Stefan Zweig - Brief einer Unbekannten

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    Stellen Sie sich vor, Ihnen flattert eines Tages ein Brief ins Haus – ein Brief von jemandem, den Sie nicht kennen, dessen ganzes Leben aber offenbar von Ihrer Existenz bestimmt war.
    Genau das passiert dem Romanschriftsteller R. Er weiß nicht, wer diese Frau war, die behauptet, sich schon als Dreizehnjährige in ihn verliebt, seither immer wieder seinen Lebensweg gekreuzt und sogar ein Kind von ihm empfangen und großgezogen zu haben – und all das, ohne dass er sie ein einziges Mal wiedererkannt hätte.


    Gleich zu Beginn des Buches, das vom Umfang her tatsächlich kaum mehr als einem langen Brief entspricht, wird das Schicksal der geheimnisvollen Unbekannten klar – R. erhält diesen Brief nur, wenn respektive weil sie sich in der Zwischenzeit das Leben genommen hat.
    „Sklavisch“, „hündisch“ und „hingebungsvoll“ bezeichnet sie ihre Liebe, und Stefan Zweig zeichnet das Bild ihrer Besessenheit und ihrer Verzweiflung so eindringlich, dass ich beim Lesen vor Fassungslosigkeit oft den Atem angehalten habe. Immer das Hoffen, immer das Warten, ganz neurotisch werden davon – und es doch nie über sich bringen, sich dem Geliebten zu offenbaren!
    Und was muss es umgekehrt für ein Gefühl sein, zu erfahren, dass man selbst einen anderen Menschen bis ins Mark erschüttert hat und dass über viele Jahre nur die eigene Existenz dieser Person einen Lebensinhalt gegeben hat – einer Person, an die man sich nicht erinnern kann, mit der man nicht mehr verbindet als den Hauch der einen oder anderen sehr verschwommenen Ahnung?
    Selbst jetzt will die Unbekannte den Schriftsteller nicht über ihren Namen und ihre Identität aufklären:


    Nur dieses eine Mal musste ich sprechen zu dir – dann gehe ich wieder stumm in mein Dunkel zurück, wie ich immer stumm neben dir gewesen. […] Kein Bild lasse ich dir und kein Zeichen, wie du mir nichts gelassen; nie wirst du mich erkennen, niemals. Es war mein Schicksal im Leben, es sei es auch in meinem Tod.


    Zurück bleiben ein verstörter R. und (in meinem Fall) eine erschütterte Leserin …


    5ratten

    [color=darkblue]"Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of b

  • Na so ein Zufall! Das habe ich gerade gestern zu Ende gelesen :zwinker:.


    Ich habe lange überlegt, was ich hier noch schreiben soll. Leider fällt mir nichts ein, was Du nicht schon gesagt hättest. Ich stimme in allen Punkten mit Dir überein! Das Buch ist ein ganz wundervoll gezeichneter Brief. Ich konnte mich sehr schnell mit der Unbekannten identifizieren und mit ihr lieben und leiden. Ich fand diese Tragik, daß er sie nie erkannt hat, auch als er sie vor sich hatte, einfach nur unfaßbar! Und ihre Standhaftigkeit, ihn trotz allem weiter zu lieben - ihr Leben lang zu hoffen, daß er sich an sie erinnert und sie zu sich ruft...irgendwie beneidenswert.
    Ich hatte vorher mal eine Kurzgeschichte von Stefan Zweig gelesen, die ich ganz furchtbar fand - vom Schreibstil her. Dieses Buch ist auf jeden Fall ganz anders und ich bin froh, daß ich es gelesen habe :klatschen:.


    Das einzige, was ich gerade nicht verstehe: hat sie sich wirklich das Leben genommen? Meine Mutter sagt das auch, nachdem sie es gerade gelesen hat, aber irgendwie scheine ich das wohl überlesen zu haben... :confused: Ich dachte, daß sie auch an der Grippe gestorben ist...Es kann aber auch sein, daß ich durch die Verfilmung, die ich vor zwei Wochen gesehen habe, etwas abgelenkt bin, weil sie dort definitiv an einer Krankheit gestorben ist...


    Auf jeden Fall gibt es 5ratten.


  • Das einzige, was ich gerade nicht verstehe: hat sie sich wirklich das Leben genommen? Meine Mutter sagt das auch, nachdem sie es gerade gelesen hat, aber irgendwie scheine ich das wohl überlesen zu haben... :confused: Ich dachte, daß sie auch an der Grippe gestorben ist...Es kann aber auch sein, daß ich durch die Verfilmung, die ich vor zwei Wochen gesehen habe, etwas abgelenkt bin, weil sie dort definitiv an einer Krankheit gestorben ist...


    Hmm ... gute Frage, ist sie vielleicht wirklich an der Grippe gestorben? Vielleicht bin ich einfach automatisch davon ausgegangen, dass sie sich umgebracht hat. Oder sind die entsprechenden Stellen ja nicht ganz eindeutig!?
    Ich werde es nachlesen (kann aber erst am Wochenende wieder) - und vielleicht meldet sich bis dahin ja noch jemand, der das Buch gelesen hat!


    @Holden + nostalgia: ja, wäre schön wenn ihr es auch lesen und euch hier melden würdet! Es hat ja auch nur 92 Seiten.


    Ciao, Bluebell


    PS: Naja, ehrlich gesagt fand ich die Frau weder bewunderns- noch beneidenswert ... faszinierend, ok, aber einen Knacks hatte die schon. ;)

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    Einmal editiert, zuletzt von Bluebell ()

  • Hallo,


    Die Ursache ihres Todes ist nur kurz angedeutet. Es wird erwähnt, sie habe Fieber und Gliederschmerzen. Sie hofft aber auch auf ihren Tod, das Schicksal sei ihr vielleicht einmal gütig, und sie müsse nicht zusehen, wie der tote Körper ihres Kindes fortgetragen werde. Man könnte annehmen, das Kind habe sie angesteckt.


    Mit dem Tod ihres Kindes war ihr Leben restlos sinnlos geworden, denn, konnte sie den Schriftsteller R. nie bekommen, so hatte sie doch wenigstens das Kind, dem sie all ihre Liebe übertrug, die sie eigentlich R. schenken wollte.


    Ihr Leben ist hier einfach zu Ende.



    Natürlich hat sie einen Knacks. Die Schilderungen aus der Sicht des kleinen Mädchens ist Stefan Zweig gut gelungen. Dass sie über der Pubertät hinaus darunter leidet, das ist ihr Knacks, leider. Anstatt sich dem Leben neu zuzuwenden, hängt sie Kindheitserinnerungen nach und verbaut sich ihre Zukunft. Tragisch.


    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • Hallo,


    ich kenne das Buch nicht, aber was ich hier gelesen habe, hört sich sehr interessant an. Ich werde es mal auf meinen Wunschzettel übernehmen und bei gegebener Zeit kaufen und lesen. :zwinker:

  • Also ich habe es in der Schule gelesen und es war mit eins der besten Schullektüren die ich je gelesen habe. Auch gut gefallen hat mir "Die Fremde", bin mir aber nicht sicher ob das Buch auch von Stefan Zweig ist. Eure Büchermeinungen sind super :klatschen:


    LG Alisha-Jolie

    Liebe Grüße<br /><br />Alisha-Jolie

  • Ich habe das Buch vor 8 Jahren von einem Freund zum Geburtstag geschenkt bekommen und fand es sehr faszinierend. Es steht schon länger wieder aucf meiner Re-read-Liste.

    Die Literatur gibt der Seele Nahrung,<br />sie bessert und tröstet sie.<br /><br />:lesen:<br />Alfred Kerr: Die Biographie

  • Nach dem Erscheinen der Rezension hier hatte ich mir das Büchlein geholt und es dann irgendwann Ende letzten Jahres auch gelesen.


    Es war wirklich sehr eindrucksvoll. Nicht unbedingt die Intensität der Gefühle - die kennt vermutlich jeder aus eigener Erfahrung mit Teeny-Schwärmereien, aber dass sie diese intensiven Gefühle über all die Jahre hin so aufrecht erhält, immer wieder von den Kleinigkeiten der Nähe zehrt und sein Kind empfängt, macht diese Brieferzählung schon sehr einzigartig.


    4ratten

    Viele Grüsse,

    Weratundrina :verlegen:


    Help me, help me ~ Won't someone set me free? ~ There's no right side of the bed ~ With a body like mine and a mind like mine

    ~ IDLES ~


  • [/quote]


    "Die Fremde" ist von Sándor Márai :zwinker:
    [/quote]


    Ich wusste ich hab da was durch einander gebracht :redface: naja auf jedenfall war das auch super gewesen :zwinker:


    LG Alisha-Jolie

    Liebe Grüße<br /><br />Alisha-Jolie

  • Neben "Brennendes Geheimniss" eins meiner Favoriten von Stefan Zweig.


    Ich finde diese Geschichte sehr fesselnd und eindrucksvoll. Mit welcher Hingabe sie an ihren Gefühlen festhält, und nur für ihn zu leben scheint...das ist einfach nur beeindruckend.


    ganz klar 5ratten

    Ich bin, was du träumst.<br />Ich wache immer über dich.<br />Ich bin, was deine Hand lenkt.<br />(gez. Seele)

  • Die Strory habe ich im Rahmen der "Meistererzählungen" von Stefan Zweig gelesen.


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    Ich bin immer wieder beeindruckt von Stefan Zweigs Schreibstil, wie er es schafft, solch ein Einfühlungsvermögen zu beweisen, Gefühle zu beschreiben, vor allem weibliche. :zwinker:
    Mir hat der "Brief einer Unbekannten" sehr gut gefallen..ich war aber teilweise schon nahe dran, diese Frau in Gedanken zu würgen..wie kann man denn so naiv und borniert sein! :grmpf:


    4ratten


  • Das einzige, was ich gerade nicht verstehe: hat sie sich wirklich das Leben genommen? Meine Mutter sagt das auch, nachdem sie es gerade gelesen hat, aber irgendwie scheine ich das wohl überlesen zu haben... :confused: Ich dachte, daß sie auch an der Grippe gestorben ist...Es kann aber auch sein, daß ich durch die Verfilmung, die ich vor zwei Wochen gesehen habe, etwas abgelenkt bin, weil sie dort definitiv an einer Krankheit gestorben ist...


    Ich würde sagen, dass sie eher an der Grippe gestorben ist, weil sie am Schluss ja wirklich sehr schwach war. Aber eine richtige Aussage gibt es nicht über ihren Tod. Dass sie sich umbringen will, falls sie nicht vorher an der Grippe stirbt, deutet sie nur einmal am Anfang kurz an: "Ich glaube, ich habe Fieber, vielleicht auch schon die Grippe, die jetzt von Tür zu Tür schleicht, und das wäre gut, denn dann ginge ich mit meinem Kinde und müsste nichts tun wider mich."


    @Ophelia
    Ich kann deinen Ärger verstehen, stellenweise ging es mir genauso. Allerdings konnte ich ihre Gefühle ein Stück weit auch nachvollziehen, schliesslich war ihre Kindheit ziemlich farblos und langweilig, da ist es nicht schwierig, sich ihre Faszination für R. vorzustellen, der aus einer ganz anderen Welt als sie zu stammen schien. Und die fanatische Liebe hielt vermutlich so lange, gerade weil sie ihn nie wirklich kennengelernt hat und er für immer unerreichbar schien. Ich hatte den Eindruck, dass sie im Grunde genommen weniger in ihn verliebt war als mehr in die (idealisierte) Vorstellung, die sie sich von ihm gemacht hat... einen "Knacks" hatte sie wahrscheinlich schon auch, vielleicht sogar einen krankhaften Liebeswahn. Interessanterweise habe ich gerade vorhin über Wikipedia herausgefunden, dass ein Jahr vor dem Erscheinen von "Brief einer Unbekannten" erstmals von einem französischen Psychiater eine Beschreibung des Liebeswahns als Krankheit veröffentlicht wurde. Wer weiss, vielleicht hat Zweig sich davon inspirieren lassen...? :zwinker:

  • Große Gefühle. Ein trauriges Buch. Lag in der Badewanne und weinte.
    Besonders beeindruckt mich die Tatsache, dass Zweig als Mann sich so genau in diese Frau hineinversetzen konnte. Großartig!


    5ratten

    Einmal editiert, zuletzt von cori ()


  • Große Gefühle. Ein trauriges Buch. Lag in der Badewanne und weinte.


    Literarisch gesehen müssten wir eigentlich verheiratet sein :zwinker:


    Gruß, Thomas

  • @klassikfreund: Interessanterweise denk ich mir das oft.


  • @klassikfreund: Interessanterweise denk ich mir das oft.


    Ich lese halt nicht in der Badewanne und würde das meinen Büchern auch nicht antun wollen. Der Streit in unserer Ehe wäre also vorprogrammiert. :zwinker:


    Aber als ich dieses Zweig-Stück vor vielen Jahren las, war ich ebenfalls sehr tief bewegt. Ob es heute immer noch so wäre, will ich eigentlich gar nicht prüfen, jede Literatur hat ihre Zeit.


    Gruß, Thomas

  • @klassikfreund: Nein, würden wir nicht! Das war das einzige Buch, dass ich in der Badewanne las - keine Ahnung warum. Ich kann das nämlich auch nicht leiden, denn das schlimmste ist wirklich, wenn die Bücher aufgewellt sind.


    Das Buch ist für junge Gemüter. Das stimmt wohl. (Wie der Werther...!)