Robert Walser - Der Gehülfe

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    Amazon Kurzbeschreibung
    Die zwischen Aufbegehren und Unterwürfigkeit schwankende Figur des Gehilfen, der im Schatten eines launenhaften Ingenieurs ein kurioses Dasein fristet, hat den Ruhm Walsers bei einer breiten Leserschaft begründet. Vor allem aber ist es der eigentümliche Erzählton, der in seiner vielsagenden Umständlichkeit einen großen Humoristen der Weltliteratur zeigt.


    Die Hauptfigur Joseph Marti muß als Kontorist im Schweizer Ingenieursbetrieb Tobler miterleben, wie das angesehene Bürgerhaus allmählich verfällt, weil der Hausherr mit seinem schrulligen Wesen Firma und Familie in den Ruin treibt. Marti, zwischen Einspruch und Resignation schwankend, einmal naiv, einmal schalkhaft, plötzlich strebsam, dann wieder dem Müßiggang zugeneigt, erweist sich zuletzt als ergebener «Gehülfe» eines Untergangs, den er doch nicht aufzuhalten vermocht hätte. Wirklich konsequent ist am Schluß des Romans allein sein Entschluß, der Toblerschen Villa «Zum Abendstern» den Rücken zu kehren und anderswo sein bescheidenes Glück zu suchen. Bis in biographische Details hinein ist das Buch das persönlichste des Autors. Hermann Hesse urteilte 1936: «Obwohl voll von Stimmungen vom Anfang des Jahrhunderts, gewinnt diese Erzählung uns durch die zeitlose Anmut ihres Vortrags, durch die zart und absichtslos spielende Magie, mit der sie das Alltägliche in die Sphäre der Beseeltheit und des Geheimnisses rückt.» Die Manesse-Ausgabe enthält einen Originalbeitrag des Gegenwartsautors und Walser-Bewunderers Wilhelm Genazino.


    Meine Meinung
    Joseph Marti ist für ca. ein halbes Jahr Angestellter des Ingenieurbüros Tobler. In dieser Zeit muß er den Niedergang des Geschäfts beobachten und versuchen, soviel wie möglich zu retten. Joseph Marti wohnt mit in der Toblerschen Villa und ist mit in die Familie integriert. Die Verknüpfung von Geschäft und Privatleben zeigt deutliche Auswirkungen auf die Familie Toblers.
    Die eigentlich Handlung ist in diesem Buch zweitrangig. Von größerer Bedeutung sind die Beschreibungen von Natur, Menschen und der zwischenmenschlichen Beziehungen. Der Niedergang des Geschäfts ist sprachlich sehr schön in den Wandel der Natur - vom Frühling bis zum Winter - integriert. Die Reflexionen und Selbstzweifel Joseph Martis nehmen einen breiten Raum ein.
    Walsers Sprache ist gewöhnungsbedürftig, aber kraftvoll. Er drechselt oft recht lange Schachtelsätze, die aber mit Genuß zu lesen sind.
    "Der Gehülfe" war eine lohnende Entdeckung für mich (Danke, sandhofer! :winken:). Dafür gibt es 5ratten und das Buch ist eindeutig ein :tipp:

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • "Der Gehülfe" war eine lohnende Entdeckung für mich (Danke, sandhofer! :winken:). Dafür gibt es 5ratten und das Buch ist eindeutig ein :tipp:


    Gerne wieder ;)! Walser gehört für mich zum unverzichtbaren Inventar ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Nachdem ja oben der Inhalt bereits kurz zusammengefasst wurde, kann ich mich auf die Aspekte konzentrieren, die ich für wesentlich halte.


    Dieser 1908 erschienene Roman spielt in der Arbeitswelt und beleuchtet die Probleme, die sich aus der Abhängigkeit eines Arbeitnehmers vom Unternehmer ergeben. Dazu inszeniert Walser ein Kammerspiel mit dem genialen Erfinder und Arbeitgeber Tobler, der jedoch wirtschaftlich nicht erfolgreich ist und seinem kaufmännischen Gehülfen Joseph Marti. Das technische Bureau befindet sich in der Familienvilla, so dass auch Toblers Frau, seine Kinder und die Hausangestellten dort eine Rolle spielen. Marti ist eine Person, die von Gegensätzen geprägt ist und nicht konsistent handelt, wie man es von "klassischen" älteren Romanen her kennt. So sieht er dem wirtschaftlichen Untergang des Hauses auf naive Weise zu, gibt sich dem Müßiggang hin und fragt sich, welche Identfikation ihm diese Arbeit bietet, auf der anderen Seite lehnt er sich auf und schleudert die Wahrheit verbal der Familie entgegen (vor allem deren Doppelmoral), hält diese Einstellung jedoch nicht lange durch. Während Marti also sehr zerrissen und damit "modern" dargestellt wird, wie man es später dann bei Kafka oder in noch größerer Perfektion bei Thomas Bernhard findet, nehmen klassische Naturbeschreibungen einen nicht unerheblichen Raum im Roman ein. Dieser Stilmix irritiert den Leser, die Natur ist noch "heil", während das schöne, anständige Leben nun "entkleidet" wird. Das ist ähnlich gemacht wie viele Jahre später im Film "Das Fest", wo bei einer harmonischen Familienfeier urplötzlich von Kindesmissbrauch geredet wird. Marti ist damit eine faszinierende Figur der Literatur. Die Handlung des Romans ist zwar nur zweitrangig, dennoch lässt die dargestellte Naivität des Protagonisten den Leser ein wenig verzweifeln. Auch die immer wieder dargestellten Geldprobleme und das eingleisige Denkschema des Ingenieurs Tobler wirken etwas platt und nehmen etwas von der Lesefreude.


    4ratten


    Thomas

  • Robert Walser gehört auch zu meinen Lieblingen und den "Gehülfen" schätze ich ganz besonders, weil er von der Machart her zwischen den schwelgerisch-melancholischen "Geschwistern Tanner" und dem sehr kühlen, schon beinahe prä-kafkaesken (Kafka schätzte Walser sehr) "Jakob von Gunten" steht. Wunderbar finde ich vor allem die zahlreichen Brüche im Erzählton, die ganz nebenbei in die vermeintlich einfache Story eingreifen und alles fragwürdig machen - wo genau sind wir eigentlich, da gibt es Widersprüche; was ist das für einer, der Protagonist, und weshalb ist er manchmal auch ein anderer; wer erzählt da und warum tut er das mitunter so eigenartig? Hier ist alles drin, die wunderbare Walsersche Landstreicherästhetik, Gesellschaftskritik, die Frage der Identität, mehr und weniger zuverlässiges Erzählen. Man müsste noch viel mehr sagen, aber glücklicherweise haben das hier ja andere schon vor geraumer Zeit getan. Vielleicht nur noch so viel - wenn man im Leben nur einen Walser lesen möchte, dann doch bitte den Robert!
    5ratten

    Tell all of my friends, I don&#039;t have too many: just some rain-coated lovers&#039; puny brothers. Dallow, Spicer, Pinkie, Cubitt - rush to danger, wind up nowhere.<br />Patric Doonan - raised to wait. I&#039;m tired again, I&#039;ve tried again...<br />and now my heart is full. Now my heart is full and I just can&#039;t explain, so I won&#039;t even try to.<br />(Morrissey)

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