung Schalom Achschaw (Peace now) ist und sich für die Kommunikation zwischen Israelis und Palästinensern einsetzt.


    Es war mein erstes Buch von Amos Oz, aber bestimmt nicht das letzte.
    Am meisten hat mich seine Sprache beeindruckt, mit wieviel Liebe und Poetik er Dinge, Orte und Menschen beschreibt, dass er einen Berg als Nachbar bezeichnet und die Wärme, die sich durch die gesamte Erzählung zieht.
    Dafür gibt es von mir
    5ratten plus :marypipeshalbeprivatmaus:

    &quot;Bücher sind Spiegel: Man sieht in ihnen nur, was man schon in sich hat&quot;<br />Carlos Ruiz Zafón<br />:lesen:

  • Amos Oz


    Eine Geschichte von Liebe und Finsternis



    Der Junge Amos wächst in den 1940er Jahren in Jerusalem während der britischen Mandatszeit heran. Seine Eltern sind Einwanderer aus Osteuropa. Einige Verwandte der verzweigten Familie sind nicht rechtzeitig vor den Nazis geflohen und wurden ermordet.



    Amos´ Eltern sind sehr sympathische Menschen, Literaturliebhaber, Theoretiker, die sich nach Kräften bemühen, dem Jungen ein gutes Zuhause zu bieten. Aber über allem herrscht die Notwendigkeit, sich einzuschränken, um beim Aufbau eines eigenständigen Staates Israel mithelfen zu können. Amos träumt davon, ein Volksheld, ein Pionier zu werden. Außerdem beschäftigt er sich ständig mit Kriegsspielen, erdenkt Manöverstrategien gegen die Briten usw. Möglicherweise ist es normal für einen Jungen, der unter den gegebenen Verhältnissen heranwächst, aber bei mir weckt die Beschreibung ein mulmiges Gefühl.



    Amos Onkel Joseph, dem einige Kapitel gewidmet sind, ist ein selbstverliebter Schriftsteller, Amos´ mikrobenhassende Großmutter ein wunderbares Unikat und ihr Mann Alexander wiederum ein lebensbejahender Mensch, den man sehr gern kennenlernen würde, ebenso der "Gegengroßvater" Efraim.



    Wenn Amos groß ist, will er ein Buch werden - möglicherweise gar kein so abwegiger Gedanke als Mitglieder einer so bibliophilen Familie. Später will Amos all die Bücher und seine gelehrte Familie hinter sich lassen. Amos hat als Kind außerdem eine sehr merkwürdige/negative Einstellung zur Sexualität.



    In einem Kapitel spricht der Autor den Leser direkt an und fordert ihn auf, sich selbst in der Geschichte zu finden und nicht zu versuchen zu ermitteln, inwieweit der Roman autobiografisch ist. Oz spricht hier von „guten“ und „schlechten“ Lesern. Na sowas!


    Zitat


    ...und deinem Ich, dem geheimen, gefährlichen, unglücklichen, irrsinnigen und kriminellen Ego, diesem furchterregenden Wesen, das du immer tief in deinem finstersten Verlies gefangenhältst, damit kein Mensch auf der ganzen Welt, Gott behüte, je etwas von seiner Existenz ahnt...


    Zitat


    Und du, frage bitte nicht: Was, sind das wirklich Tatsachen? Geht es bei diesem Autor so zu? Frage dich selbst. Über dich selbst. Un die Antwort kannst du für dich behalten.



    Die Atmosphäre der Erzählung ist unheimlich dicht. Es gibt einiges an Wiederholungen, die Erzählperspektive ändert sich in einigen Abschnitten, und die Geschichte springt zwischen Orten und Zeiten. Das macht es zwar teils ein bisschen unübersichtlich, aber auch interessanter. Einige Punkte werden mehrmals angesprochen, doch immer aus einer etwas anderen Perspektive oder mit einer neuen Detailinformation, so dass mich diese Wiederholungen nicht gestört haben.



    Lachen und Schrecken liegen bei diesem Roman oft nur ein paar Sätze auseinander.



    Zitat

    ...schossen manchmal britische Soldaten aus Nervosität, aus Judenhass oder vielleicht auch nur im Suff auf Passanten.


    Zitat

    Wir mussten Abend für Abend etwas Lautes veranstalten, um nicht der Leere und Traurigkeit zu verfallen.


