Johann Wolfgang v. Goethe - Faust I

Es gibt 39 Antworten in diesem Thema, welches 23.199 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Bücheraxt.

  • [size=9px]Edit: Ausgangspunkt für die folgende Diskussion ist die Spontante Lesenacht. LG nimue[/size]


    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    @ Horusina:


    ad Prolog: Volkstümliche Pakte oder Wetten mit dem Teufel verlaufen nach dem Muster, daß ein Mensch ein Problem hat und der listige Teufel eine gute Gelegenheit wittert, sich in den Besitz der unsterbliche Seele des Menschen zu bringen, indem er anbietet, das Problem zu lösen. Im Märchen tritt der Teufel stets in Verkleidung auf = als Betrüger. Der Pakt, den er anbietet, hat immer irgendeinen Haken, durch den es dem Menschen dann gelingt, den Teufel auszutricksen = der Teufel wird zum betrogenen Betrüger.
    Einen Teil dieser Aspekte läßt Goethe unter den Tisch fallen. Sein Teufel ist weder dumm noch böse, sondern trägt viele menschliche Züge und tritt Faust gegenüber offen auf.
    Außerdem wird die traditionelle Wette um den Besitz der menschlichen Seele um eine zusätzliche Komponente bereichert. Goethes Teufel schließt eine Wette mit Gott, von dem er sich die Erlaubnis holt, sich mit dem Menschen Faust zu befassen. Mephisto schließt mit Gott einen Stillhaltepakt. Der Teufel darf sein Glück bei Faust versuchen, aber Gott vertraut darauf, daß der Mensch sich stets freiwillig für das Gute entscheiden und der Teufel immer das Nachsehen haben werde.


    ad Walpurgisnachtstraum: Reiseleiter Mephisto lotst Faust von einem Vergnügungsort zum nächsten. Eine dieser Stationen ist der Blocksberg just in der Walpurgisnacht. Dort herrscht buntes, fröhliches Treiben mit Wein, Weib und Gesang. Moderne Regisseure würden Faust vielleicht einen Joint rauchen lassen, um den Traum schlüssig zu erklären.....


    ad Gretchen: Um sich des Nachts ungestört mit Faust treffen zu können, träufelt Gretchen ihrer Mutter heimlich ein Schlafmittel in den Schlummertrunk, irrt sich jedoch bei der Dosierung...... (oder das Fläschlein enthielt nicht das, was sie glaubte...).
    Ein Verhältnis hatte Gretchen nur mit Faust, folglich stammt ihr uneheliches Kind - das sie später in geistiger Umnachtung tötet - von ihm. Daß sie zur Hure wird, die mit jedem Mann in die Kiste springt, ist lediglich eine höhnische Unterstellung (oder Befürchtung) ihres verbitterten Bruders.
    Soweit ich weiß, beruht das Verbrechen von Gretchen - Tötung ihres unehelich geborenen Kindes - auf einem authentischen Kriminalfall, der einige Zeit zuvor die Gemüter bewegte. Die Kindsmörderin wurde m.W. hingerichtet.
    Gretchen stirbt am Ende, aber wie sie stirbt - ob an Verzweiflung in geistiger Umnachtung oder durch das Fallbeil - bleibt offen.



    @ Saltanah:


    Och, ich kenne sehr vieles nicht, aber manches eben schon. :breitgrins:

    Einmal editiert, zuletzt von fairy ()

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Tamlin"

    Goethes Teufel schließt eine Wette mit Gott, von dem er sich die Erlaubnis holt, sich mit dem Menschen Faust zu befassen. Mephisto schließt mit Gott einen Stillhaltepakt. Der Teufel darf sein Glück bei Faust versuchen, aber Gott vertraut darauf, daß der Mensch sich stets freiwillig für das Gute entscheiden und der Teufel immer das Nachsehen haben werde.


    Darf ich hier an Job bzw. Hiob aus dem Alten Testament erinnern?


    Zitat von "Tamlin"

    Moderne Regisseure würden Faust vielleicht einen Joint rauchen lassen, um den Traum schlüssig zu erklären.....


    Wobei schon im Mittelalter (gerade den Hexen und Kräuterweiblein!) Gewächse bekannt waren, deren Genuss (Essen, trinken, inhalieren, einreiben ... ) zu Halluzinationen führen konnte.


    Zitat von "Tamlin"

    Soweit ich weiß, beruht das Verbrechen von Gretchen - Tötung ihres unehelich geborenen Kindes - auf einem authentischen Kriminalfall, der einige Zeit zuvor die Gemüter bewegte. Die Kindsmörderin wurde m.W. hingerichtet.


    Da schon vorehelicher Geschlechtsverkehr strafbar oder zumindest unmoralisch war, waren viele junge Frauen eben versucht, die sichtbare Frucht dieses Verhaltens, ihr Kind eben, abzutreiben oder spätestens bei der Geburt zu töten. Wer erwischt wurde, der drohte natürlich die Todesstrafe.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • @ Sandhofer:


    Stimmt, Goethes Version vom Teufelspakt ist nicht wirklich neu, sondern ein Brückenschlag zur Bibel.


    Die sog. Hexensalbe etc. spielt zwar bei der Walpurgisnacht eine Rolle (glaube ich), aber gefragt wurde ja nach dem *Walpurgisnachtstraum*, der als Intermezzo eingebettet ist. Zu dieser Einlage ließe sich erwähnen, daß man sie als Hommage an Shakespeares "Sommernachtstraum" sehen kann.


    Auf welches Land und welche Zeit beziehst Du Dich hinsichtlich Strafbarkeit vorehelichen Geschlechtsverkehrs? Strafbar im juristischen Sinne war vorehelicher Geschlechtsverkehr zu Goethes Zeit m.W. nicht.
    Grundsätzlich hast Du jedoch Recht. Bis weit ins letzte Jahrhundert hinein galt es v.a. in bürgerlichen Familien als tiefempfundene Schande, wenn eine Tochter *sich ins Unglück brachte*, indem sie zur Mutter wurde, ohne verheiratet zu sein. Die moralische Verurteilung der Gesellschaft war ihr jedenfalls sicher.

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Tamlin"

    Die sog. Hexensalbe etc. spielt zwar bei der Walpurgisnacht eine Rolle (glaube ich), aber gefragt wurde ja nach dem *Walpurgisnachtstraum*, der als Intermezzo eingebettet ist.


    Meine Bemerkung war - was aus dem Zitat hervorgehen sollte - nur zum Thema "modern" & "Joint rauchen" gedacht. Zum Rest gebe ich Dir natürlich völlig recht.


    Zitat von "Tamlin"

    Auf welches Land und welche Zeit beziehst Du Dich hinsichtlich Strafbarkeit vorehelichen Geschlechtsverkehrs? Strafbar im juristischen Sinne war vorehelicher Geschlechtsverkehr zu Goethes Zeit m.W. nicht.


    Ich dachte auch eher ans Mittelalter bzw.die beginnende Neuzeit, in der Faust ja gelebt haben soll. Wobei ich gestehen muss, dass ich im Moment auch keine genauen Daten hätte ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • @ Sandhofer:


    Ehebruch und Bigamie konnten gegen Ende des Mittelalters und in der frühen Neuzeit strafrechtliche Folgen haben, aber darum geht es hier ja nicht. Von strafrechtlichen Konsequenzen unehelichen Geschlechtsverkehrs á la der Konstellation Faust/Gretchen ist mir dagegen zu keiner Zeit (bezogen auf Mitteleuropa) etwas bekannt.
    Legt man der Beurteilung die Erbrechtsstellung unehelicher Kinder zugrunde, so galt es im frühen und hohen Mittelalter keineswegs als Makel, unehelich geboren zu sein. Das änderte sich auf der Ebene des gemeinen Volkes erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts.


