Dan Simmons - Terror

Es gibt 59 Antworten in diesem Thema, welches 20.319 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von TheNightingale.

  • Hi!


    Diese Rezension ist mir nicht leichtgefallen und wahrscheinlich könnte ich mich hinsetzen und noch drei ganz andere Versionen schreiben. Zu diesem Buch hätte ich wirklich viel zu sagen, ich habe aber versucht, mich einigermassen kurz zu fassen. Ihr wollt ja schliesslich Bücher lesen und keine Bücher über Bücher :zwinker:


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    Inhalt:
    «England im Jahr 1845: Unter dem Kommando von Sir John Franklin stechen die modernsten Schiffe ihrer Zeit in See – die Terror und die Erebus. Franklins Auftrag lautet, die legendäre Nordwestpassage zu finden, den Weg durch das ewige Eis der Arktis in den Pazifik. 130 Männer nehmen an der Expedition teil. Sie verschwinden spurlos. Dies ist ihre Geschichte.»


    So heisst es im Klappentext. Nur: Das ist wohl eher nicht ihre Geschichte. Es ist die Geschichte, wie sie Dan Simmons erzählt. Dazu hält er sich zwar weitgehend an die historischen Fakten (so weit bekannt), dichtet aber allerhand dazu. Da wäre mal die stumme Inuit-Frau, die von den Seeleuten «Lady Silence» genannt wird und ein unheimliches Geisterwesen, das im ewigen Eis lebt.


    Die Terror und die Erebus sind im Eis der Arktis eingefroren und da es gerade ein paar sehr kalte Jahre gibt, taut das Eis auch im Sommer nicht auf. Zudem geht eine unheimliche Bestie im Eis um, die sich ab und zu mal einen Seemann schnappt und ihn ermordet, was besonders in den langen arktischen Nächten für Angst und Schrecken unter den Besatzungsmitgliedern sorgt. Nach eineinhalb Jahren an derselben Stelle beschliesst die Expeditionsleitung, die Schiffe aufzugeben und Rettung auf dem Festland zu suchen. Der Marsch übers Eis wird zu einer Art Ausscheidungsrennen, bei dem Kranke und Schwache reihenweise sterben. Da bei den Überlebenden die Lebensmittel knapp werden, steht die Expeditionsleitung vor der schweren Entscheidung, ob man die Leichen der Kameraden begraben oder lieber essen soll.



    Meine Meinung:
    Über 130 Leute stecken lange Zeit im Eis fest und dann versuchen sie sich zu retten – was allerdings keinem gelingen wird, wie uns die Geschichte lehrt. Ich habe mich anfangs gefragt, ob man darüber wirklich über 900 spannende Seiten schreiben kann. Simmons beweist: Ja, es geht.


    Dabei funktioniert der Roman auf mehreren Ebenen: Einmal auf der historischen.
    Simmons beschreibt die Expedition mit grosser Genauigkeit. Sein Personal rekrutiert er aus den Musterungsrollen von 1845, fast jeder Ausrüstungsgegenstand wird beschrieben und erklärt – egal, ob es sich dabei um die verschiedenen Sorten Kochherde, die Bekleidung der Seeleute oder die mitgeführten Waffen handelt. Man bekommt ein genaues Bild von Mannschaft und Ausrüstung vermittelt und hat manchmal das Gefühl, selber schlotternd auf dem gefrorenen Meer zu stehen und den Matrosen die Lampe beim Reparieren der Wegmale zwischen der Terror und der Erebus zu halten.


    Man kann «Terror» aber auch als Horror-Roman lesen:
    Die Bestie aus dem Eis ist mehr als unheimlich und ihre Morde sind äusserst grausam, manche Szenen fallen recht splatter-mässig aus. Schon fast bezeichnend ist allerdings, dass der brutalste und hinterhältigste Mord im Buch nicht von der Bestie, sondern von einem Menschen begangen wird...
    Auch wenn man weiss, dass der Autor aufgrund historischer Tatsachen keinen bis sehr wenige Expeditionsteilnehmer überleben lassen darf und die Männer durch eine Art eisiger Hölle gegangen sein müssen (mit oder ohne Eiswesen), so überraschte mich die Brutalität gewisser Morde und Verstümmelungen immer wieder. Zarte Gemüter seien an dieser Stelle gewarnt.


