Marisha Pessl - Die alltägliche Physik des Unglücks

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  • Titel: Die alltägliche Physik des Unglücks
    Originaltitel: Special Topics In Calamity Physics
    Autorin: Marisha Pessl
    Verlag: S. Fischer
    Erschienen: März 2007
    Seitenzahl: 608
    ISBN: 3100608038
    Preis: 19.90 EUR


    Die Autorin:
    Marisha Pessl wurde 1977 geboren, studierte an der Columbia University. Pessl lebt in New York. "Die alltägliche Physik des Unglücks" ist ihr erstes Buch.


    Worum geht es?
    Blue hat den Blues. Ihr Vater, der Universitätsprofessor, zieht schon wieder um. Nie länger als ein Semester bleiben Tochter und Vater an einem Ort. Bald kennt Blue jedes College. Zum Glück hat sie die Bücher - ihre engsten Vertrauten. Und so hungrig wie sie Geschichten auf Papier verschlingt, so lustvoll stürzt sie sich ins pralle Leben: Charmant und witzig besticht sie als wandelndes Lexikon und lässt zugleich keine Wodkaflasche an sich vorbeiziehen. Jeder weiß, Blue ist besonders. Man liegt ihr zu Füßen. Und dann passiert ein mysteriöser Mord und ihr Leben gerät aus den Fugen. Ein Aufsehen erregender und temporeicher Roman und ein spannend komischer Streifzug quer durch die Sätze von Shakespeare bis Cary Grant.


    Meine Meinung:
    Man stelle sich mal folgendes Szenario vor. Da sitzt man mit ein paar Leuten bei einem Gläschen Wein zusammen, aber nur einer bzw. nur eine redet. Und niemand kann sich der Faszination der Erzählerin entziehen. So geht es einem bei der Lektüre dieses Buches. Marisha Pessl erzählt und man hängt an ihren Lippen.
    Ein Buch wie ein Vulkan!
    Für mich eines der besten Bücher der letzten Jahre.
    Marisha Pessl ist eine Vollbluterzählerin. Schon die ersten Seiten ziehen den Leser in den Bann dieses Buches. Es beginnt mit einer Lektüreliste, die zugleich die jeweiligen Überschriften für die einzelnen Kapitel liefert. Das Buch sprudelt nur so über von immer neuen, faszinierenden Einfällen. Die Zitate reichen von „Shakespeare bis Gary Crant“ wie es der Klappentext verrät; jedes Zitat mit dem kurzen Hinweis auf seine Quelle.
    Da ist Hannah die Dozentin für Filmkunst, die eine Gruppe von Schülern um sich geschart hat, die sich bei ihr an den Sonntagen zum Essen trifft. Hannah ist für die Jugendlichen faszinierend und geheimnisvoll zugleich. Zu dieser Gruppe gehört auch Blue van Meer, die mit ihrem Vater, Universitätsdozent, mindestens einmal im Jahr umzieht, weil er an den verschiedensten Universitäten kurze Gastprofessuren annimmt. Ein charismatischer Typ, der seine Tochter pausenlos pushed und ihr aber gleichzeitig auch die Mutter ersetzen muss.
    Marisha Pessl erzählt mit einer kaum vorstellbaren Intensität und Vielfalt. Keine Seite dieses Buches ist langweilig, jedes Wort steht dort wo es hingehört und so werden Sätze geformt, die an Inhaltsreichtum nichts zu wünschen übrig lassen.
    Die Begeisterung, die das Buch in den USA ausgelöst hat ist mehr als nachvollziehbar. Ohne Frage eine echte Sternstunde der zeitgenössischen Literatur.
    Es gibt nur sehr wenige Bücher, die mich dermaßen fasziniert haben. Für 19.90 EUR bekommt ein echtes Literaturhighlight.


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  • Dem begeisterten Urteil von @Nichtraucher schließe ich mich an!