    Ich wüßte jetzt keine Quelle zu nennen, in der diese Frage erörtert worden ist, aber ich vermute, daß Goethe (1749-1832) das Gretchen-Dilemma nach den moralischen Wertmaßstäben der bürgerlichen Gesellschaft seiner eigenen Zeit dramatisierte und keine historische Genauigkeit bezüglich der Zeit, in der Faust (1480-1540/41) lebte, anstrebte.

  • Hallo zusammen!


    (Wir kommen hier vom eigentlichen Thema ab, aber vielleicht erbarmt sich einer der Admins unserer, trennt das ab und macht einen neuen Thread daraus - im richtigen Forum.)


    Zitat von "Tamlin"

    Ehebruch und Bigamie konnten gegen Ende des Mittelalters und in der frühen Neuzeit strafrechtliche Folgen haben, aber darum geht es hier ja nicht. Von strafrechtlichen Konsequenzen unehelichen Geschlechtsverkehrs á la der Konstellation Faust/Gretchen ist mir dagegen zu keiner Zeit (bezogen auf Mitteleuropa) etwas bekannt.


    Hm. Verführung Minderjähriger kann es auch nicht sein, da man das damals auch noch nicht kannte ...


    Zitat von "Tamlin"

    [...] ich vermute, daß Goethe (1749-1832) das Gretchen-Dilemma nach den moralischen Wertmaßstäben der bürgerlichen Gesellschaft seiner eigenen Zeit dramatisierte und keine historische Genauigkeit bezüglich der Zeit, in der Faust (1480-1540/41) lebte, anstrebte.


    Genaue Daten habe ich im Moment auch nicht. Immerhin gehörte Goethe zu den ersten, die da begannen, das Mittelalter wieder aufzuwerten und nicht nur als Epoche dunkelsten Nicht-Wissens zu verurteilen. Viel kann er wohl aber nicht übers Mittelalter gewusst haben, da die Erforschung desselben erst später einsetzte. Und jene Übergangszeit wurde m.W. noch länger vernachlässigt. Immerhin war Goethe wohl insofern genau, als dass er sich auf ältere Texte wie das Volksbuch vom Faust stützte. Und der Jurist Goethe wird in der rechtlichen Einschätzung der Situation Gretchens wohl auch richtig gelegen haben.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • @Nimue
    Vielen Dank für diesen Threat. Ich wollte eben auch einen dafür eröffnen. :zwinker:


    Tamlin
    Vielen Dank auch an dich, für deine Erklärungen!


    Wir haben jetzt im Deutschunterricht auch angefangen, das Buch zu besprechen und ich habe es besser verstanden, als wie ich es alleine gelesen habe. Trotzdem stört mich diese Tatsache, dass ich den Text beim Lesen selber nicht verstehe ungemein und so wird es mir auch immer in schlechter Errinnerung bleiben. Eigentlich Schade, denn die Ideen von Goethe waren ja nicht schlecht und auch, die Reime in jeder Zeile, finde ich, verdienen Bewunderung!


    alles in allem bekommt das Buch von mir nur: 1ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

  • @ Horusina:


    Goethes Faust II erschlägt den Leser mit sprachlichen Stilmitteln sowie Metaphorik und schwelgt in Anspielungen auf das klassische Altertum, was auf "Bildungsterror in Reinkultur" hinausläuft und mit ein Grund dafür ist, daß Faust II so gut wie nie an einem Theater aufgeführt wird.


    Ich kann Dir nur raten, bei Gelegenheit den Film Faust I (mit Gustaf Gründgens und Will Quadflieg etc.) anzuschauen. Die zentralen Themen und Motive, um die es bei Faust I geht, kommen hier viel besser und klarer zum Ausdruck als beim Lesen des Stückes. Es ist schließlich ein Theaterstück und damit kein Buch im Sinne eines Romans. Man muß es wohl auf der Bühne sehen, um die Handlung und die Tragik wirklich begreifen und verstehen zu können? :rollen:




    @ Sandhofer:


    Ich denke, man sollte Bücher und Theaterstücke nicht überstrapazieren hinsichtlich ihrer Bezüge zu historischen Grundlagen. Und man sollte die Beurteilung der Glaubwürdigkeit nicht von der historischen Authentizität abhängig machen, sondern beides getrennt sehen.


    Goethes Faust I ist eine Bearbeitung des alten Volkstheaterstücks Faust (sog. Ur-Faust). Dieses Stück stammt aus dem Mittelalter ebenso wie sein Protagonist im Mittelalter zuhause war. Das bedeutet aber nicht, daß Goethe sein Anliegen darin sah, ein Lebensbild des Mittelalters zu rekonstruieren. Zu allen Zeiten gehörte es zu den Gepflogenheiten von Schriftstellern, die Handlung ihrer Geschichten weit in die Vergangenheit zu verlegen, um so indirekt/verfremdet bestimmte zeitgenössische Umstände (ggf. Mißstände) darstellen und thematisieren (ggf. anprangern) zu können - ohne mit der Obrigkeit (Zensurbehörden) in Konflikt zu geraten.


    Das Mittelalter ist bei Faust I vor allem als Plattform zu begreifen, auf deren Oberfläche die Handlung projiziert wird. Auch wenn mittelalterliche Elemente und Motive einflossen, geht es vordergründig doch um die dramatisierte Darstellung zeitgenössischer oder zeitloser Konflikte. Die Gewissensnöte sowohl von Faust als auch von Gretchen mußten schließlich einem Publikum verständlich sein, das nicht aus historisch interessierten Laien bestand.
    Natürlich kann man nach der Authentizität der Handlung und Motive im mittelalterlichen Kontext fragen und es ist interessant, solchen Fragen nachzugehen, aber für das Werkverständnis ist eher die Entstehungszeit der Tragödie entscheidend oder eben die zeitlose Aktualität der Problematik jenseits aller Epochen.



    Ist die Aktualität des Gretchen-Dilemmas im Laufe des letzten Jahrhunderts vielleicht so geschwunden, daß sie heute kaum mehr nachzuvollziehen ist? :entsetzt:


    18. Jh. bis 1. Hälfte 20. Jahrhundert:
    Ein christlich erzogenes, unschuldiges, tugendhaftes Mädchen in heiratsfähigem Alter aus ehrbarem, gutbürgerlichem Milieu, verliebt sich in einen gewissenlosen Schurken, der sie verführt, schwängert und dann sitzenläßt. Sie verliert dadurch ihren guten Ruf und kommt ins Gerede der hochmoralischen Bürger und guten, sittenstrengen Christen. Während der vagabundierende Kindesvater keine Repressalien zu fürchten hat und die öffentlichen Meinung ihn nicht moralisch verurteilt, wird Gretchen von der Gesellschaft als gefallenes Mädchen geächtet, das sich in Schwierigkeiten gebracht hat. Sie bringt ein Kind zur Welt und danach um, fällt deswegen in die Hände der Justiz und dem Wahnsinn anheim. Die Reumut ihres Lovers kommt zu spät - als er herbeieilt, sie zu retten, kann nur noch Gott ihr helfen.


    2. Hälfte 20. Jh. bis 21. Jahrhundert:
    Unverheiratete Mütter kommen nicht mehr ins Gerede - außer bei ältlichen Tanten und Nachbarn.
    Alleinerziehende Mütter sind gesellschaftlich allgemein akzeptiert und das gilt ebenso für nichteheliche Lebensgemeinschaften (Stichwort: "Wilde Ehe).
    Eltern empfinden es nicht mehr als Schande für die Familienehre - wenn die Tochter unversehens schwanger wird, ohne dafür einen Heiratskandidaten präsentieren zu können.
    Eltern sehen nicht mehr den guten Ruf der Tochter gefährdet, wenn diese Umgang mit Männern, i.e. einen Freund und mit ihm Sex hat, ohne mit ihm verheiratet zu sein - und das oft sogar unter dem Dach des elterlichen Hauses.
    Eltern machen sich auch nicht mehr strafbar, wenn sie das tolerieren. [Anm.: Es gab mal einen sog. Kuppelparagraphen.]
    Und Frauen heiraten heute auch dann noch in jungfräulichem Weiß, wenn die Freuden der Ehe schon vollzogen oder sie bereits mehrfache Mütter sind.


    Als "Sekundärliteratur" lassen sich zur Illustration der Rezeption des Gretchen-Dilemmas in gewisser Hinsicht zwei Werke anführen:
    (a) Curt Goetz, Das Haus in Montevideo :breitgrins:
    (b) Heinrich Spoerl, Die Feuerzangenbowle:
    Zitat: *... Die Direktorin gab Deutsch und war intensiv, aber nicht angenehm beschäftigt. In blonder Scheinheiligkeit hatte Eva die Frage aufgeworfen, warum Faust nicht um Gretchens Hand angehalten habe. Die Direktorin konnte nicht antworten. Diese Frage war in den Kommentaren unbehandelt geblieben, und nun tat sie, was jeder erfahrene Lehrer in solchen Fällen tut: Sie fragte die Klasse.
    Der Erfolg war entsprechend.
    "Faust wollte nicht. Weil Gretchen doch ein Kind hatte."
    "Setzen. - Bitte?"
    "Faust konnte nicht. Weil Gretchen schon verheiratet war."
    "-?-"
    "Natürlich; denn sie hatte doch ein Kind."
    Es klopfte im rechten Augenblick. ...*


    Die Komik dieser Szene beruht auf dem Wissensstand 16-17jähriger Mädchen in Zeiten, zu denen "Sexualkundeunterricht" weder auf dem schulischen Lehrplan stand noch Aufklärung durch die Eltern an der Tagesordnung war. Und natürlich geht es auch darum, wie leicht Lehrer mit heiklen Fragen zu Themen in Verlegenheit gebracht werden können, die zu erklären ihnen peinlich sind, weil darüber (Geschlechtsverkehr) nicht offen in der Schule geredet werden durfte. Und ohne beim Namen nennen zu dürfen, was bei den Schäferstündchen von Faust und Gretchen passiert sein muß, wird es schwierig, die Tragweite der Folgen plausibel zu machen. :zwinker:



    Mag sein, daß seine Kenntnisse der Jurisprudenz Goethe hilfreich waren, aber im Grunde geht es bei Gretchen um Handlungen, die zu keiner Zeit, weder im Mittelalter noch späterhin straffrei waren:
    - Giftmord an der Mutter (Schlafmittelmißbrauch)
    ( - Abtreibungsversuch? )
    - Kindesmord (Ertränken des Neugeborenen)
    Ersteres eine mittelbare Folge des Umstands, den heimlich Geliebten zu nächtlicher Stunde ungestört und unbewacht zum Zwecke des *lieblich knarzenden Tones des geschaukelten Bettes* treffen zu wollen, letzteres eine Folge dessen, aufgrund mangelnder Aufklärung und unterlassener Verhütung in andere Umstände zu geraten.


    :elch:

  • Hallo,


    Ich weiß nicht, ob euch das etwas hilft, aber das habe ich in meinen Unterlagen zur deutschen Rechtsgeschichte gefunden:



    Zitat von "Todesstrafen in der Radolfzeller Halsgerichtsordnung (1506)"

    Welche Fraw ain kind verthuet/die sol lebendig in das Erttrich begraben/ vnd ain Phal durch Sy geschlagen werden. -
    in: Eberhard Schmidt (Hrsg.), Die Maximilianischen Halsgerichtsordnungen, 1949, S. 219 ff.


    Auf jeden Fall waren die Kindstötung und Abtreibung strafbar (so man erwischt wurde!). Auch heute gibt es immer wieder Frauen, die ihr Neugeborenes töten. Das muss nicht einmal zwingend etwas mit der Rechtslage und den gesellschaftlichen Moralvorstellungen zu tun haben.



    LG
    Nightfever

    Mein Geist dürstet nach Taten, mein Atem nach Freiheit!<br />Der Hauptmann der Räuber

  • Hallo zusammen!


    Zitat von "Tamlin"

    [...] Dieses Stück stammt aus dem Mittelalter ebenso wie sein Protagonist im Mittelalter zuhause war. Das bedeutet aber nicht, daß Goethe sein Anliegen darin sah, ein Lebensbild des Mittelalters zu rekonstruieren.


    Da habe ich mich wohl missverständlich ausgedrückt. Was ich sagen wollte, war, dass [list]a) dem Juristen Goethe die rechtlichen Konsequenzen der Handlungen seiner Protagonisten wohl klar waren
    b) durch seine Quellen nolens volens mehr oder weniger "echtes" Mittelalter mit eingeflossen ist in Faust I
    Nicht mehr und nicht weniger.[/list:u]Auch wenn sich Goethe wohl kaum um korrekte Darstellung weder des einen noch des andern bemüht hat.


    Nightfever: Danke für Deine Quellen!


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Zudem arbeitet Goethe ja in Faust 1 mit dem "Gretchendilemma" ja auch seine eigene Verwicklung in einen Fall von Kindsmord auf, als er die Frau zu Tode veruteilt und versucht deutlich zu machen, warum die Frauen in diese Lage kommen und wie man Kindsmord verhindern kann.


    Als Goethes Faust zwischen 1788 und 1797 verfaßt wurde, galt der Kindsmord als vorsätzliche Tötung eines, in der Regel unehelichen, nicht getauften Neugeborenen durch die eigene Mutter. Dies war ein großes, bewegendes Thema der Zeit. Grundsätzlich stand auf dieses Verbrechen die Todesstrafe.


    Motiv ist Angst vor Schande, Gesellschaft ist schuld und daher muss sie TS nach sich ziehen um zu zeigen, das Mord falsch ist, Unzucht nicht Schande bedeuten darf (Trüber Tag, vor dem Brunnen)


    Leider habe ich die Unterlagen aus der Schule nicht mehr zu dem realen Fall von der Kindsmörderin Susanne, in den Goethe hier verwickelt war.

  • Hallo zusammen!



    Zitat von "cerridwen"

    Zudem arbeitet Goethe ja in Faust 1 mit dem "Gretchendilemma" ja auch seine eigene Verwicklung in einen Fall von Kindsmord auf, als er die Frau zu Tode veruteilt


    Das war jetzt vielleicht missverständlich formuliert von Dir, cerridwen, denn:


    Goethe ist nicht wirklich in den Fall Susanna Margaretha Brandt verwickelt. Er hat als junger, frischgebackener Jurist den Fall inkl. die Hinrichtung wohl mitverfolgt, war aber weder am Urteil noch an der Schwangerschaft beteiligt, wenn ich mich recht erinnere.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Stimmt :) Es war der Fall von Johanna Höhn, ich habe das verwechselt:


    Zitat

    Als Mitglied des Geheimen Consiliums des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach hatte er ganz offiziell als Berater von Herzog Carl August im Herbst 1783 in einem konkreten Fall dazu Stellung zu nehmen, ob eine Kindsmörderin mit dem Tode bestraft werden sollte. Goethe hat dies bejaht, obwohl der Herzog selbst keinesfalls für die Todesstrafe war.


    http://www.sfn.uni-muenchen.de…en/inform/2000/rez176.htm


    Nach seiner Stellungnahme wurde diese, glaube ich, dann auch hingerichtet.... Den Fall Brandt hatte er am Anfang seiner juristischen Karriere mitverfolgt, da auch seine Familie irgendwie am Prozess beteiligt war (da weiß ich aber nichts genaueres)

  • Hallo,


    nur einmal so am Rande:


    Zitat

    Im Strafgesetzbuch der Bundesrepublik gab es noch bis 1997 den Paragraphen 217. Er berücksichtigte die besondere Situation von Müttern, die direkt nach der Geburt ihr uneheliches Kind töteten. Über sie wurde in vielen Fällen ein geringes Strafmaß verhängt. Erst seit 1997 kann die Tötung eines Kindes wieder als Mord gelten. Offenbar soll damit der Fiktion Rechnung getragen werden, dass soziale Zwänge im Zusammenhang mit Kindstötungen nicht mehr von Belang seien.


