Georges Simenon - Der Mann, der den Zügen nachsah

Es gibt 4 Antworten in diesem Thema, welches 1.444 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Bine1970.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Klappentext
    Von einem Tag auf den anderen ist nichts mehr so, wie es war. Kees Popinga, der brave holländische Familienvater und Prokurist, verliert seinen Job. Seine Firma geht Pleite, der bewunderte Chef verschwindet mit der Firmenkasse. Für Popinga ist das nicht nur eine persönliche Enttäuschung, sondern auch eine finanzielle Katastrophe, da er an der Reederei beteiligt ist. Dazu kommt, daß die Umstände es nahelegen, er sei an dubiosen Machenschaften der Firma beteiligt. Popinga faßt einen Entschluss: Er nimmt den nächsten Zug nach Amsterdam und taucht ein in ein neues Leben. Wenn schon alles zusammenbricht, dann möchte er wenigstens einmal richtig frei sein, leben und lieben, wie es ihm gefällt. Für seinen Traum vom neuen Leben geht Popinga sogar über Leichen, und schon bald ist er auf der Flucht.


    Meine Meinung
    Ich habe das Buch unter "Sonstige Belletristik" gespeichert, denn ist kein typischer Krimi, der von der Suche nach dem Täter oder der Tat an sich lebt. Einer Tat, die aus Popingas Sicht sowieso nur „aus Versehen“ passiert ist. Es ist kein richtiges Katz und Maus Spiel, auch wenn Popinga das so sieht. Auch lernt man den ermittelnden Kommissar nur aus Popingas Sicht und aus Zeitungsberichten kennen. Der Schwerpunkt liegt auch gar nicht auf den Ermittlungen. Vielmehr werden wir Zeuge eines Ausbruchs aus dem bürgerlichen Leben, ausgelöst durch die Pleite der Firma und das Verschwinden seines Chefs und die Entwicklung, die Popinga dabei durchmacht. Und das ist sehr spannend beschrieben. Die ganze Zeit wird aus seiner Sicht erzählt und es ist erstaunlich, welche Gedankengänge man dabei verfolgen kann. Wie genau er sein Vorgehen und seinen Aufenthalt in der Stadt plant und überlegt, um die Polizei nicht auf seine Spur zu bringen. Dabei fühlt er sich die ganze Zeit falsch verstanden und zu Unrecht verfolgt. (Sind nicht die Autoschieber viel schlimmere Verbrecher? Um sie zu fassen, gibt er dem ermittelnden Kommissar sogar Hinweise). Aufmerksam verfolgt er die Berichte, die die Zeitungen über ihn, das Ungeheuer, schreiben und ist enttäuscht über falsche Aussagen zu seiner Person, die ihn dazu veranlassen, an die Zeitungen und zu schreiben, um einiges richtigzustellen. Doch irgendwann läuft ihm seine Lebensplanung aus dem Ruder, sein Leben entgleitet ihm mehr und mehr.
    Mir hat das Buch gut gefallen, es ließ sich flüssig lesen und hatte eine ganz eigentümlich Stimmung, da Popingas Gedanken und seine Veränderung regelrecht zu spüren waren.


    4ratten

  • Hallo,


    Der Roman hat mir auch gefallen. Man kann darin auch Gesellschaftskritik finden. Ich denke an die Scheinmoral in Groningen, und an die Zeitung, die Unsinn über Popinga verbreitet. Was passieren kann, wenn man gesellschaftlich total aus der Reihe tanzt, kann man in dem Buch nachlesen.


    Pascal Mercier bezieht sich in seinem Roman "Nachtzug nach Lissabon" u.a. auch auf Popinga. Bei Mercier heißt es:


    Zitat

    Was er von mir sah, konnte ihm nichts über meine selbstzweiflerische Zerbrechlichkeit verraten...


