Ken Saro-Wiwa - Sozaboy

Es gibt 6 Antworten in diesem Thema, welches 4.188 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Aldawen.

  • Gelesen im Rahmen des „Wir-lesen-uns-rund-um-die-Welt“ Projektes: Nigeria


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    Inhalt


    "Obwohl, am Anfang waren alle in Dukana froh und zufrieden."


    Mene ist ein junger, naiver Nigerianer aus einfachen Verhältnissen. Er arbeitet als Fahrerlehrling, als der Krieg ausbricht. Als seine Frau Agnes und die Männer aus seinem Dorf Druck auf ihn ausüben, sich freiwillig zur Armee zu melden, findet er anfangs noch großen Gefallen an den schönen Uniformen und Gewehren. Allerdings ist ihm nicht klar, gegen wen und warum sie eigentlich kämpfen sollen.
    Als er nach der Ausbildung an die Front kommt, verwandelt sich bald in tödlichen Ernst, was er bisher als Spiel betrachtet hat: Beim ersten Bombenangriff kommt fast seine ganze Abteilung ums Leben und er wird nach längerer Flucht schwerkrank von feindlichen Soldaten gefangen genommen.


    Über den Autor


    Ken Saro-Wiwa wurde 1941 in Nigeria geboren. Er war Dozent an der Universität und Regierungsbeamter. Als Bürgerrechtler setzte er sich für Menschenrechte und Umweltschutz in seiner Heimat ein. 1994 erhielt er den Alternativen Nobelpreis und wurde für den Friedensnobelpreis 1996 nominiert. Die Verleihung erlebte er nicht mehr:
    1995 wurde er von einem Sondergericht der Militärdiktatur Nigerias zum Tode verurteilt und hingerichtet.


    Meine Meinung


    Bevor ich dieses Buch gelesen hatte, war mir Saro-Wiwa ausschließlich als Menschenrechtler bekannt. Umso erstaunter war ich, mit Sozaboy eine echte Perle in den Händen zu halten.


    Ich habe noch nie ein Buch über ein so ernstes und trauriges Thema gelesen, das so leicht und mit so viel Sprachwitz geschrieben ist. Gerade Menes Naivität erlaubt ihm eine Betrachtungsweise auf die Grausamkeiten des Krieges, die schonungslos und erschreckend ist.
    Immer wieder wird einem vor Augen geführt, dass die Zivilbevölkerung nicht die leiseste Ahnung davon hatte, worum es in diesem Krieg ging, geschweige denn, wer auf welcher Seite kämpfte. Von den Soldaten – egal ob „Freund" oder Feind – werden sie ausgebeutet und geschlagen. Da fast alle Zivilisten auf der Flucht sind, bricht eine gewaltige Hungersnot aus, ein Massensterben durch Unterernährung setzt in den Flüchtlingslagern ein, obwohl die Ernten in Nigeria reich ausfallen würden, wenn nur jemand da wäre, der sich um die Felder kümmern würde. Selbst als nach Kriegsende die Einwohner wieder in ihre Dörfer zurückkehren, hört das Sterben nicht auf, da die Cholera eingeschleppt wurde, eine Seuche, die vorher unbekannt war.
    Dass Mene diesen Krieg überlebt, verdankt er ausser unglaublichem Glück nur seinem unbändigen Lebenswillen.
    Mir hat dieses Buch einmal mehr auf drastische Weise vor Augen geführt, dass Kriege einfach nur entsetzlich dumm und unsinnig sind - damit sich ein paar Wenige bereichern können, müssen Unzählige leiden.


    Mene erzählt seine Geschichte in Pidgin-Englisch, was wohl einen Teil der Authentizität ausmacht, denn so sprechen die „einfachen" Leute in Nigeria. Das Original habe ich leider nicht gelesen, aber ich glaube, es ist dem deutschen Übersetzer sehr gut gelungen, diese Sprache darzustellen.


    Ein absoluter :tipp:5ratten

  • Das Buch subt bei mir auch schon eine ganze Weile, ich sollte mich wohl wirklich mal daran machen. Inspiriert ist das ganze übrigens durch den Biafra-Krieg 1967-70, und es sollen eigene Erfahrungen Saro-Wiwas aus der Zeit eingeflossen sein, auch wenn der Roman erst von 1985 ist. Sozaboy ist übrigens der Pidgin-Englisch-Ausdruck für „soldier boy“.


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Danke für diese Buchvorstellung, WannaBe. Damit hat es Ken Saro-Wiwa endgültig auf meine Autorenwunschliste geschafft.
    Das Buch hatte ich in der Buchhandlung schon öfter in den Händen und mich gefragt, was denn ein "Sozaboy" ist, ob die Sozas vielleicht ein afrikanisches Volk sind :redface: . Jetzt weiß ich es dank Aldawen besser.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Freut mich, wenn durch meine Rezi das Buch bei Euch nach oben rutscht :smile:, das hat es wirklich verdient.


    Im Anhang ist ein Verzeichnis einiger Ausdrücke, die der Übersetzer nicht eingedeutscht hat. Immer wieder lustig, wie englische Ausdrücke in eine Landessprache "integriert" werden. Übrigens erklärt erst der Übersetzer im Nachwort, dass es um den Biafra-Krieg geht, im Buch wird darauf nicht speziell hingewiesen. Ich dachte mir, Saro-Wiwa hat das vielleicht vermieden, da diese Geschichte ja für alle Kriege stehen könnte?

