Grimm's Märchen - zu brutal für Kinder?

Es gibt 76 Antworten in diesem Thema, welches 22.596 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von BigBen.

  • Hab jetzt den ganzen Thread nicht gelesen - einfach nur meine Antwort:


    Ich habe meinen Kindern keine Märchen vorgelesen, weil ich im Deutsch-LK damals gelernt hatte, dass die meisten Märchen von Erwachsenen für Erwachsene geschrieben worden sind. Von daher hat sich mir die Frage nicht mehr gestellt, als ich Kinder bekommen habe.


    Muss ja auch nicht sein, es gibt so viele tolle Kinderbücher.

    Viele Grüsse,

    Weratundrina :verlegen:


    Help me, help me ~ Won't someone set me free? ~ There's no right side of the bed ~ With a body like mine and a mind like mine

    ~ IDLES ~



  • Die Diskussion hier finde ich (leider) typisch für unsere Gesellschaft. Man fragt sich, ob Märchen zu brutal für die lieben Kleinen sind. Und gleichzeitig bekommen diese die Abenteuer eine rachsüchtigen Nomadengottes (aka Bibel) als Heillehre angeboten. Wie kaputt ist unsere Gesellschaft?


    Kleinkindern liest man wohl kaum das alte Testament vor.


    Schöne Grüße,
    Thomas

  • Hallo,


    ich schließe mich den meisten hier an: Ich habe als Kind Märchen geliebt und fand sie eigentlich immer gerecht im Ausgang. Schlimm finde ich eher, daß man die Märchen heutzutage für die Kinder zensiert :rollen:. Erst vor kurzem habe ich festgestellt, daß sich bei Aschenputtel-Versionen meiner Tochter keine Schwester die Ferse abschneidet und keine Taube sagt: "Ruckedigu, Blut ist im Schuh". Da fehlt doch eindeutig was! Wenn die Leute heutzutage sich nicht ständig total übertriebene Gedanken um und über Kinder machen würden, wäre manches echt einfacher :zwinker:.


    Liebe Grüße
    Bianca

  • Kleinkindern liest man wohl kaum das alte Testament vor.


    Und den etwas größeren auch nur die abgeschwächten Varianten ... wobei wir in der Grundschule von den fiesesten Geschichten am fasziniertesten waren ...

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Kleinkindern liest man wohl kaum das alte Testament vor.


    Schöne Grüße,
    Thomas


    Da muss ich widersprechen, soweit ich betroffen bin.


    Außerdem: Wieviel besser ist das neue Testament? Jesus wird ausgepeitscht, an ein Kreuz genagelt, gepiekst usw., dann stirbt er. Klingt für mich auch nicht so sanft. In der Kirche redet man den Kids dann ein (wenn sie Katholen sind), dass sie den leibhaftigen Leib Gottes mampfen, wenn sie die Hostie kauen. Kannibalismus? Tja...


  • Außerdem: Wieviel besser ist das neue Testament? Jesus wird ausgepeitscht, an ein Kreuz genagelt, gepiekst usw., dann stirbt er. Klingt für mich auch nicht so sanft.


    Wobei die Passionsgeschichte, wie sie am Karfreitag vorgetragen wird, für mich auch eher sachlich-nüchtern klingt. Ändert natürlich nichts am Inhalt, aber die Darstellung der Gewalt dort dringt ähnlich wenig zu mir durch wie ein sich entzweireißendes Rumpelstilzchen oder der Wolf, der das Kind verschlingt.


    Wie brutal so eine Folterung und Kreuzigung ist, wurde mir erst richtig bewusst, als ich mal einen Jesus-Film gesehen habe (nein, nicht Mel Gibsons Splatterkreuzigung...)

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Also ich habe die Märchen geliebt! Sie sind brutal, das steht außer Frage, doch ist man sich als Kind nicht bewusst, dass das pure Gewalt ist. Das wird einem erst bewusst, wenn man älter ist. Doch hat es jemanden geschadet? Ich denke nicht - also mir zumindest nicht! :breitgrins:
    Jemand hat in dem anderen Thread ein gutes Beispiel gebracht: Wenn z.B. dem bösen Wolf der Bauch aufgeschnitten wird stellt sich kein Kind vor, dass dort Gedärme, etc. raushängen, sondern einfach nur einen hohlen, dunklen Bauch in dem die Großmutter und Rotkäppchen drin sitzen.
    Außerdem gehen Grimm's Märchen gut aus - sprich: das Gute siegt über das Böse! Und diese Message ist doch vertretbar.


    Ich weiß nur, dass ich meinen Kindern mal bestimmt nicht die Märchen verwehren werde, schließlich sind sie uns doch alle in Erinnerung geblieben und haben einen guten Eindruck hinterlassen! Das kann nicht schlecht sein! :zwinker:

    :leserin: [color=#CC0077]<br />Leo Tolstoi - Anna Karenina<br />Geneva Lee - Royal Passion<br />Frank Schätzing - Tod und Teufel<br />Patrick Rothfuss - The Name of the Wind<br />Maggie Stiefvater - The Raven Boys

  • Hm, ich habe auch das ein oder andere Märchen vorgelesen bekommen, das hat aber überhaupt keinen Eindruck hinterlassen.


    Ich wüßte nicht, was den Kindern abgeht, wenn man das nicht tut.


    Und das Argument "unshat es auch nicht geschadet" finde ich immer sehr schwach, weil es alles rechtfertigen kann.


    Warum nicht auf hochwertige Kinderbücher zurückgreifen?
    Versteh ich nicht so ganz...

    Viele Grüsse,

    Weratundrina :verlegen:


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    ~ IDLES ~


  • Warum nicht auf hochwertige Kinderbücher zurückgreifen?


    Als da wäre?


    Im übrigen sind halt die Grimm'schen Märchen schon Teil unserer Kultur - jedenfall ein ziemlicher Haufen davon ... :zwinker:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)


  • Jemand hat in dem anderen Thread ein gutes Beispiel gebracht: Wenn z.B. dem bösen Wolf der Bauch aufgeschnitten wird stellt sich kein Kind vor, dass dort Gedärme, etc. raushängen


    Stimmt, das war von mir im Horror-Thread :zwinker:


    Das ist generell was ich meine und was mir auch hier jetzt wieder aufgefallen ist: Kinder kriegen erst dann Angst, wenn die Illustrationen sehen (zB. Angst vor der bösen Hexe aus Disneys Schneewittchen), aber die Vorstellungskraft für so brutale Dinge haben sie einfach noch nicht.


    Was ich immer ganz witzig finde, das sind diese literaturwissenschaftlichen Abhandlungen über Märchen, in denen dann überall Symbole und Metaphern entdeckt werden und man unterstellt, dass die Kinder das auch alles verstehen würden. ZB. In "Frau Holle", da hieß es, der Stich mit der Nadel sei ein Zeichen für die erste Menstruation, das Brot im Ofen symbolisiere die Geschlechtsreife usw. Ich hätte als Kind NIE an so was gedacht und finde es auch jetzt noch abstrus. Was ich allerdings nachvollziehen kann ist die Deutung von "Hans mein Igel", wer das kennt: da rollt der Igel am Ende über die Prinzessin und sticht sie überall mit seinen Nadeln, so dass sie entehrt ist für den Rest ihres Lebens, da kann man natürlich durchaus eine Vergewaltigung drin sehen.


    Oh, ich muss los... demnächst mehr :smile:


  • Warum nicht auf hochwertige Kinderbücher zurückgreifen?


    Kein Mensch hat behauptet, dass man Kindern keine anderen Kinderbüchern vorlegen kann. Ich hab auch andere Bücher vorgelesen bekommen - nicht nur Grimm's Märchen! Ich werde sicher niemanden dazu zwingen, diese zu lesen, aber ich finds auch schade, wenn man als Elternteil dem Kind nicht mal die Chance gibt selbst zu urteilen ob die Märchen ihm gefallen oder nicht. Wenn das Kind "nein, das mag ich nicht" sagt, ist das doch auch ok!


    Und ich gebe Sandhofer recht, dass ein großer Teil dieser Märchen einfach zu unserer Kultur gehört. Generationen sind damit aufgewachsen!

    :leserin: [color=#CC0077]<br />Leo Tolstoi - Anna Karenina<br />Geneva Lee - Royal Passion<br />Frank Schätzing - Tod und Teufel<br />Patrick Rothfuss - The Name of the Wind<br />Maggie Stiefvater - The Raven Boys

  • Wir haben in besagtem Deutsch-LK einige Märchen eben auch so zerlegt und gedeutet. Ich käme halt im Traum nicht auf die Idee, sowas meinen Kindern vorzulegen.


    Ich sehe einfach keine Notwendigkeit dafür.


    Wie gesagt: hochwertige Kinderbücher gibt es so unendlich viele (sandhofer, die kann ich jetzt hier wirklich nicht alle aufzählen) für alle Altersgruppen.


    Kulturgut hin oder her. Wenn sie mögen können sie dieses auch später noch entdecken, spätestens in der Oberstufe werden sie ja damit gequält. :zwinker:

    Viele Grüsse,

    Weratundrina :verlegen:


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    ~ IDLES ~


  • Rebekka: Auf diese Deutungen wäre ich auch nie gekommen. Nicht einmal das mit dem Igel finde ich sehr schlüssig. Auch als Erwachsener würde ich aus diesen Märchen nicht solche Schlüsse ziehen.


    Katrin

  • Man muß Märchen den Kindern ja aber nicht zerlegt und gedeutet vorlegen :breitgrins:. Hochwertige Kinderbücher gibt es in der Tat einige, aber die Märchen sind für mich da ein fester Bestandteil.


    Zitat von "Weratundrina"


    Und das Argument "unshat es auch nicht geschadet" finde ich immer sehr schwach, weil es alles rechtfertigen kann.


    Ist für mich kein schwaches Argument, sondern eine Tatsache. Schließlich soll hier nicht "alles" gerechtfertigt werden, sondern ausschließlich ausgedrückt werden, daß Kinder Märchen mit anderen Augen sehen und daher kein bleibender Schaden entsteht. Und selbst wenn ein Kind Angst bekommen sollte: Auch Angst gehört zum Leben und der Umgang damit ebenso.


    Liebe Grüße


    Bianca

  • :breitgrins:
    Na ja, aber ich muss ja beim Lesen dann ständig daran denken.


    Ist ja eigentlich auch egal. Ich finde jedenfalls nicht, dass ich meinen Kindern etwas vorenthalte, wenn ich diese Märchen nicht vorlese. Und schliesslich stehen sie auch hier im Regal, d.h. sie könnten sie ja selber lesen (die Großen zumindest).

    Viele Grüsse,

    Weratundrina :verlegen:


    Help me, help me ~ Won't someone set me free? ~ There's no right side of the bed ~ With a body like mine and a mind like mine

    ~ IDLES ~



  • Was ich immer ganz witzig finde, das sind diese literaturwissenschaftlichen Abhandlungen über Märchen, in denen dann überall Symbole und Metaphern entdeckt werden und man unterstellt, dass die Kinder das auch alles verstehen würden. ZB. In "Frau Holle", da hieß es, der Stich mit der Nadel sei ein Zeichen für die erste Menstruation, das Brot im Ofen symbolisiere die Geschlechtsreife usw. Ich hätte als Kind NIE an so was gedacht und finde es auch jetzt noch abstrus. Was ich allerdings nachvollziehen kann ist die Deutung von "Hans mein Igel", wer das kennt: da rollt der Igel am Ende über die Prinzessin und sticht sie überall mit seinen Nadeln, so dass sie entehrt ist für den Rest ihres Lebens, da kann man natürlich durchaus eine Vergewaltigung drin sehen.


    Interpretationen schön und gut, aber das hier finde ich einfach viel zu überinterpretiert! Das klingt schon fast so wie Freud, der selbst in einem Hut geschmückt mit Früchten die Geschlechtsteile eines Mannes sieht! :breitgrins: Nein, nein...viel zu viel!!

    :leserin: [color=#CC0077]<br />Leo Tolstoi - Anna Karenina<br />Geneva Lee - Royal Passion<br />Frank Schätzing - Tod und Teufel<br />Patrick Rothfuss - The Name of the Wind<br />Maggie Stiefvater - The Raven Boys


  • Ist ja eigentlich auch egal. Ich finde jedenfalls nicht, dass ich meinen Kindern etwas vorenthalte, wenn ich diese Märchen nicht vorlese.


    Kann man dem eigentlich so ganz entkommen? Märchen tauchen ja eigentlich überall auf: Im Kindergarten, im Fernsehen, liebende vorlesende Omas etc...


    Zitat von "Juggalette"


    Interpretationen schön und gut, aber das hier finde ich einfach viel zu überinterpretiert! Das klingt schon fast so wie Freud, der selbst in einem Hut geschmückt mit Früchten die Geschlechtsteile eines Mannes sieht! Breitgrins Nein, nein...viel zu viel!!


    Volle Zustimmung.


    Liebe Grüße
    Bianca

  • Ich glaube, das hängt auch stark von Phantasie und Alter des Kindes ab. Meine Tochter machte sich mit knapp drei Jahren sehr viele Gedanken über Vorkommnisse in Märchen und zeigte auch Angst bei heiklen Passagen. Da reichte schon das Erwähnen einer Hexe, die im Wald wohnt, und sie hatte prompt Angst, wenn sie nachts aufwachte. Seitdem habe ich nur sehr wenige Märchen bzw. eine gemäßigte Version erzählt. Vorenthalten möchte ich ihr die Märchen allerdings nicht; sobald ich den Eindruck habe, dass sie geistig reif genug dafür ist und keine Angst mehr hat, werden wir uns auch solche Geschichten vornehmen. Dann kann sie selbst entscheiden, ob sie es hören möchte.


    Ich selbst habe laut meiner Mutter gerne Märchen gehört und keine Angst dabei gehabt. Als etwa 11-Jährige hatte ich eine Vorliebe für eine Comic-Reihe namens Gespenster-Geschichten. Die waren teilweise auch ganz schön gruselig.


    Gruß
    Doris

  • Ja, wie gesagt, diese Interpratationen... :rollen: So was findet man aber nicht nur im Märchen, die literaturwissenschaft hat es sich halt zum Steckenpferd gemacht alles was lesbar ist zu sezieren. (Ist an anderer Stelle sicher ganz schön und viele Autoren machen sich das dann auch zunutze, aber im Märchen ist es dann in dem Fall, meines Erachtens nach, doch übertrieben)


    Kann man dem eigentlich so ganz entkommen? Märchen tauchen ja eigentlich überall auf: Im Kindergarten, im Fernsehen, liebende vorlesende Omas etc...


    Das stimmt tatsächlich, daran hab ich noch gar nicht gedacht, aber deshalb gehören diese Märchen ja auch zum Kulturgut. Das heißt so oder so werden es die Kinder ohnehin mitbekommen und einen früher oder später vielleicht drauf ansprechen.


    @ Weratundrina: Was würdest Du dann machen, angenommen Dein Kind kommt mit diesen Geschichten in Berührung und möchte mehr davon hören? Würdest Du dem Drängen nachgeben?


    Es stimmt natürlich, dass es viele hochwertige Kinderbücher gibt, keine Frage. Ich habe als Kind auch allerlei Zeug vorgelesen bekommen, und da war sicherlich kein Ramsch dabei. Mir geht es dennoch so, dass mir von meinen Kindheitsgeschichten nur noch sehr wenige in Erinnerung sind. Von den langen Geschichten / Büchern weiß ich kaum noch etwas, viel mehr bleiben da die kurzen im Gedächtnis. Dazu gehören also auch die Märchen. (Wahrscheinlich haben sie sich unter anderem auch deshalb so lange gehalten: weil man sie sich einfach gut merken kann. :zwinker:)


    Na ja, ich bin jedenfalls zu dem Schluss gekommen, dass ich meinem Kind zehn Mal lieber ein Märchen vorlesen werde als diesen Lillifee-Quatsch oder Vergleichbares, was gerade auf dem Markt zu finden ist.


  • Ja, wie gesagt, diese Interpratationen... :rollen: So was findet man aber nicht nur im Märchen, die literaturwissenschaft hat es sich halt zum Steckenpferd gemacht alles was lesbar ist zu sezieren.


    Eigentlich ist das sogar der Beruf der Literaturwissenschaft, bzw. der Literaturwissenschafter. Psychoanalytische Deutungen waren schon immer sehr umstritten. Dass man psychoanalytische Deutungen von Märchen den Kindern mitteile / mitteilen soll, lese ich allerdings zum ersten Mal ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)