John Griesemer - Rausch

Es gibt 12 Antworten in diesem Thema, welches 3.188 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

  • Rezi für den SUB-Listen-Wettbewerb 2006


    Klappentext
    Wir schreiben das Jahr 1857, und die Welt windet sich in den Geburtswehen der Moderne: Das erste Telegraphenkabel zwischen Europa und Amerika soll durch den Atlantik verlegt werden, doch es reißt wieder und wieder. Das größte Schiff aller Zeiten soll zu Wasser gebracht werden, doch es weigert sich, vom Stapel zu laufen. Der Ingenieur Chester Ludlow ringt darum, zwei Kontinente zu verbinden - als er der schönen Frau Lindt begegnet, muss er jedoch erfahren, dass es vor allem die mit einer entfesselten Liebe einhergehenden menschlichen Schwächen sind, die das Jahrhundertprojekt immer wieder an den Rand des Scheiterns bringen.


    Inhalt
    Ob nun der Rausch des Ruhms, der Rausch einer leidenschaftlichen Affäre oder der Drogenrausch - in diesem Roman sind wirklich alle Spielarten eines berauschenden Lebens vertreten. Insofern passt der deutsche Titel fast besser als der amerikanische. "Signal & Noise" stellt eher das Hauptthema des Buches in den Mittelpunkt: Die Verlegung des ersten transatlantischen Telegraphenkabels. Dies ist der große Traum des Ingenieurs Chester Ludlow - er wird sein Leben verändern. Die Mission scheitert an Geltungssucht und Ehrgeiz.


    Während Chester verzweifelt versucht, die Kontinente zu verbinden, trauert seine Frau Franny um ihre Tochter Betty. Die Wege des Ehepaars, mit dem Tod des Kindes fertig zu werden, gehen mehr und mehr auseinander. Franny sucht spirituellen Beistand bei Chesters Bruder Otis. Chester wiederrum ist die Melancholie seiner Gattin leid, er sucht sein Glück bei der Musikerin Katharina. Die wiederum ist ebenfalls verheiratet.


    Mein Eindruck
    Das große Bild dieser Epoche, das Griesemer zu zeichnen versprach, geht in diesem Beziehungsgewusel zeitweise gänzlich unter. Nach den ersten Kapiteln habe ich mich gefragt: Wie war es denn wohl für jemanden, der elektrisches Licht schon für ein Wunderwerk hielt, plötzlich vor einem Schiff zu stehen, das dreimal so groß wie alle bisherigen war? Die Frage blieb leider unbeantwortet, denn solche Eindrücke wurden leider immer wieder von völlig überflüssigen Bettszenen verdrängt.


    3ratten

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    LG, Bella

    Einmal editiert, zuletzt von Seychella ()

  • Das Buch war eines meiner Highlights 2004.


    Leider habe ich nur eine eher dünne Rezension gefunden, die ich damals dazu geschrieben habe:


    Die Verlegung des ersten Telegrafenkabels zwischen Europa und Amerika hört sich nicht gerade nach spannendem Stoff an, aber das Buch ist einfach klasse.


    Der amerikanische Ingenieur Chester Ludlow geht nach England, um dort zunächst Gelder für das Unternehmen Telegrafenkabel aufzutreiben und anschließend eines der beiden Schiffe zu besteigen, die zwei Kabelteile mitten ins Meer bringen sollen, wo die Kabel miteinander verbunden und dann verlegt werden sollen. Seine kränkliche Frau Franny, die den Tod ihrer kleinen Tochter vor drei Jahren immer noch nicht überwunden hat, lässt er zu Hause zurück. In London kommt er der faszinierenden österreichischen Musikerin Katerina Lindt (etwas zu) nahe.


    Die Geschichte strotzt vor Charakterköpfen, die so witzig und plastisch beschrieben werden, dass das Lesen einfach nur Spaß macht. Und der schwarze Humor ist teilweise echt zum Schießen. Unbedingte Empfehlung!


    Der Teil mit dem amerikanischen Bürgerkrieg war teilweise ein wenig lahm, aber der Rest hat das wieder mehr als wettgemacht. Ich erinnere mich noch dunkel an einen österreichischen Jogger und einige sehr schwarzhumorige, aber superwitzige Szenen.


