Laurence Sterne - Tristram Shandy

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  • Ich bin in der Mitte des 7. Buchs. Mich haben die Ausführungen über die Festungsbauwerke in keinster Weise gestört, es erinnert mich daran, mit welcher Leidenschaft hier manche ihrer Buchleidenschaft frönen. Früher Festungsbauwerke, heute ...


    Im 6. Band findet man die nette Geschichte, wie sich Tristrams Vater und seine Mutter darüber unterhalten, dass man ihn nun in Hosen stecken wolle (früher trug man bis zum 6. Lebensjahr Kleidchen - egal ob Junge oder Mädchen). Interessant ist hier die Weise, in der die beiden miteinander kommunizieren.


    Der 7. Band fängt geradliniger an, erzählt dann doch in der von mir schon sehnsüchtig erwarteten Abschweifung eine etwas kalauerhafte Geschichte von zwei Nonnen und einem Maultier. Die Originalität der ersten sechs Bände scheint mir ein wenig weggeblasen zu sein.


    Sterne setzt nach wie vor beim Leser viel voraus. Das stört mich beim Lesefluss immer wieder. Aber kann man das dem Buch anlasten? Nein, man muss es mir, dem Leser, anlasten. Dennoch sind die zahlreichen Verweise auf Altertum und in das Wissen seiner Zeit ein Grund, warum ich dieses Buch nur Lesern mit etwas Geduld empfehlen kann.


    Apropros Originalität: Wenn ein Autor heute behauptete, er sei originell, so frage man ihn, ob er Tristram Shandy kenne. Es wird schwer sein, an Sterne heranzukommen. Viele Stilmittel, die man heute immer wieder findet (im 7. Band werden die Anzahl der Straßen in den Pariser Stadtvierteln detailliert aufgelistet), sind hier schon vorweggenommen.


    Schöne Grüße,
    Thomas

    Einmal editiert, zuletzt von Klassikfreund ()

  • Hallo zusammen!


    Nunmehr befinde ich mch im 8. Band. Die Liebesgeschichte der Witwe zu Uncle Toby ...


    Wenn ein Autor heute behauptete, er sei originell, so frage man ihn, ob er Tristram Shandy kenne. Es wird schwer sein, an Sterne heranzukommen. Viele Stilmittel, die man heute immer wieder findet (im 7. Band werden die Anzahl der Straßen in den Pariser Stadtvierteln detailliert aufgelistet), sind hier schon vorweggenommen.


    Oh ja. Oder jene schöne Stelle, wo Shandy darüber philosophiert, dass zur Zeit drei Tristrams unterwegs sind: zwei davon in der gleichen Stadt aber nicht zur gleichen Zeit und der schreibende Tristram an einem andern Ort und zu einer andern Zeit. :herz: :smile: :smile: :smile:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Hallo zusammen!


    So, nun bin ich bis zum Schluss durch. Der Text bricht ja sehr abrupt ab - mitten in der Liebesgeschichte von Uncle Toby :breitgrins: ... Sterne zeigt sich nochmals als Weltmeister im Verschachteln von Geschichten und er spielt wieder mit seinem Text, indem er ganze Kapitel nur leer liefert, Kapitel 18 und 19 vom letzten Buch dafür nach Kapitel 25 nachholt ... :breitgrins:


    Ich mache mich nun an die Lektüre von John Lockes An Essay Concerning Human Understanding, auf das Sterne immer wieder hinweist. Und auch Richardson und Sternes A Sentimental Journey haben den Weg in meine Bibliothek gefunden und werden demnächst gelesen.


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Nachdem ich durch Schullektüren leider aufgehalten wurde, konnte ich heute nun auch endlich mit Tristram Shandy beginnen.
    Ich bin erst bei Seite dreißg und daher noch nicht weit genug um etwas zu sagen - außer: Ich hatte ja absolut verdrängt, was für gewaltige Sprünge Sterne macht!
    Bisher trotzdem sehr unterhaltsam.


    lg,


    mondpilz

  • Na, das freut mich, dass du nun auch mitliest. Wäre schön, wenn du deine Lektüre kommentieren könntest. Dann füge ich bei Bedarf auch noch den ein oder anderen Kommentar hinzu, auch wenn ich vermutlich am WE die 9 Bände beenden werde.


    Schöne Grüße,
    Thomas

  • Hallihallo,


    ich habe soeben das erste Buch beendet und bin erstaunt, wie viel ich von meiner ersten (abgebrochenen) Lektüre (auf Englisch) noch weiß :smile:
    Mir fällt es schwer Sterne und Tristram auseinanderzuhalten und frage mich immer wieder, wie man so extrem aus der Sicht einer anderen Person schreiben kann. Woher nimmt Sterne die 'Fantasie' (wenn man das so nennen kann), um sich so viele Details und Verschrobenheiten in Charakteren und Handlung ausdenken zu können? Oder ist es doch weitgehend autobiographisch?


    Ganz toll finde ich das Kapitel über Namen! Ich denke, das Thema wird später noch einmal aufgenommen werden, aber wenn man es sich Recht überlegt, hatte Papa Shandy gar nicht mal so Unrecht, was seine Hypothese zur Namensgebung betrifft. Mit manchen Namen bringe ich persönlich rein gar nichts in Verbindung (neutrale Namen), bei anderen wiederum assoziiere ich schon bei bloßer Erwähnung tausende verschiedene Dinge damit.
    Ich bin noch gespannt auf die Erklärung, warum denn dann Tristram dennoch Tristram heißt.


    lg,


    mondpilz

  • Hi!


    Mir fällt es schwer Sterne und Tristram auseinanderzuhalten


    Ist eigentlich relativ einfach: Ausser irgendwo einmal bei einer Zueignung von einem Buch oder zwei ist es immer Shandy, der spricht.


    [...] und frage mich immer wieder, wie man so extrem aus der Sicht einer anderen Person schreiben kann. Woher nimmt Sterne die 'Fantasie' (wenn man das so nennen kann), um sich so viele Details und Verschrobenheiten in Charakteren und Handlung ausdenken zu können?


    Ich glaube, das nennt man Genie ... :zwinker:


    Oder ist es doch weitgehend autobiographisch?


    Wenig bis gar nicht. M.W. geht man davon aus, dass die Person, die am ehesten Sterne selber entspricht, der Geistliche Yorrick ist.


    Ich bin noch gespannt auf die Erklärung, warum denn dann Tristram dennoch Tristram heißt.


    Ein Spannungsbogen, den Sterne sehr weit aufrecht erhält ... :breitgrins:


    Grüsse


    Sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Ist eigentlich relativ einfach: Ausser irgendwo einmal bei einer Zueignung von einem Buch oder zwei ist es immer Shandy, der spricht.


    Ich meinte nicht im Buch selbst (in diesem Fall hättest du natürlich Recht), sondern in meinen Gedanken. Ich muss mir immer wieder bewusst machen, dass das keine Autobiographie, sondern nur Fiktion ist.


    lg,


    mondpilz

  • Ich meinte nicht im Buch selbst (in diesem Fall hättest du natürlich Recht), sondern in meinen Gedanken.


    Ach so.


    Ich muss mir immer wieder bewusst machen, dass das keine Autobiographie, sondern nur Fiktion ist.


    Nein. Es ist wirklich "nur" Fiktion. :zwinker:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Hallihallo,


    ich bin jetzt fast am Ende des zweiten Buches (noch fünfzehn Seiten ungefähr).
    Ich finde es faszinierend wie viel Emotionen die Männer hier zeigen. Trim fängt an zu heulen und Papa Shandy bittet seinen Bruder untertänigst um Verzeihung, obwohl ihm dieser nicht einmal beleidigt war. Und Trim bricht noch einmal in Tränen aus. War das zu der Zeit normal?
    Ich finde es schon sehr interessant, wie die Brüder, Trim und der kotbeschmierte Arzt rumsitzen und plaudern, während Mama Shandy schreiend in den Wehen liegt!


    lg,


    mondpilz

  • Ich finde es faszinierend wie viel Emotionen die Männer hier zeigen. Trim fängt an zu heulen und Papa Shandy bittet seinen Bruder untertänigst um Verzeihung, obwohl ihm dieser nicht einmal beleidigt war. Und Trim bricht noch einmal in Tränen aus. War das zu der Zeit normal?


    Sterne übertreibt sicher ein bisschen, aber: im Prinzip ja. Noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts haben Männer geweint, sich umarmt, geküsst ... alles ohne Hintergedanken ...


    Ich finde es schon sehr interessant, wie die Brüder, Trim und der kotbeschmierte Arzt rumsitzen und plaudern, während Mama Shandy schreiend in den Wehen liegt!


    Eine der Stellen, über die ich mich auch immer wieder amüsieren kann. :klatschen:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Es gibt in John Lockes An Essay Concerning Human Understanding eine Passage, wo Locke festhält, dass es keinen Moment im menschlichen Dasein gäbe - den Schlaf ausgenommen -, in dem einem nicht irgendein Gedanke durch den Kopf schiesse. Ob Sterne sich daran orientiert hat mit seinem Schreibstil?

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)


  • Es gibt in John Lockes An Essay Concerning Human Understanding eine Passage, wo Locke festhält, dass es keinen Moment im menschlichen Dasein gäbe - den Schlaf ausgenommen -, in dem einem nicht irgendein Gedanke durch den Kopf schiesse. Ob Sterne sich daran orientiert hat mit seinem Schreibstil?


    Dann war sein Denken aber sehr durcheinander. :breitgrins:

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001


  • Dann war sein Denken aber sehr durcheinander. :breitgrins:


    Wieso? Bei Joyce ist es ja nicht klarer. Vermutlich schon ein reales Abbild. Man filtert das nur selber aus.


    Gruß, Thomas

  • Wieso? Bei Joyce ist es ja nicht klarer.


    Und bei Dos Passos noch viel verwirrender und sprunghafter. Ausserdem kann jeder geradeaus schreiben; aber in Sterne'schen Mäandern schreiben, ohne sich darin zu verlieren ... Chapeau!

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)


  • In meiner Ausgabe ist auch eine satztechnische Besonderheit. Das erste Wort der nächsten Seite erscheint schon als letztes Wort auf der aktuellen Seite. Ich weiß nicht, ob das im 18.Jahrhundert so üblich war. Ist aber ganz nett, wenn man sich mal daran gewöhnt hat.


    Durch meine aktuelle Lektüre habe ich gelernt, das es in der englischen Sprache sogar einen Fachbegriff dafür gibt. Man bezeichete diese Worte als catchwords.


    EDIT: Habe nun auch endlich die deutsche Bezeichnung gefunden - Kustos.

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

    Einmal editiert, zuletzt von BigBen ()

  • Habe nun auch endlich die deutsche Bezeichnung gefunden - Kustos.


    Danke. Man lernt doch immer noch dazu beim guten alten Sterne. Sei's über das Festungswesen, sei's über den Buchdruck ... :breitgrins:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)