Jón Kalman Stefánsson - Verschiedenes über Riesenkiefern und die Zeit

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    Inhalt (von mir nicht, nicht von amazon): Rückblickend berichtet der etwa 40 Jahre alte Protagonist, ein Ich-Erzähler, von seiner ersten großen Reise: Als 10jähriger durfte er, der in Island aufwuchs und kaum je kurze Hosen gesehen hatte, seine Großeltern in Südnorwegen besuchen. Diese Reise ins Ausland wird für ihn zu einem so wichtigen Erlebnis, dass er es viele Jahre später einfach aufschreiben muss. Begleitet wird der 10jährige von seinen imaginären Freunden Tarzan und Flinker Hirsch (ein Indianer). Gemeinsam lernen die drei die Faszination des Fremden kennen und natürlich auch neue Freunde: die Brüder, die verschiedener nicht sein könnten, Helge, der einfach <i>alles</i> weiß, Arne, der so cool ist, dass es schon eine Ehre ist, wenn er einem beim Namen nennt und auch Tora, an deren Zöpfen zu ziehen schon fast wie ein Eheversprechen erscheint. Und was einem 10jährigen als wildestes Abenteuer vorkommt, wird in der Perspektive des Erwachsenen zu einer Reflexion über die Vergänglichkeit und die Zeit, den Tod und die Freunde, die man im Leben trifft und wieder aus den Augen verliert. Eine Geschichte über einen Sommer aus dem Blickwinkel eines 10jährigen, der lernt, dass die Kindheit ein Ende hat. Und gleichzeitig eine Geschichte über einen Sommer aus dem Blickwinkel eines 40järhigen, der erkennt, dass dies eine Einsicht ist, die reifen muss, und dass manche Fragen einfach unbeantwortet bleiben.


    Meinung: Diese Geschichte schwankt viel zwischen Lebensbericht (mit Vorgriffen und Exkursen auf das, was mit den Verwandten und Freunden passieren wird), philosophischen Einsichten (über die Zeit und den Tod) und Fantasy (wenn nachts die Spinne unterm Bett riesenhaft wird und nur noch ein Indianer und ein Dschungelbewohner den Jüngling aus der Klemme zu helfen wissen bspw.). Sie bietet Momente zum Schmunzeln und zum Nachdenken. Ein Satz ist mir gleich haften geblieben: „Erwachsene sind wie gestorbene Kinder“. Irgendwie traurig, irgendwie wahr. Das Buch ist voller Poesie und Abenteuer – klar, wenn man sich vorstellt, dass man als Kind alleine in ein fremdes Land fährt, in dem es so anders ist als zu Hause und dessen Sprache man zuerst nicht einmal spricht. Und gleichzeitig mischt sich diese Kindheitsgeschichte auch die Geschichte einer Familie und die zweier Länder hinein. Man kann förmlich die „Hitze“ Norwegens spüren, die einem im Vergleich zu Island ja wahnsinnig vorkommen muss, und man spürt die Suche nach Halt in den Großeltern und die Fantasiewelt im Kopf eines kleinen Jungen, der aus einer Hecke einen riesigen Wald machen kann und aus einem verlassenen Bunker einen Kriegsschauplatz. Irgendwie merkt man, man hat etwas verloren, und ab und zu kam mir in den Sinn, was ich so für Ideen und „Hirngespinste“ hatte, wenn ich nachts allein in meinem Bett lag oder der kleine Wald hinterm Plattenbau zum Urwald mit gefährlichen Tieren wurde. Eine schöne Geschichte, die Spaß macht, aber auch Anlass zum Nachdenken gibt – oder eben nicht zum Nachdenken, sondern zum Bewusstmachen dessen, was man seit der Kindheit abgegeben hat: Und zwar v.a. Zeit.


    Typisch isländischer Stil (wenn man von der Existenz eines isländischen Stils ausgehen mag): kurz und bündig, mit Witz gespickt, trocken und irgendwie melancholisch. Keine Geschichte, die von Spannung leben muss, sondern eher ein Bericht über eine vergangene Zeit, der aber mehr enthält als eben einen Bericht. Viel Gefühl, viel Witz, viel Charme und ab und zu auch mal was zum Schlucken. Traurig schön, sozusagen.


    5ratten gibt es da von mir!


    P.S.: Wie ich an dieses Buch gekommen bin: Das Cover, skandinavisch-schön. Dass es in Stavanger spielt, habe ich erst beim Lesen erfahren, aber es war schön, von Orten zu hören, an denen man schon war (habe ein halbes Jahr dort gewohnt). Aber man kann es auch locker ohne Ortskenntnis nachvollziehen. Und Island kenne ich auch nicht, kann mir aber sehr gut vorstellen, wie die Stiefmutter die Seehundflossen in einem Fass auf dem Balkon einer Neubausiedlung in Reykjavik aufbewahrt... ;)