Dorothea S. Baltenstein - Vier Tage währt die Nacht

Es gibt 6 Antworten in diesem Thema, welches 2.335 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Kiba.

  • Auf Wunsch von yanni hier meine Rezension. Ich war mit nicht sicher, in welchen Unterforum ich den Thread einordnen sollte, aber hier schien er mir am ehesten hinzugehören. :smile:


    Dorothea S. Baltenstein - Vier Tage währt die Nacht
    1817 versammeln sich nach Einladung des altehrwürdigen Schlossbesitzers Sir Mortimer Pope zehn bedeutende Literaten auf der mittelalterlichen Burg des Gastgebers. Abgeschieden, irgendwo in der romantischen Natur Schottlands, wollen die sich bis dahin Fremden ein literarisches Kolloquium abhalten und sich ihre neuesten Werke präsentieren. Die Gruppe setzt sich aus den unterschiedlichsten Figuren zusammen, erzählt wird die Geschichte von Jonathan Lloyd, einem vom Schicksal gebeutelten Schriftsteller aus London. Doch noch bevor die Lesungen beginnen können, ereignet sich ein schrecklicher Unfall – oder war es gar Mord? Als dann auch noch ein Schneesturm die Flucht von der Burg unmöglich macht, spitzt sich die Situation dramatisch zu…


    Der Legende nach ist die Verfasserin des Romans, Dorothea S. Baltenstein, in Schlesien geboren und beging 1920 Selbstmord. Durch zahlreiche Verstrickungen wurde ihr Manuskript nicht entdeckt, bis dann ein Berliner Lehrer namens Michael Schmid darauf stieß und es veröffentlichen ließ.
    Soweit also die Legende – der Stern deckte nach Veröffentlichung von „Vier Tage währt die Nacht“ allerdings die wahre Entstehungsgeschichte auf: Lehrer Michael Schmid schrieb das Buch zusammen mit vier seiner Schülerinnen innerhalb eines Schulprojekts – und spätestens an diesem Punkt des Klappentextes wurde ich skeptisch. Ein Roman, der von fünf Personen geschrieben wurde? Vier davon auch noch Schülerinnen? Das konnte mit Sicherheit nichts Gutes bedeuten.
    Die ersten fünfzig Seiten über blieb ich dann auch misstrauisch. Die Sprache war arg aufgesetzt und zu bemüht, sich der Handlungszeit 1817 anzupassen. Auch die Szenerie war mir schon aus einigen Hollywood-Horrorfilmen bekannt: eine alte Burg, ein alter Burgherr, ein Schneefall und sogar ein verkrüppelter Diener. Auch die zum Kolloquium geladenen Literaten schienen allesamt Klischees zu entsprechen; da wären eine junge schöne Dichterin, ein ständig betrunkener Nichtsnutz mit seiner geheimnisvollen, düsteren Frau, ein zerstreuter Professor, ein unverschämt gutaussehender junger Zyniker, ein französischer Graf, ein Kleriker, ein vorlauter amerikanischer Jude und Jonathan Lloyd, stets sympathischer, etwas blass gezeichneter Erzähler der Geschichte.
    Wie gesagt hielt sich dieser Eindruck fünfzig Seiten lang, dann aber war ich überzeugt. Ja, die Geschichte hat ihre Längen und ist etwas zu detailverliebt, andererseits sorgt genau das dafür, dass man alle Personen deutlich vor sich sieht. Auch die geheimnisvolle Burg mit ihren vielen Facetten steht dem Leser plastisch vor Augen. Die Geschichte ist trotz der Längen sehr spannend, es werden einem viele Lösungen präsentiert, die dann wieder verworfen werden. Auf die Auflösung des Geheimnisses kann man zwar etwas verfrüht kommen, allerdings hat sich bei mir dieser Effekt doch fast bis zum Schluss hingezogen.
    Insgesamt war ich trotz meiner anfänglichen Skepsis sehr positiv überrascht. „Vier Tage währt die Nacht“ ist ein dicker, detailverliebter Schmöker, der sehr gut in die Winterzeit passt und den man am Besten dicht aufeinander wegliest, sonst verliert er seine Stimmung. Dass die Geschichte so oder so ähnlich schon da war, kümmert irgendwann nicht mehr, denn der Roman ist überaus stimmungsreich. Selbst die Aufgesetztheit der Sprache lässt irgendwann nach. Alles in allem ein schöner Roman um einmal richtig abzutauchen.


    4ratten



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    Einmal editiert, zuletzt von swank ()

  • Hallo swank,


    Danke für deine schnelle Rezi! :klatschen:
    Du hattest die gleichen Bedenken wie ich. Aber du konntest sie mit deiner Beschreibung fast ganz auslöschen.


    Das liest sich sehr unterhaltsam. Und wenn es dann auch noch gut in die Winterzeit passt, wie du geschrieben hast, werde ich es wohl bald in Angriff nehmen. Bevor die Tage zu lang werden. :zwinker:



