Henry James: Washington Square

Es gibt 7 Antworten in diesem Thema, welches 2.988 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von illy.

  • Hallo,


    Halbzeit. Meine fünfte Rezi zum SUB-Wettbewerb 2007


    Henry James: Washington Square


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    Der Roman wirft einen Blick in das New York um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Auch wenn damals New York viel kleiner war als heute, war es damals schon im Aufwind; die Stadt wuchs und wuchs, auch wenn damals noch am Stadtrand Hühner unter Palmen gackerten. Geld war damals schon enorm wichtig, und man war sehr angesehen, wenn man sich den Reichtum selbst erarbeitet hat wie der berühmte Arzt Dr. Austin Sloper, der am Washington Square sehr wohlhabend residierte.


    Seine Tochter Catherine war ihm seid ihrer Geburt schon ein Kümmernis. Sein erstes Kind, ein Junge, ist im zarten Alter verstorben. Aus ihm wollte der Arzt großes machen – Vaterstolz. Umso großer die Entäuschung, als Mrs. Sloper dann ein Mädchen zur Welt brachte. Frauen konnten halt damals keine berufliche Karriere machen.


    Offenbar hat der große Arzt Dr. Sloper diese Enttäuschung nie verwunden und hielt sie Zeit seines Lebens für dämlich und einfältig. Ich habe mich gefragt, warum Henry James einen Roman über eine Frau schreibt, die dann wirklich in ihrem Leben durch ihre Sturheit ihr Leben verbaut, weil sie ihrem Vater alles recht machen wollte wie auch ihren Verlobten. War sie wirklich zu dumm, ihr eigenes Leben zu verwirklichen? Ich denke, es war damals eine Männerwelt, die Frauen hatten nichts zu sagen und gaben eher klein bei. Dadurch entstanden Tragödien. Morris Townsed nämlich, Catherines Verlobter, hatte keine Chance beim künftigen Schwiegervater gut anzukommen, denn er besaß kein Geld und hatte früher alles verloren. Dr. Sloper ist davon überzeugt, Townsed wolle seine Mauerblümchentochter um der Mitgift willen heiraten und will die beiden auseinanderbringen.


    Die Stellung als Frau erlaubte es Catherine wohl nicht, ein Machtwort gegen ihren Vater auszusprechen, stattdessen pendelt sie zwischen Townsed und ihren Vater. Da es aber unmöglich ist, es jedem Recht machen zu wollen, ist ihr Schicksal besiegelt.


    Ich war überrascht, der Roman ließt sich sehr leicht. Nur zu Beginn tat ich mich schwer, und musste mich einfach einlesen. Aber Gott Sei Dank, dann kam Morris Townsed auf die Bühne von Catherines Leben, und ich genoss den Roman. Schon dieses frühere Werk lebt von der Psychologie der Figuren. Darum habe ich es auch gerne gelesen. Trotzdem vermute ich, und habe auch gelesen, dass spätere Romane von James noch besser sind. Ich kann mir das gut vorstellen, denn an Balzac, sein größtes Vorbild, reicht dieser Roman keineswegs heran und selbst Henry James, hielt von diesem Roman nicht viel. Trotzdem ist es ein sehr angenehmer Klassikerschmöker, der uns in gesellschaftliche Probleme damaliger Zeit einführt.


    3ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • Danke für die Rezension!


    Trotzdem vermute ich, und habe auch gelesen, dass spätere Romane von James noch besser sind. Ich kann mir das gut vorstellen, denn an Balzac, sein größtes Vorbild, reicht dieser Roman keineswegs heran und selbst Henry James, hielt von diesem Roman nicht viel.


    Wir sind jetzt insofern in komplementären Positionen, als dass ich Washington Square nicht kenne, dafür einiges andere von James. Insofern erstaunt mich Deine Aussage doch. Ich finde nämlich, dass James bereits in The Europeans von 1878 (Washington Square ist von 1880) Balzac um Längen übertrifft, ebenso in The Portrait of a Lady von 1881. Von den wirklich späten Werken (Jahrhundertwende und 20. Jahrhundert), die ich kenne, ganz zu schweigen.


    Da werde ich irgendwann mal verifizieren müssen ... :smile:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Ich selber habe Washington Square gelesen und finde das gerade Bildnis einer Dame und Die goldene Schale sehr viel besser sind. Wobei man bei Washington Square schon merkt das James einfach brilliant schreiben konnte. (Wie ich finde) Daher seien dir diese beiden Romane natürlich ans Herz gelegt ;) Aber auch Der Amerikaner hat mir viel Spaß gemacht. Soweit es mich betrifft kann man mit James nicht viel falsch machen ;)

  • Hallo sandhofer,


    im Falle des "Washington Square" hätte Balzac sich darüber ausgelassen, wie Morris Townsed sein Vermögen verspielt hat. Im Hinterkopf habe ich jetzt besonders Balzacs "Tante Lisbeth" und "Verlorene Illusionen". Das Zeitkolorit ist bei Balzac im Hintergrund (Restauration). In James Roman erfahren wir über die Epoche gar nichts, über das damalige New York nur sehr wenig. Balzac ist äußerst ironisch und zeichnet beißende Karikaturen der höheren Gesellschaft. James ist zwar auch sehr ironisch, wenn er Dr. Sloper als Menschenkenner vorstellt, der sich dann aber trotzdem irrt. Balzac ist in dieser Beziehung aber viel bunter und krasser. Das gefällt mir an Balzac und natürlich all die vielen Lebensweisheiten, die der Franzose von sich gibt.


    In einem anderen Ordner hast du mal sinngemäß gesagt, Jane Austen hat mehr action als James. Balzac hat im allgemeinen dann sicher mehr action als James. In der Darstellung der Charaktere erscheint mir Balzac plastischer als James.


    Nun denn, ich habe das Problem, nichts weiter von James gelesen zu haben. In anderen Romanen soll James viel ausführlicher in Beschreibungen sein als im "Washington Square", ein Freund erzählte mir von "Beschreibungsorgien" :zwinker:.


    Mich interessieren die genauen Gründe, warum James seinen "Washington Square" in seiner Gesamtausgabe nicht sehen wollte (so schreibt ein amazon-rezensent).


    Man möge mich nicht falsch verstehen, der Roman hat mir so gut gefallen, dass ich noch andere Romane von James lesen möchte. :klatschen:


    Danke für die Tipps, HoldenCaulfield. Sandhofer war ja von der goldenen Schale auch begeistert.
    Ich bin neugierig geworden!!


    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • @mombour
    Ja "Beschreibungsorgien" trifft es eigentlich recht gut :breitgrins: Er hat schon eine recht ironische Art die damalige Gesellschaft zu beschreiben die aber in Washington Square etwas zu kurz kommt. Was wohl auch daran liegen mag das eben der Roman selbst auch nicht so lang ist wie die von mir schon erwähnten Werke. Ich wünsch Dir jedenfalls viel Spaß beim "H.James Entdecken" ;)


    Grüße

  • In einem anderen Ordner hast du mal sinngemäß gesagt, Jane Austen hat mehr action als James. Balzac hat im allgemeinen dann sicher mehr action als James. In der Darstellung der Charaktere erscheint mir Balzac plastischer als James.


    In Wikipedia wird dieser Roman vom Stil her mit Austen verglichen - wurde offenbar schon zu James' Lebzeiten. James mochte Austen nun weniger ... das wird ihn wohl bewogen haben, für die New Yorker Ausgabe eine Umarbeitung zu versuchen - die ihm nicht gelang.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • James mit Balzac und Austen zu vergleichen ist schon recht gewagt. Zumal er allein zeitlich den beiden überhaupt nicht zuzuordnen ist. Was James interessiert, ist wie ihr recht bemerkt habt, weniger seine Zeit, sondern der menschliche Charakter, psychologische Fragen und verschiedene Sichtweisen. James war nämlich auch einer der ersten "Modernisten" der amerikanischen Literatur, er wandte sich von der auktorialen Erzählweise ab und benutzte die "stream of consciousness"-Erzählweise. Das war nicht seine Erfindung, aber das Publikum musste sich erst daran gewöhnen. (Zu Lebzeiten war er deshalb alles andere als populär. ) Diese besondere Erzählweise hat den Effekt, dass James' plots nicht eindeutig interpretierbar ist, sondern immer ambivalent sind. Und genau das macht für mich den Reiz an seinen Geschichten aus. War Townend nun ein Golddigger oder nicht? James wollte nicht in der Balzacschen Manier den Leser "lenken" und ihm vorschreiben, wie er die Charaktere zu finden habe. Bei Balzac hat der Leser keinen Spielraum für seine Phantasie. Bei James muss der Leser sich seinen Teil dazu denken.