    Auch emotional bietet der Roman so einiges:
    Simmons schafft es, einem Teil seiner über 130 Mitwirkenden sehr viel Glaubwürdigkeit zu geben. Wie oben erwähnt, hat man dank genauer Beschreibungen das Gefühl, mittendrin zu sein. Entsprechend fasste ich auch Ab- oder Zuneigung zu gewissen Protagonisten. Und wenn meine «Lieblinge» in Schwierigkeiten gerieten, war es unmöglich, das Buch zuzuklappen, bis das Problem gelöst war – oder auch nicht. Und so hatte ich tatsächlich feuchte Augen, als einer meiner Favoriten den Gang in die Ewigkeit antreten musste. Sowas passiert mir beim Lesen äusserst selten.


    Zur Bestie aus dem Eis: Anfangs hoffte ich irgendwie noch auf eine naturwissenschaftliche Erklärung für das Phänomen. So gegen Mitte des Buches gab ich diese Hoffung (begründet) auf. Damit man als Leser aber nicht ganz dumm sterben muss, gibts auf den letzten 60 Seiten vom Autor noch eine Erklärung für das Biest. Diese Erklärung ist auch sowas wie ein sehr später Bruch in dem Buch: Ab dort driftet Simmons definitiv ins Mystische ab und fängt an, alte Inuit-Sagen zu erzählen, aus denen er dann das Monster erklärt. Dieser allerletzte Teil passt eigentlich überhaupt nicht zum Rest des Buches und er hat mich auch ziemlich gestört. Das war ein Ausflug in die Fantasy, der sich einfach nicht schön in den Rest einfügt.


    Fazit:
    Ein aufwühlendes, emotionales, brutales, spannendes Buch, das ich aber nicht uneingeschränkt jedem empfehlen möchte. Lesen sollten es Leute, die trotz des Settings auch mit einem übernatürlichen Phänomen leben können und keinen historisch korrekten Roman erwarten. Horror-Fans, die nicht alle zwei Seiten Blut in Strömen brauchen, sondern auch gerne die Geschichte zwischen den Morden lesen, haben daran sicher auch ihre Freude.
    Zartere Gemüter, Leute auf der Suche nach einem akuraten Buch über die Franklin-Expedition und Fantasy-Hasser machen wohl besser einen Bogen um dieses Werk.


    4ratten


    Der Abzug rührt vom unpassenden letzten Teil und ein paar anderen kleinen Unschönheiten her.


    Gruss


    Alfa Romea

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Oh, das hört sich wirklich sehr interessant an. Und dann auch noch mit übernatürlichen Phänomenen... perfekt. Landet ganz weit oben auf meiner Wunschliste.
    Danke für die ausführliche Rezi.

    "Man hat in der Welt nicht viel mehr, als die Wahl zwischen Einsamkeit und Gemeinheit." A. Schopenhauer

    :blume::engel::katze:

  • Dieses Buch werde ich mir baldmöglichst schnappen! Klingt wirklich spannend und deine Rezi macht Lust auf mehr!


    :winken:
    LG
    Liandra

    :leserin:<br />Anonymus - Das wahre Bildnis des Dorian Gray<br />:leserin:<br />Kevin Leman - Geschwisterkonstellationen<br />:leserin:

  • Danke für die Rezi, Alfa_Romea. Die wurde ja wirklich von vielen heiß erwartet. :smile:
    Als Fantasy-Hasser würde ich mich jetzt zwar nicht bezeichnen, ist einfach ein zu hartes Wort :zwinker:. Aber ich mag es nicht wenn Elfen, Zwerge usw. durch die Gegend hüpfen. Alles was aber noch irgendwie mystisch angelegt ist finde ich okay.
    Ich verstehe das so das es hier so ist. Ich denke ich werde das Buch aber auf jeden Fall lesen, vielleicht aber doch eher aufs Taschenbuch warten.
    Obwohl aufwühlend, emotional, brutal, spannend hört sich ja schon sehr gut an.


    LG
    Flor

  • "Terror" ist ein richtiger Pageturner, ungeheuer spannend und und atmosphärisch. Die Stimmung an Bord der zwei Schiffe, eingeschlossen im Packeis, hat sich beim Lesen auf mich übertragen und wirkte sehr beklemmend. Das ganze Buch über hatte ich ein ständiges Gefühl der Bedrohung (was nichts mit dem umgehenden "Monster" zu tun hatte)


    Der Schiffsalltag wird sehr ausführlich beschrieben und man erfährt allerhand interessante Dinge über den Aufbau einer Expedition, den Skorbut, usw. Stellenweise hätte man die Handlung etwas kürzen können. So wiederholen sich viele Sachen eben - was mich aber auch nicht wirklich gestört hat. Gelangweilt habe ich mich dabei zumindest keine Sekunde.