    Außerdem war es interessant, während des Lesens nach und nach die kleine Leserunde von Tina und Saltanah nachzuschmökern.


    Ich vergebe knappe 5ratten

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.

    Einmal editiert, zuletzt von Kiba ()

  • Es freut mich, dass dir das Buch gefallen hat. Ich denke auch gerne an die Leserunde zurück. Amos Oz ist einer meiner Lieblingsschriftsteller und das bringt mich auf Idee, mal wieder ein Buch von ihm zu lesen. Da stehen noch so einige in meinem Regal, die ich noch nicht gelesen habe.

  • Amos Oz – Eine Geschichte von Liebe und Finsternis


    Der Ich-Erzähler blickt zurück auf die Geschichte seiner Familie. Episodenhaft in nicht-chronologischer Reihenfolge erinnert er sich an Begebenheiten aus seiner Kindheit, Erlebnisse mit seinen Eltern und Verwandten, seine Schulzeit und vor allen Dingen sein unbändiger Lesehunger. Aber er erzählt auch die Geschichte seiner Familie, die von Wanderschaft und Umzügen geprägt ist, die verschiedene Kulturen und Traditionen durch Heirat und Migration aufgenommen hat, bis sie schließlich nach Jerusalem übersiedelte. Eine jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts kommt nicht aus ohne geschichtliche Anknüpfungen, die Familiengeschichte ist auch geprägt von der Weltgeschichte und dem sich verändernden Bild auf Juden. Amos wächst in eine komplizierte Welt hinein, die politisch schon viel Brisanz bietet, noch mehr, wenn man in einem intellektuellen Umfeld aufwächst und von Kindesbeinen an den Diskussionen teilhaben darf. Aber auch das private Leben stellt ihn vor große Herausforderungen: als Einzelkind die Erwartungen der Eltern zu erfüllen, durch die Liebe zur Literatur weit von den Gleichaltrigen weg zu sein und schließlich die nicht verständliche Krankheit der Mutter, die im Verlust kulminiert.


    Kein einfaches Buch. Mit 830 Seiten auch kein kurzes Buch. Die Erzählstruktur ist durch das Springen in der Zeit, durch die vielen Verzweigungen nicht immer einfach, bisweilen fast chaotisch. Man hat den Eindruck, dass das Werk weniger geplant war, sondern eher einem Stream of consciousness folgt, was zu Wiederholungen führt und manchmal etwas anstrengend ist. Auch wenn es nicht der leichte Sommerschmöker ist: absolut lesenswert, vielleicht sogar besser nicht am Stück, sondern über einen längeren Zeitraum, das dürfte der Erzählweise, die mehr an episodenhafte Erinnerungen eines älteren Menschen erinnert, gerechter werden.
    4ratten

  • [size=13pt]Amos Oz – Eine Geschichte von Liebe und Finsternis[/size]

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    OT: Sipur Al Ahava We-Choschech
    OA: 2002
    850 Seiten
    ISBN: 978-3518459683


    Inhalt:
    Die Geschichte des Jungen Amos, der im Jerusalem der vierziger Jahre aufwächst – eine große Familien-Saga, ein Epos vom Leben und Überleben, ein Buch der Enttäuschungen und der Hoffnung.


    Eigene Meinung:
    Amos Oz, ist eine faszinierende Persönlichkeit. Selten habe ich jemanden seine Lebensgeschichte erzählen hören, ohne sich selbst in den Vordergrund zu setzen. Jede Person die teilhat an seiner Kindheit und seinem Leben, bekommt eine Bedeutung und Persönlichkeit, dass man Ende des Buches das Gefühl hat, man hat sie alle kennengelernt. Wenn Amos Oz erzählt, dann vergisst man, dass man ein Buch liest und hat das Gefühl man sitzt neben ihm und seiner Familie und ist mitten in einer philosophischen Gesprächsrunde über das Leben, Politik, Literatur, Liebe und einer großen Tragödie. Trotzdem schwingt sehr oft ein humorvoller Unterton mit, der einen zwar nicht lauthals lachen lässt, aber er zaubert doch dann und wann ein Schmunzeln herbei.
    Diese Geschichte ist umso bewegender, da sie das Leben und Schicksal real existent gewesener Menschen darstellt.
    Auch für mich verdient dieses Buch auf alle Fälle


    5ratten und :tipp: