Siegfried Lenz - Deutschstunde

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    Inhalt:
    Siggi Jepsen bekommt in einer Hamburger Anstalt für straffällig gewordene Jugendliche von seinem Deutschlehrer den Auftrag, einen Aufsatz zum Thema "Die Freuden der Pflicht" zu schreiben. Weil ihm aber bei diesem Thema die Masse der Ideen im Wege steht und er einfach keinen Anfang findet, gibt er ein leeres Heft ab, was seinen Lehrer dazu veranlasst, bei Direktor Himpel vorzusprechen, der ihm daraufhin in "Einzelhaft" die Strafarbeit gibt, diesen Aufsatz nachzuschreiben - und Siggi nimmt sich dieser Aufgabe sehr ernsthaft an. So reisen wir mit ihm ins Norddeutsche, nach Rügbüll, wo Siggi als zehnjähriger die letzten Jahre des Zweiten Weltkrieges im Hause seiner Eltern erlebt. Siggis Vater, der Polizist Jens Ole Jepsen, hat den Auftrag bekommen, dem Maler Nansen das Malverbot aus Berlin mitzuteilen und zu überwachen. Einst waren die beiden Männer eng befreundet, Nansen hatte Jepsen sogar das Leben gerettet. Doch was für Jepsen die Erfüllung seiner Pflicht ist, ist für Nansen unverständlich und nicht ausführbar: Er stellt von Anfang an klar, dass man ihm nicht das Malen verbieten könne, nein, er würde eher unsichtbare Bilder malen. Und während Nansen anfangs das Malverbot noch umgeht, steigert sich der Dorfpolizist in seine Aufgabe hinein und zieht damit auch Siggi in einen Konflikt, der einerseits mit Nansen befreundet ist, andererseits aber seinem Vater versprechen muss, ihm bei der Überwachung des Malverbotes zu helfen...


    Meine Meinung:


    Ich kannte "Deutschstunde" nicht als Schullektüre, habe sie mir einfach interessehalber in der SZ-Serie gekauft und lange Zeit im Schrank stehen gehabt. Nun habe ich mich der Geschichte also mal gewidmet und muss sagen: Ich bin restlos begeistert!
    Zum einen fand ich Lenz' (bzw. Siggis) Sprache wunderbar! Der Erzähler ist gezwungen, sich die Sprache eines 20jährigen anzunehmen (so alt ist der Ich-Erzähler Siggi), was ihm meiner Meinung nach wunderbar gelingt. Da kommen nicht nur auflockernde Floskeln drin vor, sondern überhaupt ist die Sprache eingängig und authentisch. Teilweise ist einfach wunderbare Ironie versteckt (z.B. in den Namen (Lehrer Prugel)). Und mit dieser lockeren Sprache gelingt es Siggi, nicht nur seine Gefühle auszudrücken, sondern auch ganz wunderbar die Landschaft und die Menschen im Norden nachzuzeichnen. Ich habe mich einfach wohl gefühlt in diesem Buch, hatte das Gefühl, die Möwen zu hören oder das Gewitter heraufkommen zu sehen.


    Außerdem war die Geschichte gut. Siggi beschreibt sehr gut, welchem Konflikt er hat, wie er zwischen der Authorität seines Vaters und der Zuneigung des Malers schwankt und wie er versucht, alles richtig zu machen. Der Mikrokosmos Rügbüll zeigt beispielhaft die Probleme der Menschen am Ende der NS-Zeit. Natürlich wird auch mit dem Begriff der Pflicht gespielt, der durch die Menschen in ihren unterschiedlichen Situationen unterschiedlichste Definitionen erfährt. Also nicht nur sprachlich gut, sondern auch noch ein wenig moralisch (bzw. etwas zum nachdenken, genauso wie über die Begriffe "Heimat", "die Anderen" oder die Frage nach Gerechtigkeit).


    Ihr seht, ich bin begeistert und meine lieben Schüler werden später einmal nicht von diesem Buch verschont bleiben :zwinker:


    Alle fünf Ratten für eines der meistgelesenen Bücher eines deutschen Autors der Nachkriegszeit.


    5ratten


    Freue mich über Diskussionen oder auch andere Meinungen. Immerhin scheint dieses Buch die Leser ja zu spalten.


