Milan Kundera - Der Scherz

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  • Milan Kundera - Der Scherz


    Milan Kunderas erster Roman erschien 1967 kurz vor dem Prager Frühling und zeigt mehrere Personen in den ersten beiden Jahrzehnten des tschechoslowakischen Sozialismus. Ludvig, überzeugtes Parteimitglied und Intellektueller, schreibt aus verletzter Verliebtheit eine Postkarte mit dem Text
    "Optimismus ist Opium für die Menschheit! Ein gesunder Geist stinkt nach Dummheit! Es lebe Trotzki! Ludvig"
    Was ein Scherz sein sollte, geht für Ludvig schlecht aus, Ironie und Scherz über die Ideologie verzeiht die Partei nicht. Es folgen Verweis von der Universität, Ausschluss aus der Partei, jahrelange Gulag-Arbeit in einer Kohlengrube. Jahre später scheint sich ihm eine perfide Möglichkeit zur Rache aufzutun...
    Um diese Hauptfigur gruppieren sich der Christ Kostka, der Volksmusiker Jaroslaw, die Reporterin Helena und die Friseurin Lucie, aus jeder (außer Lucies) Perspektive erzählt Kundera, zeigt dem Leser, welche Wege seine Figuren im sozialistischen System gehen - und wie sie scheitern.


    Dieser Roman hat alles, was ich an Kundera mag, insbesondere die fein konstruierte Erzählweise mit den Kapitel aus Sicht der einzelnen Figuren, die sich im Schlusskapitel zu einem Kanon verflechten. Viele Handlungen erfährt man aus zwei unterschiedlichen Perspektiven und kann so noch tiefer in die Figuren einsteigen.
    Vielleicht zeigt sich der Essayist Kundera in diesem Roman noch nicht so stark wie in späteren, was dem Fluss der Geschichte aber eher gut tut.
    Trotzdem bleiben solche interessanten Abschweifungen natürlich nicht aus, besonders in den Kapiteln "Jaroslaw" (Volksmusik) und "Kostka" (Christentum).
    Für mich als Kind einer Demokratie ist das beschriebene politische System und das Verhalten, das es Menschen abfordert fremd, und ich bin froh durch Kundera auf so lesenswerte Weise darüber etwas erfahren zu haben.
    Absolute Empfehlung! 5ratten


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    Katia

  • Ich habe heute damit begonnen dieses Buch zu lesen. Ich habe den zweiten Teil beendet, wobei man sagen muss, das bisher diese Teile extrem kurz sind.
    Im ersten Teil erzählt ein gewisser Ludvig, wie er nach vielen Jahren wieder in seine Heimatstadt zurückkehrt und glaubt bei einem Friseur eine Frau wiedergesehen zu haben, die er einst kannte, sich aber nicht sicher ist. Schon nach 10 Seiten ist dieser erste Teil beendet. Im zweiten Teil dann erzählt eine Frau von ihrer unglücklichen Ehe und dem Beginn ihrer Bekanntschaft mit Ludvig.


    Schon nach kurzer Zeit bin ich wieder begeistert von Kunderas Schreibstil. Emotionen werde sehr intensiv und glaubhaft geschildert und schon bald ist man soweit in dieser Geschichte, dass man wissen möchte was weiter geschieht. Vor allem finde ich es faszinierend, dass dieser Mann die Emotionen von beiden Geschlchtern aus deren Sicht schildert. Ich bin schon gespannt, wie aus Ludvigs Sicht der Beginn dieser Beziehung zu dieser Frau beschreiben wird.

  • Der dritte Teil dieses Buches war ausgesprochen interessant. Ludvik erzählt von seiner Jugendzeit und seinen Erfahrungen mit dem sozialistischen System, welche mehr als fürchterlich sind. Auch seine erste wahre Liebe, kommt hier zu Gehör. Beides Zusammen ergibt einen sehr kurzweiligen und sehr emotionalen Bericht. Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen und ich denke es lag daran, dass diese Erfahrungen mit diesem diktatorischen sozialistischen System nicht nur auf Phantasie beruhen.
    Ich persönlich kann nicht in allen Fällen den Meinungen des Protagonisten über die Liebe zustimmen, aber nichts desto Trotz ist es interessant zu lesen und sich dabei eigene Gedanken zu machen.


    Nach wie vor gefällt mir dieses Buch und Kunderas Schreibstil.


    Viele Grüße Tina

  • Hallo Tina! Ich will mich nur kurz zu Wort melden, obwohl ich erst die ersten beiden kurzen Teile gelesen habe. (Wenig Zeit... Ich werde versuchen, aufzuholen)
    Ich liebe Kunderas Sprache und denke mir bei übersetzten Autoren, die so einen wunderbaren Stil haben, dass den Übersetzern viel zu verdanken ist.


    Kundera scheint Beistriche zu lieben, die Sätze sind ziemlich verschachtelt, dennoch liest es sich wie Butter. Hoffentlich komme ich in den nächsten Tagen mehr zum Lesen.

    Ich bezeige, nach Hertzens-Aufrichtigkeit, dass ich mich glücklich schätze, mich mit Verehrung nennen zu dürfen und ersterbe,<br />Roulade<br /><br />[url=http://www.literaturschock.de/autoren/interviews/119-intervie

  • Ja, Du hast vollkommen REcht. Wir sind auf die Übersetzer angewiesen. Der Autor wie auch der Leser, denn mit dem Übersetzer steht und fällt das Werk, wenn es nicht in der Originalsprache geschrieben ist. Mir bleibt somit nichts anderes übrig, als darauf zu vertrauen, dass hier die Worte Kunderas in seinem Sinne geschrieben sind.



    Kundera scheint Beistriche zu lieben, die Sätze sind ziemlich verschachtelt, dennoch liest es sich wie Butter.


    Das ist für mich noch ein aussagekräftiger Beweis, welch begandeter Autor Kundera ist, denn ich muss gestehen, dass mir noch nicht einmal aufgefallen ist, dass seine Sätze verschachtelt sind, aber jetzt wo du es sagst, da fällt es mir auch auf. :breitgrins:

  • Nicht nur Beistriche, vor allem Klammern (auf der ersten Seite sind bereits 3 Klammern) liebt Kundera offensichtlich. :breitgrins:

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  • Heute hatte ich endlich ein wenig Zeit, um mich Herrn Kundera zu widmen, bin allerdings mit dem dritten Teil noch nicht ganz durch. (Seite 92)


    Ich habe es geahnt, denn das ist mein viertes Buch von ihm: wenn ich erst mal anfange, Zitate herauszuschreiben, kann ich nicht mehr aufhören. Er schreibt so poetisch, emotional und gleichzeitig scharfzüngig und analytisch, dass es ein Genuss ist. Man müsste seine Bücher auf jeden Fall mindestens zwei mal lesen, um alles herauszuholen ([size=6pt]wäre da nicht der übermächtige SuB...[/size]). Er jongliert mit Metaphern, dass mir zeitweise ganz schwindlig wird vor Bewunderung. Es ist eine ziemliche Kunst, Metaphern so inflationär zu verwenden, ohne dass sie einem bald zu den Ohren heraushängen.


    Zum Inhalt: Ganz schön erschütternd, was der Protagonist im frühen Kommunismus erlebt. Und dabei an Lächerlichkeit kaum zu überbieten. Ich gehe davon aus, dass die Postkarte Titel-gebend ist (ich habe noch nichts über den Roman gelesen) und bin neugierig, welche Blüten dieser Scherz noch treiben wird. Oder ob es um mehrere Scherze geht? Oder gar ein ganz anderer Scherz?



    Ich persönlich kann nicht in allen Fällen den Meinungen des Protagonisten über die Liebe zustimmen,


    Bis jetzt stimme ich ihm zu, wenn er schreibt:


    Zitat

    [...]ich bin mir allzu gut der Tatsache bewusst, dass die Liebe die Tendenz hat, sich selbst zur Legende zu machen und ihre Anfänge rückblickend zu mythisieren[...]


    oder ich schmelze dahin, wenn ich das lese:


    Zitat

    Von jenem Abend an veränderte sich alles in mir; ich war wieder bewohnt, das Zimmer in meinem Inneren war plötzlich aufgeräumt, und es lebte jemand in ihm.


    und das:


    Zitat

    [...]die einzelnen Tage verwandelten sich in die Sprossen einer Leiter, auf denen ich Lucie entgegenstieg.


    Ich habe mir viel mehr Zitate ins Notizbuch geschrieben, aber die behalte ich einstweilen für mich. Samstag werde ich hoffentlich wieder mehr Zeit zum Lesen haben.


    OT: Sag mal, Tina, wie schaffst du es, so viele Bücher parallel so schnell zu lesen? Noch dazu Job, Familie...??? Gib's zu, du bist Wonderwoman! :breitgrins:

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  • :breitgrins: Nein, ich bin mit Sicherheit nicht Wonderwoman, aber ich habe keinen Fernsehanschluss und ich kann nicht länger al 5 Stunden schlafen. Das bringt schon einiges an Lesezeit.


    Deine herausgeschriebenen Zitate haben mir auch gefallen, aber es gab andere Stellen, an welchen ich nicht so ganz konform war. Ich werde morgen noch einmal schauen, ob ich sie spontan wiederfinde.


    Viele Grüße Tina

  • Der vierte Abschnitt hat es mir ganz besonders angetan. Hier wird die Entwicklung eines Landes mit seiner traditionellen Musik beschrieben und das ist sehr gut gelungen. Vielleicht bin ich auch so begeistert von diesem Abschnitt, weil ich selbst Musik aus Osteuropa, die sogenannte Klezmer-Musik spiele (Klarinette) und diese Musik ebenso, wie die hier beschriebene, sehr viel Veränderung erfahren hatte, durch die Veränderungen der äußeren Einflüsse.
    Hier nun auch von mir einige Sätze über die Unwiederbringlichkeit im Leben, dass mir sehr gefallen haben.


    Zitat

    Ich sah diesen Kranz vor mir, wie er fortschwamm, wie der Bach ihn dem Fluss, wie der Fluss der Donau, die Donau dem Meer übergab. Ich sah diesen Kranz und dessen Unwiederbringlichkeit vor meinen Augen. An dieser Unwiederbringlichkeit lag es. Alle grundlegenden Situationen im Leben sind unwiederbringlich. Damit der Mensch Mensch ist, muss er diese Unwiederbringlichkeit mit vollem Bewusstsein durchleben. Sie bis zur Neige auskosten.


    Wie könnte man es besser ausdrücken.

  • Ich habe gerade das erste Kapitel des vierten Abschnittes gelesen und kann bis jetzt nichts damit anfangen. Es verwirrt mich. Es scheint wie die Beschreibung eines Traumes zu sein... Mal sehen, wie es weitergeht.

    Ich bezeige, nach Hertzens-Aufrichtigkeit, dass ich mich glücklich schätze, mich mit Verehrung nennen zu dürfen und ersterbe,<br />Roulade<br /><br />[url=http://www.literaturschock.de/autoren/interviews/119-intervie

  • [size=13pt]Milan Kundera – Der Scherz[/size]

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    OT: Žert
    OA: 1967
    350 Seiten
    ISBN: 978-3423125215


    Inhalt:
    Wütend schickt der Student Ludvik eine Postkarte an seine Freundin Markéta: »Optimismus ist das Opium der Menschheit! Ein gesunder Geist mieft nach Dummheit! Es lebe Trotzki! Ludvik.« Mit dieser als Scherz gedachten Karte stürzt Ludvik sich ins Unglück. Er wird von der Universität relegiert und mit einem Strafbataillon in die Kohlegruben geschickt. Jahre später versucht Ludvik sich zu rächen.(Quelle: Amazon)


