Franz Kafka - Amerika

Es gibt 53 Antworten in diesem Thema, welches 16.308 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von hansol.

  • Ich bin ein wenig hinterher, kann gerade nicht ganz so schnell (oder viel) lesen. Aktuell stehe ich im vierten Kapitel. Hinweise auf spätere Handlungen würden mich persönlich nicht stören, denn ich glaube, bei dem Buch ist es nicht schlimm, wenn man vorher ein oder zwei Details mehr kennt.


    Kafka zeichnet sich in meinen Augen durch eine täuschend leichte Lesbarkeit aus. Täuschend deshalb, weil die Fragen zum Gelesenen sich nachher um so heftiger aufdrängen.


    Ja, ich finde auch, dass sich Kafka (oder speziell dieser Kafka) sehr gut lesen lässt. Und er kann wirklich gut beschreiben. Wäre ich aber nicht vorgewarnt durch die intensive Diskussion, würde ich vermutlich nicht soviel bemerken (oder ich sehe jetzt hinter jedem Komma Fallstricke, wo keine sind :zwinker:) oder soviel über die Handlung nachdenken. Ich tue es zwar bei den meisten Büchern, aber in der Regel oft unbewusst. Hier suche ich schon eher nach Motiven oder Mustern. Das Muster der Verirrungen hätte ich nach zwei Auftritten noch nicht als solches erkannt, werde also die Augen offen halten.


    sandhofer + Klassikfreund: Euer Senf ist in der Tat gefragt! :smile:


    Wieso kleben wir zu eng an der Handlung? Ich sicher, denn was bietet mir das Buch? Einen gut geschriebenen Text, eine Handlung, vielleicht transportiert das Buch einen Inhalt zwischen den Zeilen, vielleicht gibt es Muster.
    Fall 1 habe ich bemerkt. Fällt mir auch öfter auf, aber das variiert ja nicht mehr über den Verlauf des Buchs.
    Fall 2 ist das Offensichtliche, was permanent neues Leben gibt und Vortrieb gibt. Deshalb kommentiere ich vorrangig eben diese Handlung.
    Fall 3 und 4 kann ich noch nicht beurteilen.
    Mmm, mir erscheint es sooo logisch, die Handlung eines Buches zu beurteilen und daraus dann irgendwann später meine eigenen Schlüsse zu ziehen. Ich habe meine erste Begegnung mit Kafka und gehe an das Buch selbstverständlich ran, wie an jedes andere auch: Ich lese, blättere um, mache mir meine Gedanken und frage mich speziell in diesem Fall, warum Karl so doof ist und was ihm Merkwürdiges zustößt. Aus meiner Lesart heraus könnte das noch erklärt werden oder Karl und die Handlung stehen symbolisch für irgendetwas/irgendjemanden. Ich muss jedenfalls noch abwarten.


    Das andere sind die Vergleiche mit der Realität, die der Leser fast unwillkürlich zieht. Kafka aber ist m.M.n. alles andere als Realist. Seine völlig neutrale Sprache ohne Effekthascherei und ohne auktoriale Kommentare verführt dazu, ihn als Realisten wahrzunehmen. Doch was Kafka beschreibt, sind - salopp formuliert - im Grunde genommen Alpträume. Die haben eigene Logik, eigene Zusammenhänge. Und egal, was ich in einem Alptraum tue: Ich gerate immer tiefer in die Bredouille. Und das genau geschieht auch Kafkas Helden.


    Danke für den Hinweis :smile: Das ist wieder eine interessante Hintergrundinformation. Vielleicht sehe ich es am Ende des Buches ebenso, vielleicht nicht, wie gesagt, ich bin nicht weit genug gekommen. Aber darf ich fragen, nach wievielen Kafkas Du diese Theorie hattest?

    ☞Schreibtisch-Aufräumerin ☞Chief Blog Officer bei Bleisatz ☞Regenbogen-Finderin ☞immer auf dem #Lesesofa

  • Und ich weiss auch, dass ich mich davon lösen sollte, um einen anderen Zugang zum Buch zu finden und es vielleicht sogar zu mögen. Aber ich weiss auch, dass ich mich vor den hierzulande vorkommenden Spinnen nicht fürchten muss - und trotzdem bin ich nicht mal imstande, eine mit einem Glas einzufangen und sie nach draussen zu spedieren.