    Grüße,
    die Lidscha

  • Macht Lust auf selber lesen, aber gehört das nicht mehr in "Weltliteratur"????

    "Das ist nicht zu sagen, was ich auszustehen habe von meinem Durst und meiner Begierde nach ihr, ich wollte, ich könnte sagen, es wird mein Tod sein, aber man kann damit weder leben noch sterben."

  • Hei!


    Ja, ich war unsicher, weil es ja doch sehr spezifische deutsche Literatur ist. Aber wenn es viele bei Weltliteratur besser aufgehoben finden, dann habe ich kein Problem damit, wenn es verschoben wird :smile:


    Grüße!

  • Ich habe Deutschstunde mal angefangen, aber nach dreißig Seiten aufgegeben. Mir persönlich hat der Stil nicht gefallen und die Handlung hat mich in diesen paar Seiten auch nicht so umgehauen, dass ich deswegen weitergelesen hätte.
    Ich hatte schon da angefangen, Absätze zu überspringen...
    Ich hoffe, niemand wird in der Schule gezwungen sein, dieses Buch zu lesen, weil ich vermute, dass es sehr unterschiedliche Meinungen dazu gibt. Und dafür, dass man davon ausgehen kann, dass es einem Teil der Klasse nicht gefällt, ist es dann doch zu dick.


    lg,


    mondpilz

  • hallo!


    Lidscha ich kann Dir nur zustimmen. :smile:


    Das Buch ist einer meiner absoluten Lieblingsbücher. Ich kann kaum verstehen, dass man es nicht mögen kann.
    Aber gut, so ist das eben... :)


    Ich persönlich finde das erste Kapitel ist einfach perfekt geschrieben. Das hat mich wirklich beeindruckt und ich fand, dass es das beste
    erste Kapitel ist, dass ich bis jetzt gelesen hatte. :smile: Daran hat sich bis jetzt nichts geändert..


    Lenz hat Norddeutschland und die Menschen dort wirklich sehr gut eingefangen... Die Glüseruper (?) Kaffeetafel alleine schon! Kann man immer wieder lesen..
    Ich habe die Szene genau vor meinen Augen; wie die Kuchenteller kreisen, der Kaffee geschlürft wird, der Kuchen "hineingebrockt", der Schnaps hinterher..
    Anschließend von allen Gästen die Begutachtung und Befühlung der Geburtstagsgeschenke.. :breitgrins:


    Ich finde alle Aspekte/Teile des Buchs sind sehr gut gelungen; der Maler und seine Bilder, die Anstalt, die Psychologen..


    Auch das Fazit, dass eigentlich die Eltern in die Anstalt gehören und nicht die Jugendlichen! Nicht nur in diesem Fall kann man da nur zustimmen.. :rollen:



    So sehr ich das Buch liebe, ich würde es schade finden, wenn manche das Buch hassen alleine aus dem Grund, dass sie es in der Schule lesen mussten.. :(
    Andererseits steckt so viel gutes in diesem Buch, dass es auch schade wäre es nicht zu lesen... ;)


    Gruß,
    Conny

  • Die fünf Sterne finde ich vollkommen gerechtfertigt, ein wunderbares deutsches Nachkriegsbuch, das uns auch heute noch was zu sagen hat. Aus ähnlicher Zeit ist ja die Blechtrommel von Grass. Das finde ich sprachlich noch abwechslungsreicher und noch einen Tick besser gemacht.


    Gruß, Thomas

  • Hallo!


    Es ist schon eine Weile her, dass ich die Deutschstunde gelesen habe, aber ich kann mich den fünf Ratten nur anschliessen. Anfangs ist es mir schwer gefallen, in das Buch hineinzukommen, aber dann hat es mich nicht mehr losgelassen. Siegfried Lenz die Konflikte Siggis so lebendig beschrieben, dass ich manchmal Gänsehaut bekommen habe. Für mich ist es ein Buch, das auch lange nach dem Lesen seine Wirkung nicht verliert.


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • mondpilz: Naja, dann dürfen wir in der Schule aber gar nichts mehr lesen lassen, denn ich denke man kann immer davon ausgehen, dass ein Teil der Klasse das entsprechende Buch nicht mag (allein schon deshalb, weil oft ein nicht geringer Teil der Klasse gar kein Buch mag). Ich finde Deutschstunde in vielen Aspekten sehr ergiebig, es muss sich ja nicht jeder intensiv mit dem Aufbau befassen. Es lassen sich ja durchaus einige Themen in die heutige Zeit übertragen.


