[Neuseeland] Keri Hulme: Unter dem Tagmond

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  • Hallo,


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    Keri Hulme ist 1947 in Christchurch /Neuseeland geboren und bekam für „Unter dem Tagmond“ den Booker-Preis 1985.


    Erzählt wird von drei Menschen, einem Mann, einer Frau und einem Jungen, deren familiäre Bindungen verloren gegangen sind. Sie treffen aufeinander und verketten sich schicksalhaft. Sie schwanken zwischen Liebe, Freundschaft, Alpträumen, Einsamkeit. Frühen seelischen Traumata ausgeliefert windet sich die Handlung um die drei Menschen bis zu massiver Gewalt hoch. Hilflosigkeit vor der Gewaltspirale, Reue, Schuld, Selbstvorwürfe. Aus der Perspektive des Jungen, sieht natürlich alles anders aus. Er wurde regelrecht an die Felsen gespült, weil das Schiff sank, auf dem er sich befand - an die harten Felsen eines neuseeländischen Küstenstreifens, in die raue Natur geworfen, ein Findling. Er hat nichts aus seiner Vergangenheit mitgenommen, er ist stumm und weiß nicht einmal seinen Namen.


    Wenn wir im ersten Kapitel lesen, wie Kerewin, die Frau, am Strand einen Sandalen des Jungen findet, beginnt die Geschichte ihren Lauf und die Autorin führt uns schon hier in die neuseeländische Landschaft ein. Die Beschreibungen der Landschaft sind sehr intensiv, obwohl die Sätze eher kurzgehalten sind. Die Natur, das Kolorit, die Orte, wo die Geschichte spielt, ist sehr schön eingefangen, und es kommt wirklich ein Gefühl auf, etwas zu lesen, was fern von Europa liegt. Keri Hulme benutzt oft die Technik des inneren Monologes, wir lesen also auch, was die Leute denken. Das ist ein Grund, warum die Geschichte so Nahe geht. Sie entwickelt sich ganz leise bis zum großen Knall. Die Versuche der Rechtfertigung, das schlechte Gewissen. Mitschuldig zu sein, bekommt der Leser alles direkt aus der Quelle der Gedanken von den Betroffenen mitgeliefert. Was Keri Hulme über die Sitten und Gebräuche über die Maori schreibt, ist für mich völlig sekundär geblieben. Das Schicksal der Menschen hat mich tief bewegt. Das alles kann auch in Europa passieren, der europazentrierte Leser wird sich aber weit weg fühlen, ausgesetzt in eine ferne raue Welt.


    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Liebe Grüße
    mombour



    [size=1]Land im Betreff eingefügt. LG, Aldawen[/size]

    Einmal editiert, zuletzt von Aldawen ()

  • Inhalt: Kerewin Holmes, finanziell unabhängig und ohne Bindung an ihre Familie lebend, bekommt eines Tages in ihrem Turm unerwarteten und unwillkommenen Besuch: Der stumme Junge Simon hat sich eingeschlichen. Da ihn niemand sofort abholen kann und es zudem heftig regnet, behält Kerewin ihn widerstrebend im Haus. Durch Simon lernt sie seinen Adoptivvater Joe kennen. Simon ist ein schwieriges Kind, zwar stumm, aber sehr intelligent, der aber leicht aggressiv reagiert, wenn man keinen Versuch macht, ihn zu verstehen, außerdem ist er als Dieb und Rüpel bekannt und berüchtigt, geht selten in die Schule, und wenn, dann kann Joe ziemlich sicher sein, wegen einer Schlägerei dorthin zitiert zu werden. Joe ist seit einiger Zeit Witwer und hat mit der Frau zugleich den gemeinsamen Sohn verloren. Um so mehr konzentriert er sich deshalb auf Simon, schwankt in seinen Erziehungsbemühungen aber zwischen übermäßiger Liebesbezeugung und Prügeln zur Strafe für Simons Fehlverhalten. Das Ausmaß des letzteren stellt Kerewin erst nach einiger Zeit fest und obwohl sie sich bis dahin im Rahmen ihrer eigenen Möglichkeiten, Gefühle zu entwickeln, mit Joe durchaus angefreundet hat, schreckt sie das doch ziemlich ab. Ein gemeinsamer Urlaub in einer Hütte am Meer, die Kerewins Familie gehört, scheint eine Normalisierung der Beziehungen und eine größere Nähe, ein besseres Verständnis zwischen allen Beteiligten zu bringen. Wieder zurück genügt allerdings ein kleiner Anlaß, um die Gewaltspirale wieder in Gang zu setzen, die im Auseinanderbrechen der drei Protagonisten endet: Simon im Krankenhaus, Joe im Gefängnis, Kerewin auf der Flucht vor sich selbst. Alle drei benötigen besondere Erfahrungen, um wieder zu sich und zueinander zu finden, wobei Joe und Kerewin dafür auf ihre Maori-Wurzeln zurückgreifen müssen.



    Meine Meinung: Wenn mombour sagt, daß das alles so auch in Europa passieren könne, so ist das einerseits richtig, andererseits aber auch nicht. Die Ausgangskonstellation und die Gründe vor allem hinter Simons Verhalten sind sicher nicht spezifisch neuseeländisch. Die Lösung dagegen, die vor allem Joe, mit Abstrichen auch Kerewin für sich allein nach dem Bruch finden, dagegen sehr. Ich kann mir nicht vorstellen, wo in Europa etwas vergleichbares möglich wäre, nicht einmal in abgelegenen, noch keltisch geprägten Gebieten, wo die Menschen noch an das kleine Volk glauben und Straßen um die Feenhügel herumbauen statt darüber hinweg.


    Als psychologische Studie mit seinen Querbezügen zur Maori-Kultur fand ich es daher vor allem wegen letzterer gar nicht einmal schlecht, aber ich hatte zwischenzeitlich das Gefühl, mich mit der Handlung ziemlich im Kreis zu drehen und immer wieder das gleiche zu lesen – passend zu den vielen Spiralen, von denen hier explizit und implizit die Rede ist, und die man durchaus als Leitmotiv des Romans sehen kann. Abgesehen davon stößt es mich immer ziemlich ab, wenn Leute Alkohol als Mittel zur Problemlösung betrachten, das erzeugt bei mir nebem einem Widerwillen gegen die Personen auch einen gegen das betreffende Buch, und sowohl Joe als auch, vielleicht sogar in noch stärkerem Maße, Kerewin sind solche Menschen. Ja, ich weiß, daß es solche Menschen tatsächlich gibt, aber ich mag eben nicht gerne über sie lesen.


    Die Landschaft, die Atmosphäre vor allem des Meeres sind, da stimme ich mombour zu, wunderbar eingefangen und das ist durchaus ein Pluspunkt an diesem Roman. Insgesamt muß ich daher sagen, daß das Format des Romans Hulme zumindest – für mein Empfinden – besser liegt als Kurzgeschichten, denn mit ihrem entsprechenden Band Te Kaihau, den ich vor gut drei Jahren gelesen habe, konnte ich schlicht gar nichts anfangen.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß,
    Aldawen