    Habt Ihr fließend Strom? Mein Tipp lautet: Staubsauger.
    Aber ich glaube, das hatten wir schon mal.


    Ich habe mich beim Lesen derart über die Charaktere (und zwar fast alle) aufgeregt, dass ich das Buch einfach nicht geniessen konnte. Auch wenn mir klar war, dass ich den Text vielleicht eher symbolisch als wörtlich deuten könnte/sollte/dürfte.


    Das kann auch bei mir noch zum Problem werden. Warten wir es ab. Aber mir ist die positive Identifikation mit einem Text und seinen Personen allemal lieber als die negative. So etwas voneinander trennen zu können, kann man vielleicht lernen und wenn ja, geht das sicher nicht von heute auf morgen.

    ☞Schreibtisch-Aufräumerin ☞Chief Blog Officer bei Bleisatz ☞Regenbogen-Finderin ☞immer auf dem #Lesesofa

  • [quote author=Bettina]So etwas voneinander trennen zu können, kann man vielleicht lernen und wenn ja, geht das sicher nicht von heute auf morgen.[/quote]


    Dazu nur kurz: Natürlich kann man das lernen. Aber man muss es auch wollen – und ich will nicht (oder nicht auf Biegen und Brechen). Das hat aber etwas damit zu tun, was ich vom Lesen an und für sich erwarte. Und das ist in erster Linie gute Unterhaltung. Da ich meine Alpträume selten geniesse, können Bücher von Kafka eigentlich gar nichts für mich sein...
    Was jetzt nicht heissen soll, dass ich mich nur an Büchern erfreuen kann, in denen Friede, Freude, Eierkuchen herrscht. :zwinker:


    Liebe Grüsse


    Alfa Romea

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Hallo zusammen,



    Was mir bei deinen Beschreibungen (und einigen anderen Lesern) hier auffällt, ist dass ihr unwahrscheinlich eng an der Handlung klebt.


    Was mich betrifft, hast Du hier vollkommen recht. Da ich heute nacht erkältungsbedingt nur wenig geschlafen habe, konnte ich mir über diese Thematik ausführlich Gedanken machen; für mich bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass ich an Kafka mit einer anderen Art zu lesen herangehen muss. In den meisten anderen Büchern wird sowohl Vorgeschichte als auch Gedankenwelt der handelnden Personen dargestellt, so dass man Ihre Taten leicht nachvollziehen kann. Kafka dagegen verknappt ganz stark (allein aus den ersten drei Kapiteln – erste sexuelle Erfahrung, Abschied von den Eltern, Auswanderung, Aufnahme beim Onkel und Rausschmiß – hätte man ja schon ein dickes Buch schreiben können) und lässt die Hintergründe im Dunkeln. Erste Folge bei mir ist, dass ich Karls oder auch Onkel Jakobs Handeln als unlogisch oder dumm empfinde. Aber warum? Doch nur, weil die Hintergründe fehlen! Man stelle sich Hänsel und Gretel mal ganz stark verkürzt vor:


    Der Vater liebt seine Kinder. Er schickt sie zum Verhungern in den Wald. Sie finden aber ein Lebkuchenhaus. Die Bewohnerin bringen sie um. Dann gehen sie zum Vater zurück.


    Hier würde man den Rauswurf der Kinder, den Tod der Hexe und die Rückkehr zum Vater nicht verstehen. Im kompletten Märchen ist dagegen alles logisch.


    Allerdings ist diese gewohnte „der Leser weiß alles“- Sicht ja nicht realistisch. Im wahren Leben kann man vieles, was andere tun, nicht verstehen und sagt sich dann meist „man kann in keinen Menschen reinsehen“ (oder bei uns in der Gegend „Du steckst nicht drin“ :zwinker: ). Im Buch erwarte ich dann aber, alles verstehen zu können. Und diese Erwartung erfüllt Kafka eben nicht. Er lässt uns bzgl. seiner Figuren in der Luft hängen, wir können uns die Hintergründe selbst ausmalen, sie für blöd halten oder was auch immer. M.E. ist diese Vorgehensweise aber 1.raffiniert, weil sie mich zwingt, das Buch nicht nur zu konsumieren, sondern gezwungenermaßen die Lücken selbst aufzufüllen und 2.realitätsnah, weil diese eingeschränkte Sichtweise im Bezug auf andere Menschen die Regel ist.