    Grüße!

  • @Die Lidscha


    Ja, da hast du natürlich Recht, aber wie ich oben schon sagte


    Und dafür, dass man davon ausgehen kann, dass es einem Teil der Klasse nicht gefällt, ist es dann doch zu dick.


    Klar, man muss dann generell sagen, dass Bücher mit über fünfhundert Seiten definitiv nicht als Schullektüre geeignet sind.


    lg,


    mondpilz

  • Dieser Thread macht mir richtig Mut, denn das Buch gammelt seit zwei Jahren auf meinem SUB herum, und ich hab es nicht mal über mich gebracht, es in die SLW-Liste aufzunehmen, weil ich dachte, es würde mich garantiert zu Tode langweilen :redface:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Die Seitenzahl hat gar nichts zu bedeuten, wir mussten auch umfangreiche Werke wie "Felix Krull" lesen und ein Freund von mir liest im Deutschunterricht gerade Dostojewskis "Schuld und Sühne".

  • ein Freund von mir liest im Deutschunterricht gerade Dostojewskis "Schuld und Sühne".


    Scusi, ist OT, aber: Dostojewskij im Deutschunterricht?!? :entsetzt: :entsetzt: :entsetzt:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Scusi, ist OT, aber: Dostojewskij im Deutschunterricht?!? :entsetzt: :entsetzt: :entsetzt:


    Versteh ich auch nicht, obwohl unsereiner damals Hemmingway im Französischunterricht hatte. :rollen:


    Gruß,
    dumbler


  • Versteh ich auch nicht, obwohl unsereiner damals Hemmingway im Französischunterricht hatte. :rollen:


    Um das OT noch ein bisschen auszuweiten: Ich finde es ja gut, dass auch Weltliteratur an den Gymnasien behandelt wird. Aber man sollte sich ernsthaft überlegen (in den Kultusministerien oder wer immer da federführend ist), so ein Fach separat einzuführen ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Ich bin auch sehr vorsichtig, was Klassiker anbelangt.
    "Deutschstunde" habe ich von einer Lektorin (privat) empfohlen bekommen.
    Mit den ersten Seiten habe ich mich schwer getan. Dieser Stil ist für Neuzeitler eher ungewohnt. Aber ich lese grundsätzlich mindestens die ersten 30 Seiten, bevor ich ein Buch weglege.
    "Deutschstunde" habe ich nicht weggelegt. Es hat mir - einmal in den Text eingelesen - Spaß gemacht weiter zu lesen.
    Es wird eines von den wenigen Büchern sein, das ich noch einmal lesen werde.


    Die fünf Ratten kann ich nur bestätigen.

    Gruß Charly


  • Um das OT noch ein bisschen auszuweiten: Ich finde es ja gut, dass auch Weltliteratur an den Gymnasien behandelt wird. Aber man sollte sich ernsthaft überlegen (in den Kultusministerien oder wer immer da federführend ist), so ein Fach separat einzuführen ...


    Weiter o. t.: Ich kann nur für Österreich sprechen: Hier lässt der Lehrplan für Deutsch an Gymnasien längst Spielraum für alles und jedes, fremdsprachige Literatur inklusive. Das Problem sind sehr oft die Lehrer: Die lieber Jahr für Jahr die ihnen schon bekannten Bücher behandeln und vor jeder anderen Lektüre zurückscheuen. (Ein Gespräch mit einer Lehrerin vor einigen Tagen hat dies bestätigt: Sie meinte, dass es für sie praktisch keine Restriktionen gäbe. Alles wäre möglich, jede Art von Literatur, Fremdsprachiges, was auch immer. Sie sei allerdings die einzige, die - in einem riesigen Schulzentrum - so etwas im Unterricht tatsächlich auch versuche.)


    Leider wird großteils noch die lehrplanmäßige Blödheit von vor 40 Jahren vorexerziert: Etwa mit 12 oder 13jährigen die "Iphigenie" zu lesen. Der Erfolg bleibt nicht aus, Literatur ist langweilig und scheiße.


    Grüße


    s.

  • Hallo!