    So etwa zu Goethes Zeit fing man erstmalig an, über die Beweggründe von Kindsmörderinnen nachzudenken. Damit einher ging möglicherweise, die Darstellung der Gretchentragödie.


    Gruß
    Nischa

    Habent sua fata libelli

  • @ Nischa:


    Das läuft jetzt auf die berühmt-berüchtigte Frage hinaus, was zuerst da war - die Henne oder das Ei?


    Die Gretchenmotiv war auch im Urfaust enthalten, es wurde von Goethe in Faust I jedoch zu einem der zwei zentralen Handlungen ausgebaut. Soweit mir bekannt, gehörte die Gretchenhandlung entstehungszeitlich gesehen zu den ältesten Szenen in Faust I. Der Kriminalfall der Susanna Brandt datiert davor, der Fall Johanna Höhn samt Goethes Rechtsbeurteilung jedoch danach.


    Es ist nicht nur möglich, sondern mehr als wahrscheinlich, daß die Gretchentragödie sowohl unter dem Einfluß des Kriminalfalls Brandt sowie des großen Echos entstanden ist, das die Beweggründe von Kindsmörderinnen im Diskurs der zeitgenössischen Gesellschaft fanden.

  • Moin,


    im Übrigen war das Thema "unschuldiges Mädchen wird verführt und daraufhin zur Kindmörderin" im Sturm-und-Drang sehr beliebt.


    Jedoch muß man auch bedenken, das bei aller Realistik der Grundlagen der Gretchentragödie, Goethe diese Gestalt sehr stilisiert hat.


    Die Gretchenhandlung ist erst von Goethe mit dem Fausstoff in Verbindung gebracht worden (in den Volksbüchern wird nur gering eine arme Magd erwähnt, in den Puppenspielen gar nicht. Dies waren die Grundlagen, die Goethe hatte).
    Goethe wollte mit der Gretchenhandlung noch eine andere Form der Entgrenzung, außer der der Erkenntnis, nämlich die der Liebe einbringen.
    Das waren damals die Dinge, die ihm am Herzen lagen und er verarbeitete seine Empfindungen und Gedanken im Urfaust.


    Gruß
    Nischa

    Habent sua fata libelli

  • Hallo liebe Leser,


    Ich bemühe mich stets um meine Weiterbildung, die nicht nur in meiner medizinischen Karriere orientiert ist.
    Daher beschäftige ich mich nun mit deutschen Klassikern, unter anderem Goethe. Derzeitig strebe ich nach der Vervollständigung meiner Dissertation zum Thema Faust I.


    Ich bitte Sie ihr breites Fachwissen über dieses Thema zu formulieren und mir als Beitragsantwort zukommen zu lassen.


    Mit freundlichen Grüßen


    und noch einen schönen Tag


    Ihr Manfred Lauer

  • Hallo,


    den Titel der Dissertation wollen wir schon wissen.
    Seltsam finde ich es schon, wenn du eine Dissertation schreibst und in Unibibliotheken rumhängst, was willst du dann von uns noch erwarten.
    Wenn wir hier schon keine Hausaufgaben schreiben, schreiben wir erst recht keine Dissertationen :breitgrins:


    Eine kleine Hilfe an den Akademiker: Kommentar von Albrecht Schöne oder Lektürehilfen von reclam.


    Liebe Grüße
    mombour

  • Na ich schätze eher, dass das ein besonders origineller Versuch ist, an die Hausaufgaben zu kommen. :breitgrins:

    Viele Grüsse,

    Weratundrina :verlegen:


    Help me, help me ~ Won't someone set me free? ~ There's no right side of the bed ~ With a body like mine and a mind like mine

    ~ IDLES ~


  • Hallo,


    richtig, darum habe ich reclams Lektürehilfe empfohlen, an die sich kein Akademiker herantraut, und Albrecht Schöne - Kommentar genannt, damit es seriös ausschaut :zwinker:


    Liebe Grüße
    mombour