James Joyce - Ein Porträt des Künstlers als junger Mann

Es gibt 45 Antworten in diesem Thema, welches 11.150 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von chil.

  • hallo, kann es sein, dass ich doch eine andere ausgabe lese ???


    bei mir ist Stephen eigentlich die ganze zeit erwachsen, also mindestens student.....

  • Hallo zusammen,


    Ziemlich ruhig hier. Woran liebt's? Habt ihr alle die Lektüre abgebrochen, oder wisst ihr ebenso wie ich nicht recht, was ihr schreiben sollt?


    Ja, das scheint mir auch so zu gehen. Das Buch ist interessant, aber es lässt mich verhältnismäßig kalt. Abgesehen von der Aufsehen erregenden Sprachkunst, die Stephens Entwicklungsphasen wiederspiegelt, ist es für mich keine besonders originelle Adoleszenzgeschichte.
    Es wird sehr schön psychologisch nachvollzogen, wie sich der Jugendliche selbst und seine Umgebung erlebt: die Abgrenzung gegen die anderen und das starke Gefühl der Einzigartigkeit zeigen nicht nur das kommende Literaturgenie, wenn man Stephen als alter ego von Joyce betrachtet, sondern auch diese notwendige Phase in der Pubertät, wo man Ich- und Welterfahrung lernen muss zu trennen. Natürlich sind dann auch die Bedrängnisse der Begierde gerade bei einem Jesuitenzögling sehr quälend.
    Aber das Ganze findet sich eben auch bei Proust, bei Hesse, bei Musil, Radiguet und anderen: Ich warte noch auf das wirklich Einzigartige. DA ich bisher von Joyce nur den Ulysses gelesen habe, stecke ich wohl einfach meine Erwartungen zu hoch.


    Schade finde ich es weiterhin, dass ich bei den einzelnen Szenen nie weiß, wie alt Stephen gerade ist. Ein oder zwei Jahre machen bei Kindern und Jugendlichen ja viel aus.
    Wie alt ist er z. B. vor der Weihnachtsaufführung,


    Wenn man Joyces Biografie danebenlegt, gehe ich davon aus, dass Stephen bei der Weihnachtsfeier 15 und bei seiner erotischen Initiation 16 Jahre alt ist.


    Ich habe nun mit dem 3. Kapitel begonnen, werde mich aber wahrscheinlich erst Ende der Woche wieder melden können.


    Euch eine schöne und stressfreie Arbeitswoche


    HG
    finsbury

  • Hallo Joyca,



    hallo, kann es sein, dass ich doch eine andere ausgabe lese ???


    bei mir ist Stephen eigentlich die ganze zeit erwachsen, also mindestens student.....


    Vielleicht hast du den Vorläufer "Stephen hero" am Wickel und nicht "A portrait of the artist as a young man" ?


    HG
    finsbury

  • Hallo alle zusammen!


    Doch, ich bin noch am Lesen und bin gerade im III. Kapitel. Die Passagen über seinen Glauben und die Predigten gefallen mir gut, es ist erstaunlich, wie Stephen trotz seines Alters schon über sich selbst nachdenkt. Ich frage mich nur, warum er denkt, dass er so ein schrecklicher Sünder ist und nie wieder zu Gott zurückfinden wird. Habe ich da was überlesen?
    Wahrscheinlich fühlt er einfach, dass er nicht bedingungslos glaubt und die Kirche nicht ernst nehmen kann. Er findet es schlimm und hat anscheinend auch Angst davor, aber er weiß trotzdem, dass er nicht dorthin zurückkehren wird und er will es wohl auch gar nicht.


    Ich bin gespannt, wie sich das weiter entwickelt. Seine Gedanken sind ja zur Zeit schon sehr düster und depressiv. Kein Wunder, das die Vorträge des Pfarrers über die Hölle und Sünden ihn treffen und verunsichern.


    fairy

    [size=9px]&quot;I can believe anything, provided that it is quite incredible.&quot;<br />~&quot;The picture of Dorian Gray&quot;by Oscar Wilde~<br /><br />:leserin: <br />Henry Fielding - Tom Jones<br /><br />Tad Williams - The Dragonbone Chair<br /><br />Mark Twai

  • Hallo!


    Bin auch noch da :winken: Allerdings verbringe ich gerade die meiste Zeit auf meinem Rad und komme so deutlich weniger zum Lesen :redface: Deshalb habe ich gerade erst die beiden ersten Kapitel beendet.


    Im zweiten Kapitel war die Religionslastigkeit Irlands zur Zeit von James Joyce noch deutlicher als im ersten Kapitel zu erkennen. Stephen war auch um einiges älter, was man an der Sprache und an den Dingen, die ihn interessierten und beschäftigten sehen konnte. Genial, wie James Joyce es schafft, das jeweilige Alter Stephens über die Sprache, in der er schreibt, auszudrücken :klatschen:


    Saltanah: jaja, die Fleischeslust :breitgrins: das war wieder mal eine herrlich geschriebene Stelle. Hier hat er die Seelennöte Stephens wunderbar ausgedrückt.


    BigBen + Joyca: danke für die Tipps!


    Im zweiten Kapitel bin ich auf einen alten Bekannten gestossen, nämlich auf Captain Marryat laut Nash "the greatest writer" ist. Das kann ich so zwar nicht unterschreiben, aber ich weiß, dass man in Großbritannien große Stücke auf ihn hält.


    Und zum Schluß kommt noch eine Frage an die deutschen Leser: im zweiten Kapitel isst Stephen in Cork zum Frühstück drisheens zum Frühstück (gefüllter Schafsmagen). Wie wird das denn übersetzt?


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • 3. Kapitel:
    Wow!
    Die Predigten über die Hölle haben mir wirklich den Atem verschlagen. Welch eine Wortgewalt! Und endlich kann ich nachvollziehen, wie jemand wirklich eine Höllenangst vor dem Leben nach dem Tode haben und ehrlich entsetzt über seinen Status als Todsünder sein kann. Ich bin zum Glück glaubenslos erzogen worden, weswegen mir die Drohung mit der ewigen Höllenqual als Strafe immer nur lächerlich erschienen war. Aber auf in einer "höllengläubigen" Umgebung aufgewachsenen, großen Sünder (und dann auch noch einen, der der größten Sünde von allen anheim gefallen ist "Ach, wäre es doch Mord" :breitgrins: ), der gerade mal 16 Jahre (endlich eine Altersangabe!) alt ist, muss eine solche Predigt sehr intensiv wirken. Gerade mit 16 befindet man sich ja in dem Alter, in dem man alles sehr ernst nimmt, man noch nicht gelernt hat, Sachen (vor sich selbst) zu relativieren, Entschuldigungen und Auswege zu finden. Ebenso intensiv, wie Stephen seine ersten sexuellen Erfahrungen erlebt hat, fürchtet er sich vor der Strafe dafür.
    Ich kann über die Vorstellung der Hölle zwar nur lächeln, nehme Stephen nach diesem Kapitel sein Entsetzen aber ab. Ich habe in diesem Kapitel wirklich etwas Neues gelernt.



    Ich frage mich nur, warum er denkt, dass er so ein schrecklicher Sünder ist und nie wieder zu Gott zurückfinden wird.


    Sex! :entsetzt: Und das nicht etwa zum Zwecke der Fortpflanzung im Rahmen einer Ehe, sondern nur der reinen Fleischeslust wegen. Ab in die Hölle! :zwinker:



    zum Frühstück drisheens(gefüllter Schafsmagen)


    :kotz: Ich wusste schon, wieso ich diese Vokabel nicht nachgeschlagen hatte. Und jetzt muss ich das vor dem Frühstück lesen...

    Wir sind irre, also lesen wir!

    Einmal editiert, zuletzt von Saltanah ()

  • Hallo!



    :kotz: Ich wusste schon, wieso ich diese Vokabel nicht nachgeschlagen hatte. Und jetzt muss ich das vor dem Frühstück lesen...


    :knuddel: Das wollte ich nun wirklich nicht. Die schottische Variante (Haggis) ist übrigens lecker und die esse ich ab und zu auch zum Frühstück.


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • finsbury


    das unglaubliche ist passiert, ich hab beide bücher in einer ausgabe, nicht auf der stelle auseinanderkennbar und ich hab tatsächlich mit dem "Held" begonnen.... :redface:


    also sowas ist mir auch noch nie passert :breitgrins:


    ich werde sofort mit dem 2.teil des buches beginnen


    LG
    JOYCA

  • Hallo!


    3. Kapitel
    Die Beschreibung der Hölle ist genial und man kann die Stephens Qualen richtig fühlen. Ich kann gut verstehen, dass er vor der Beichte bei seinem eigenen Priester Angst hat und von einem fremden Geistlichen eine mildere Behandlung erhofft. Lustig fand ich die Denkweise des Priesters: soso, Du hast Dich also der Fleischeslust schuldig gemacht... an Dir selbst... mit einer Frau... war sie verheiratet...? Fleischeslust scheint also nicht gleich Fleischeslust zu sein :zwinker: Eine Textpassage aus diesem Kapitel hat mir besonders gefallen "He went up to his room to be alone with his soul and at every step his soul seemed to sigh, at every step his sould mounted with his feet, sighing in the ascent, through a region of viscid gloom" Der arme Stephen, er fühlt sich wirklich schlecht.


    4.Kapitel
    Interessante Art, wie er sich bestrafen bzw. ablenken will. Und was bringt ihm das Ganze ein? Den Vorschlag, den Jesuiten beizutreten :ohnmacht: Aber er erkennt recht schnell, dass das nichts für ihn ist. Die Wanderung am Ende des Kapitels erinnert mich an Ulysses- ich muß ihn unbedingt wieder hervorholen!


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Hallo!


    Das letzte Kapitel habe ich in einem Rutsch durchgelesen. Anfangs dache ich, dass ich zwischendurch etwas weggelassen hätte, weil mir die Veränderung in Stephen so krass vorkam. Wo war der verstörte Junge/junge Mann geblieben, der sein Leben von der Kirche bestimmen liess? Aber der "neue" Stephen ist mir deutlich sympatischer, denn er hat sich endlich vn den Zwängen der Kirche gelöst und hinterfragt vieles, was er früher einfach hingenommen hätte. Gleichzeitig wirkt er aber auch arrogant, was mir besonders im Umgang mit Gleichaltrigen und seiner Familie aufgefallen ist. Ich findees schade, dass das Buch schon fertig ist, ich hätte Stephen gerne noch ein bisschen auf seinem Werdegang begleitet.


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • S.e.x.! :entsetzt: Und das nicht etwa zum Zwecke der Fortpflanzung im Rahmen einer Ehe, sondern nur der reinen Fleischeslust wegen. Ab in die Hölle! :zwinker:


    Ach ja, da war ja noch was... :redface:


    Also ich bin jetz mit dem III. Kapitel durch und bin wirklich begeistert, denn mit den Kapiteln davor wurde ich nicht so richtig warm, vor allem, weil mir alles so durcheinander vorkam.
    Am Ende des Kapitels hatte ich schon das Gefühl, dass Stephen es mit seiner neuen Gottesfürchtigkeit etwas übertreibt und sich da in irgendetwas völlig hineinsteigert.
    Ich bin gespannt, wie lange er das durchhält - so wie ich Joyce kenne, nicht lange! :breitgrins:


    fairy

    [size=9px]&quot;I can believe anything, provided that it is quite incredible.&quot;<br />~&quot;The picture of Dorian Gray&quot;by Oscar Wilde~<br /><br />:leserin: <br />Henry Fielding - Tom Jones<br /><br />Tad Williams - The Dragonbone Chair<br /><br />Mark Twai

  • Hallo!


    ...mit den Kapiteln davor wurde ich nicht so richtig warm, vor allem, weil mir alles so durcheinander vorkam.


    Das war am Anfang auch mein Problem, aber es hat wunderbar das Kind Stephen und wie er alles so erlebt dargestellt.


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Das war am Anfang auch mein Problem, aber es hat wunderbar das Kind Stephen und wie er alles so erlebt dargestellt.


    Ja, authentisch ist es schon, wenn ich mir überlege, wie ich meine Kindheit beschreiben würde. Klar, dass man da nur Erinnerungsfetzen aneinander reihen kann. Trotzdem liest es sich jetzt viel angenehmer, obwohl die Sprache schwieriger wird.

    [size=9px]&quot;I can believe anything, provided that it is quite incredible.&quot;<br />~&quot;The picture of Dorian Gray&quot;by Oscar Wilde~<br /><br />:leserin: <br />Henry Fielding - Tom Jones<br /><br />Tad Williams - The Dragonbone Chair<br /><br />Mark Twai

  • 4. Kapitel:
    Hier stellen sich endgültig die Weichen für Stephens Zukunft. Nach einem Anfall von tiefster Religiosität, der sich gut aus dem vorigen Höllenkapitel erklärt, wird ihm auf einmal, bei der Frage, ob er nicht den Jesuiten beitreten will, klar, dass das nicht seiner Natur entspricht. Er ist das einzelgängerische Genie, das unabhängig von Gesellschaft oder Kirche seinen eigenen Weg verfolgt. Gut, er erwähnt das Wort Genie nicht, aber das ist es, was ich hinter seinen Worten lese.
    Aber noch mal ein Stückchen zurück: ich fand es erschreckend zu lesen, wie er auf dem Wege eines sündenfreien Lebens mortified his senses, seine Sinne kasteit. Kein angenehmes Geühl darf er verspüren und unangenehmen körperlichen Empfindungen setzt er sich freiwillig aus, nur um näher an ein reines Leben zu gelangen. Das ist für mich zwar nichts Neues, aber es schockiert mich jedesmal wieder zu lesen, dass jede Art von Genuss und Lebensfreude sündenbeladen ist.
    Interessant fand ich auch, wie er allmählich über seine Lehrer hinauswächst, wie er jeden ihrer Aussprüche nicht mehr für bare Münze nimmt, sondern beginnt, sie zu hinterfragen und feststellt, dass er teilweise mehr weiß als sie. Auch eine typische Erfahrung des Erwachsenwerdens.



    mit den Kapiteln davor wurde ich nicht so richtig warm, vor allem, weil mir alles so durcheinander vorkam.


    Das ging mir auch so, und vor allem hatte ich öfter das Fehlen von altersangabe bemängelt. Bei genauerem Nachdenken erscheint mir dies allerdings erklärlich, da ich selbst Probleme habe, manche deutlichen Kindheitserinnerungen zeitlich zu bestimmen. Ich erinnere mich genau an Einzelheiten, könnte aber nicht sagen, ob ich damals 8, 9 oder 10 Jahre alt war. Auch in der Reihenfolge der Ereignisse ist mir einiges unklar.


    Die Sprache wird tatsächlich immer komplizierter, was sich deutlich in meiner Lesegeschwindigkeit und dem immer häufigeren Griff nach dem englisch-deutschen Wörterbuch niederschlägt. Viele Sätze musste ich zweimal lesen, um sie zu verstehen, aber meiner Meinung nach lohnt es sich. Nur hoffe ich, dass mir eine weitere Steigerung im Schwierigkeitsgrad erspart bleibt.


    Ich habe gestern abend übrigens mit einer Joyce-Biographie begonnen, die mir letzten Dienstag bei dem Bokrea in die Hände fiel:
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    Eine angenehm kurze, sprachlich sehr gute Biographie, bei der ich mir zwar manchmal mehr Einzelheiten wünsche, aber trotzdem froh darüber bin, kein 1000seitiges Mammutwerk vor mir zu haben. Ich bin keine große Biographienleserin. Einiges aus dem "Porträt des Künstlers" habe ich schon wiedererkannt.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Ich stecke zur Zeit im 5. Kapitel fest. Stephen hat der Religion endgültig den Rücken gekehrt und sieht seiner Zukunft als Künstler entgegen. Er macht sich viele Gedanken über die Kunst und hält Vorträge über ihre verschiedenen Aspekte. Ehrlich gesagt konnte ich diesen Vorträgen nicht wirklich folgen. Sie mögen für Literaturwissenschaftler, die sich intensiv mit Joyce auseinandersetzen, von höchstem Interesse sein, aber mir sagten sie inhaltlich nichts. Vor allem vermittelten sie mir ein Bild Stephens als arrogantem Besserwisser. Gut, er ist seiner Umwelt intellektuell wohl wirklich überlegen und weiß es tatsächlich besser, aber seine Art, dies heraushängen zu lassen, erweckt bei mir Abscheu. Als Darstellung eines 17-18jährigen (?) Jugendlichen, der von seiner Genialität überzeugt ist, und der mit typisch jugendlicher Selbstüberzeugung der Meinung ist, dass ihm die Welt bald zu Füßen liegen wird, ist es aber sehr gelungen.


    Zu dem Beginn des Kapitels ("Fill out the place for me to wash") sage ich lieber nichts, sonst steigt mein Blutdruck in ungeahnte Höhen. Glaubwürdig ist die Stelle, in der er seine Mutter dazu auffordert, dafür zu sorgen dass er sich waschen kann, (kann er sich das Wasser nicht selbst besorgen?) allerdings schon. Jugendliche, wie sie am schlimmsten sind... :rollen: Da werden gewisse Erinnerungen wach :redface: ...


    Morgen werde ich dann den Rest des Buches lesen.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Hallo zusammen,


    langsam, langsam geht's bei mir voran: Ich bin in den letzten Wochen nur abends kurz vorm Einschlafen zum Lesen gekommen. Und da sind die Höllenpredigten und religiösen Skrupel nichts, was mich vom einschlafen abhält, eher im Gegenteil.
    Diese Jesuiten kommen wunderbar raus, fast allzu realistisch, denn die Höllenpredigt hätte auch jeder Erbauungsschrift gut zu Gesicht gestanden.
    Nun bin ich am Ende des vierten Kapitels und konstatiere erleichtert - wie ihr auch, dass Stephen seine religiöse Phase hinter sich hat.
    Eine schöne Kernstelle, die sicher auch für Joyce selbst gilt, fand ich auf Seite 182 der SZ-Ausgabe:

    Zitat von "Stephen denkt"


    Seine Bestimmung war es, sozialen oder religiösen Ordnungen auszuweichen. [...] Ihm war bestimmt, seine eigene Weisheit fern von anderen zu erfahren oder die Weisheit anderer selbst zu erfahren als Wanderer in den Stricken der Welt.


    Eine schöne Formulierung, selbst in der deutschen Übersetzung!


    HG
    finsbury

  • Ich bin jetzt auch im 5. Kapitel und freue mich auch über Stephens Wandlung. Sehr witzig sind die Stellen, an denen er darüber nachdenkt, wie alt und leer man wird, wenn man sich Gott verschreibt. Er freut sich jedes Mal darüber, dass er diesem Schicksal entkommen ist, wenn er einen dieser alten Priester sieht... :breitgrins:


    Ein bisschen eingebildet kommt er schon rüber, aber ich finde, dass muss man als Jugendlicher auch sein, und vor allem als Künstler. Stephen ist jetzt viel selbstbewusster und möchte mehr über das Leben erfahren, während er in seiner Gottes-Phase alles, was mit dem Leben zu tun hat von sich geschoben hatte, um ja keiner Sünde zu erliegen. Das Kapitel zuvor war wirklich düster, jetzt endlich wird es etwas lebensfroh! :klatschen:


    Stephens neuen Freund Davin mag ich eigentlich auch ganz gern und er ist zumindest sympatischer als seine vorherigen "Freunde".


    fairy

    [size=9px]&quot;I can believe anything, provided that it is quite incredible.&quot;<br />~&quot;The picture of Dorian Gray&quot;by Oscar Wilde~<br /><br />:leserin: <br />Henry Fielding - Tom Jones<br /><br />Tad Williams - The Dragonbone Chair<br /><br />Mark Twai

  • Am Wochenende habe ich auch den Rest des 5. Kapitels gelesen. Es fällt mir schwer, etwas darüber zu sagen, außer, dass mir die letzten Sätze in Form von Tagebucheintragungen richtig ans Herz gegangen sind.
    Welcome, O life! So endet eine Periode von Stephens Leben und eine neue beginnt, von ihm glühend erwünscht und voller Enthusiasmus begrüßt. Wunderschön!
    Aber was ist mit dem allerletzten Satz? Ist Gott etwa doch kein abgeschlossenes Kapitel? Auch vorher schon kam ja durch, dass Stephen zwar die Kirche aus tiefstem Herzen verabscheut, aber von der Nicht-Existenz Gottes nicht ganz überzeugt ist. Und wenn er nun sagt "Old father, old artificer, stand me now and ever in good stead"*, so klingt das wie ein Gebet.
    Als Abschluss dieses Buches finde ich den Satz wunderbar gelungen; er wirkt auf mich wie ein Luft holen vor dem großen Sprung. Man versichert sich noch einmal seiner Kräfte und der Unterstützung, die man zum Bestehen des großen Abenteuers Leben braucht, denkt über die Grenzen der sichtbaren Realität hinaus an die Welt des Geistes, ist andächtig und erwartungsvoll zugleich. Ein Satz, der mich beinahe zur Religiosität verführen könnte. Aber ob Joyce dies so intendiert hatte? Egal - er ist einfach schön.


    *Wie lautet dieser Satz auf deutsch?

    Wir sind irre, also lesen wir!