    Weiter o. t.: Ich kann nur für Österreich sprechen: Hier lässt der Lehrplan für Deutsch an Gymnasien längst Spielraum für alles und jedes, fremdsprachige Literatur inklusive. Das Problem sind sehr oft die Lehrer: Die lieber Jahr für Jahr die ihnen schon bekannten Bücher behandeln und vor jeder anderen Lektüre zurückscheuen.


    Auch OT.
    Das kann ich in meinem Fall bestätigen. Da unser Deutschlehrer gleichzeitig unser Klassenvorstand war, haben wir uns sehr wenig mit Literatur beschäftigt. Kurz einmal Cervantes, dann ein bisschen Bachmann hier, ein bisschen Goethe da. Im letzen Gymnasienjahr gab es ein Angebot einer anderen Deutschlehrerin, im Rahmen eines Wahlfaches deutsche Literatur zu behandeln. Leider fand die Stunde nur zweimal statt, weil wir nur zu Viert waren (acht Anmeldungen wären, glaube ich, notwenig gewesen, um es dauerhaft zu veranstalten). War sehr schade. Zumindest hatte sie es versucht.


    Liebe Grüße
    nikki

    Ich lese gerade:<br />Lion Feuchtwanger - Der jüdische Krieg

  • Prinzipiell sieht es der Lehrplan einfach nicht vor, große Ausschweifungen in die Weltliteratur zu machen :rollen: :rollen: ..Man hat ein paar Themen, die man durchboxen muss und der Rest geht dann für die Abiturvorbereitung drauf..


    Für das Abitur 2008 in Niedersachsen sind vorgesehen


    -Felix Krull von Thomas Mann
    - Der hessische Landbote, Lenz und Woyzeck von Büchner
    und als nächstes großes Thema noch Sprachkritik glaube ich.


    Na ja, was man in der Schule nicht haben kann, holt man zu Hause nach :breitgrins: :breitgrins:

  • Ich bin mir nicht sicher, ob das hier noch jemand liest, doch da ich das Buch gerade lese drängen sich mir zwei Fragen auf, die ich geklärt haben will:


    1. Betreffend das Kapitel "Das zweite Gesicht":



    2. Betrffend das Kapitel "Porträt":


  • Inhalt
    Siggie Jepsen befindet sich in einer Jugendbesserungsanstalt. Jeden Freitag ist dort Deutschstunde in der die Schüler einen Aufatz schreiben müssen. Das Thema lautet diesmal "Die Freuden der Pflicht". Siggie gibt zunächst ein leeres Heft hab, mit der Begründung nichts schreiben zu können. Als Strafarbeit bekommt er daraufhin so lange Zeit wie er benötigt, um das vorgegebene Aufsatzthema auszuarbeiten. Was folgt ist die Beschreibung der Kindheit eines Jugendlichen gegen Ende des zweiten Weltkrieges und der Zwiesplat der damaligen Bevölkerung gegen Verstand und nur aus Pflichtbewusstsein zu handeln.


    Meinung
    Ich muss ehrlich gestehen, dass ich anfags so gar keinen Zugang zum Buch gefunden habe. Nach zwei Abbrüchen und einigen Wochen dazwischen hab ich es erst beim dritten Mal geschafft über die ersten 30 zu kommen. Mit den anfänglichen Beschreibungen und der wirklich detaillierten Sprache konnte ich zunächst gar nichts anfangen. Gibt man dem Buch jedoch eine Chance wird man im Verlauf wirklich belohnt. Manchmal kam ich mir nämlich wirklich so vor, dass sich die Nordsee gerade vor meiner Haustür befindet. Siegfried Lenz transferiert den Leser mit Hilfe seiner Beschreibungen in den Norden Deutschlands und vermittelt so ein unglaublich reales und atmosphärisch dichtes Szenario.
    Ohne "erhobenen Zeigefinger" beschreibt Lenz den Zwiespalt in der die damalige Bevölkerung stand: Dem Land zu dienen oder eigenes Rechtempfinden gelten zu lassen und somit ein eher demokratisches Umfeld zu schaffen. Aus den unterschiedlichsten Perspektiven wird dieses Thema aufgegriffen; was sich am Ende zu einem glaubwürdigen Gesamtbild der damaligen Zeit und deren Menschen zusammensetzt.


    Uneingeschränkt kann ich "Deutschstunde" demnach nur empfehlen und vergebe somit 5ratten