Jonathan Swift - Gulliver's Travels / Gullivers Reisen

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    Der Arzt Lemuel Gulliver geht um 1700 auf vier große Reisen. Auf der ersten erleidet er Schiffbruch und landet auf den verfeindeten Inseln Lilliput und Blefuscu, auf denen Menschen im Westentaschenformat leben. Auf der zweiten Reise kommt er mit seiner Mannschaft vom Kurs ab und landet in Brobdingnag, wo er selbst plötzlich Westentaschenformat hat. Auf der dritten Reise fällt sein Schiff Piraten in die Hände und er wird auf einem öden Eiland ausgesetzt, über das sich aber glücklicherweise bald die fliegende Insel Laputa schiebt, die von einzig der Mathematik und der Musik verschriebenen Menschen bevölkert ist. Auf der vierten Reise schließlich wird gegen den inzwischen zum Kapitän aufgestiegenen Lemuel Gulliver gemeutert und er wird im Land der Houyhnhms, sprechender und vollkommen rational denkender Pferde, ausgesetzt.


    Die vier Reiseberichte sind kurzweilig und mit viel Humor erzählt. Man merkt Jonathan Swift das gerade vergangene 17. Jahrhundert übrigens noch an, denn in seinem Buch wird durchaus noch in sehr barock unzimperlicher Weise auf den Körper Bezug genommen. Nichtsdestoweniger verweist vor allem die letzte Periode schon auf das aufziehende Zeitalter der Aufklärung. Die Houyhnhms nämlich werden von Gulliver als die Krone der Schöpfung angesehen. Sie sind so perfekt, dass sie noch nicht einmal das Wort opinion kennen, ja nicht einmal krank werden, denn Krankheiten resultieren nur aus unvernünftiger Ernährung.


    Natürlich sind Swifts Betrachtungen der verschiedenen Gesellschaften und vor allem seine Kritik an der menschlichen Gesellschaft, die von Reise zu Reise immer deutlicher wird, häufig wenig differenziert. Aber Gulliver's Travels ist - bei aller formalen Anlehnung - eben kein Staatsroman, sondern eine Groteske. Insofern gehören die grellen Überzeichnungen zu ihr, die aber auch die Lesbarkeit gegenüber den herkömmlichen Staatsromanen deutlich erhöhen.


    Ärgerlich fand ich die vielen Tippfehler in der Pengouin-Ausgabe, vor allem im vierten Teil. Da ist der Lektor am Ende wohl über den Fahnen eingeschlafen.

    Einmal editiert, zuletzt von nimue ()

  • Vor Kurzem hatte ich wieder das Vergnügen, in die so sympathisch anmutende Welt Swifts einzutauchen. Es ist schon erstaunlich, wie frisch und unverbraucht dieses Buch die Jahrhunderte überdauert hat! :smile:


    Gerade die Lektüre von anderen, bereits im 19. Jahrhundert geschriebenen, utopischen Werke ähnlichen Inhalts zeigt mir deutlich, wie bedeutend der Beitrag von Swift ist. Dabei strotzt das Buch nur so von Humor, verführt uns mit seiner Doppledeutigkeit, vergnügt mit seinen Gedankenspielen. Well done, Mr. Swift! :klatschen:

    Gesegnet diejenigen, die nicht gegoogelt haben, und dennoch glauben.

  • Die meisten von uns dürften bereits als Kinder eine gekürzte Fassung dieses Werkes kennen gelernt haben, die sich auf die Erlebnisse Gullivers im Land Lilliput beschränkt. Ursprünglich ist die wesentlich umfangreichere Erzählung aber für Erwachsene geschrieben, was in den vielen angesprochenen Themen wie Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft deutlich wird.


    Der Kosmopolit Gulliver landet meist als Schiffbrüchiger in den jeweiligen Welten, eignet sich innerhalb kürzester Zeit die Landessprache an und wird in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen willkommen geheißen. Außer Lilliput, durch das der Begriff der Lilliputaner geprägt wurde, lernt man noch weitere Länder kennen: Die Insel Brobdignag, auf der Riesen leben, die Königreiche Laputa, Balnibarbi, Luggnagg und Glubbdubdrib oder die Pferderepublik der Houyhnhnms. In Lilliput und Brobdignagg muss Gulliver aufgrund der unterschiedlichen Größenverhältnisse zu den Bewohnern so manche Abenteuer bestehen, während in den anderen Ländern eher geistige Fähigkeiten gefragt sind. Mir gefielen am besten die Schilderung der Pferderepublik, in der edle Pferde herrschen, die sich als Sklaven die Yahoos (!) halten, die für mich eine erstaunliche Ähnlichkeit mit den Neandertalern aufweisen, und die Akademie von Lagado, in der sich Wissenschaftler mit allerlei bizarren Erfindungen beschäftigen.


    Jonathan Swift (1667 – 1745) schrieb den Roman weniger, um zu unterhalten, sondern um der damaligen Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Er lässt seine Figuren den Sinn von Kriegen anzweifeln, beschreibt anschaulich die Vorgehensweise der Advokaten, die schon damals ihren Profit an erster Stelle sahen, oder zieht Politiker und Gelehrte in Lächerliche. Der Schuss ging allerdings nach hinten los – die Leser empfanden die Geschichten als amüsant und machten sich weniger Gedanken darüber, dass ihre eigene Lebensanschauung als fragwürdig dargestellt wird.


    Meine Ausgabe von Gullivers Reisen ist illustriert mit zahlreichen Bildern und Skizzen von Grandville (französischer Karikaturist) aus dem Jahr 1838 und zusammen mit den schon leicht vergilbten Seiten kam beim Lesen das Gefühl auf, das einen so alten Klassiker (erschienen 1726) richtig zur Wirkung kommen lässt. Einige der angesprochenen Themen haben auch heute von ihrer Aktualität nichts eingebüßt, und die Mischung aus Fantasie, Realität und Satire macht das Buch zu einer abwechslungsreichen und amüsanten Lektüre.


    4ratten

  • Hallo Doris,


    eine schöne Rezi :smile: , die mich wieder an ein Buch erinnert, dass ich unbedingt lesen möchte. Auch ich kenne bis jetzt nur die gekürzte Kinderausgabe. Um so interessanter wird es für mich die ungekürzte Fassung lesen zu können.


    Liebe Grüße
    wolves

  • Jonathan Swift: Gullivers Reisen


    Hallo zusammen,
    dieses Buch ist schon Thema zweier Threads, die sich allerdings nur Unteraspekten des Werks widmen, deshalb erlaube ich mir, anlässlich der Leseweltreise, meine Besprechung in ein eigenes Thema zu stellen, wo sich dann alle zu den vielfältigen Aspekten des Werks äußern können.


    Über dieses Buch eine Besprechung zu schreiben ist fast ein wenig widersinnig, denn es sind schon ganze Bibliotheken zu diesem Klassiker der britischen Literatur erschienen.
    Dennoch nun meine ganz persönlichen Anmerkungen:


    Die Romansatire des irischen Theologen Jonathan Swift erschien 1726 in England und wurde in kurzer Zeit eines der berühmtesten Werke der Weltliteratur und in verkürzter Form ein Kinderbuchklassiker, den ein großer Teil der Kinder vieler Kulturen zu ihrem Leseschatz zählten und zählen.


    Zum Inhalt:
    Lemuel Gulliver, ein Wundarzt, versieht seinen Beruf gerne auf Schiffen während weiter Reisen. Diese Reisen führen ihn jedoch immer durch unterschiedlichste Unglücke wie Schiffbruch, vergessen werden beim Wasserholen, Meuterei zu den seltsamsten Völkern.
    Zunächst lernt er das kleine Inselvolk der Liliputaner kennen, die ihn zunächst fesseln und einsperren, ihn aber später als hilfreich kennen lernen, indem er sie z.B. vor dem Flottenangriff des ebenfalls kleinwüchsigen Nachbarvolkes rettet, weil er die ganze Flotte an einigen dünnen Fäden, ihren Tauen, aus deren Hafen kapert. Dann löscht er noch einen Schlossbrand auf allerdings unfeine Weise, indem er seine körpereigene Feuerspritze benutzt, wodurch er sich die Feindschaft der Monarchin zuzieht. Weitere Intrigen führen dazu, dass er schließlich die Insel in einem selbstgebauten Boot verlässt.
    Die nächste Reise führt ihn auf die Halbinsel Brobdingnag, wo er selbst zum verwöhnten Winzling der Riesenrasse wird. Waren schon die Liliputaner in einigen Bereichen den Menschen an Ethik überlegen und in den meisten anderen Bereichen ihr Zerrbild, so sind die Brobdignanger zwar in den Augen des Winzlings Gulliver äußerlich hässlich, weil alles Abstoßende am Menschen bei ihnen in riesenhafter Vergrößerung zu sehen ist, ihnen allerdings in Bezug auf die Regierung und Verwaltung moralisch weit überlegen. Gulliver wird schließlich nach vielen gefahrvollen Abenteuern, die aus seiner Winzigkeit resultieren, in seinem Puppenhäuschen von einem Riesenadler entführt und über dem Ozean abgeworfen, wo ihn zufällig ein englisches Schiff auffischt.
    Bei der dritten Reise gelangt er in ein Sammelsurium kleinerer Inselreiche, durch deren Bewohner beispielsweise die Forschungshysterie des 18. Jahrhunderts oder der Wunsch nach ewigem Leben karikiert wird.
    Schließlich führt ihn seine letzte Reise, die in den Kinderbüchern zumeist fehlt, zu dem edlen Volk der Houyhnhnms, vernunftbegabten Pferden, die zu Sklaven die vertierten Yahoos haben, Menschen mit abstoßendem, tierischem Verhalten. Hier lernt Gulliver die Weisheit seiner Herrenrösser schätzen, die sich allerdings in den engen Grenzen einer aufgeklärten Oligarchie hält, was ihn für das weitere Leben unter den abstoßenden Yahoos, als welche er die Menschen auch nach seiner Rückkunft wahrnimmt, ungeeignet macht, sodass er sich in seinen Stall zu seinen beiden Pferden zurückzieht.


    Meine Meinung:


    Eine großartige Satire, die man unbedingt in einer ungekürzten und kommentierten Fassung lesen sollte. Kinder bekommen nur die märchenhaften Erlebnisse mit und vielleicht den aufklärerischen Grundton, aber erst später kann man die ganze Breite dieses literarischen Kosmos erahnen. Das Werk ist in mehrfacher Hinsicht satirisch gebrochen: Die Liliputaner, Brobdignanger usw. stellen selbst Zerr- oder Vorbilder der Menschenwelt dar, aber auch Gullivers Verhalten und Darstellungen der Menschenwelt gegenüber seinen diversen Gastgebern wirft satirische Lichter nicht nur auf die damalige Gesellschaft. Dazu kommt noch, dass selbst die edelsten Vertreter und Vorbilder, die Houyhnhnms, nicht frei sind von Selbstgefälligkeit und hierarchischen Strukturen.


    Dieses Buch sollte so viele Leser wie möglich finden, denn es lässt uns auf unterhaltsame Weise den Yahoo in uns entdecken!


    HG
    finsbury

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()

  • Hier auch noch meine Rezension:


    Den Seefahrer Gulliver verschlägt es auf seinen Reisen eigentlich in vier verschiedene Länder, in dieser Ausgabe sind seine Reisen in das Land der Riesen und das Land der Liliputaner gesammelt. Im Land der Liliputaner ist er der Riese, er wird zuerst als Feind behandelt und eingesperrt, wird dann aber ein Günstling des Königs und besonderer Freund. Schnell stellt sich heraus, dass der König mit dem Riesen, in dem er eine besondere Waffe sieht, vor hat, das Nachbarland zu unterwerfen. Doch Gulliver will nicht Schuld daran haben, dass ein Land in Sklaverei geführt wird, er weigert sich und flieht.


    Zuerst macht er kurz in England, seiner Heimat Halt, doch dann verschlägt es ihn in das Land der Riesen. Dort ist er der Kleine, doch auch dort nimmt man ihn freundlich auf. Er ist eine Besonderheit, deshalb baut ihm der Tischler des Riesen, der ihn gefunden hat, eine Kiste, ausgestattet mit allem, was er braucht. Dort lebt Gulliver und wird bald zum Freund der Tochter des Riesen. Sie bringt ihm die Sprache der Riesen bei und begleitet ihn ständig. Doch eines Tages lässt sie die Schachtel mit Gulliver am Strand stehen und entfernt sich davon. So bemerkt sie nicht, dass sich ein Adler nähert und die Kiste in seinem Schnabel wegträgt. Doch der Adler lässt die Kiste fallen, mitten ins Meer.


    Gulliver wird von Seefahrern gerettet, die sich natürlich über das schwimmende Haus sehr wundern und Gulliver seine Geschichten anfangs nicht abnehmen. Doch der Held hat riesige und winzig kleine Beweisstücke von seinen Reisen mitgebracht.


    Jonathan Swift hat mit diesem Werk keineswegs eine Kindergeschichte geschrieben. Sie wurde nur als solche verkauft, um der Zensur seiner Zeit aus dem Weg zu gehen. Denn eigentlich steckt mehr als nur ein wenig Gesellschaftskritik in Swifts Werk, der Misanthrop war, aber eigentlich Bischof werden wollte. Er beschreibt spannend und auch ironisch die Abenteuer des einmal sehr großen und einmal sehr kleinen Held Gulliver. Gehört nicht in jedes Kinderzimmer, dafür aber in den Bücherschrank Erwachsener.
    --------------------------------------------------------------------------------


    Taschenbuch: 464 Seiten
    Verlag: Insel, Frankfurt; Auflage: 15., Aufl. (Januar 1996)
    Sprache: Deutsch
    ISBN-10: 3458317589


    4ratten

  • Jonathan Swift hat mit diesem Werk keineswegs eine Kindergeschichte geschrieben. Sie wurde nur als solche verkauft, um der Zensur seiner Zeit aus dem Weg zu gehen.


    Nein, es ist kein Kinderbuch. Aber kannst Du mir für diese Behauptung, das Buch sei als solches verkauft worden, eine Quelle nennen, bitte? Ich finde weder in im Vorwort meines Pinguins noch im Kindler noch im Internet so auf die Schnelle einen Hinweis dafür und höre hier zum ersten Mal davon. Danke schon im voraus!

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Ich habe eine "genehmigte Lizenzausgabe in Zusammenarbeit mit J&H International" von 1983 mit einem Nachwort (bzw. "Über den Autor"), dem man dies entnehmen kann. Wer dieses Nachwort geschrieben hat, ist für mich leider nicht ersichtlich. Das Buch hab ich vom Flohmarkt, scheint eine alte Clubausgabe oder sowas zu sein.

  • Wer dieses Nachwort geschrieben hat, ist für mich leider nicht ersichtlich.


    Danke! :winken:


    Schade. Ich liebe diese Art von Informationen. Vielleicht weiss ja sonst jemand eine Quelle dafür? *hoff*

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Nein, es ist kein Kinderbuch. Aber kannst Du mir für diese Behauptung, das Buch sei als solches verkauft worden, eine Quelle nennen, bitte?


    In der DDR ist eine gekürzte Version als "Alex Taschenbuch" im Kinderbuchverlag Berlin erschienen (Lizenznummer 304-270/374/81-261 [ISBN gab's wohl keine dafür :confused:], 2. Auflage, 1981)

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • In der DDR ist eine gekürzte Version als "Alex Taschenbuch" im Kinderbuchverlag Berlin erschienen (Lizenznummer 304-270/374/81-261 [ISBN gab's wohl keine dafür :confused:], 2. Auflage, 1981)


    Dass Gulliver's Travels bearbeitet als Kinderbuch erschienen, ist mir schon bekannt. (Ich habe ihn ja selber so kennen gelernt. Ebenso den Robinson Crusoe. Doch das ist ein anderes Kapitel.) Nur dass bereits Swift oder sein Verleger den Text zur Tarnung als Kinderbuch herausgegeben haben sollen, höre ich zum ersten Mal. Und, ehrlich gesagt, erscheint es mir sehr unwahrscheinlich, dass mein Pinguin, der viele zeitgenössische Reaktionen zitiert, so etwas nicht erwähnt hätte.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Im Vorwort der Oxford World´s Classics Ausgabe findet sich auch kein Hinweis darauf (ich habe es allerdings jetzt nur kurz überflogen). Wäre wirklich interessant herauszufinden, worauf sich diese Aussage stützt.


    Viele Grüße
    thopas


  • Dass Gulliver's Travels bearbeitet als Kinderbuch erschienen, ist mir schon bekannt.


    Sorry, war wohl nur mit einer Hirnhälfte bei der Sache und habe die Frage mißverstanden. :redface:.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Tut mir leid, ich weiß auch nicht, obs stimmt. Ich habs halt einfach für bare Münze genommen :zwinker:


    Sollte ja auch kein Vorwurf sein. Vielleicht stimmt's sogar. Aber in solchen Fällen mag ich nachprüfbare Fakten ;) ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Sollte ja auch kein Vorwurf sein. Vielleicht stimmt's sogar. Aber in solchen Fällen mag ich nachprüfbare Fakten ;) ...


    So war es auch von mir gemeint. :winken:


    Das ist das Problem bei Einleitungen/Vorworten/Nachworten etc. in Büchern, bei denen kein Autor angegeben ist (und natürlich auch keine Quellenangaben, wo er diese Info her hat). Da kann man dann gar nicht wissen, ob sich das einer nur ausgedacht hat, oder ob es auf Fakten basiert. Schade, daß der Leser da so bevormundet wird :sauer:

  • Ich sollte wirklich aufhören, Bücher zu lesen, die älter als 100 Jahre sind. Ich scheine mit dieser Art von Literatur nicht kompatibel zu sein. (Gut, ich bin auch mit einer Menge heutiger Literatur nicht kompatibel, aber da fällt wenigstens der Faktor "andere Zeiten" raus.)


    Ich war von Swifts Gulliver nicht sonderlich begeistert. Was er an der damaligen Zeit kritisiert, hat auch heute in den meisten Fällen noch Gültigkeit. Satire allein ist in Ordnung, wenn es sich dabei um einen Artikel in einem Magazin oder einer Zeitung handelt. Aber wenn man ein ganzes Buch über Missstände publiziert, wäre es noch nett, wenn Lösungsansätze dabei wären. Sonst wirkt das ein wenig wie das Gebrabbel an den Stammtischen dieser Welt – wenn auch auf höherem Niveau.


    Inhalt:
    Lemuel Gulliver ist ausgebildeter Wundarzt und fährt auf Handelsschiffen um die Welt. Auf vier seiner Reisen verschlägt es ihn in Länder, die noch kein Europäer vor ihm gesehen hat. Das bekannteste dieser Länder dürfte Lilliput sein, in dem die Menschen nur rund 15 Zentimeter gross werden und die Gulliver entsprechend als Riesen einschätzen.
    Gerade umgekehrt geht es ihm in Brobdingnag, wo die Menschen riesig sind und er sich so klein vorkommt, wie es die Lilliputaner bei seinem Anblick empfunden.
    Die dritte Reise führt ihn auf die fliegende Insel Laputa, wo die Menschen normal gross und sehr gebildet sind, aber über wenig Solzialkompetenz verfügen und sich den ganzen Tag mit Mathematik und Musik beschäftigen.
    Auf seiner letzten Reise landet Gulliver im Land der Houyhnhnms, einer intelligenten und äusserst kultivierten Pferderasse, die sich affenartige Yähus als Arbeitstiere halten.


