[Türkei] Yaşar Kemal – Memed mein Falke

Es gibt 10 Antworten in diesem Thema, welches 7.454 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von odenwaldcollies.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Inhalt: Der Großgrundbesitzer Abdi Aga herrscht über fünf Dörfer am Rande des Taurusgebirges. Der Boden ist schlecht, nur Disteln wachsen dort, so daß die Menschen sich nur recht und schlecht durchbringen, und Abdi nimmt sich jedes Jahr noch zwei Drittel der Ernte. Die vielen Ungerechtigkeiten veranlassen den Jungen Memed, von zu Hause fortzulaufen. Ein halbes Jahr verbringt er in einem anderen Dorf, in einer anderen Familie und könnte dort ein gutes Leben führen, aber es zieht ihn doch in die Nähe seines Dorfes, weil er sich Sorgen um seine Mutter macht. Er wird entdeckt, zwangsweise zurückgeholt und muß künftig noch härter arbeiten, weil Abdi Aga Memed und seiner Mutter nun drei Viertel der mageren Ernte abverlangt. Ein paar Jahre später kommt es zu einer weiteren Eskalation. Memed und Hatçe, ein Mädchen aus dem Dorf, lieben sich seit Kindesbeinen, aber das Mädchen soll Abdi Agas Neffen heiraten. Memed und Hatçe fliehen, werden aber von einem Verfolgertrupp gestellt und Memed verletzt Abdi Aga und erschießt dessen Neffen. Zurück kann er nun nicht mehr, er flieht in die Berge, wo er sich einer Räuberbande anschließt. Aber er überwirft sich schließlich mit dem Bandenführer und macht mit wenigen Verbündeten auf eigene Faust weiter. Als Plage der mächtigen Agas findet er viel Unterstützung in den Dörfern. Zwei große Ziele hat er: Abdi Aga zu töten und seine geliebte Hatçe, die nach Falschaussagen von Abdi Agas Männern zu der Schießerei auf ihrer Flucht mit Memed im Gefängnis sitzt, dort herauszuholen.



    Meine Meinung: Robin Hood auf türkisch. So läßt es sich etwas vereinfachend zusammenfassen, und solche Geschichten haben es bei mir recht leicht, weil ich sie gerne mag – da kommt meine revolutionär-romantische Ader zum Tragen :breitgrins: Ganz so einfach ist es aber natürlich nicht, denn Memed und Robin unterscheiden sich ganz erheblich. Memed kommt vom unteren Ende der sozialen Skala, er ist nicht edelmütig, sondern vielmehr teils ein Getriebener seiner eigenen, vor allem aber fremder Handlungen, teils wirklich einfach ein rücksichtsloser Räuber. Im Vergleich zu seinem ersten Bandenführer kommt er zwar gut weg, aber er schaut durchaus auf seinen eigenen Vorteil. Seine Rache an den Agas entspringt höchst persönlichen Rachemotiven, es geht viel um (tatsächlich oder vermeintlich) verletzte Ehre. Und genau darin ist vieles, was für mich nur schwer erträglich ist, auch wenn es im Rahmen dieser Geschichte im großen und ganzen zu nachvollziehbaren Reaktionen führte – es mag in diesem Sinne sehr „typisch“ türkisch sein.


    Im Gegensatz zu anderen türkischen Büchern hat mir dieses hier aber trotz dieser Ferne in der leitenden Motivation der Charaktere gut gefallen, was wesentlich auch daran lag, wie Kemal es erzählt hat: ohne – angesichts der grausigen Verhältnisse auch nicht geeignetes – Pathos und mit passender, einfacher (aber nicht simpler) Sprache. Erschreckend war für mich vor allem die Machtfülle und Selbstherrlichkeit, mit der die Großgrundbesitzer die Bauern ausbeuten, hintergehen und betrügen. Daß Kemal mit Memed gerade auch in dieser Beziehung einen Nerv getroffen hat, zeigt sich daran, daß Ende der 1970er Jahre in der Region der Romanhandlung Bauern eine Landbesetzung damit begründeten, schon Memed habe so gehandelt. Memed war von einer Romanfigur binnen zwanzig Jahren zu einer Realität für die Menschen geworden ...


    4ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen

    Einmal editiert, zuletzt von Aldawen ()

  • Schön, dieses Buch in einem deutschen Bücherforum zu finden. Ich habe es vor Jahren gerne gelesen und mir fiel auch spontan das Wort "türkischer Robin Hood" ein. Wie Aldawen erwähnt sind die Unterschiede sicherlich von den verschiedenen Mentalitäten her zu verstehen. Die Beschreibung der ländlichen Armut macht betroffen...

    Gruß, tom leo<br /><br />Lese gerade: <br />Léonid Andreïev - Le gouffre<br />Franz Kafka - Brief an den Vater<br />Ludmila Ulitzkaja - Sonjetschka

  • Der Mehmed subbt bei mir schon seit Jahren. Irgendwie fehlte immer der letzte Anstoß, das Buch doch jetzt tatsächlich endlich mal aus dem Regal zu nehmen, aber diese schöne Rezension könnte es dem Gelesen-werden ein gutes Stück näher bringen.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Ich geb auch noch ein bisschen Senf dazu:


    "türkischer Robin Hood" wäre auch meine Beschreibung in 3 Worten gewesen. Ich habe es schon vor vielen Jahren gelesen, aber immer noch in guter Erinnerung. Memed 2 (Die Disteln brennen) war nicht ganz so gut, aber immer noch angenehm zu lesen. Am 3. Teil (Das Reich der 40 Augen) bin ich verzweifelt und beinahe vor Langeweile verstorben und an den 4. Teil (Der letzte Flug des Falken) habe ich mich danach nicht mehr dran getraut... :redface:


    :winken:
    illy


    (@ Aldawen: Hättest du Interesse an den Folgebüchern, ich könnte sie dir dann nach Kölle mitbringen ?)


  • (@ Aldawen: Hättest du Interesse an den Folgebüchern, ich könnte sie dir dann nach Kölle mitbringen ?)


    Oh, da sag ich nicht nein, interessieren würden sie mich nämlich durchaus. Danke schön! :winken:

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Yaşar Kemal, Memed mein Falke
    Taschenbuch-Ausgabe vom Unionsverlag
    9.90 €, 352 Seiten
    Originaltitel: İnce Mehmed
    Besonderheiten: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1997



    Yaşar Kemal, 1923 in der Provinz Adana geboren, gehört wohl zu den bedeutendsten zeitgenössischen Schriftstellern der Türkei. Außerdem ist er immer ein kritischer Beobachter seines Landes u.a. in Bezug auf die Wahrung der Menschenrechte, was ihm nicht nur einmal - von Seiten des türkischen Staates - übelgenommen wurde.
    Seinen Roman "Memed mein Falke" veröffentlichte er bereits 1955 - seitdem bekam er zahlreiche internationale Auszeichnungen für sein Werk, so zum Beispiel den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1997.


    Memed ist ein einfacher Bauernjunge, der aus Wut und Verzweiflung gegen den diktatorischen Großgrundbesitzers seines Dorfes aufbegehrt, seine Geliebte, die einen anderen heiraten soll, entführt und als Flüchtiger versteckt leben muss.


    Kemals Roman, eine Art tükische Robin-Hood-Story, wurde schon bald zu einer Legende: in den türkischen Kaffeehäusern wurde Memeds Geschichte vorgelesen, wandernde Sänger erzählten sie nach...


    Yaşar Kemal kann großartig erzählen! Alleine die Landschaft der Çukurova, die fruchtbare Tiefebene zwischen Taurusgebirge und Meer, beschreibt er seitenweise so wunderschön, dass sie vor dem geistigen Auge entsteht. Memed und sein Leben schildert er voller Leidenschaft, die Verhältnisse der Dorfbevölkerung unter ihrem Patriarchen, dem Ağa (= Großgrundbesitzer), so drückend und voller alltäglicher Details, dass man die äußerst harten Bedingungen fast nachfühlen kann...
    Ich weiß nicht, wie oft ich "Memed mein Falke" gelesen habe, fünf-, sechsmal?! Bei manchen Passagen glaube ich, die Zeilen schon fast beim Lesen mitsprechen zu können und doch, ja, ich werde dieses Buch noch öfter als einmal lesen - weil mich die Erzählfreude schlicht und ergreifend umwirft und die Sozialkritik, die Form, mit der Yaşar Kemal diese an uns LeserInnen heranträgt, einfach unglaublich gelungen ist.
    "Memed mein Falke" ist ein Buch, das mich auch nach mehrfachem Lesen immer noch berührt.