    Eigene Meinung:
    Dieses Buch ist aus der Sicht vier verschiedener Perspektiven geschrieben. Es sind Ludvik, Helena, Kostka und Jaroslav. Sie alle haben einen gemeinsamen Berührungspunkt, nämlich Ludvik, der im Mittelpunkt dieses Romans steht.
    Eines der Haupthemen, neben der Analyse der Liebe, ist der diktatorische Sozialismus, welcher bedingungslosen Gehorsam erfordert und die Meinungen des Einzelnen nicht respektiert, ja sogar verachtet und all jene straft, welche nicht in allen Dingen gesinnungskonform sind. Er wirkt sich auch die privatesten Bereiche des Lebens aus und ist in der Lage, viele Menschen, durch seine durchgreifende Macht zu vernichten. Dies ist auch der ausschlaggebende Punkt, welcher das Leben von Ludvik in all seinen Bereichen zu einem einzigen Kampf macht.
    Die Liebe, welche durch oben genannten Einflüsse in Ludviks Leben, zu einem einzigen Drama ausartet, spielt auch bei den anderen Protagonisten eine große Rolle und hier geht es nicht nur um die körperliche Liebe, sondern auch um die Liebe der Seele, zur Religion, zur Politik, zur Heimat und zur Tradition. Sie wird hier, ähnlich wie in Tolstois Anna Karenina, als die Wurzel des Glücks beschrieben. Der Mensch braucht sie um ein ausgefülltes Leben zu führen. Dabei wird hier sehr stark zum Ausdruck gebracht, wie einseitig diese Liebe oft betrachtet wird. Meist denkt der Mensch in erster Linie an sein eigenes Glück und selten an das des Partners.
    Dieses Buch beschreibt weniger die Äußerlichkeiten und sichtbaren Dinge, als die Emotionen und die tiefe Bedeutung von Vergangenheit, Unrecht, Rache und Wiedergutmachung. Auf Grund der sehr emotionalen Berichte der vier Protagonisten, welche übrigens sehr glaubhaft sind, gewinnt dieses Buch eine faszinierende inhaltliche Dichte, welche durch die wunderschöne Sprache Kunderas erst ihren wahren Ausdruck erhält.


    4ratten


    Tina

  • Nach beinahe 3 Wochen bin ich nun auch durch mit Buch. Es war wieder ein Genuss in Kunderas Worten und Gedanken zu schwelgen. Es dreht sich alles um Ludviks Leben, vor allem ab dem Zeitpunkt, wo er die leidliche Postkarte schickt, um seine Freundin zu provozieren. In mehreren Abschnitten wird die Geschichte erzählt, jeder Abschnitt in Ich-Form aus der Perspektive eines anderen Protagonisten, bis alles im letzten Abschnitt gipfelt, wo mehrere Protagonisten zu Wort kommen, die sich Kapitelweise abwechseln.


    Der "Plot", falls man das Wort für so einen Autor auch verwenden darf, hat mich (gegen Ende) an Roald Dahls schwarzhumorige Kurzgeschichten erinnert. Es werden hier viele Themen behandelt: Liebe, Politik, Jugend, Religion, Tradition, Folklore, Freundschaft. Kundera lässt seine Figuren diesen Themen auf den Grund gehen, lässt ihre Gedanken kreisen, dass mir manchmal ganz schwindlig war und manchmal ganze Absätze noch einmal lesen musste, weil sie so schön waren.


    Einzig der Abschnitt, in dem die Volksmusik und die Folklore (der "Ritt der Könige") behandelt werden, hat mich etwas abgebremst. Beinahe war ich versucht, diesen Abschnitt zu überspringen, um endlich weiter lesen zu können. Nur gut, dass ich es nicht getan habe, denn erstens ist das Verständnis um die Bedeutung der Volksmusik für Jaroslav und Ludvik wichtig für das Verständnis der Geschichte selbst und zweitens geht es in diesem Abschnitt auch um die Beziehung der beiden zueinander. Kundera hat mich hier bei meinem musikalischen Analphabetismus erwischt, es geht über Seiten sehr detailliert um musikalische Begriffe (inklusive ganzer Notenzeilen), die ich schlicht und ergreifend nicht verstanden habe.


    Es fällt mir schwer, bestimmte Aspekte des Buches zu besprechen, denn es ist so voll mit hervorragenden Gedanken und philosophischen Gedankenanstößen, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll.


    Was mir bei Kundera auch sehr gut gefällt ist, dass er bei aller Ernsthaftigkeit mit der er seine Figuren handeln und denken lässt, immer wieder eine Portion Zynismus einstreut und so manche Situation beinahe ins Lächerliche zieht.


    Bei der Bewertung hätte ich in der Mitte des Buches wegen dem für mich langatmigen Volksmusik-Abschnitt eine Ratte abgezogen, da ich aber letztendlich froh war um die Erweiterung meines Horizontes, habe ich um eine halbe Ratte erhöht und jetzt kommt die zweite Rattenhälfte auch zurück, weil mir das Ende des Buches so gut gefallen hat, dass ich die kurze Langeweile verzeihe.


    5ratten

    Ich bezeige, nach Hertzens-Aufrichtigkeit, dass ich mich glücklich schätze, mich mit Verehrung nennen zu dürfen und ersterbe,<br />Roulade<br /><br />[url=http://www.literaturschock.de/autoren/interviews/119-intervie