    Zitat von "sandhofer"


    Dies ist das eine, und ich weiss nicht, Klassikfreund, ob Du in dieselbe Richtung zielst wie ich. Das Kleben an der Oberfläche der Handlung ist, wie gesagt, das eine. Das andere sind die Vergleiche mit der Realität, die der Leser fast unwillkürlich zieht. Kafka aber ist m.M.n. alles andere als Realist. Seine völlig neutrale Sprache ohne Effekthascherei und ohne auktoriale Kommentare verführt dazu, ihn als Realisten wahrzunehmen. Doch was Kafka beschreibt, sind - salopp formuliert - im Grunde genommen Alpträume. Die haben eigene Logik, eigene Zusammenhänge. Und egal, was ich in einem Alptraum tue: Ich gerate immer tiefer in die Bredouille. Und das genau geschieht auch Kafkas Helden


    In dieser Hinsicht ist er kein Realist, das ist richtig. Beängstigend wirkt er auf mich übrigens auch. Z.B. diese immer wiederkehrende Situation des Verirrens hat schon etwas sehr albtraumhaftes.


    Ich habe mir vorgenommen, das Buch bzw. Kafka generell aus einem anderen Blickwinkel zu lesen. Vielleicht schaffe ich es dadurch ja auch, mich ebenso knapp auszudrücken – er hätte für diese Gedanken weit weniger Text gebraucht :zwinker:


    Liebe Grüße
    Manjula

  • Hallo zusammen!


    Im kompletten Märchen ist dagegen alles logisch.


    Ja?


    Es ist doch - und da sind die alten Märchen, finde ich, viel näher an Kafka, als man glaubt - auch in den Märchen eine eigene Logik zugange, die mit der "Logik" alltäglichen Handelns so gar nichts zu tun hat. Ich meine jetzt nicht, dass es im realen Leben keine Hexen gibt, sondern z.B. die vorausschauende und von daher recht unkindliche Handlungsweise von Hänsel und Gretel.


    An Märchen aber sind wir gewöhnt und akzeptieren deren Logik. An Kafkas Logik sind wir nicht gewöhnt und von daher immer in Versuchung, die Handlungen seiner Protagonisten mit real existierenden Handlungsweisen zu vergleichen.


    "Märchen" wäre vielleicht sogar ein besserer Begriff für Kafkas Geschichten als "Alpträume". Märchen ohne Happy End ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)


  • "Märchen" wäre vielleicht sogar ein besserer Begriff für Kafkas Geschichten als "Alpträume". Märchen ohne Happy End ...


    Dieses Bild von Kafka gefällt mir gut.


    Grüße,
    Thomas


  • Hallo sandhofer,


    logisch nur in dem Sinne, dass ich aus dem Erzählten und dem allgemeinen Grundmuster von Märchen* nachvollziehen kann, warum wer was macht. Dieses Grundmuster fehlt mir bei Kafka. Ich glaube, wir meinen das Gleiche :smile:


    Die Definition "Märchen ohne Happyend" gefällt mir auch sehr gut!


    Grüße
    Manjula


    *EDIT: Wahrscheinlich muss ich hier einschränken "Märchen aus unserem Kulturkreis". Ich kenne keine afrikanischen oder asiatischen Märchen, könnte mir aber vorstellen, dass ich hier nicht alles intuitiv verstehen könnte.

    Einmal editiert, zuletzt von Manjula ()

  • Hallo zusammen,


    Manjula:

    Zitat

    In den meisten anderen Büchern wird sowohl Vorgeschichte als auch Gedankenwelt der handelnden Personen dargestellt, so dass man Ihre Taten leicht nachvollziehen kann. Kafka dagegen verknappt ganz stark (allein aus den ersten drei Kapiteln – erste S.e.x.uelle Erfahrung, Abschied von den Eltern, Auswanderung, Aufnahme beim Onkel und Rausschmissß – hätte man ja schon ein dickes Buch schreiben können) und lässt die Hintergründe im Dunkeln. Erste Folge bei mir ist, dass ich Karls oder auch Onkel Jakobs Handeln als unlogisch oder dumm empfinde. Aber warum? Doch nur, weil die Hintergründe fehlen!