    5ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Für mich war Rausch von John Griesemer ein Lesegenuss. Gerade diese Mischung aus geschichtlichen Ereignissen und die Verbindungen der Einzelnen Figuren zu einander hat mich fasziniert. Wie die Ereignisse diese Figuren beinflusst haben kam für mich sehr gut rüber.
    Gerade dadurch das der Autor sich nicht auf eine Person beschränkt bekommt der Leser ein lebendiges und vielschichtiges Bild präsentiert.
    Die verschiedenen Personen sind für meinen Geschmack super dargestellt und ihre Handlungen sind jederzeit nachvollziehbar, auch wenn sie mir nicht alle sympathisch sind. Was ich aber auch eher seltsam empfunden hätte. Besonders mag ich Jack Trace der einfach herrlich skurril ist.
    Trotz der insgesammt eher düster daherkommenden Handlung kommt der Humor nicht zu kurz und ist wunderbar rabenschwarz^^


    Rausch habe ich teilweise wirklich als eine Art Rausch erlebt. In diesen Geraten alle Figuren und können sich ihm nicht entziehen.


    Gefühlsmäßig "nur"


    4ratten

  • Hallo Holden und Valentine,


    letztes Jahr habe ich auch den Roman gelesen und war durchaus angetan: Er ist eine tolle Mischung aus Spannung, ein bisschen Romanze, besonders aber historischen und technischen Details. Ein besonders gelungener historischer Roman!



    HG
    finsbury

  • Mich hat dieses Buch, das ich gestern beendet habe, eher enttäuscht. Erwartet hatte ich wirklich einen Roman über die Verlegung des Tiefseetelegraphenkabels – also einiges an Technik und viel Meer –, aber das war bestenfalls schmückendes Beiwerk. Es hätte genausogut der Eiffelturm oder die Golden Gate Bridge gebaut werden können, um einen pittoresken Hintergrund abzugeben. Über diese enttäuschte Erwartungshaltung bin ich bis zum Ende auch nicht hinweggekommen.


    Das hätte sich durch das Personal vielleicht noch retten lassen, aber Chester war mir sehr schnell sehr unsympathisch, bei Franny scheitertete es an ihrem Spiritismus. Am ehesten interessierte mich noch Otis, weil ich gerne wissen wollte, wie er an den Punkt gekommen ist, an dem er aus seinem Tagebuch ersichtlich steht. Über ihn hätte ich gerne mehr gelesen, auch wenn meine wesentlichen Fragen am Ende beantwortet waren. Trace als Chronist hat mir auch noch ganz gut gefallen. Insgesamt hätte der Erzählung eine Straffung vermutlich ganz gut getan, Griesemer war streckenweise doch arg ausschweifend, egal ob mit dem Phantasmagorium oder im Sezessionskrieg. Ich hatte zwar nicht das Gefühl, das Buch abbrechen und beiseite legen zu müssen, aber das rettet die Einschätzung auch nicht wesentlich.


    2ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Ich habe nun gerade den ersten Teil beendet (1. Buch) und stehe vor der Entscheidung, ob ich weiterlesen soll oder nicht. Von euren Beiträgen habe ich nur Aldawens Rezi gelesen und stimme ihr voll zu. In erster Linie war es die Geschichte der Kabelverlegung, die mich interessierte. Der Prolog, der sich mit dem Stapellauf der Great Eastern beschäftigt, war auch noch interessant, aber das war es bislang denn auch mit dem Kabelprojekt und nautischen Inhalten. Stattdessen steht eine Liebesgeschichte im Mittelpunkt. Das kündigt zwar auch der Klappentext an, aber dass das technische Projekt derart untergeordnet ist, hatte ich nicht erwartet.


    Eigentlich ein Kandidat zum Abhaken und weglegen, wäre da nicht die Tatsache, dass das Buch stilistisch wirklich gut geschrieben ist. Schon der erste Satz geht runter wie Öl: "Nie zuvor war solch ein Schiff." Sehr verheißungsvoll! Normalerweise lese ich in solchen Fällen auch mal Liebesgeschichten, aber ich gestehe, hier bin ich etwas verstimmt, weil meine Erwartungen so wenig erfüllt werden.


    Ich werde es mal über Nacht sacken lassen und überlegen, ob ich weitermache. Vielleicht kann mir ja jemand einen Hinweis geben, ob der technische Teil doch noch intensiver behandelt wird?


    Grüße
    Doris

  • Ich habe es ziemlich verdrängt und gerade anhand der Leserunde, die wir mal dazu abgehalten hatten, versucht, meine Erinnerung aufzufrischen. Das Kabel wird zwar noch verlegt, aber einen Schwerpunkt hat das Thema definitiv nicht. Dafür gibt es aber noch mehr Theater und Spiritismus und am Bürgerkrieg wird auch noch teilgenommen. Du kannst ja mal vorsichtig über die Leserunde huschen, um einen Eindruck zu kriegen, viel Technik wirst Du dabei nicht finden ...