  • Vielen Dank auch von mir für diese tolle Rezi. Ich habe es auf meine Wunschliste gesetzt.


  • Übrigens erklärt erst der Übersetzer im Nachwort, dass es um den Biafra-Krieg geht, im Buch wird darauf nicht speziell hingewiesen. Ich dachte mir, Saro-Wiwa hat das vielleicht vermieden, da diese Geschichte ja für alle Kriege stehen könnte?


    Das ist gut möglich, deshalb habe ich auch absichtlich nur formuliert, daß das Buch durch den Biafra-Krieg inspiriert wurde. Auch wenn ich das Buch (noch) nicht kenne, so denke ich doch, daß die grundsätzlichen Situationen und Erfahrungen, in die der junge Mann gerät, durchaus einen gewissen Anspruch auf Allgemeingültigkeit für Kriegszeiten erheben können.


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Ich hatte dieses Buch bewußt auf eine meiner diesjährigen SLW-Listen gesetzt, damit die Chance steigt, daß ich es tatsächlich lese: Es hat funktioniert.


    Zum Inhalt will ich gar nicht viel mehr sagen, als WannaBe es im ersten Posting schon getan hat. Die Geschichte endet nicht mit der Gefangennahme. Es gibt noch einige weitere Wirrungen, die Mene in Zuge dieses Krieges und unmittelbar danach durchlaufen muß, und Stück für Stück wird ihm klarer, wie unsinnig und häßlich solch ein Krieg ist.



    Meine Meinung: Ken Saro-Wiwa ist hier ein phantastisches Buch gelungen! Gerade weil sein Hauptcharakter Mene ein unbedarfter Dorfjunge ist, der kaum mehr versteht als das Fahren eines Lasters zwischen seinem Dorf und der nächstgelegenen Kleinstadt, wird der Krieg in all seiner Perversität und Absurdität besonders deutlich. Als Mene seine Mutter mit Hilfe seiner jungen, hübschen Frau endlich dazu überredet hat, ihn zu den Soldaten gehen zu lassen, merkt man an seiner Beschreibung der Ausbildung und dessen, was ihm daran besonders gefallen hat, daß er über die Hintergründe für die Rekrutierung gar nichts weiß. Aber da ein Veteran aus dem Zweiten Weltkrieg gerne mit seinen Kriegserlebnissen prahlt, und da Mene wegen seiner Frau (die in Lagos war, jawohl!) im Dorf durchaus auch beneidet wird, läßt er sich leicht dazu verführen, seine „Männlichkeit“ durch die Verwandlung zum Soza, zum Soldaten, zu beweisen.


    Die Begeisterung bekommt erste Risse, als sein Freund Bullet übel behandelt wird. Kurz darauf wird quasi seine gesamte Einheit bei einem Angriff ausgelöscht. Mene kann zwar flüchten, landet aber schließlich in einem Lazarett der Gegenseite und nach seiner Genesung wird er dort Fahrer. Er wechselt die Seite nicht aus irgendeiner Überzeugung heraus, nicht einmal aus plattem Opportunismus, sondern schlicht zum Überleben. Und als sich ihm die Chance bietet, dem Irrsinn, den er längst er nicht mehr durchschaut, zu entkommen und sich auf die Suche nach seiner Familie zu machen, tut er genau das. Er will nicht mehr kämpfen, weil er nicht versteht, wofür. Seine Suche führt ihn durch die Flüchtlingslager, in denen er das Elend (nur wenig durch Hilfsorganisationen gelindert) genauso sieht, wie er erfahren muß, wie sich einige wenige auf Kosten anderer Leute bereichern. Unnötig zu sagen, daß das seine Begeisterung für Armee, Krieg usw. nicht fördert. Menes Verwirrung wird auch dadurch deutlich, daß aus seiner Erzählung am Ende gar nicht mehr klar ist, wann er eigentlich von welcher Kriegspartei spricht. Für ihn sind alles nur noch Sozas, mit denen er nichts mehr zu tun haben will.


    Saro-Wiwa läßt Mene eine sehr allmähliche Entwicklung und Erkenntnis durchmachen. Dadurch kann man ihm auf seinem Weg und seinen jeweiligen sehr persönlichen Begründungen gut folgen. Ursprünglich in „rotten English“ verfaßt, einer Mischung aus Pidgin-Englisch und anderen Stufen des englischen Sprachgebrauchs (allerdings kaum Hochsprache), hat der Übersetzer meiner Ansicht nach einen guten Weg des Ausdrucks gefunden. Das Ganze hat starke Anklänge an einen mündlichen Bericht, mit Wiederholungen, Phrasen, falsch ausgesprochenen Fremdwörtern, persönlicher Ansprache und ähnlichen Stilmitteln, aber durchaus auch dem von WannaBe schon angesprochenem Witz. Alles in allem ein Buch, das definitiv in die Reihe der bedeutenden Anti-Kriegsromane gehört und ein absoluter :tipp:


    5ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen