Julien Green - Leviathan

Es gibt 3 Antworten in diesem Thema, welches 3.117 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Sue.

  • Die Geschichte spielt wie oft bei Green in einem verschlafenen französischen Provinzstädtchen.


    Madame Londe führt ein Restaurant, in dem man billig essen kann, doch das ist nicht der Hauptgrund, weshalb ihre männliche Kundschaft so treu ist - die Herren kommen wegen Angèle, des hübschen jungen Mädchens, das ihnen ganz nach ihren Wünschen zu Willen ist.


    Paul Guéret ist unglücklich verheiratet mit einer braven, langweiligen Frau. Sein Geld verdient er mit Nachhilfestunden für den Sohn der Grosgeorges, der von seiner verbitterten Mutter ständig getriezt wird, weil sie ebenfalls in ihrer Ehe mit einem viel älteren Mann kreuzunglücklich ist und das Kind sie dauernd daran erinnert.


    Guéret verguckt sich in Angèle, und als er erfährt, was diese "beruflich" macht, erwacht in ihm eine gefährliche Mischung aus Liebe, Hass und Eifersucht, und es kommt am Flussufer zu einer verhängnisvollen Begegnung zwischen den beiden, bei der Guéret das Mädchen brutal attackiert, auf der Flucht in wilder Raserei einen wehrlosen alten Mann tötet und sich fortan verstecken muss. Angèle dagegen ist durch den Übergriff entstellt und glaubt, sich nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen zu können.


    Das Geflecht zwischenmenschlicher Beziehungen, die hier größtenteils von negativen Gefühlen getrieben sind, von Intrigen und Abhängigkeiten, zieht sich im Verlauf der Handlung immer enger zusammen. Beeindruckt, ja schon fast geschockt hat mich die Schilderung von Guérets Wutausbrüchen. Wie er in blindem, unreflektiertem Zorn erst auf Angèle und dann auf den alten Mann einprügelt, ging mir sehr an die Nieren, dabei ist die Schilderung nicht blutig-effekthascherisch, sondern eher sachlich.


    Richtig sympathisch war mir keiner der Protagonisten, am ehesten noch Angèle und ihre kleine Leidensgenossin Fernande, die von Madame Londe als Nachfolgerin für Angèle "herangezüchtet" wird, aber gerade durch die menschlichen Abgründe, die hier zutage treten, wurde das Buch realitätsnah und glaubwürdig.


    4ratten


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    Einmal editiert, zuletzt von fairy ()

  • Hallo zusammen,


    im Rahmen meiner Leseweltreise habe ich meinen Reiseführer für Frankreich gewechselt, weil ich mit ihm schon in einer Leserunde im Klassikerforum unterwegs bin.


    Zum Autor:
    Julien Green wurde 1900 als Sohn eines amerikanischen Kaufmanns in Frankreich geboren, verbrachte seine Lern- und Wanderjahre in den
    USA und kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg nach Frankreich zurück. Er ist vor allem als Romancier bekannt geworden und starb 1998.


    Zum Roman:
    "Leviathan" erschien 1929 und ist wohl Greens bekanntester Roman.
    Zu Valentines Ausführungen bezüglich des Inhalts möchte ich nicht mehr ergänzen als dass eine weitere wichtige Rolle Mme Grosgeorge spielt, die ehemalige Arbeitgeberin Guéretes, bei der er als Hauslehrer diente, und unzufriedene reiche Großbürgerin, die in den mittleren Jahren eine Leidenschaft für Guéret fasst, nachdem er die Verbrechen begangen hat, denn er hatte in ihren Augen den Mut, sich mithilfe eines Fanals seiner Leidenschaft zu entäußern, was ihr nicht gelingen will, da sie immer den Deckel auf dem brodelnden Topf hält und genau darunter leidet.


    Meine Meinung:


    Das ist ein kurzes und sehr intensives Werk mit -im ersten Teil - sehr schönen Beschreibungen von kleinstädtischen Gesellschaftsstrukturen und auch landschaftlichen und anderen Stimmungen. Besonders aber ist es ein analytisches Buch, das mit grausamer Genauigkeit die kleinstädtischen unzufriedenen Gemüter einem Seelenstriptease unterzieht.
    Genau das war - besonders im zweiten Teil - mir etwas zu viel, dennoch lässt einen der Roman gefesselt und beunruhigt zurück, hat man doch einen nachdrücklichen Blick hinter die bürgerliche Fassade tun dürfen oder müssen?
    Empfehlenswert!


    HG
    finsbury

  • Ich habe dieses Buch nun auch genossen und kann es eigentlich nur empfehlen.


    Green schafft eine sehr bedrückende Atmosphäre, in der keiner der Figuren sympathisch ist. Mit den einen hatte ich am Ende Mitleid und sie taten mir leid und die anderen fand ich abscheulich. Identifizieren konnte ich mich mit keiner der Figuren, auch wenn ich Angele noch am sympathischsten fand. Ihre Beweggründe konnte ich wenigstens nachvollziehen, die der anderen nicht mehr.


    Obwohl ich das Gefühl hatte, dass das Tempo des Romans nie wechselt, wurde es nie langweilig, im Gegenteil, es blieb immer spannend bis zum Schluss.
    Leviathan ist ein sehr gutes Buch, das man bedenkenlos weiterempfehlen kann.


    Katrin

  • Ein Buch, das tiefen Einblick gibt in die Abgründe der menschlichen Seele.
    Das Streben nach Liebe, der Kampf um die Existenz, verletzter Stolz, gekränkte Eitelkeiten, die verängstigte Seele eines Kindes, aber auch brutale Gewalt und sogar ein Mord sind der Themenkreis dieses sprachlichen Gesamtkunstwerkes.