    Schade nur, dass sich Dan Simmons nicht auf die historische Seite beschränkt. In dieser menschenfeindlichen Umgebung mit extremen klimatischen Bedingungen braucht man keinen übernatürlichen Gegner um Horror zu erzeugen. Meiner Meinung nach schlichtweg überflüssig.


    4ratten

    Einmal editiert, zuletzt von Thanquola ()

  • Ich habe das Buch jetzt auch. Allerdings in Englisch.
    Ich musste es natürlich auch schon anlesen und kann nur sagen....oweh,oweh....das ist richtig schwierig im Original. Von Anfang an so viele Wörter die ich nicht kenne, das wird eine richtige Herausforderung :rollen:
    Und das obwohl ich jetzt regelmäßig englische Bücher lese, naja...für dieses muss ich wohl noch ein bisschen üben :rollen:.

  • Ich habe "Terror" von Simmons ganz gern gelesen und das übernatürliche Element nur bedingt störend empfunden, ohne daß es den Wert des Buches geschmälert hätte. Mag sein, er hat das "Monster" gebraucht, um die Spannungsbögen in seinen Augen tragfähiger zu machen. In meiner Einschätzung zählt das Grauen weniger als Simmons' Versuch, dem Buch einen tieferen Sinn zu verleihen, indem er das Übernatürliche aus der Mythologie der Inuit der wissenschaftlich - technologischen Hybris der britischen Forscher gegenüberstellt. - Eigentlich ist das Buch auch im Original recht gut lesbar, nur vor allem die nautischen Fachbegriffe stellen eine kleine Hürde da.


    Siehe meine Rezension hier.

    Einmal editiert, zuletzt von tinius ()

  • Flor:
    Hui, ich stelle mir das auf Englisch nicht so einfach vor. Es kommen ja doch eine Menge Begriffe aus der Seefahrt vor. Andererseits habe ich im Deutschen auch keine Ahnung, was ein Rahsegel von einem Fock- oder Besansegel unterscheidet, und zum Verständnis ist das zum Glück auch nicht nötig. Ich denke mal, du liest dich bestimmt noch ein. :smile:


    Was ich übrigens toll gefunden hätte, wäre eine beigefügte Illustration der "Terror" und "Erebus" mit dem groben Aufbau. Zum "mal angucken" für zwischendurch.

  • Thanquola
    Ja, das hoffe ich auch. Ich wollte das Buch auch erstmal nur anlesen und sehen wie es sich liest, richtig Zeit hatte ich dafür leider noch nicht und die muss man sich auf jeden Fall nehmen.

  • Ich kann mich Thanquola nur anschließen. Ein gutes aber doch zu langes Buch in dem die übernatürlichen Elemente verzichtbar gewesen wären. Die Strapazen der die Crew ausgesetzt ist und die unmenschlichen Witterungsbedingungen, die das überleben fast unmöglich machen erzeugen so viel Atmosphäre, daß ein eigenartiges Monster vollkommen überflüssig macht und manchmal sogar als Stimmungstöter (nicht nur für die Crew, sondern auch für den Leser) ist.


    Das beste am Buch ist, daß es mich zu


    Beatie's 'Der eisige Schlaf: Das Schicksal der Franklin-Expedition'
    Shackelton's 'Mit der Endurance durch das ewige Eis'
    Riffenburgh's 'Nimrod'


    geführt hat.


    3ratten

  • Huhu,


    kurze Zwischenfrage am Rande: Wo findet man denn dieses Buch?
    Ich habe heute in 2 riesigen Bücherläden gestöbert und weder bei den Historischen noch bei den "normalen" Romanen was gefunden.
    Ist es eher Fantasie?
    Ich wollte nicht fragen, da ich bereits 3 Bücher in den Armen hatte und ohnehin keines mehr kaufen wollte.
    Doch früher oder später möchte ich doch mal sehen, ob mich dieses Buch anspricht oder nicht.


    Grüssle
    Marion :winken:

    "Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie ihre Tiere behandelt." Mahatma Gandhi

  • Also beim Thalia in Münster gibts immer einen sehr schönen, großen, 2-stöckigen Tisch, wo alle möglichen neuen historischen Romane - allesamt HCs - dargeboten werden, so pyramidenförmig, neben der normalen historischen Ecke, und da hab ich das gefunden, also bei den historischen Romanen.