    Meine Meinung:
    «Gullivers Reisen» wird gerne als Satire auf das damalige Grossbritannien angepriesen. Nun kenne ich mich mit dem Grossbritannien der damaligen Zeit so halbwegs aus, musste aber feststellen, dass die meisten Anspielungen, zumindest auf konkrete Personen oder Ereignisse, unbemerkt an mir vorübergingen. Also wieder mal ein Buch, dessen ganze inhaltliche Pracht sich erst mit Hilfe von Sekundärliteratur erschliesst, was ich wenig erfreut zur Kenntnis nehme. Also muss ich mich mit dem begnügen, was aus dem Stand zu verstehen ist. Und da begreife ich nicht, wieso dieses Buch eine Satire auf ein bestimmtes Land zu einer bestimmten Zeit sein sollte. Es kam mir eher wie ein satirischer Blick auf die Schwächen der (höhergestellten) Menschen vor, gültig zu allen Zeiten und anwendbar auf Regierungen und Firmenführungsetagen gleichermassen.


    Unter dem Aspekt ists nicht schlecht und für Swifts Zeit vielleicht sogar revolutionär, aber ich schwankte beim Lesen immer ein wenig zwischen Verwunderung und Ärger. Da macht sich Swift einerseits über die Experimente der Wissenschaftler lustig, andrerseits ist er sich aber nicht zu schade, die Wissenschaft zu zitieren. So haben die Laputier laut Swift zwei Monde des Mars entdeckt. Ob es diese wirklich gibt, konnte Swift nicht wissen – sie wurden im realen Leben erst 1877 entdeckt. Der Astronom Johannes Kepler (er lebte vor Swifts Zeit) hatte allerdings Vermutungen darüber angestellt, dass es die Monde geben müsse und daher hatte Swift wohl die Inspiration.


    Aber eben, auf der anderen Seite machte er sich über die Wissenschaftler seiner Zeit lustig und zwar in einer Art, in der sie es nicht verdient hatten. Auch wenn Swift das anders gesehn haben mag. Er hat die Bedeutung der damaligen Errungenschaften wohl falsch eingeschätzt. Die Frage ist, ob er es besser hätte wissen können oder ob er einfach über alles gespottet hat, was er nicht verstand.


    Swift hat mit seiner Kritik grundsätzlich schon recht und viele Schwachpunkte, die er in dem Buch aufzeigt, sind Dinge, über die ich mich auch schon geärgert habe. Allerdings spottet er nur über die Defizite von Führungspersonen, er hinterfragt sie nicht und zeigt auch keinen Weg auf, wie es besser sein könnte. Versteckte Appelle an die Vernunft war das einzige, das ich in dieser Richtung entdecken konnte. Auch nicht grade viel. Swift kommt mir vor wie ein Hofnarr, der zwar lästert und spottet, aber selber keine besseren Ideen hat.


    Auch unter dem Unterhaltungsaspekt ist das Buch eher ein lauwarmes Gebräu. Die Welten, in die Gulliver gerät, sind zwar sehr fantasievoll und die Beschreibungen sind recht unterhaltsam. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, viermal dieselbe Geschichte zu lesen: Gulliver gerät unter fremdes Volk, hat eine erste unangenehme Begegnung mit den Einheimischen, ordnet sich unter, lernt die Sprache und die Kultur kennen und haut Jahre später unter Tränen wieder ab. Kein Wunder, ist das Werk heute auch als Kinderbuch sehr beliebt, so einfach, wie es gestrickt ist.


    Fazit:
    Im letzten Kapitel steht, an den Leser gerichtet, «Mein Hauptzweck war nämlich, dich zu belehren, aber durchaus nicht, dich zu unterhalten.» Nun ja, er hat das zweite trotz gegenteiliger Absicht besser hinbekommen als das erste. Aber beides nicht so richtig gut. Trotzdem: Langweilig war das Buch eher selten, daher die etwas wohlwollende Bewertung.


    6 von 10 Punkten

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Vielen Dank, Alfa. Deine Klassiker-Rezensionen finde ich immer wieder spannend zu lesen :klatschen:

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.