    Es wäre doch möglich aus Kafkas Amerika eine herzzerreißende Familiensaga zu schreiben. :zwinker:


    sandhofer:
    Der Vergleich mit Märchen will mir nicht gelingen. Bei Kafka werden fast keine Gefühle gezeigt, alles ist kalt, unfassbar (im Sinne von ungreifbar), verzerrt, eine Identifikation ist nicht möglich, ich habe beim Lesen nur Grautöne gesehen, außer im letzten Teil Das Naturtheater von Oklahoma
    da wurde ich regelrecht von einer Farbpracht erschlagen, so stelle ich mir einen "guten" LSD-Trip vor. :zwinker:


    Märchen erlebte ich als Kind anders, ich identifizierte mich immer mit Rotkäppchen, Schneewittchen, dem 7. Geisslein :redface:, usw, außerdem sind Märchen niemals sozialkritisch...
    Nein, der Vergleich mit Alpträumen sagt mir eher zu.


    Liebe Grüße
    dora

  • Hallo zusammen!


    Der Vergleich mit Märchen will mir nicht gelingen. [...] Nein, der Vergleich mit Alpträumen sagt mir eher zu.


    Der tumbe Tor, der auszieht und gegen aller Erwarten die Prinzessin gewinnt, könnte wohl durchaus sozialkritisch interpretiert werden. Vergleiche hinken aber immer, da gebe ich Dir Recht. Für wichtig halte ich: Egal, ob man Amerika nun mit einer Oper, einem Alptraum oder einem Märchen vergleicht - man kann das Handeln der Figuren nicht mit dem üblichen vergleichen. In Kafkas Welt gelten - wenn überhaupt - andere psychologische Gesetze als in der unsern.


    Dass der Leser / die Leserin sich nicht mit Kafkas Figuren identifizieren kann, ist m.M.n. sogar von Kafka so gewollt. Es ist Teil der Einsamkeit seiner Protagonisten, dass sogar der Leser nicht mit ihnen fühlen kann ...


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Ich komme langsam voran, aber langsam ernährt sich das Karnickel. Immer kommt irgendwas dazwischen. Danke an meinen Mann, dass er heute ein Geschäftsessen hat. *gg*


    Ich habe mich im Augenblick darauf verlegt, den Text einfach mal ein Stück zu lesen und zu warten, bis mir wieder was auffällt - oder nicht. Bisher wiederholen sich meine Eindrücke einfach nur und das muss ich ja nicht am Ende eines jeden Kapitels aufs Neue schreiben :zwinker:

    ☞Schreibtisch-Aufräumerin ☞Chief Blog Officer bei Bleisatz ☞Regenbogen-Finderin ☞immer auf dem #Lesesofa

  • Guten Morgen,


    ich habe gestern das Kapitel „Der Fall Robinson“ beendet. Karl hat zwei schlechte Kameraden getroffen und sich im Streit von ihnen getrennt, er hat einen Job als Liftjunge ergattert und wegen einer Nichtigkeit wieder verloren – praktisch steht er jetzt mal wieder ohne Zukunftsaussichten da.


    Mir scheint es, als ob Karl aus gutgemeinten Handlungen immer etwas Schlechtes entsteht (Verteidigung des Heizers > Kofferdiebstahl, Einsatz für Robinson > Rauswurf), während andererseits das Gute, das ihm widerfährt (die Hilfe durch den Onkel und die Oberköchin) stets unvermittelt und unverdient geschieht. Will Kafka hier ausdrücken, dass unsere Handlungen nur sehr wenig Einfluss auf unser Schicksal haben und dass gute Taten im Zweifel zum Schlechten ausschlagen?


    Und wofür steht eigentlich der Koffer? Zuerst wird er gestohlen und scheint unwiederbringlich, erst beim Rauswurf durch den Onkel stellt sich heraus, dass dieser ihn hatte (warum hat er ihn nicht früher herausgegeben?), Robinson und Delamarche wühlen ihn durch, was schließlich zum Bruch mit ihnen führt; und das Hotel verlässt er doch ohne ihn. Ich werde nicht schlau daraus.


    Es heißt ja, "Amerika" sei Kafkas heiterster Roman. Tatsächlich musste ich an einigen Stellen schmunzeln, z.B. als die Fußgänger ihre Wege durch die Autos abkürzen. Und die Szene mit den auskunfterteilenden Unterportiers könnte ich mir gut als abgedrehten Sketch vorstellen.