    Liebe Grüße
    mombour


  • Der Roman hat mir auch gefallen. Man kann darin auch Gesellschaftskritik finden. Ich denke an die Scheinmoral in Groningen, und an die Zeitung, die Unsinn über Popinga verbreitet. Was passieren kann, wenn man gesellschaftlich total aus der Reihe tanzt, kann man in dem Buch nachlesen.


    Ja, die Fassade seines bisherigen Lebens wird ihm u. a. durch die Zeitungsberichte deutlich und seine Wahrheit sieht ganz anders aus. Sein Ausbruch wirkt dann beim Lesen gleichzeitig ungeheuerlich und natürlich gesetzlos aber auch irgendwie "richtig" und logisch, wenn man die Stimmung Popingas aufnimmt. Gleichzeitig aber auch aussichtslos. Wobei ich doch finde, dass das Ende trotz allem, was passiert, auch irgendwie befreiend für ihn ist.



    Pascal Mercier bezieht sich in seinem Roman "Nachtzug nach Lissabon" u.a. auch auf Popinga.


    Das war bei mir ein klassicher Fall von "Wie Bücher zu Büchern führen". :smile:

  • Hi!


    Ich mochte das Buch auch sehr gerne, ich habe es vor ein paar Jahren gelesen. Hier ist meine Meinung dazu:


    Es gibt zwei Arten, eine Geschichte zu entwickeln, bei der ein Normalbürger «ausrastet»: Man kann ihn ein Blutbad anrichten lassen und damit die Leserschaft schockieren (und Hollywood macht dann einen Film draus) oder man kann ihn stilvoll und mit Humor untergehen lassen. Georges Simenon tut Letzteres, und das lässt das Buch zu einem echten Erlebnis werden. Man rätselt nämlich die ganze Zeit darüber, ob Popinga jetzt den Verstand verloren hat, oder ob er durch den Schock mit einem Schlag auf eine höhere Bewusstseinsebene gehoben wurde, die es ihm ermöglicht, das zu tun, was er eigentlich schon immer machen wollte. Zumindest Popinga fühlt sich befreit und glücklich wie nie zuvor. Sobald er von Zuhause fort ist, fängt er an, die Vergangenheit zu vergessen und nur noch im Augenblick zu leben. Er ist sich bewusst, dass er nichts mehr zu verlieren hat, und diese schreckliche Gewissheit erfüllt ihn nicht mit Zorn, sondern mit einer unglaublichen Ruhe. Dass er dann im Affekt trotzdem jemanden umbringt, ist der Anfang seines Untergangs – denn von diesem Moment an hat er keine Chance mehr, sich ein neues Leben aufzubauen. Aber auch in diesem Moment bleibt er ruhig und macht einfach weiter, Schritt für Schritt.
    Als Leser verfolgt man seine unglaubliche Geschichte mit Bewunderung und Neugier. Und auch wenn sie eigentlich dramatisch ist, hat man zwischendurch immer etwas zu schmunzeln, ohne dass der Autor seine Figur lächerlich machen würde.


    4ratten

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • :winken:
    Ich bin immer wieder erstaunt welche Schätze sich in meinem Regal befinden und schon so lange ungelesen herumstehen.
    Obwohl mir die Geschichte und der Schreibstil ausgesprochen gut gefallen haben, konnte ich keine Sympathie für Popinga aufbringen. Aber auch keine Antipathie.
    Er ist eben wie er ist. Ein scheinbar unzufriedener und nun arbeitsloser Holländer.
    Über den versehentlichen Mord war ich wohl genauso überrascht, wie Popinga selbst, als er davon in der Zeitung erfuhr. Und dachte er wirklich das Jeanne Roizier etwas für ihn empfand?


    Generell muß ich Heimfinderin recht geben,

    Zitat

    es ist kein richtiger Krimi und keine richtige Suche nach dem Täter.

    Es ist einfach eine Geschichte über einen Mann der seine Arbeit und scheinbar dadurch "seinen Verstand" verloren hat.


    Schönes kurzes Buch :daumen:

    :biene:liest :lesen: und hört

    07/60

    2116 /25.525 Seiten