    Das Buch (Genre Campus-Novel) ist unglaublich vollgepackt mit Handlung, echten und fiktiven Zitaten und Literaturangaben und erschlägt einen anfangs geradezu; auf jeder Seite steht soviel (auch an Hinweisen u. Assoziationen) wie in anderen Büchern auf 3 Seiten.
    Es ist unglaublich dicht gepackt und liest sich gleichzeitig ganz locker - eine gewisse (literarische Vor-)Bildung und Interesse an älteren Filmen sind beim Lesen aber sehr von Vorteil, sonst entgeht einem einiges!


    Ich vermute , dass ich mein persönliches Highlight 2007 bereits zu 2/3 durchgelesen habe. Dieses Buch ist so voll von wunderbaren, witzigen, originellen Gedanken, Vergleichen, Beobachtungen und Bonmots, dass ich es jetzt stiftbewaffnet lese, um die guten Stellen später schneller wieder zu finden. Und schlechte oder schwache Stellen habe ich bisher (auf S. 458/601) noch nicht gefunden.


    Aber sowas von Hutab!! :laola:

    Wissen verwandelt Fragen in Antworten; <br />Weisheit verwandelt Antworten in Fragen.

  • Hm. Auch an einem Stück "durchgefressen", allerdings mit sehr gemischten Gefühlen.
    Einerseits hielt mich die intensive, dichte Schilderung und das Zugehen auf die zu erwartenden Merkwürdigkeiten gefangen. Andererseits habe ich mich aber auch laufend geärgert.


    Die, im Realitätsabgleich, absurde Vater-Tochter Beziehung und deren völlig unplausible, unrealistische Lebensgestaltung, sowie die (auch bei ungewöhnlicher Intelligenz und Bildung) schlechterdings unmögliche "Weisheit" einer Sechzehnjährigen, machten die Lektüre zwar unterhaltlich, aber nicht bereichernd.


    Die Darstellung der U.S.-schulischen Soziologie ist äußerst verengt, aber soweit treffend, findet sich allerdings wesentlich erhellender bei anderen zeitgenössischen Autoren (nur zwei Beispiele:Tom Wolfe "I am Charlotte Simmons", Jeffrey Eugenides "The Virgin Suicides").


    Der obsessive, narzisstische Flirt der Autorin mit den bildungsbürgerlichen Eitelkeiten des Lesers treibt sie m.E. in teilweise peinliche Schwachsinnigkeiten.
    Nur ein Beispiel:"....and then, with the same clarity that overtook Robespierre as he lounged in a bath and liberté, egalité, fraternité sailed into his head - three great merchant ships coming into port - I knew what I had to do."
    Dies anläßlich der Entscheidung, die Einladung zu einem Treffen der Mitschüler anzunehmen.....hier werden zwei Halme Schnittlauch für die Suppe in 50 langstieligen Rosen geliefert. Oder soll Dergleichen ironisch sein? Hm.


    Die Angaben fiktiver Quellen sind witzig. Bei den realen schien mir doch sehr vieles ohne inhaltliche Not und häufig zudem, da deutlich hintergrundlos, mehr dem Konversationslexikon entnommen denn eigenem Wissen.
    Auch die Fremdsprachengewalt schien mir nicht zu halten, was sie offenbar scheinen sollte.
    Beispiel: ......(see Das unglaubliche Leben d e r Wolfgang Becker, Becker 1953).


    Sicher könnte dies alles nicht wirklich an einem literarischen Ereignis kratzen. Ich kann aber - leider - die Hymnen, die der Autorin gesungen wurden selbst nicht mitsingen, so wir mir selbst ein Zugang eben nur möglich ist. Für mich war es nur eine teilweise fesselnde Unterhaltungssuada über ein, scheinbar, alltägliches, bei genauerem Hinsehen uninteressantes, Handlungsgeflecht auf tatsächlich dunklem (ziemlich bemüht phantastischem) Untergrund - mit Anleihen bei Vonnegut (nur stilistisch), Eco (dem massiven Umwerben des "gebildeten" Lesers mittels Bildungsquerverweisen) und Leuten wie Grisham, Crighton was die Hintergrunddramatik betrifft.


    Vielleicht bin ich aber auch nur zu alt oder zu eng für dieses Buch. Im Zweifel für den Autor :breitgrins:

  • gantenbeinin: Ich bin 19 und vermutlich noch nicht zu alt für das Buch. Und ich fand's furchtbar.


    Das Buch wurde in diversen Zeitschriften ja recht aggressiv beworben und ich hatte es extra in der Bücherei zurücklegen lassen und bin gleich hingehechtet, als es da war.


    Leider war ich dann sehr enttäuscht, als ich anfing zu lesen. Das Buch hat mich nicht berührt und ich hatte nur das unangenehme Gefühl, dass hier solche Klischees vom begabten, intelligenten Mädchen mit der "besonderen" Beziehung zum Vater bedient werden. Hört sich an wie von Gilmore Girls/Harry Potter/was weiß ich abgeguckt. An den Haaren herbeigezogen. Außerdem war sie 'ne ziemliche Klugsch**ßerin. Ich hasse Leute, die damit hausieren gehen, welche Bücher sie schon gelesen haben.


    Aber vielleicht schlägt da der Holden Caulfield in mir durch. :rollen:


    Ich kann aber trotzdem nachvollziehen, wenn jemand es gut fand. Denn gut erzählt war es schon. Nur definitiv nix für mich.


    Was lerne ich daraus? Bücher, auf denen nicht Harry Potter steht und die plötzlich in allen Medien omnipräsent sind, möglichst aus dem Weg gehen...

    Liest:<br />Matt Ruff - Bad Monkeys

    Einmal editiert, zuletzt von Polkadot ()

  • Hallo zusammen,


    nachdem ich das Buch anlässlich seines Erscheinens im Club nun auch erhalten und gelesen habe, etabliere ich mich in der Mitte der hier dargestellten Meinungsbildes.


    Ich hab's nicht als literarisches Ereignis, sondern als Unterhaltungsroman gelesen, der mich interessiert hat, weil der Plot nach einer Lektüreliste gegliedert ist und so was mag ich eben.


    Ich glaube, dass dieser Roman ein guter Erstling ist. Die Manieriertheiten, die Bettina beklagt, sehe ich ähnlich, aber die Autorin ist jetzt 30 und war während der Abfassung des Roman ca. Mitte zwanzig, da kann man schon einige Überzogenheiten verzeihen.


    Mir hat gefallen, dass diese sehr konservative Einstellung, die der omnipotente "Dad" vertritt, durch die Auflösung des Romanrätsels ad absurdum geführt wird.
    Insgesamt war es ein lustiges und ein bisschen intellektuell aufreizendes Vexierspielchen, das mich sehr unterhalten hat.
    Ich kann mir durchaus vorstellen, weitere Romane der Autorin zu lesen, sehe sie aber nicht als aufgehenden Stern am us-amerikanischen Literaturhimmel.


    HG
    finsbury

  • Ich wollte nun auch mal meine Meinung zu dem Buch loswerden:


    Gestern habe ich "Die alltägliche Physik des Unglücks" beendet und bin mit gemischten Gefühlen zum Ende gekommen. Erst zog sich das Buch ganz schön dahin, dann konnte ich kaum noch aufhören und zum Ende hin, habe ich langsam aber sicher den Faden verloren. Das Ende kam mir unorganisiert und sehr abrupt vor. Ich fand es wunderbar zu sehen, wie man Situationen des Lebens mit Büchern verbinden kann und in wievielen Situationen einem Bücher in den Sinn kommen können. Auch die Bilder, die in dem Buch abgebildet sind, warum sehr schön und haben vom Stil her, das Buch und seine Atmosphäre unterstrichen.


    Ich habe die Lektüre sehr genossen, auch wenn meiner Meinung nach manchmal eine Kürzung angebracht gewesen wäre.


    Dafür vergebe ich: 4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    VLG,


    Nicole

    One day you think it all comes right<br />One day believe fate will be kind<br />But if you wait one day too long<br />you&#39;ll lose what matters most<br />it will be gone!<br />(Rebecca Lavelle - Locked Away)

  • Hallo
    Ich habe das Buch gerade ausgelesen und fand es fesselnd und gut zu lesen, auch sehr witzig. Allerdings am Ende etwas abgedreht.
    Und ich werde das Gefühl nicht los, dass die Autorin Fan der Serie "Gilmore Girls" ist/war. (Blue und Rory sind sich schon ähnlich, auch der Stil ist ähnlich, genau wie die x Zitate, von denen der Normalsterbliche nur ca. 10 kennt).
    Hat schon jemand den "Abschlusstest" gemacht? Wenn ja, wäre ich an einem Austausch interessiert.