    Findest du?
    Das Dienstmädchen hat sich aber die Mühe gemacht, einen Brief an den Onkel zu schreiben und Klaras Benehmen ist uns unerklärlich, da wir keine Gründe für ihr merkwürdiges Benehmen bekommen, aber eigentlich hat sie ja nichts getan, außer, dass sie Rossmann zum Klavierspielen aufgefordert hat, und seine Reaktion ist da eher kurios.


    @Dora: sorry, habe ich eben erst gesehen. Es ist schon richtig, dass das Dienstmädchen ihm letztlich einen guten Dienst erwiesen hat, aber die Beschreibung ihrer „Verführung“, insbesondere auch Karls Reaktion, fand ich ziemlich widerwärtig. Und bei Klara hatte ich das unbestimmte Gefühl, dass sie ihn in die Pfanne hauen will, was ihr dann ja indirekt auch gelungen ist – sie ist mir unsympathisch.


    Zitat von "dora"

    Es wäre doch möglich aus Kafkas Amerika eine herzzerreißende Familiensaga zu schreiben.


    Das Haus am Eaton Place? :breitgrins:


    Liebe Grüße
    Manjula


  • Ich komme langsam voran, aber langsam ernährt sich das Karnickel. Immer kommt irgendwas dazwischen. Danke an meinen Mann, dass er heute ein Geschäftsessen hat. *gg*


    Ich habe mich im Augenblick darauf verlegt, den Text einfach mal ein Stück zu lesen und zu warten, bis mir wieder was auffällt - oder nicht. Bisher wiederholen sich meine Eindrücke einfach nur und das muss ich ja nicht am Ende eines jeden Kapitels aufs Neue schreiben :zwinker:


    Bei uns hier ist es das Eichhörnchen :zwinker:


    Aber ich komme auch nur stückweise voran, da bin ich ganz froh, dass es Dir auch so geht.


    Liebe Grüße
    Manjula

  • Hallo zusammen,


    Manjula:


    Und wofür steht eigentlich der Koffer? Zuerst wird er gestohlen und scheint unwiederbringlich, erst beim Rauswurf durch den Onkel stellt sich heraus, dass dieser ihn hatte (warum hat er ihn nicht früher herausgegeben?), Robinson und Delamarche wühlen ihn durch, was schließlich zum Bruch mit ihnen führt; und das Hotel verlässt er doch ohne ihn. Ich werde nicht schlau daraus.


    Ist der Koffer eine Art Fessel, die ihn daran erinnert, wo er herkommt und ihn immer in das Ungewisse begleitet ? Beim Onkel ist er ein Anderer, er kann die Vergangenheit vergessen und macht sich keine Sorgen um die Zukunft, er lebt in einer neuen Welt.
    Beim Onkel rausgeworfen, steht er wieder vor dem Nichts, denkt an seine Eltern, betrachtet ihre Photographie…
    Nachdem er das Hotel ohne den Koffer verläßt, sich endgültig von ihm trennt, erwähnt er seine Eltern, glaube ich, überhaupt nicht mehr. Hat er sich von ihnen und seinem vergangenen Leben losgelöst?



    Zitat

    Mir scheint es, als ob Karl aus gutgemeinten Handlungen immer etwas Schlechtes entsteht (Verteidigung des Heizers > Kofferdiebstahl, Einsatz für Robinson > Rauswurf), während andererseits das Gute, das ihm widerfährt (die Hilfe durch den Onkel und die Oberköchin) stets unvermittelt und unverdient geschieht. Will Kafka hier ausdrücken, dass unsere Handlungen nur sehr wenig Einfluss auf unser Schicksal haben und dass gute Taten im Zweifel zum Schlechten ausschlagen?


    Das sehe ich nicht so, eher als eine rigide Auslegung von Recht, welches nichts mit Gerechtigkeit zu tun hat.



    Es heißt ja, "Amerika" sei Kafkas heiterster Roman. Tatsächlich musste ich an einigen Stellen schmunzeln, z.B. als die Fußgänger ihre Wege durch die Autos abkürzen. Und die Szene mit den auskunfterteilenden Unterportiers könnte ich mir gut als abgedrehten Sketch vorstellen.


    Hierzu schreibt auch Klaus Hermsdorf in der kurzen Nachbemerkung in meiner Ausgabe:
    Die Ereignisse im Asyl spielen sich ab wie in einer Slapstick-Burleske aus den Anfängen des Kinos, die Kafka übrigens mir großem Interesse verfolgte.
    Mich erinnern auch viele Szenen an Filme von Charlie Chaplin, Harold Lloyd und Buster Keaton (die ich mir auch immer wieder gerne ansehe :breitgrins:).