  • Na, du machst mir ja Mut :zwinker:. In die Leserunde habe ich gerade mal vorsichtig reingesehen und in erster Linie festgestellt, dass ihr zu zweit gerade mal 20 Postings zu knappen 700 Seiten Buch geschrieben habt. Gegen Theater und Bürgerkrieg habe ich ja nichts einzuwenden - Spiritismus, na ja - aber ich war so neugierig auf die Verlegung des Kabels und den ganzen Ablauf auf See. Es zieht sich so in die Länge. Nach 285 Seiten noch immer nichts vom Atlantik und der Verlegung.


    Die Leserunde würde mich wahrscheinlich in meiner Meinung noch bestärken, das ich das Buch besser abbrechen sollte. Aber so ganz kann ich mich noch nicht durchringen, denn wie schon geschrieben: Sprachlich ist es richtig gut. Ich lasse es nochmal sacken und überlege und werde dann in ein paar Tagen von dem Ergebnis berichten.

  • Es gab irgendwie nicht mehr dazu zu sagen. Und was das Telegraphenkabel und seine Verlegung angeht: Da sind Buch und Klappentext einfach eine Mogelpackung. Ich bin gespannt, wie Deine Entscheidung ausfällt und wenn Du bis zum Ende durchhalten solltest, wie Deine Einschätzung dann ausfällt.

  • Zwischenzeitlich hat sich das Thema des Kabelverlegens endlich in den Vordergrund geschoben. Die Schiffe sind aufgebrochen und gleich in einen richtigen Sturm geraten. Griesemer beschreibt das alles sehr plastisch, ich fühlte mich richtig in die Handlung hineinversetzt. Man spürt die Spannung, die über allem schwebt, nicht nur wegen des Sturms, sondern auch wegen der Gefahr, die dadurch für das Projekt entsteht. Aber kaum war der Sturm vorbei und die Schiffe wieder im Hafen, pendelte sich alles wieder auf dem selben Niveau ein, das die Geschichte vorher schon hatte.


    Ich bin schon wieder bei der Frage angelangt, ob ich meine Zeit für das Buch opfern soll. So gänzlich losreißen kann ich mich aber auch nicht.

  • Mir wurde es mit der Zeit doch zu spirituell und zu ausführlich in Bezug auf die Liebesgeschichte. Um meine Neugier zu befriedigen, habe ich nach zwei Dritteln noch quergelesen, war aber zunehmend enttäuscht vom Inhalt. Es ist ein klassischer Fall von Irreführung durch den Klappentext, der den Eindruck erweckt, die Verlegung des Transatlantikkabels stünde im Mittelpunkt. Das Schiff auf dem Cover verstärkt diese Erwartung noch. Wenn man einen halbwegs sachlichen Bericht über das Telegrafenkabel lesen möchte und auf das ausschmückende Drumherum verzichten kann, bieten Wikipedia und einige Artikel im Internet ausreichend Informationen. Die Geschichte der an der Aktion beteiligten Menschen und ihrer Angehörigen mag zwar spannend sein, nimmt aber für meinen Geschmack zu viel Platz ein. Wer aber gerne von komplizierten zwischenmenschlichen Beziehungen liest, dürfte auf seine Kosten kommen.


    Ähnlich wie das Schiff, das das Unheil förmlich anzieht, sind auch die Protagonisten nicht vom Glück verfolgt. Auf gewisse Weise sind fast alle ständig bestrebt, ihre ehrgeizigen Ziele zu erreichen. Darin mag ihre negative Ausstrahlung begründet sein, die immer wieder zum Ausdruck kommt. Über die Jahre hinweg durchleben einige von ihnen eine spannende persönliche Entwicklung, was sie aber deshalb nicht sympathischer macht.


    Sprachlich ist das Buch absolut empfehlenswert. Griesemer beschreibt sehr ausdrucksstark und bildhaft und macht es leicht, sich in die Ereignisse hineinzuversetzen. So war auch eine Passage, als das Schiff während der Verlegung in einen Sturm gerät, sehr mitreißend erzählt und bildete für mich den Höhepunkt des bis dahin Gelesenen. Danach gab es leider nichts mehr, das mich begeistern konnte.


    Rausch ist für Freunde von Liebensgeschichten durchaus empfehlenswert, doch wer sich für den technischen und nautischen Teil interessiert, wird wahrscheinlich enttäuscht sein.


    2ratten

  • Wie in meinem alten Beitrag oben zu lesen ist, war ich von dem Buch richtig begeistert, gerade auch sprachlich.


    Wer sich aber lieber auf die Verlegung des Telegrafenkabels konzentrieren wollte, muss zwangsläufig enttäuscht sein. Die ganzen Drumherumgeschichten waren schon recht ausufernd. )(Ich mochte das allerdings, aber ich bin von Natur aus ein chaotischer und leicht auf Abwege zu bringender Mensch, von daher ... :breitgrins: )

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