    Fazit: Ein beeindruckendes Erzähltalent und eine berührende Geschichte! :tipp:


    Liebe Grüße
    dubh


    [size=7pt]PS. Die Rezension nur deshalb, weil ich das Buch dieser Tage erneut gelesen habe und mal wieder missionarischen Eifer verspüre... :breitgrins:[/size]

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Mir hat die Geschichte von Memed auch gut gefallen, aber deshalb brauchen wir doch trotzdem keinen Parallelthread zu diesem hier, oder? Bestimmt ist irgendein Mod so nett, und führt das zusammen :winken:


    Schönen Gruß,
    Aldawen


    EDIT: Schon erledigt :zwinker: LG Ingroscha

    Einmal editiert, zuletzt von Ingroscha ()

  • Uuups, sorry! Aber warum hat die Suche den von Dir begonnenen Thread nicht ausgespuckt? :gruebel: Da kamen zwar reichlich Vorschläge, aber das waren zumeist SuB-Notizen oder "Im ... gelesen"-Threads...
    Versteh ich nicht.


    Schöne Grüße
    dubh


    Edit: Hab es eben nochmal versucht: "Yaşar Kemal" in der Suchleiste ergibt alle möglichen Ergebnisse, aber der ursprüngliche Thread von Dir, Aldawen, taucht nicht auf!?

    Liebe Grüße

    Tabea

    Einmal editiert, zuletzt von dubh ()

  • Hm, das kann ich Dir leider auch nicht sagen, nach welchen Kriterien die Suchfunktion entschieden hat, den von mir gestarteten Thread bei Deiner Suche nicht anzuzeigen.


    Ratlose Grüße,
    Aldawen

  • Hallo!


    Ich habe mich auch an diesen "Nationalepos" herangewagt. Thematisch fallen mir solche Geschichten eher schwer. Es scheint in einer ganz anderen Welt zu spielen, und v.a. wirkt es stets so, als sei es eine Geschichte des tiefsten Mittelalters. Schlimm wird es also dann, wenn man sich vor Augen führt, dass die Geschichte im 20. Jahrhundert spielt. Da verhungern Menschen, werden von Großgrundbesitzern unterdrückt und erschlagen, da gibt es Zwangsehen und Blutrache. Und wenn man ein wenig weiter denkt, dann merkt man eben auch, dass das schockierende nicht ist, dass es im 20. Jahrhundert spielt, sondern dass das alles Themen sind, die auch im 21. Jahrhundert noch eine Rolle spielen.


    Den Stil fand ich teilweise etwas anstrengend - nicht, weil die Sprache kompliziert war, sie war mir eher zu simpel und damit fast etwas langweilig. Von den menschlichen Abgründen, die aufgezeigt wurden, halte ich nicht viel - weder vom Gebaren des Abdi Aga noch von Memeds "Auge um Auge"-Taktik. Vielleicht hätte das Buch größere Beachtung verdient (ich weiß, es wurde geehrt und übersetzt), aber eben nicht nur in Bezug auf die Sozialkritik, die zweifelsohne und sehr eindringlich dargestellt wird, sondern auch in Bezug auf die Einstellungen aller Beteiligten.


    Deshalb völlig neutrale drei Ratten (weder ein schlechtes Buch noch ein (für mich) herausragendes)
    3ratten


    Grüße!

  • Meine Meinung:


    Jahrelang lag das Buch ungelesen im Regal - gut, daß ich das nun geändert habe. Nachdem ich es einmal begonnen hatte, habe ich es fast nicht mehr auf die Seite gelegt, so gut war es zu lesen. Der Stil ist nicht ganz modern, was jedoch nicht verwundert, wenn man bedenkt, daß das Buch 1955 in der Türkei herausgegeben wurde.



    Yaşar Kemal kann großartig erzählen! Alleine die Landschaft der Çukurova, die fruchtbare Tiefebene zwischen Taurusgebirge und Meer, beschreibt er seitenweise so wunderschön, dass sie vor dem geistigen Auge entsteht. Memed und sein Leben schildert er voller Leidenschaft, die Verhältnisse der Dorfbevölkerung unter ihrem Patriarchen, dem Ağa (= Großgrundbesitzer), so drückend und voller alltäglicher Details, dass man die äußerst harten Bedingungen fast nachfühlen kann...


    Das übernehme ich für mich zu 100%. Ich habe ebenfalls mit Memed und der Dorfbevölkerung mitgelitten und konnte seine wachsende Verzweiflung sehr gut verstehen. Und doch empfand ich das Buch nicht als "verzweifelt", sondern es gab auch viele schöne Momente und Freunde, die sich als wahre Freunde bewiesen haben.



    Daß Kemal mit Memed gerade auch in dieser Beziehung einen Nerv getroffen hat, zeigt sich daran, daß Ende der 1970er Jahre in der Region der Romanhandlung Bauern eine Landbesetzung damit begründeten, schon Memed habe so gehandelt. Memed war von einer Romanfigur binnen zwanzig Jahren zu einer Realität für die Menschen geworden ...


    Wow ... danke für diese Info.


    4ratten

    Liebe Grüße

    Karin