    Liebe Grüße
    dora

    Einmal editiert, zuletzt von dora ()

  • Hallo zusammen,


    über Mittag eine kurze Zwischenmeldung von mir: ich habe gestern „Im Asyl“ gelesen. Der Titel ist ja schon der reine Hohn: zwar ist die Wohnung zunächst wirklich ein Zufluchtsort vor der Polizei, aber dann entwickelt sie sich ja zu einem Gefängnis (oder einer Irrenanstalt?). Die Verfolgung durch den Polizisten war auch wieder typisch für Kafka, ebenso das Entkommen über die endlosen Treppen (welch eine Albtraumsituation).


    Was der Menschenauflauf um den Kandidaten zu bedeuten hat, ist mir nicht ganz klar. Kritik an Politikern? Verhöhnung von Engagement (für die Menschen war ja wohl das Freigetränk deutlich interessanter als der Kandidat!)? Oder einfach mal wieder eine albtraumhafte Atmosphäre, diesmal durch die gesichtslosen Menschenmassen? Die Szene fand ich jedenfalls beeindruckend.


    Dass Karl schließlich in der Wohnung bleibt, obwohl er doch zuerst so abgestoßen war, ist schon zynisch. Wie oft verharrt man in unangenehmen Situationen (Jobs, Beziehungen,…), weil die Energie zur Veränderung fehlt, weil andere gut zureden, weil es doch erstmal bequem ist… Sehr schön beschrieben.


    @Dora: Deine Deutung des Koffers finde ich logisch. Danach hätte er sich jetzt endgültig vom Elternhaus gelöst. Kann man dann "Amerika" auch als eine Art Entwicklungsroman lesen?



    Zitat

    Mich erinnern auch viele Szenen an Filme von Charlie Chaplin, Harold Lloyd und Buster Keaton


    Stimmt, sowohl im Asyl als auch im Hotel sind einige slapstickhafte Szenen drin. Ich muss immer noch grinsen, wenn ich an die Unterportiers denke :breitgrins:


    Liebe Grüße
    Manjula

  • :schwitz: Ich bin gerade mit dem Roman fertig geworden und lasse ihn nochmal etwas sacken.


    Ich bin mir allerdings in einem sicher: Trotz all der Infos, die ich bekommen habe, kommt der Roman aktuell gar nicht an mich ran. Ich fand ihn einfach langweilig und habe insgesamt wenig Spass dran gehabt. Es gab Szenen, die ich mir ganz witzig vorstelle, wenn man sie als Komödie dreht, aber letzlich witzlos, denn der Roman als Ganzes ist eben nicht lustig.


    Entwicklungsroman? Über den begriff denke ich gerade nach. Nein, auf Anhieb sehe ich keine Entwicklung. Es passiert etwas und dann wieder etwas anderes, aber Karl entwickelt sich in meinen Augen nicht. Bei seinen Romanpartnern kann davon ebenfalls keine Rede sein.


    Ein Nachwort hat meine Ausgabe nicht. Also ab ins Web.
    Ich habe noch zwei widersprüchliche Aussagen gefunden. Kafka selbst habe Karl kein rühmliches Ende zugedacht, heisst es. Brod, der ursprüngliche Herausgeber des Textes, behauptete, Kafka wolle Karl seine Familie wiederfinden lassen. Ende 1 würde ja passen, wie Käse zu Mäusen, Ende 2 wäre nett gewesen, aber hätte das Buch insgesmt auch nicht eindrucksvoller für mich gemacht.
    Man sieht, ich verdaue echt noch schwer...

    ☞Schreibtisch-Aufräumerin ☞Chief Blog Officer bei Bleisatz ☞Regenbogen-Finderin ☞immer auf dem #Lesesofa

  • Danke, Bettina!