    Ich fand das Buch auch wunderschön gemacht und die Story klingt auch interessant, die Pressestimmen bzw. Autorenstimmten, z. B. von Stephen King, waren geradezu galaktisch, also kams in meinen Stapel.
    Allerdings hab ichs grad an meinen Bruder verliehen, der momentan auf Seite 300nochwas ist, bei den begeisterten Kommentaren hier kann ich ja kaum erwarten, bis er es durch hat :breitgrins:


    Allerdings hab ich ja bis dahin auch genug zu tun an SUB-Abarbeitung....aber schön, dass es wohl ein Treffer war! :zwinker:



    LG

  • @Hildegunst, Dank dir für deine Antwort.
    Ja, solche Tische, gerade bei den historischen HCs kenne ich auch und da hab ich auch geschaut, ebenso in den normalen Ecken unter
    "S" aber nichts. Werde wohl beim nächsten Mal gezielt fragen. Aber ob das mit dem Lesen dieses Jahr noch klappt, weiß ich nicht.
    Mal sehen. :zwinker: Aber schonmal im Regal ist sicher ein Schritt in die richtige Richtung. :breitgrins:


    :winken:

    "Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie ihre Tiere behandelt." Mahatma Gandhi

  • Ja, wies auf das ganze Jahr gesehen aussieht weiß ich jetzt wohl nicht so sehr zu sagen, da werden ja noch Unmengen an Büchern wieder hinzukommen, besonders gegen Ende des Jahres noch mehr als sonst - aber an sich gehts mir da auch so, momentan häufen sich die zu lesenden Sachen doch recht schnell bzw. ist noch ein recht beeindruckender SUB vorhanden, besonders bestehend aus dicken Wälzern, allen voran natürlich Die Wohlgesinnten mit seinen knapp 1400 Seiten, Terror hier hat 850, das geht vielleicht noch...


    Und dann will ich jetzt auch noch versuchen, die knapp 12 km zur Schule mit dem Fahrrad zu nehmen, da Sport machen auch noch so eine wichtige Sache ist, die ich verstärkt in Angriff nehmen will/sollte/muss - dadurch fällt allerdings auch etwas Lesezeit weg, aber ob das so arg wird weiß ich jetzt auch nicht.


    Jetzt gerade muss ich erstmal motivieren, gleich das Fahrrad zu nehmen! :breitgrins:




    LG

  • Ja, das kann ich gut nachvollziehen.
    Na dann mal noch viel Motivation und viele freie Lesestunden. :winken:

    "Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie ihre Tiere behandelt." Mahatma Gandhi

  • Das Stephen-King-Zitat steht auf jedem Buch von Dan Simmons. Langsam wird's langweilig. Auch wenn ich King natürlich völlig recht gebe :zwinker: .


    ***
    Aeria


    Ich fand "Terror" von Simmons gut, obwohl Stephen King es gelobt hat. :teufel:

  • Das Stephen-King-Zitat steht auf jedem Buch von Dan Simmons. Langsam wird's langweilig. Auch wenn ich King natürlich völlig recht gebe :zwinker: .


    ***
    Aeria



    Argh, dann bin ich ja voll drauf reingefallen, war nämlich mein erster Simmons. :sauer: :breitgrins:


    Aber "Dan Simmons schreibt wie ein Gott. Ich kann kaum sagen wie sehr ich ihn beneide" ist ja vielleicht auch nicht unbedingt eine Aussage, welche sich nur auf ein Buch beziehen lässt.



    Aber diese ewig selben Pressestimmen sind mir auch schonmal aufgefallen, und zwar bei den Inspektor Jury-Romanen von Martha Grimes gibts so 1,2 Stimmen, die ziemlich genau gleich sind jedes Mal - zumindest seit Goldmann die herausgibt, lediglich bei Blinder Eifer waren die bisher nicht zu finden, wahrscheinlich kamen diese Pressestimmen zu einem späteren Roman und wurden da an auf jeden neuen geklatscht. :breitgrins:




    Hab Terror mittlerweile übrigens zurück, mein Bruder fands auch sehr gut, aber er fand wohl dieses Monster da zusätzlich insgesamt auch etwas übertrieben, scheint also wohl den meisten so zu ergehen.


    Bin aber auch noch nicht sicher, wann ichs mir vornehmen werde, als zweite bzw. eher dritte Parallellektüre zu Don Quijote kam es mir allerdings bisher doch etwas zu üppig vor, aber mit Ferien könnte es auch klappen. Wahrscheinlich kommt es aber eh wieder ganz anders und dann auch noch als ich dachte, von daher....



    LG