    Meine Lieblingsstory von James sind "Daisy Miller" und "The Turn of the Screw". Klassische Interpretationsfallen.

  • ebenfalls eine Rezi zum SUB-Lesewettbewerb


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    Catherine ist die einzige Tochter des erfolgreichen Arztes Dr. Sloper und zeichnet sich am ehesten durch ihre Nichtssagendheit aus. Sie ist weder besonders hübsch noch besonders intelligent und dazu noch sehr schüchtern und von ihrem Vater abhängig, den sie zutiefst bewundert. Mit im Haushalt lebt die verwitwete Schwester Dr. Slopers, eine Frau von einfachen Gedanken, aber einer teilweise überbordenden Phantasie, ihre Vorstellung vom Leben entspricht manchmal am ehesten einem Groschenroman. Auf einer Feier trifft Catherine den jungen, eleganten und gut aussehenden Morris Townsend und lässt sich in ihrer Unerfahrenheit so schnell und sehr von ihm einnehmen, dass sie, von ihrer Tante hingebungsvoll unterstützt, innerhalb einer Woche an die große Liebe ihres Lebens glaubt und auf diese Weise einen Konflikt mit ihrem Vater heraufbeschwört, der in Morris wenig mehr als einen Mitgiftjäger sieht.


    Klassiker zu rezensieren scheue ich mich immer ein wenig, erwarte ich doch nicht so sehr Unterhaltung oder gar Spannung, sondern Stil und nun ja, Klasse. Was den Stil betrifft, sind mir allerdings gerade auf den ersten Seiten einige grammatisch seltsam klingende Sätze aufgefallen, bei denen ich mich gefragt habe, ob der Übersetzer bei den langen Schachtelsätzen mit ungewöhnlicher Wortstellung irgendwo durcheinander geraten ist oder ob es sich um eine durchaus korrekte, aber völlig veraltete und mit Absicht benutzte grammatische Form handelt. Satzbau und Stil sind insgesamt betrachtet zwar etwas anspruchsvoller, aber durchaus lesbar.


    In diesem Fall war die Geschichte auch selbst recht interessant, ich war leicht genervt von der Tante, irritiert vom Vater und verständnislos gegenüber Catherine und fragte mich, wie die ganze Angelegenheit denn nun ausgehen würde. Der Autor lässt Catherine zwar eine Entwicklung durchmachen und am Ende erwachsener und selbstbewusster sein, was aber der genaue Auslöser für diese Entwicklung ist und wie sie genau abläuft bleibt unklar, was ich persönlich etwas unbefriedigend fand. Catherines Motive bleiben im Dunkeln und lassen einen darüber grübeln, warum Catherine denn nun wirklich so handelt, wie sie es tut. Das Ende ist zwar angenehm, aber die Entwicklung zu diesem Punkt wird einfach unzureichend dargestellt. „Washington Square“ war insgesamt betrachtet intelligent geschrieben und angenehm zu lesen und es hat mich nicht von weiteren Büchern von Henry James abgeschreckt, es reizt mich allerdings auch nicht dazu andere Bücher von ihm unbedingt lesen zu müssen.


    3ratten :marypipeshalbeprivatmaus:



    PS: Nach Durchlesen des Threads bin ich etwas motivierter mich nochmal an einen Herny James zu machen und habe "das Drehen der Schraube" mal auf meinem Wunschzettel notiert

    Einmal editiert, zuletzt von illy ()