    So muss ich wenigstens nicht das Gefühl haben, ich sei die einzige, die mit "Amerika" (und Franz Kafka) nicht viel anfangen kann :smile:


    :winken:


    Alfa Romea

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Ich wage mich an eine Rezi:


    Karl Roßmann wird von seinen Eltern nach Amerika geschickt und die beiden halten es nicht einmal für nötig, einen dort lebenden Onkel um etwas Fürsorge zu bitten. Karl, ohnehin kindlich und naiv, stolpert von einem Unglück ins nächste und erlebt von seinen Mitmenschen nichts anderes als Ausbeutung, Ungerechtigkeit und Boshaftigkeit. Das Buch ist ein Fragment und die bestehenden Kapitel sind im Sinne der Handlung gereiht; zwei Kaptitel bzw. Teile davon lassen sich nur bedingt sortieren und stehen im Anhang.


    Ich war vorgewarnt: Man dürfe Kafka nicht lesen, wie jeden anderen Roman - und das, obwohl Kafka herrlich flüssig erzählt sowie treffende und lebendige Bilder erzeugt. Aber ich bin mit "Amerika" an keinem Punkt der Geschichte wirklich warm geworden. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen.
    Zum einen scheint mir keine Person interessant genug, um ihren Weg verfolgen zu wollen. Karl ist kindlich und leicht zu beeinflussen. Daran ändert sich im Lauf der Geschichte gar nichts und ich finde es ermüdend, dauerhaft von so einer Hauptperson zu lesen. Mit zwei Ausnahmen folgen alle ihn umgebenden, teils sehr kleingeistigen Figuren nur ihren eigenen Interessen und tauchen lediglich als Nebenfiguren auf. Nur zwei hinterlistige Landstreicher, Delamarche und Robinson, begleiten länger seinen Weg und die beiden sind das interessanteste Gespann im Buch. Aber "Amerika" ist eben nicht ihre Geschichte.
    Zum anderen bleibt einiges undurchschaubar, was ich persönlich als wichtig empfinde: Der Onkel setzt ihn aus einem merkwürdigen Grund vor die Tür, seine Geschäftspartner scheinen das gar zu forcieren. Warum, bleibt unklar.


    Dem Roman wird ein Charme nachgesagt, der auch in Filmen von Buster Keaton oder Charlie Chaplin nachgesagt wird. Ja, steckt in den Beschreibungen von vielen Arbeitsabläufen. Ein lustiges Buch ist es dennoch nicht, denn die Handlung gleitet von einem negativen Erlebnis ins nächste; alles was gut zu sein scheint, wird bald wieder konterkariert.


    Alles in allem war es für mich schwer verdauliche Kost, obwohl ich - wie gesagt - bereits vorgewarnt war, dass der Roman kein klassischer Erzählroman sei.


    1ratten

    ☞Schreibtisch-Aufräumerin ☞Chief Blog Officer bei Bleisatz ☞Regenbogen-Finderin ☞immer auf dem #Lesesofa

  • Hallo zusammen,
    hier dann auch meine Rezension, obwohl ich mich mit so bedeutenden Werken schwertue...