    Zum Inhalt-SPOILER-




    Edit Alfa_Romea: Spoilerkasten gesetzt

    Gib dem Leben Farbe, bring dich ein mit einem Wort, einem Lächeln.

    Einmal editiert, zuletzt von mn1712 ()

  • Hi mn1712!



    Zum Inhalt-SPOILER-


    Spoiler kann man bei uns ganz elegant setzen, indem man bei Schreiben auf den kleinen "s"-Button (untere Button-Reihe, ganz rechts) drückt. Ich habe das für dich in deinem Posting bereits erledigt. Falls du das Spoilern üben möchtest, gibt es hier einen eigenen Thread dafür.


    :winken:


    Alfa Romea

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Und ich werde das Gefühl nicht los, dass die Autorin Fan der Serie "Gilmore Girls" ist/war. (Blue und Rory sind sich schon ähnlich, auchd er Stil ist ähnlich, genau wie die x Zitate, von denen der Normalsterbliche nur ca. 10 kennt).


    Ich bin ein großer Gilmore Girls Fan und mir ist keine Ähnlichkeit zwischen Blue und Rory aufgefallen. So weit ich mich erinnere ist Blue ein arroganter, nerviger Teenager und die einzige Gemeinsamkeit ist, dass beide viel lesen.
    Allerdings hat mich das Buch auch nur genervt und ich musste mich regelrecht durchquälen. Die Geschichte ist genau so flach, wie Amerikanische Teenie-Filme und wird auch durch viele Zitate, die kein Mensch kennt, nicht besser. Und dann noch auf den letzten paar Seiten eine Verschwörungstheorie an den Haaren herbeizuziehen rettet wirklich auch nichts mehr. Ich hatte mich sehr auf das Buch gefreut, aber das war nun wirklich nicht nach meinem Geschmack.

    ~~better to be hated for who you are, than loved for who you&WCF_AMPERSAND're not~~<br /><br />www.literaturschaf.de

  • Ich bin den Gilmore Girls auch nicht abgeneigt. Bin auch anhand der Inhaltsangabe auch davon ausgegangen, dass es mir gefällt, aber was soll man machen. Manchmal hat man einfach spontan eine Abneigung gegen ein Buch. Mich hat's genervt. Ich fand die Sturmhöhe auch toll, aber ich renne nicht durch die Gegend und rufe "Heathcliff! Heathcliff!"

    Liest:<br />Matt Ruff - Bad Monkeys


  • Ich fand die Sturmhöhe auch toll, aber ich renne nicht durch die Gegend und rufe "Heathcliff! Heathcliff!"


    :totlach:


    Na, dann sollte ich das Buch auch mal von meiner Wunschliste nehmen...

  • Danke für eure ziemlich polarisierenden Meinungen!


    Ich hab mir von dem Klappentext auch total viel erwartet und als arme Studentin die 19,90 Euro bezahlt, das Buch dann aber so bei Seite 200 abgebrochen. Aber jetz denke ich, dass ich ihm doch noch eine Chance geben werde. Entweder ich bin dann am Schluss doch noch genauso begeistert davon wie Nichtraucher oder es wird auf den letzten 400 Seiten auch nicht besser, dann habe ich es aber wenigstens versucht.


    Mich hat es übrigens auch sehr an die Gilmore Girls erinnert, aber eher wegen der vielen Zitate und Anspielungen auf Klassiker als wegen einer Ähnlichkeit zwischen Rory und Blue.


