Irina Korschunow – Ebbe und Flut

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    Zum Inhalt: Jakob Nümann, als Sohn des Hausknechts in einem Grand Hotel in Berlin groß geworden und dort als Kellner beschäftigt, muß wegen Asthma Berlin verlassen und geht zur Erholung auf eine Nordseeinsel. Er bleibt auf der Insel hängen, nimmt dort Arbeit an, heiratet sogar, und eines Tages kann der Traum vom eigenen Hotel auf der Düne dank einer Erbschaft (der reiche Onkel in Amerika) Wirklichkeit werden. Seiner Frau längst entfremdet und in die Schwester seines Hamburger Anwalts verliebt, entledigt sich Jakob seiner Frau mit Hilfe eines Schmierenstücks, und heiratet kurz darauf Sophia, die sich auch mit um das Hotel und die beiden Kinder kümmert. Alles könnte sich also zum Guten fügen, wenn nicht im Gefolge der aufstrebenden Nationalsozialisten die anti-jüdische Hetze auch die Insel und damit Sophia erreichen würde, die sich mit ihrem Bruder schließlich nach Amerika absetzt. Jakob soll eigentlich nachkommen, wenn sie die Lage in Deutschland nicht bessert, aber er hängt zu sehr an seinem Hotel. Die Nazi-Zeit und den Krieg übersteht Jakob lavierend zwischen allen Positionen. Er läßt sich auf Druck von Sophia scheiden und heiratet erneut, er zieht Flaggen auf, aber er hilft auch einem anderen Inselbewohner, der wegen seiner christlichen Überzeugungen verhaftet werden soll, bei der Flucht. Die beiden Kinder sind für ihn eine Enttäuschung: Claire läßt sich zur Opernsängerin ausbilden, Michel malt (aber nichts, was den Machthabern genehm wäre) und gerät deswegen in Schwierigkeiten. Die Nachkriegszeit unter englischer Besatzung läßt das Hotel fast untergehen, aber mit dem Erlös aus einem Hamburger Grundstück, das eigentlich Sophia gehört, gelingt es Jakob noch einmal, das Hotel in alter Pracht wiedererstehen zu lassen. Aber die Insel verändert sich, das Hotel wird von den ringsum emporschießenden Bettenburgen eingekesselt, die erstklassigen Gäste, die immer Jakobs Ziel waren, wenden sich anderen Orten zu. Und die Einheimischen, die ihm von Beginn an geraten hatten, nicht auf der Düne zu bauen, werden bei einer Folge von Sturmfluten auch noch recht behalten.


    Meine Meinung: Vor dem Hintergrund deutscher Geschichte von 1873 bis 1969, die aber im wesentlichen als Folie dient und mit ihren „großen“ Ereignissen nur selten durchkommt, erzählt Korschunow vor allem eine Familiengeschichte. Natürlich wird die Familie von den historischen Gegebenheiten berührt, schließlich fallen zwei große Kriege, Hyperinflation, eine Währungsreform und andere Ereignisse in diese Zeit, aber im Grunde sind diese nur als ferner Hauch spürbar, am deutlichsten noch in den anti-jüdischen Hetzen gegen Sophia, die nicht von allen Dorfbewohnern goutiert, aber auch nicht unterbunden werden (können). Daher wirkt es insgesamt schon befremdlich, daß keine der Hauptpersonen zu großen Gefühlsregungen fähig scheint. Sie handeln wie gewöhnliche Durchschnittsmenschen, alles wirkt sehr alltäglich mit den kleinen und größeren häuslichen Sorgen. Oft wirken sie getrieben oder sogar unberührt von ihrer Umgebung und den Umständen der Zeit. Das mag zwar ausgesprochen realistisch sein, aber dafür lese ich eigentlich keinen Roman, da darf es gerne etwas überzeichneter sein.


    Unterstützt wird dieses „Dahinleben“ zum einen durch eine sehr sachliche, fast distanzierte Sprache, zum anderen durch einen durchgehenden Text ohne Kapitelunterteilungen. Die einzigen Zäsuren bilden Leerzeilen, die einen Anhaltspunkt dafür liefern, daß möglicherweise auch ein Zeitsprung zu erwarten ist. Das hat mich zwar durch das Buch gezogen, aber ich hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, es nicht mehr beiseite legen zu können. Nicht einmal der Tod sympathischer Personen hat wegen der Distanziertheit, die sich auf mich beim Lesen übertragen hat, besondere Emotionen ausgelöst, dabei bin ich mit solchen Szenen eigentlich leicht zu Tränen zu rühren. So habe ich diese Geschichte vor mich hingelesen und letztendlich zugeklappt ohne mehr daraus mitzunehmen, als eine ganz nette Unterhaltung, die aber nicht lange vorhalten wird. Dafür gibt es indifferente


    3ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen