Natsuo Kirino - Die Umarmung des Todes

Es gibt 44 Antworten in diesem Thema, welches 10.287 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von illy.

  • Ja aber so etwas. Da gibt es einen Thread für meinen besten Krimi 2007 und ich entdecke ihn erst jetzt. :breitgrins:


    Natsuo Kirinos "Die Umarmung des Todes" war für mich tatsächlich eines der absolut spannendsten Büchern in diesem Jahr.
    Ich würde diese Geschichte um die vier Japanerinnen, welche genial gezeichnete Charaktere darstellten, jetzt aber
    weniger als Krimi - als solches- betiteln, da es hier ja weniger um die polizeiliche Aufklärung der Morde geht als um
    die ganz unterschiedlichen Bedrängnisse der Protagonistinnen selbst.
    Dabei haben mir vor allem die verschiedensten Einblicke in den alltäglichen Ablauf in der Lunchfabrik gefallen, welche den
    fast schon unabänderlichen Rhythmus der vier Kolleginnen, ihre ganz individuellen Beziehungen zueinander, aber auch Zweifel
    und Neid sowie gegenseitige Abhängigkeiten aufzeigten.
    Für mich eine grandiose, so ganz andere Art und Weise Spannung zu definieren, nicht zuletzt da sie flott und locker zu lesen war.
    Mir hat der sonst immer im Mittelpunkt stehende Aufklärungsbeamte mit seinen Marotten, hier so gar nicht gefehlt. :breitgrins:
    Nicht zu vergessen, diese gut gesetzten Schmunzelfaktoren zwischendurch. (zumindest für mich :breitgrins:)


    Für den Spannungssuchenden Leser ohne Blutangst ein unbedingter :tipp:


    Deshalb, von mir: 5ratten

    "Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie ihre Tiere behandelt." Mahatma Gandhi

  • 5ratten Also das ist mir echt mal 5 Rattzis wert!
    SUUUPER! Gestern nacht um 2 Uhr endlich am phänomenalen Ende angekommen. Absolut nicht für Zartbeseitete, also genau richtig für samdhya hihi.
    Echt eine klasse Story, die verschiedenen Erzählperspektiven peppen es auf und es wird zu keinem Augenblick langweilig.
    Da ich Probleme mit ausländeischen Namen habe muste ich mir ne kleine Tabelle kritzeln, aber was solls hihi!
    Man bekommt Einblick in mehrer Lebensweisen und fiebert mit was als nächstes passieren wird.
    Muss man gelesen haben! :klatschen:

    Ein Leben ohne Bücher ist kein Leben!

  • Huhu,


    ich halte die Annahme, dass „Die Umarmung des Todes“ ein Krimi ist, für falsch. Nur weil ein Mord passiert, handelt es sich nicht automatisch um eine Kriminalgeschichte. Ich habe dieses Semester ja ein Seminar mit dem Thema „Detektiv- und Kriminalgeschichten“; über die Terminologie in diesem Bereich ist man sich nicht einig, aber Gerber trifft meines Erachtens die beste Unterscheidung zwischen den zwei Typen Literatur, die sich mit Verbrechen beschäftigen: Kriminalgeschichten (also „Krimis“) und Verbrechensdichtung. In ersterem gibt es meistens dasselbe Handlungsschema: Verbrechen (meistens Mord), Ermittlungen (im weitesten Sinne), Aufklärung (Finden/Überführen des Täters). Bei der Verbrechensdichtung jedoch steht nicht das Verbrechen an sich oder die Aufklärung, sondern die Auswirkungen der Tat, die Psyche des Täters, die Motive, sein Leben im Mittelpunkt. So wird zum Beispiel „Schuld und Sühne“/“Verbrechen und Strafe“ hier eingeordnet, wobei das wohl kaum jemand als Krimi bezeichnen würde. Ich will keineswegs „Die Umarmung des Todes“ mit Dostojewski vergleichen, aber mit dieser Unterscheidung wird vielleicht auch klar, wieso hier so viele Nicht-Krimileser ihren Spaß an diesem Roman hatten – weil sie schlicht keinen gelesen haben.


    Mir hat „Die Umarmung des Todes“ aus verschiedenen Gründen allerdings nicht besonders gefallen:
    Zum einen fand ich die Charakterzeichnung sehr flach und stereotyp; nur weil man die Figuren nicht sympathisch findet und sie einigermaßen realistische Leben führen, ist das für mich noch kein Beleg für charakterliche Tiefe. Es gibt die geheimnisvolle, strenge Masako, das Arbeitstier Yoshie, die lasterhafte, niveaulose Kuniko und die schöne, fleißige und naive Yayoi – die Persönlichkeiten der Figuren bestehen einzig aus diesen Eigenschaften, die dadurch völlig übertrieben und unrealistisch wirken; ich zumindest kenne nicht viele Leute, die ich mit einem einzigen Adjektiv als ausreichend beschrieben bezeichnen würde.
    Außerdem wurden meiner Meinung nach die Männer etwas zu einseitig konservativ beschrieben; sie wirken fast sexistisch und der Roman bekommt einen merkwürdig emanzipatorischen Beigeschmack.


    Auch der vorherrschend tristen und grauen Atmosphäre der japanischen Alltagswelt konnte ich nicht viel abgewinnen. Ich will keine Sicht durch eine rosa Sonnenbrille, aber dass es in diesem Umfeld gar keine einigermaßen zufriedenen Menschen gab, kann der Realität doch auch nicht besonders nahe kommen. Alle Figuren sind unglücklich oder resignieren, die Familien sind zerbrochen, der Alltag kaum erträglich.
    Am besten gefallen hat mir Kazuo, da er so ziemlich die einzige Person mit etwas Hoffnung war; ich finde es schade, dass seine Rolle am Ende so bedeutungslos war und verstehe eigentlich im Nachhinein nicht einmal, wieso er überhaupt eingeführt wird.


    Ziemlich genervt war ich zudem von den auktorialen Kommentaren in der eigentlich personalen Erzählweise; v.a. bei Kuniko wird des Öfteren erwähnt, was sie nicht denkt und was sie nicht in Erwägung zieht. Diese bevormundenden Einschübe zeugen nicht von großem Vertrauen in die Intelligenz der Leser.


    Außerdem haben mich noch zwei Aspekte sehr gestört, die bei einer sehr wohlwollenden Interpretation als typisch für japanische Literatur bezeichnet werden könnten.
    So zum einen die andauernden Perspektivenwechsel, die meiner Meinung nach unnötig und stillos und meiner Erfahrung nach Hinweis auf minderwertige Literatur sind (zum Beispiel Dan Brown). Andererseits entsteht dadurch eine gewisse Episodenartigkeit, die in der japanischen Literatur sehr häufig vorkommt. Die einzelnen Elemente sind nicht unbedingt voneinander abhängig. stehen für sich und sind nicht Teil eines großen Ganzen. Allerdings fürchte ich, dass es letztendlich doch nur eine plumpe Art ist, Charaktertiefe vorzutäuschen.


    Der zweite störende Punkt ist für mich das Ende. Für meinen Geschmack ist es viel zu losgelöst von der restlichen Geschichte (und natürlich auch von der Realität). Es scheint geradezu gewaltverherrlichend. Entfernt könnte man hier das ehemalige Ideal der Vollendung der Liebe im Tod erahnen, aber auch das halte ich für sehr unwahrscheinlich.


    Aber das hängt evtl. mit dem letzten und für mich wichtigsten Punkt, warum ich dieses Buch nicht für lesenswert halte, zusammen: Ich weiß nicht, was für eine Art Geschichte „Die Umarmung des Todes“ sein soll! Ein Krimi ist es nicht. Ist das Thema die Auswirkung von Leichenschändung auf die Psyche? Die Geschichte einer Perversion? Eine Liebesgeschichte? Eine Gesellschafts- oder Zeitkritik?
    Ich weiß es nicht und finde das äußerst frustrierend. Da ein übergeordneter Aspekt völlig fehlt, sind die Teile der Geschichte zu wenig verbunden, zu wahllos, zu planlos; eine bloße Aneinanderreihung von Episoden ist mir eindeutig zu wenig.



    Ich kann daher niemandem empfehlen, diesen mittelmäßigen Roman zu lesen. Schade, dabei hatte ich mir nach diesen Rezensionen so große Hoffnungen gemacht.


    Liebe Grüße,


    mondpilz

  • Die vier Frauen arbeiten fast jede Nacht gemeinsam am Fließband der Lunchbox-Fabrik: Masako, in deren Familie schon lange jeder nur noch für sich lebt, Kuniko, die nicht weiß, wie sie ihre Schulden bezahlen soll und doch immer wieder neue macht, Yoshië, die ihre bettlägerige Schwiegermutter pflegt und Yayoi, deren Ehe gerade den Bach heruntergeht. Als Yayoi erfährt, dass ihr Mann die Familienersparnisse verzockt hat, tötet sie ihn im Affekt und bittet ihre Kolleginnen um Hilfe. Doch die Beseitigung der Leiche verläuft nicht ganz so wie geplant und das gemeinsame Geheimnis zerrüttet die Kameradschaft der Frauen zusehends.


    „Umarmung des Todes“ ist kein typischer Krimi, sondern ein Roman über ein zufälliges Verbrechen und die Folgen, die es nach sich zieht.


    Ich mag japanische Literatur generell und die größtenteils positiven Rezension haben bewirkt, dass ich mich auf das Buch gefreut habe, meine Begeisterung ist aber mehr und mehr abgeflaut, ich wurde mit dem Roman einfach nicht warm. Keine der Frauen hatte einen Charakter, der über ein paar Schlagworte hinausging und konnte dadurch auch nicht meine Sympathien wecken und wenigen Männer, die mehr als Statisten waren, waren ebenfalls relativ flach beschrieben. Die engen, auch geschlechtsspezifischen, gesellschaftlichen Restriktionen, denen sich die Figuren unterwarfen, waren mir unangenehm, auch wenn mir die entsprechenden Ansätze innerhalb der japanischen Kultur durchaus vorher schon bekannt waren. Hier wirkten noch dazu alle Ausbruchsversuche zwanghaft emanzipatorisch und nicht schlüssig in Bezug auf den Grundcharakter der Figuren.


    Immerhin habe ich gelernt, dass es Handtellerabdrücke ebenso wie Fingerabdrücke gibt und Chirurgenskalpelle besser schneiden als Sashimimesser - also doch keine verlorene Lebenszeit. :zwinker:


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus: