Voltaire - Candide oder der Optimismus

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  • Der Philosoph und Junker, wegen seiner Gutmütigkeit „Candide“ genannt, lebt im schönsten aller Schlösser Westfalens, studiert bei dem großen Gelehrten Pangloß und liebt die schöne Tochter des Hauses namens Kunigunde. Letzteres führt zum Rauswurf aus dem Schloss und gibt dem weltfremden Jüngling Gelegenheit, sich episodenhaft auf einer Menge Abenteuer einzulassen und Pangloß’ These, alle Gegebenheiten in der Welt würden dem Menschen nur zum Besten gereichen, gleich nachzuprüfen. Während seiner Reise über die verschiedenen Kontinente gerät er zwischen Krieg, Folter, Elend, Kannibalismus, Inquisition, … kurz: durch das gesamte Repertoire menschlicher Verderbtheit. Wo dem Leser bereits schlecht wird anhand verstückelter Leichen, kreischenden Verbrennungsopfern und ertrunkenen Seeleuten, behält Candide an seinem Optimismus und somit auch an Pangloß’ Theorie fest.


    Auf einem einzigen Flecken Erde scheint die Vervollkommnung perfekt. Im südamerikanischen Eldorado, wo Diamanten wie Kieselsteine auf der Straße liegen, ewiger Friede herrscht und somit Gerichte und Gefängnisse sinnlos machen. Doch leider fühlt Candide sich zur Weiterreise gedrängt, weil seine Kunigunde inzwischen als Sklavin verschleppt wurde. Als er den Gelehrten Martin trifft, versucht dieser ihm zu vermitteln, dass neben dem guten auch ein schlechter Grundsatz herrsche. Am Schluss findet Candide Befriedigung darin, seinen Garten zu bestellen. Arbeit, zur Vertreibung von „Langeweile, Laster und Sorge“.


    „Herunter mit dem Kant, vivat unser Leibnitz! – Auf diesen also zurückzukommen, kann ich der Theodicee, dieser methodischen und breiten Entfaltung des Optimismus, in solcher Eigenschaft, kein anderes Verdienst zugestehn, als dieses, daß sie später Anlaß gegeben hat zum unsterblichen Candide des großen Voltaire; wodurch freilich Leibnitzens so oft wiederholte, lahme Exküse für die Uebel der Welt, daß nämlich das Schlechte bisweilen das Gute herbeiführt, einen ihm unerwarteten Beleg erhalten hat. Schon durch den Namen seines Helden deutete Voltaire an, daß es nur der Aufrichtigkeit bedarf, um das Gegentheil des Optimismus zu erkennen. Wirklich macht auf diesem Schauplatz der Sünde, des Leidens und des Todes der Optimismus eine so seltsame Figur, daß man ihn für Ironie halten müßte“
    [Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung]


    Oberflächlich gesehen eine Satire, ist im Kern eine Kritik an die Gesellschaft und der politischen Lage seiner Zeit. Mehr noch, sie ist eine Fragestellung nach dem Lebenssinn. Auch die Religion bleibt nicht verschont, die im Buch als Krankheit der Europäer bezeichnet wird. Mit philosophischen Einlagen entlarvt er das Paradies auf Erden als Illusion, des Menschen „freier Wille“ wird in Frage gestellt. Trotz Elend versucht Voltaire immer wieder die Geschehnisse auf glücklichen Bahnen zu lenken, wohl damit der Leser nicht vollends den Optimismus für die Zukunft verliert.


    „Von der Voltairischen Satire läßt sich kein solches Urteil fällen. Zwar ist es auch bei diesem Schriftsteller einzig nur die Wahrheit und Simplizität der Natur, wodurch er uns zuweilen poetisch rührt; es sei nun, daß er sie in einem naiven Charakter wirklich erreiche, wie mehrmals in seinem »Ingenu«, oder daß er sie, wie in seinem »Candide« u.a., suche und räche. Wo keines von beiden der Fall ist, da kann er uns zwar als witziger Kopf belustigen, aber gewiß nicht als Dichter bewegen. Aber seinem Spott liegt überall zu wenig Ernst zum Grunde, und dieses macht seinen Dichterberuf mit Recht verdächtig. Wir begegnen immer nur seinem Verstande, nicht seinem Gefühl. Es zeigt sich kein Ideal unter jener luftigen Hülle und kaum etwas absolut Festes in jener ewigen Bewegung. Seine wunderbare Mannigfaltigkeit in äußern Formen, weit entfernt, für die innere Fülle seines Geistes etwas zu beweisen, legt vielmehr ein bedenkliches Zeugnis dagegen ab, denn ungeachtet aller jener Formen hat er auch nicht eine gefunden, worin er ein Herz hätte abdrücken können. Beinahe muß man also fürchten, es war in diesem reichen Genius nur die Armut des Herzens, die seinen Beruf zur Satire bestimmte.“
    [Schiller: Über naive und sentimentalische Dichtung]


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    4ratten


    Gruß,
    dumbler

  • Voltaires Candide ist eine Abrechnung mit den Vertretern der Theodizee.
    Pangloss verkörpert Gottfried Wilhelm Leibniz, den Vater dieser These.
    Voltaire, der im jüngeren Alter noch mit Leibniz’ Schüler Pope sympathisierte, wendet sich im fortschreitendem Alter immer mehr von den Optimisten ab.


    Nach dem Erdbeben von Lissabon (1755), verfasst er das Gedicht über das Lissabonner Beben „Poème sur le désastre de Lisbonne“, wo er die Theodizee-These vehement ablehnt.
    Auf dieses Gedicht reagiert Rousseau mit einem Brief, der nicht nur seinen Optimismus, sondern auch seine Überzeugung von der natürlichen menschlichen Güte (l’homme porte en lui une bonté naturelle) verteidigt.
    Darauf hin verfasst Voltaire Candide ou l’optimisme.
    Voltaire wird zu Recht der Vorwurf gemacht, Leibniz’ Theodizee-Essay simplifiziert zu haben, indem er Candide nach jeder Katasrophe sagen lässt : …das soll die beste aller möglichen Welten sein?...
    Dass Voltaire dem Optimismus jedoch nicht ganz abgeschworen hatte, zeigen die Zeilen aus seinem Lissabonner Gedicht:
    Un jour tout sera bien, voilà notre espérence
    Tout est bien aujourd’hui, voilà l’illusion.


    dora


    Edit: lauter Tippfehler... :sauer:

    Einmal editiert, zuletzt von dora ()

  • Voltaire: Candid. Reclam Verlag, 120 Seiten. Originalausgabe erschienen 1759.


    (keine Abbildung bei Amazon)


    Dieses Buch lässt sich schnell und einfach lesen. Aus Ehrfurcht habe ich lange nicht zu ihm gegriffen, ein Name wie "Voltaire", ein Titel wie "Candid" (der Übersetzer Ernst Sander hat das Schluss-e, das man in vielen anderen Übersetzungen findet, wegfallen lassen) flößen erst einmal "Respekt" ein und haben mich komplexe philosophische Abhandlungen erwarten lassen. Weit gefehlt. So kann man sich durch einen Titel täuschen lassen.


    Es ist die Geschichte des Jünglings Candid, was der Harmlose, der Offenherzige bedeutet. Sein Lehrer Pangloß hält diese Welt für gut und Candid glaubt ihm auch zunächst. Auf seiner Reise erlebt Candid jedoch viele Unglücke, Erdbeben, Vergewaltigungen, Kriege, Verbrennungen, Neid und Mißgunst. Einzig das südamerikanische Eldorado ist ein Ort des Friedens und Wohlstands. Warum wurde diese Welt so geschaffen und was hat der Mensch in ihr zu suchen? - das ist die zentrale philosophische Frage des Büchleins. Sehr offen und direkt werden dabei die Widerlichkeiten dieser Welt dargestellt. Man kann sich kaum vorstellen, dass diese offene Art der Darstellung seinerzeit erlaubt gewesen ist. Im Nachwort habe ich jedoch keinen Hinweis auf ein evtl. Verbot gefunden. Candid glaubt weiter an sein Glück und rennt ihm hinterher. Das Buch gibt im Schlusskapitel eine Antwort auf die zentrale Frage, ob sie befriedigt, muss jeder Leser für sich herausfinden. Da die Figuren heutzutage etwas überzeichnet wirken, gibt es einen Punkt Abzug.


    Ein sehr lesenswerter Roman


    4ratten


    Gruß,
    Thomas

  • ein Name wie "Voltaire", ein Titel wie "Candid" [...]haben mich komplexe philosophische Abhandlungen erwarten lassen. Weit gefehlt.


    Man kann Voltaire vieles vorwerfen ... aber ein komplexer Philosoph war er eigentlich nicht, in keinem seiner Werke ... :zwinker: :smile:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Meine Erinnerungen an diesen Text sind nur sehr fragmentarisch sind (und das ist noch geprahlt), aber unser Lehrer im Französisch-Leistungskurs der Oberstufe war einfach nicht in der Lage, mich dafür auch nur ansatzweise zu begeistern. Normalerweise habe ich die entsprechenden Lektüren dann auf Deutsch parallel im Unterricht im Buch mitgelesen, das habe ich hier aber wohl unterlassen, sonst wüßte ich sicher noch mehr davon. Dabei klingt es gar nicht uninteressant. Hm, vielleicht sollte ich es einfach noch mal lesen, nur nicht gerade auf Französisch ... ?


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Man kann Voltaire vieles vorwerfen ... aber ein komplexer Philosoph war er eigentlich nicht, in keinem seiner Werke ... :zwinker: :smile:


    Tja, da kannst du mal sehen, wie man sich blenden lassen kann. Hatte ja nie vorher von ihm was gelesen. Lohnen sich denn die gesammelten Werke von ihm?


    Gruß, Thomas

  • Lohnen sich denn die gesammelten Werke von ihm?


    Keine Ahnung. Einige seiner Erzählungen (Zadig, Mikromegas, Der weisse Stier) sind ähnlich wie Candide relativ witzige Satiren. Seine Theaterstücke kenne ich nur aus zweiter Hand; sie sollen aber für Heutige nicht lohnen. Sein Dictionnaire philosophique portatif enthält z.T. witzige, aphoristisch gehaltene Artikel. Voltaire war ein Vielschreiber, und, wie so oft bei Vielschreibern, ist es eine wahre Goldwäscherarbeit, die paar brauchbaren Körnchen aus dem Geschiebe des Rests herauszufiltern ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Ich lese gerade Candide und war auch sehr erstaunt, wie leicht Voltaire zu lesen ist.


    Voltaires Anliegen, die Philosophie Leipnitz lächerlich zu machen, dass alles gut ist so wie es ist, ist ihm wirklich gelungen.
    Dieses Buch gilt ja auch als Vorreiter der historischen Romane.


    Germa :kaffee:

  • Meine Meinung

    Ich lese gerade Candide und war auch sehr erstaunt, wie leicht Voltaire zu lesen ist.


    So ging es mir auch. Ich hatte vor dem Namen Respekt, ohne das Werk zu kennen und war deshalb angenehm überrascht, wie angenehm sich die Geschichte gelesen hat.


    Candide glaubt an das Glück und ist unbeirrt auf der Suche danach. Auch die schrecklichsten Ereignissen kann er sich so erklären, dass sie für etwas gut gewesen sind. Er hadert nie mit dem Schicksal, sondern nimmt alles an. Aber kann man wirklich so leben? Am Anfang hat mir diese Einstellung noch gefallen, aber irgendwann wurde es mir zu viel. Ich hätte mir gewünscht, dass er aufbegehrt und versucht, aktiv etwas zu verändern anstatt nur zu reagieren. Was mir zuerst wie positive Einstellung vorkam, wurde später für mich zur Passivität- eine Eigenschaft, die ich weder in Büchern noch im wahren Leben mag.
    3ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.