    LG
    Dalloway

    &quot;This was another of our fears: that Life wouldn&#039;t turn out to be like Literature&quot; (Julian Barnes - The Sense of an Ending)

  • Die Erzählerin des Buches ist Blue van Meer, eine sechzehnjährige Schülerin, die nach dem Unfalltod ihrer Mutter, einer New Yorker Society-Schönheit mit einer Passion für Schmetterlinge, mit ihrem Vater kreuz und quer durch die USA gezogen ist. Gareth van Meer, Professor der Politikwissenschaft, nimmt hier und dort für wenige Monate Gastprofessuren an, was für Blue ständige Schulwechsel bedeutet. Auf den langen Fahrten zwischen den alten und neuen Wohnorten bringt er ihr Gedichte und Prosaliteratur nahe und sensibilisiert sie für seine Leidenschaft, einen großen Wortschatz.


    Für das High-School-Abschlussjahr nimmt der Vater für ein ganzes Jahr eine Stelle an, damit Blue ungestört ihren Schulabschluss machen kann. Noch vor Schuljahresbeginn treffen die beiden beim Einkaufen die faszinierende Hannah Schneider, die sich als Lehrerin an der exklusiven St.-Gallway-Schule entpuppt, die Blue in diesem Jahr besuchen wird. Um sich geschart hat sie ein Grüppchen von fünf Schülern, die von den anderen die "Bluebloods" genannt werden, sie treffen sich an den Wochenenden zum Essen bei Hannah, führen rege Diskussionen und bilden einen elitären kleinen Zirkel, in den auf Hannahs Wunsch auch Blue Aufnahme findet, wenn auch gegen den Widerstand der Bluebloods.


    Auf einer Kostümparty bei Hannah kommt es zu einem merkwürdigen Todesfall, ein Partygast ertrinkt im Pool - und noch vor Ende des Schuljahres ist auch Hannah tot, erhängt, offenbar Selbstmord.


    Doch Blue glaubt nicht an einen Suizid und versucht für sich alleine, Klarheit zu schaffen ...


    Eins vorweg: ich kann gut nachvollziehen, was manche Leser an dem Buch gestört hat - wahrscheinlich viele der Punkte, die ich gerade mochte.


    Die Erzählweise ist sehr ausschweifend, schlägt zahlreiche kleine Volten, man muss auch die Marotte mögen, dass Zitate, Anekdoten und Ereignisse gerne mit Quellenverweisen auf existierende oder fiktive Bücher versehen werden. Zwischen Blue und ihrem Vater hat sich eine Art Familien-Codesprache eingebürgert, die Gareths Sichtweise der Welt widerspiegelt, auch das fand ich sehr amüsant.


    Dadurch, dass der Vater ihr einziger Fixpunkt in ihrem Vagabundenleben ist, hat Blue kaum dauerhaften Kontakt zu Gleichaltrigen, aber einen riesigen Wort- und Allgemeinwissensschatz, den sie gerne am Rande der Erzählung einfließen lässt. Ein wenig klugscheißerisch vielleicht, aber sympathisch, abgesehen davon, dass Einsprengsel auf Deutsch und Französisch oft fehlerhaft sind.


    Einen Teil ihrer Recherchen nach Hannahs Tod hätte man ein wenig kürzen und straffen können, da gingen mir dann die Verweise auf fiktive Websites auf die Nerven. Danach kam allerdings eine Wendung, die mir den Atem stocken ließ und mich für die restlichen 150 Seiten noch mal förmlich an das Buch gekettet hat (bis zum doch recht abrupten und für mich nicht ganz zufriedenstellenden Ende).


    Sehr gut gefallen hat mir auch das Inhaltsverzeichnis - jedes Kapitel ist mit einem Buchtitel überschrieben, und das Inhaltsverzeichnis trägt den Titel "Required Reading" und ist nach dem Muster einer Lektüreliste für Oberstufe oder Uni gestaltet.


    Eine verrückte, leicht abgedrehte Geschichte, sicher nicht jedermanns Sache, aber bis auf die erwähnte Länge zwischendurch genau nach meinem Geschmack.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





    Einmal editiert, zuletzt von Valentine ()

  • Zitat von "Nichtraucher"

    Man stelle sich mal folgendes Szenario vor. Da sitzt man mit ein paar Leuten bei einem Gläschen Wein zusammen, aber nur einer bzw. nur eine redet. Und niemand kann sich der Faszination der Erzählerin entziehen. So geht es einem bei der Lektüre dieses Buches. Marisha Pessl erzählt und man hängt an ihren Lippen.


    Genau das habe ich auch empfunden!
    Allerdings ist mein Gesamteindruck nicht so begeistert. Der Stil ist toll: Marisha Pessl schlägt eine sehr bildhafte Sprache an, garniert ihre Ausführungen mit Zeichnungen, Literaturzitaten sowie Fußnoten und erzählt die umfangreiche fiktive Biographie von Blue van Meer. Nicht alles davon war für mich interessant und über manche Länge habe ich mich mit dem Gedanken hinwegretten müssen, dass es wahrscheinlich wichtig für die Auflösung ist. Viele Hinweise und anfangs unverständliche Ausschweifungen erlangen zum Schluss eine Bedeutung, aber insgesamt hatte ich den Eindruck, dass es sich hier um eine Autorin handelt, die den Stil wichtiger als die von ihr erzählte Geschichte erachtet.


    Gerade das Ende war mir zu voll gepackt mit (für mich) unglaubwürdigen Zufällen und Vermutungen.


    Deshalb muss ich hier zwei verschiedene Bewertungskriterien anlegen:
    Sprache und Stil: brillant
    Inhalt: aufgebläht, stellenweise nicht nachvollziehbar, trotz guter Stellen insgesamt enttäuschend


    Da ich Freizeitleser bin, konnte mich diese Schere nicht besonders begeistern - als Anglistikstudentin wäre ich wahrscheinlich besonders angetan von so viel Stoff für eine Diskussionsgrundlage gewesen.


    Schade, ich hatte mir so viel davon versprochen...

    Ich werde kein&nbsp;Geld hinterlassen. Ich werde keinen Aufwand und Luxus hinterlassen. Aber ich möchte ein engagiertes Leben hinterlassen.<br />(Martin Luther King)

  • Mir geht es ähnlich wie Marilu: Ich denke, dass der Inhalt des Romans nicht hält, was die Form verspricht.
    Die Idee, Zitate und reale oder fiktive Literaturangaben mit einer Romanhandlung zu verweben, ist originell und passt zum Plot. Die Referathuberei und Eindruckschinderei im Bildungswesen wird dadurch auf gelungene Weise konterkariert.
    Doch Blue und ihr Dad sind für mich keine authentischen Romanfiguren. Ich hätte mir mehr innere Entwicklung als äußere Handlung gewünscht. Die vielen Wendungen im Ablauf lenken davon ab, dass der Roman an vielen Stellen oberflächlich bleibt.
    Blues Reaktion auf den Verlust ihres Dads, ihrer wichtigsten Bezugsperson, ist für mich verstörend distanziert und flach dargestellt. Wo stürzt sich Blue denn ins pralle Leben, wie es der Klappentext verspricht? Ich sehe sie vielmehr in einer starren Beobachterrolle, ohne echte Bindung und damit auch ohne wirklichen Lebensbezug.

    Ich bin ein trockener Workaholic. (Vince Ebert)

  • Blue van Meer ist zur Zeit der Handlung gerade 16 und hat ein ziemlich chaotisches Leben: das intelligente Mädchen reist mit ihrem Vater, einem Universitätsdozenten, durch Amerika und ist nie lange am selben Ort. Nun aber ist Blue in ihrem letzten Highschool-Jahr und ihr Dad entscheidet, es an einem einzigen Ort zu verbringen. Schnell wird Blue, die bisher nicht viel anderes tat als Bücher zu verschlingen und deren ganze Welt ihr Vater war, von einer seltsamen Gruppe Schüler umworben, die sich wiederum um die Lehrerin Hannah Schneider gruppieren.


    Um es vorweg zu sagen: „Die alltägliche Physik des Unglücks“ war mein erstes Lesehighlight dieses Jahres. Die ersten fünfzig Seiten waren etwas mühsam, ich habe das englische Original gelesen und Marisha Pessl schreibt sehr dicht, alles ist vollgepackt mit mal bedeutenden, mal weniger wichtigen Details und man muss aufpassen, dass einem nicht einer der grandiosen Wortwitze entgeht. Dann aber hat mich die Geschichte gepackt und nicht mehr losgelassen.


    Der Roman lebt einerseits von Blues lakonischer und intelligenter Erzählstimme, andererseits vor allem von seinen Figuren. Allein Blues skurriler Dad ist eine solch schillernde Persönlichkeit (überaus gebildet und belesen, mit dem Aussehen eines Filmstars, was ihm ständig wechselnde Freundinnen einbringt, die er immer wieder loswerden muss), dass schnell verständlich wird, wie sehr das Mädchen an ihm hängt. Bis in die Nebenfiguren hinein bietet Marisha Pessl hier skurrile Typen, angetan war ich etwa von einer Lehrerin, die von allen nur Evita Perón genannt wird und deren teilweise seltsames Verhalten Blue wie selbstverständlich mit ihrem aufregenden Leben in Argentinien erklärt.


    Vor allem stechen aber die Schüler, die Blue umwerben, und Lehrerin Hannah Schneider heraus. Blue weiß gar nicht recht wie ihr geschieht, und schon ist sie mitten drin in seltsamen Vorgängen. Warum wollen diese Schüler, die sie offensichtlich nicht ausstehen können, sie in ihrer Nähe? In welcher Beziehung stehen sie zu Hannah Schneider? Und was hat es mit ihren mysteriösen Vorgeschichten auf sich?


    Über die Auflösung der Verstrickungen kann man sich sicherlich streiten. Der Rest des Buches, die Figuren, der Witz und Charme und eine irrsinnig packend geschriebene Schlüsselszene aber vertrösten mich auch mit dieser nicht ganz perfekten Auflösung und zum ersten Mal seit Langem kann ich ohne Bedenken 5 Ratten vergeben.


    5ratten

  • Ich bin gerade dabei das Buch zu lesen und bin auf ca. S. 120. Mir gefällt es bisher außergewöhnlich gut!
    Ich mag den Schreibstil und die Zitate.
    Die Charaktere finde ich sehr gut rübergebracht, Blue finde ich toll!
    Ich frage mich wie die Geschichte wohl weitergeht. :smile:


    MfG
    zauberin

    &quot;Von den Sternen kommen wir, zu den Sternen gehen wir. Das Leben ist nur eine Reise in die Fremde.&quot; - Walter Moers - Die Stadt der Träumenden Bücher


  • Mir geht es ähnlich wie Marilu: Ich denke, dass der Inhalt des Romans nicht hält, was die Form verspricht.


    Das würd ich unterschreiben. Ich empfand es genauso.



    Doch Blue und ihr Dad sind für mich keine authentischen Romanfiguren.


    Und das ist etwas, was mich am meisten stört (im allgemeinen, nicht ausschließlich bei diesem Roman). Wenn die Figuren nicht echt wirken, können sie einen auch nicht berühren und mitreißen. Dann bin ich nicht oder weniger empfänglich für die Geschichte.


    LG, Polkadot

    Liest:<br />Matt Ruff - Bad Monkeys

  • Hallo Ihr Lieben,


    nachdem mich das Buch so neugierig gemacht hat (v. a. aufgrund der komplett unterschiedlichen Meinungen) und ich es als Mängelexemplar auf einem Wühltisch entdeckt habe, habe ich es mittlerweile auch gelesen.


    Hier dann meine Meinung:
    Blue ist 16 Jahre alt und seitdem sie denken kann, reist ihr Vater mit ihr andauernd von einem Ort zum nächsten. Überall ist er nie länger als vielleicht ein halbes Jahr. Entsprechend kann es passieren, dass Blue innerhalb von einem Jahr 3mal die Schule wechselt. Sie hat keine Freunde und ihr Vater ist ihre einzige Bezugsperson. Erst in ihrem letzten Schuljahr entschließt ihr Vater schließlich, dass sie das gesamte Jahr an einem Ort bleiben werden. Angeblich, damit seine Tochter in Ruhe ihren Abschluss machen kann. Die Wahrheit kommt erst ganz am Ende heraus.
    In ihrem letzten Schuljahr schließlich wird Blue von der Lehrerin Hannah Schneider quasi dazu gedrängt ihrem Kreis beizutreten, zu dem noch einige andere Schüler zählen. Blue verliert sich komplett in ihrer neuen Clique, bis Hannah stirbt und sich Blue's Welt innerhalb kurzer Zeit auf den Kopf stellt.


    Die einzelnen Kapitel des Buches sind mit Titeln von bekannten (oder auch weniger bekannten) Romanen versehen. Zuerst dachte ich, dass der Inhalt des Kapitels sich irgendwie über diese Romantitel deuten lässt, aber dem ist eigentlich nicht so. Wenn man die Titel einfach so liest und dann den Inhalt in dem Kapitel, passt der Titel sehr gut zum Inhalt, hat aber so weit ich feststellen konnte, nie wirkliche Gemeinsamkeiten mit dem erwähnten Buch.
    Das Buch selber ist aus der Perspektive von Blue geschrieben und Blue neigt dazu sich in ihrer Geschichte zu verlieren, Vergleiche mit Büchern (sowohl real, als auch fiktiv) anzustellen und diese auch immer mit Zitatangaben zu hinterlegen. Zu Beginn fand ich das eigentlich sehr unterhaltsam und habe das Buch auch eher langsam gelesen. Als dann gegen Ende sich die Ereignisse überschlagen, hätte wegen mir auch die Sprache "schneller" werden können, da mich da die Vergleiche und Verweise gar nicht mehr interessiert haben, sondern ich endlich zur Auflösung kommen wollte.


    Blue ist eigentlich zu bedauern: Durch das ständige Reisen ihres Vaters, hat sie keinerlei Freunde. Sie ist eine Einzelgängerin und lebt mehr in der Welt der Bücher als in ihrer realen Welt. Dazu trägt auch noch bei, dass ihr Vater sie wohl zu einem Genie erziehen möchte und fast alle Gespräche und Diskussionen mit ihr nur über Bücher und Zitate führt. Kein Wunder also, dass sie in ihrer "Lebensgeschichte" andauernd irgendwelche Schriften zitiert.
    Zu Beginn habe ich als Leser dadurch aber auch geglaubt, dass Blue schon viel erwachsener ist und reifer, als andere Teenager. Umso überraschter war ich dann zuerst, als sich doch einfach zeigt, dass Blue ein normales Mädchen ist, dass sich auch nach einem netten Jungen sehnt und teilweise auch wie ein Teenager total konfus reagiert. Aber auch klar, dass der Vater mit einem pubertierenden Teenager nicht wirklich gut zurecht kommt...


    Ehrlich gesagt tue ich mich sehr schwer das Buch zu bewerten. Ich finde die Idee mit den Romantiteln als Kapitelüberschriften sehr gelungen und auch der Erzählstil von Blue ist zwar am Anfang anstrengend, aber eigentlich sehr amüsant. Teilweise vermittelt sie einem auch ganz schön viel Wissen, was ich sehr spannend fand.
    Andererseits will sich das Buch gegen Ende zu einem Thriller entwickeln und schafft das meiner Meinung nach nicht so richtig. Die Spannung die aufkommt, wird durch diese verschachtelte Erzählweise gleich wieder zerstört und die dann auch nur teilweise vorhandene Auflösung kam mir schließlich doch sehr konstruiert vor. Ich hatte da das Gefühl, dass die Autorin noch unbedingt eine ganz irre Geschichte auf die letzten Seiten packen wollte.


    Für mich insgesamt ein zu Beginn sehr unterhaltsames Buch, dass mich gegen Ende dann aber leider nur noch genervt hat. Eine gute Idee, die aber am Ende ins abstruse abdriftet und man das Gefühl hat, dass da einfach zu viel Stoff verarbeitet werden wollte.


    Trotz allem vergebe ich noch: 3ratten


    Liebe Grüße
    Tammy

    &WCF_AMPERSAND"Jeder der sich die Fähigkeit erhält, Schönheit zu erkennen, wird nie alt werden.&WCF_AMPERSAND" (Franz Kafka)