    Der 16jährige Karl Roßmann wird, nachdem er ein Dienstmädchen geschwängert hat, von seinen Eltern nach Amerika geschickt.
    Roßmanns erste Begegnung mit dem fremden Kontinent ist der Blick auf die Freiheitsstatue, die einen Schwert emporhält - ein Irrtum Kafkas, der nie den Atlantik überquert hat, oder ein Symbol der richterlichen Gewalt und der Macht?
    Roßmanns Ankunft in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist gleichzeitig der Beginn seines sozialen Abstiegs. Dieser wird in acht Kapiteln, die auch unabhängig voneinander da stehen könnten, geschildert.
    Seinen gewissen Niedergang verdankt er eigentlich seinem in der Schiffskabine vergessenen Regenschirm. Um diesen wieder zu erlangen, vertraut er seinen, die ganze Reise über wohlbehüteten Koffer einem Fremden an, verliert sich auf der Suche nach seiner Kabine in den endlosen Schiffsgängen, landet in der Kabine eines Heizers, der ihn fast zwingt ihm Gehör zu schenken, vergißt dabei den Koffer, den Regenschirm und sein anfängliches Mißtrauen gegenüber diesem fremden Deutschen, dem anscheinend Unrecht getan wurde.
    So inbrünstig wie er seinem Koffer, sein fast einziges Habe, bewachte, genauso leidenschaftlich setzt er sich für die Rechte des Heizers beim Kapitän ein, wo er seinem reichen, ihm unbekannten Onkel begegnet und mit diesem das Schiff verläßt, ohne Koffer, ohne Regenschirm und ohne Gerechtigkeit für den Heizer.
    Eigentlich sind die folgenden Kapitel eine Wiederholung des ersten.
    Die Menschen, denen er begegnet, die Plätze auf die er sich begibt sind neu, doch die Situationen bleiben gleich. Der Anfang ist hoffnungsvoll, es kommt zu Mißverständnissen, Roßmanns Entschlossenheit zerbröckelt und er steht vor dem Nichts.
    Trotz dieser desperaten Erfahrungen ist Roßmanns Entwicklung alles andere als pragmatisch.
    Solange er etwas (Koffer, Regenschirm, Photographie der Eltern ) oder jemanden hat, an den er sich klammern kann, scheinen die Ereignisse an ihm vorbeizulaufen, als sei er Statist in seinem eigenem Leben, in dem andere Regie führen und er unbetroffen die ihm zugewiesene Rolle spielt. Roßmanns Geschichten erinnern immer wieder an grauenvolle Alpträume, die den Schlafenden immer tiefer in den Sog der Grausamkeit und Wehrlosigkeit ziehen.
    Der junge Mann erwacht jedoch nicht schweißgebadet, dadurch gewinnt Amerika an Humor und die Parallele zu einem gewissen Märchen will mir dann doch gelingen, nämlich zu Hans im Glück.
    Obwohl Amerika kein realistischer Roman ist, werden doch soziale Mißstände erörtert. Die Ausbeutung der Arbeiterklasse, der Verlust der Individualität des Arbeiters, die absolute Macht der kapitalistischen Herrschaft. Und ähnlich wie Charlie Chaplin 1936 in seinem Film modern times, die Misere der billigen Arbeitskräfte burlesk darstellt, so bleibt auch bei Kafkas Slapstick-Szenen einem das Lachen doch eher im Hals stecken.
    Das Ende, das eigentlich kein Ende ist, bringt eine unerwartete Wendung, ein weiteres Traumbild, diesmal voller Farben, Musik, Freude und Energie. So wie die anderen Teile des Romans den Leser immer wieder nach unten ziehen, erklingen hier Hunderte von Trompeten zum Himmel empor. Ist Roßmann angekommen…?



    Ein wunderschönes Leseerlebnis, das ich Alfa verdanke. Ehe ich noch weitere Kafka-Romane lese, steht ein Re-read von Amerika fest. So manches gibt es in diesem Buch noch zu entdecken.


    dora

  • Obwohl Amerika kein realistischer Roman ist, werden doch soziale Mißstände erörtert. Die Ausbeutung der Arbeiterklasse, der Verlust der Individualität des Arbeiters, die absolute Macht der kapitalistischen Herrschaft. Und ähnlich wie Charlie Chaplin 1936 in seinem Film modern times, die Misere der billigen Arbeitskräfte burlesk darstellt, so bleibt auch bei Kafkas Slapstick-Szenen einem das Lachen doch eher im Hals stecken.


    Ich finde den Roman gar nicht so realitätsfremd. Gerade, wenn man den beschriebenen Arbeitsrhythmus nicht kennt und er neu für Karl ist, muss er ihm umso mechanischer vorkommen. Kafka brauchte nur ganz leicht übertreiben und manchmal vielleicht auch gar nicht, um den Effekt zu erzielen. Dann kommt schon mal ein Satz zustande wie "das Grüßen wurde abgeschafft".


    Die Szenen haben nicht nur Slapstick-Charakter (diese Optik wird letzlich auch durch viele Kommentare im Web geipmpft). Ich kann sie mir auch als graue und triste, deutlich reellere Szenen vorstellen. Lass' mal Aki Kaurismäki drehen oder Katharina Thalbach für's Theater Regie führen - die Bühne als riesige Mausefalle...


    Ein Ende habe ich übrigens schon vermisst, muss ich zugeben. Auch wenn es ein offenes Ende gewesen wäre, aber es hätte vom Autor gestammt mit einem bestimmten Zweck. Schade, dass dieses Buch nicht fertig wurde. Immerhin, es besteht die Möglichkeit, dass ein vollständiges Buch nochmal einen ganz bestimmten Dreh oder eine bestimmte Vervollständigung bekommen hätte.

    ☞Schreibtisch-Aufräumerin ☞Chief Blog Officer bei Bleisatz ☞Regenbogen-Finderin ☞immer auf dem #Lesesofa