    Lieben Gruß
    yanni

  • Mir hat das Buch auch gut gefallen. Ich brauchte zwar etwas, um richtig in die Geschichte reinzukommen, aber dann war es ein herrlicher Schmöker für Winterabende! :smile:

    viele Grüße<br />Tirah

  • Rezension Nr. 7 für den SUB-Wettbewerb


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    Ein alternder Dichter lädt neun andere vielversprechende Schriftsteller zu sich auf sein einsames Schloss in den schottischen Highlands ein. Gemeinsam will man eine Art Symposion veranstalten, Dichtungen austauschen und gegenseitig die Kreativität beflügeln. Als Vorbild dient ein ähnlicher kreativer Wettstreit der Shelleys und Byrons am Genfer See, im Sommer des Vorjahres. Zwar war um 1817 von den einzigen beiden dort entstandenen Werken (Polidoris „The Vampyre“ und Mary Shelleys „Frankenstein“) noch keine Zeile veröffentlicht, aber vielleicht ist es einfach nur die romantische Idee eines solchen Treffens, die die Protagonisten begeistert. In jedem Fall erfüllt die Erwähnung dieser Runde ihren Zweck: Der Leser freut sich auf einen schaurig-romantischen Schmöker im Geiste der englischen Literatur des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts und er wird nicht enttäuscht.
    Die Sprache, der Schauplatz und die Figuren erzeugen sofort eine wohlig unheimliche Atmosphäre. Allerdings wird der Leser dann auf eine harte Geduldsprobe gestellt, denn das Buch beginnt unglaublich langatmig. Es scheint als müsse jedes Detail erwähnt werden und allein die Besichtigung des Schlosses nimmt über 50 Seiten ein. Hat man sich aber erst einmal durch knapp die Hälfte des Buches „gekämpft“ ist man so gut mit der Umgebung und den Begebenheiten vertraut, dass man nie droht den Überblick zu verlieren und die Szenerie immer sehr plastisch vor Augen hat.
    Als die ersten Morde passieren beginnt man zwangsläufig mitzurätseln. Und das macht bei diesem Buch wirklich Spaß. Man kann die Auflösung irgendwann durchaus erahnen, aber die Geschichte hält meiner Meinung nach so viele andere Möglichkeiten bereit, dass man sich lange Zeit nicht sicher sein kann.
    Betrachtet man die Entstehungsgeschichte des Buches, dann ist es auch sprachlich erstaunlich gut gelungen, auch wenn man durch die an einigen wenigen Stellen etwas uneinheitliche Ausdruckweise schnell auf den Gedanken kommen kann die Schlesierin aus dem späten 19. Jahrhundert als Verfasserin anzuzweifeln. Was wohl auch der Grund ist, warum dieses Buch relativ schnell als Schüler-Lehrer-Projekt enttarnt wurde.
    Wie swank kann ich nur raten, das Buch schnell zu lesen, denn legt man es einmal weg, verliert man schnell die Motivation weiter zu lesen. Kämpft man sich aber durch die eher langatmigen Passagen kann man sich an einem wirklich stimmungsvollen und gegen Ende richtig spannenden Krimi freuen.


    4ratten

  • November 1817. Der Schriftsteller Jonathan Lloyd reist nach Schottland, sein väterlicher Freund Sir Mortimer Pope hat ihn und einige Dichterkollegen zu einem Autorenwettstreit auf sein Schloss am Loch Ness eingeladen. Eine bunt gemischte Truppe findet sich am Abend des Anreisetages zum Eröffnungsdinner im Speisesaal zusammen, man unternimmt unter der Führung des Hausherrn einen Rundgang durch die ganze Burg mit ihren Geheimgängen, Folterkammern und verborgenen Räumen, garniert mit der unheimlichen Geschichte eines Geistes in der benachbarten Häuserruine und freut sich auf einige gemütliche und bereichernde Tage in dem alten Gemäuer.


    In der darauffolgenden Nacht reißt ein Donnerschlag die Gäste aus dem Schlaf. Die Zugbrücke ist eingestürzt, einer der Gäste verschwunden – und die Häuserruine brennt, wie es der Legende zufolge alle hundert Jahre geschieht.


    Das ist nur der Anfang einer Serie unheimlicher und erschreckender Geschehnisse auf Schloss Boroughmore; irgendwann fürchtet jeder um sein Leben, man verdächtigt sich gegenseitig und unternimmt, als das Schloss durch einen Schneesturm von der Außenwelt abgeschnitten ist, auf eigene Faust Nachforschungen…


    Der Klappentext ließ an einen gruseligen Schauerroman denken. Zum Teil stimmt das auch, ich empfand das Buch allerdings eher als Krimi mit dem klassischen Motiv einer „geschlossenen Gesellschaft“, innerhalb derer mehrere Verbrechen geschehen, vor der unheimlichen Kulisse einer alten Burg mit Geheimgängen und düsterer Geschichte. Es werden einige Genreklischees bedient (düstere Legenden, altes Schloss, Schneesturm, ein unheimlicher Butler, furchteinflößendes Mobiliar), so dass ich mir manchmal nicht sicher war, ob die Überzeichnung beabsichtigt war


    Die düstere Atmosphäre wird gestützt von einer altertümelnden Sprache, die zunächst ein wenig gewollt und befremdlich wirkte, dann aber immer besser zur Handlung passte.


    Der Clou des Buches ist seine Entstehungsgeschichte. Dorothea S. Baltenstein ist beileibe keine Adelige, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Polen lebte und früh verstarb, sondern ist sehr neuzeitlichen Ursprungs (Näheres dazu findet sich auf diversen Websites – hier soll nicht zuviel verraten werden). Aufgrund der sprachlichen Umsetzung wäre mir das ohne dieses Hintergrundwissen allerdings nicht aufgefallen.


    Ein schöner kriminalistischer Schmöker mit angenehmem Schauerfaktor, das Richtige für ungemütliche Wintertage.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ihr macht mir Mut. Ich bin jetzt auf Seite 63, und mir geht die gestelzte Sprache etwas auf den Keks. Aber da scheint frau ja abzustumpfen im Laufe der Geschichte.

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.

  • Ich habe das Buch mittlerweile beendet und fand es durchaus unterhaltsam.

    Besser wäre es aber bestimmt, würde es um 100 Seiten gekürzt.

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.