Kazuo Ishiguro - Damals in Nagasaki

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    Inhalt: Die Japanerin Etsuko ist vor langer Zeit nach England gekommen. Der Selbstmord ihrer älteren Tochter Keiko und der Besuch der jüngeren, halb englischen Tochter Niki wecken Erinnerungen in ihr an einen Sommer, den sie noch in ihrer Heimat Nagasaki verbracht hat. Der Fall der Bombe war noch nicht lange her und die Menschen um sie her veränderten sich. Sie war schwanger, ein Besuch des Schwiegervaters und die zu erwartende Beförderung ihres Mannes prägten das häusliche Leben. Dazu kam die neue Nachbarin, mit der Etsuko sich anfreundete, die sich jedoch nicht um ihre Tochter zu kümmern schien.


    Meine Meinung: 'Damals in Nagasaki' ist ein Buch der leisen Töne, der Andeutungen und kleiner Änderungen in der Atmosphäre. Ishiguro spricht nie deutlich aus, was seine Erzählerin fühlt. Meiner Meinung nach noch mehr als in 'Was vom Tage übrig blieb', muss man sich die Details über Etsuko aus den Reaktionen ihrer Mitmenschen zusammen reimen. Auch die vielen verschiedenen Konflikte (zwischen den Eheleuten, zwischen Vater und dem ihn ignorierenden Sohn, zwischen den alten und neuen Werten, die vielen angedeuteten Probleme der Nachbarin Sachiko...) werden nicht offensichtlich so benannt, sondern müssen heraus gefiltert werden. Einige von ihnen sind mir erst bewusst geworden, als ich plötzlich ein sehr ungutes Gefühl beim Lesen hatte und anfangen musste, darüber nachzudenken.


    Die interessanteste Figur ist diesmal wohl die Nachbarin Sachiko, deren Motive und Gedanken man zumeist sehr gut aus ihren wiederholten Verneinungen heraus lesen kann und ihren Versicherungen, dass es so besser sei. Es handelt sich um keine Person, die mir sehr sympathisch war, aber auch Etsuko, die Erzählerin, war mir nur in den Augenblicken sympathisch, in denen sie mit ihrem Schwiegervater allein war. Diese Szenen stechen aus dem Rest sehr heraus, weil hier ein Humor der beiden Personen sehr deutlich zum Ausdruck kommt, der ansonsten in keiner anderen Szene denkbar wäre.


    Um die Nagasaki-Erzählung herum rankt sich die Gegenwart, der Besuch Nikis bei ihrer Mutter, der von einem beklemmenden Gefühl geprägt ist.
    Ich werde es wohl bald ein zweites Mal lesen, um die ganzen Feinheiten zu würdigen zu wissen, die mir beim ersten Mal entgangen sind.


    Fazit: Ein wunderschönes, ruhiges Buch, das mit einer melancholischen Stimmung sehr gut zu einem eher grauen Herbsttag passt.


    5ratten

    Seit die Mathematiker über die Relativitätstheorie hergefallen sind, verstehe ich sie selbst nicht mehr.<br />~ A. Einstein<br /><br />Man umgebe mich mit Luxus; auf das Notwendige kann ich verzichten. <br />~ Oscar Wilde

  • Ich finde mich in diesen Einschätzungen sehr gut wieder, insbesondere in den Worten "Andeutung und ungutes Gefühl". Ishiguro schafft es, die ihm anscheinend ganz eigene Atmosphäre aufzubauen, in der es auch so etwas wie Verunsicherung gibt. Vielleicht (?) ist das weit hergeholt, doch bei seinen Büchern denke ich oft an Kafka, wegen eben diesen Stimmungen.


    Schön, dass hier jemand dieses Buch entdeckt hat!

    Gruß, tom leo<br /><br />Lese gerade: <br />Léonid Andreïev - Le gouffre<br />Franz Kafka - Brief an den Vater<br />Ludmila Ulitzkaja - Sonjetschka

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    Vor langen Jahren hat die Japanerin Etsuko ihr altes Leben in Japan hinter sich gelassen und ist nach England gekommen. An die Zeit ihrer ersten Ehe mit dem Japaner Jiro denkt sie kaum noch zurück, lebt in der Gegenwart. Erst als ihre noch in Japan geborene Tochter Keiko sich das Leben nimmt, muss Etsuko sich ihrer Vergangenheit stellen. Erschüttert taucht sie ein in eine Welt der Erinnerungen, Träume und Illusionen und blickt zurück auf die Zeit damals in Nagasaki, nicht lange nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Stadt scheinbar dabei war, sich von ihrer Zerstörung zu erholen.


    ich habe das Buch heute begonnen zu lesen und schon ab den ersten Seiten hat mich Kazuo Ishiguro wieder einmal mit seinem Worten in seinen Bann gezogen.


    Etsuko berichtet von ihrem Leben in Nagaski und ich befinde mich in der Zeit, in welcher sie gerade das erste Mal schwanger ist und in der Nachbarschaft Freundschaft mit einer Frau schließ. Diese Frau hat eine Tochter, die sich ausgesprochen merkwürdig verhält. Heutzutage würde sofort Psychologen auf der Matte stehen, aber die Mutter scheint das gar nicht so sehr zu kümmern.
    Letztendlich kann man eigentlich gar nicht klar umschreiben, was geschieht. Wie schon in anderen Büchern vermittelt Ishiguro einzelne Bilder und diese verweben sich hier in diesem Buch zu etwas sehr mysteriösem. Es liegt eine ganz merkwürdige, stellenweise beklemmende Stimmung vor, die nichts Gutes verheiß, obwohl nichts derartiges wirklich ausgesprochen wird.
    Ich möchte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen, denn ich will einfach wissen, was da nun wirklich geschieht.

  • Dieses Buch ist in vielerlei Hinsicht sehr interessant. Zum einem herrscht nach wie vor diese subtile Stimmung, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist, ohne dass es näher benannt wird und der Leser seine eigenen Überlegungen anstellt, zum anderen erfährt man hier einiges von der Kultur Japans. Es geht hier aber nicht um die allgemeine Kultur eines Landes, sondern vielmehr um die familiären und privaten Beziehungen und Interaktionen untereinander.
    Dies ist nun schon das zweite Buch dieses Autors, in welchem ich feststellen muss, dass Ishiguro in der ersten Person, die Erfahrungen und Gedanken einer Frau beschreibt. Wie auch schon bei "Never let me go" käme man nicht im geringsten auf den Gedanken, dass dieses Buch von einem Mann geschrieben wurde, wenn man es nicht wüsste.

  • Ich habe das Buch gerade beendet und kann eigentlich gar nichts zum Inhalt sagen, denn das wäre schon zuviel. Ishiguro hat mal wieder ein Buch geschrieben, an dessen Ende, auf der letzten Seite man einen Satz liest und auf einmal die ganze Geschichte einen komplett anderen Charakter und auch Sinn erhält. Ich las die letzte Seite und dachte nur: "Was?! Wie?! Das glaube ich jetzt nicht."
    Ich war völlig sprachlos. Was für ein geniales Ende.

  • [size=13pt]Kazuo Ishiguro - Damals in Nagasaki[/size]

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    OA: 1982
    OT: A pale View of Hills
    224 Seiten
    ISBN: 978-3442727384


    Inhalt:
    Vor langen Jahren hat die Japanerin Etsuko ihr altes Leben in Japan hinter sich gelassen und ist nach England gekommen. An die Zeit ihrer ersten Ehe mit dem Japaner Jiro denkt sie kaum noch zurück, lebt in der Gegenwart. Erst als ihre noch in Japan geborene Tochter Keiko sich das Leben nimmt, muss Etsuko sich ihrer Vergangenheit stellen. Erschüttert taucht sie ein in eine Welt der Erinnerungen, Träume und Illusionen und blickt zurück auf die Zeit damals in Nagasaki, nicht lange nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Stadt scheinbar dabei war, sich von ihrer Zerstörung zu erholen.


    Eigene Meinung:
    Dies ist nun das dritte Buch, welches ich von diesem genialen Autor gelesen habe. Dieses Mal allerdings, wenn auch die Rahmenhandlung in England von statten geht, spielt der größte teil dieser Geschichte in seiner Heimat in Japan. Dadurch werden dem Leser sehr viele Eindrücke aus der japanischen Kultur vermittelt.


    Die Hauptthemen dieses ungewöhnlichen Buches beinhalten Familie, Traumata, Schuld, Heimat und vernachlässigte Kinder.
    Es ist interessant, vor allem da man sehr viel über die familiäre Strukturen und die Kultur im privaten Bereich erfährt. Hier sind die Konflikte zwischen den Generationen extrem schwierig und Spannungen schon vorprogrammiert.
    Natürlich ist auch die Atombombe Thema, aber trotz des Ortes Nagasaki spielt sie eine untergeordnete Rolle, obwohl sie jeden Bereich des Lebens der Protagonisten beeinflusst hat.
    All dies ist eingebettet eine düstere, mysteriöse Stimmung. Ishiguro, ein Meister der Atmosphäre, vermittelt eine subtile Bedrohung, die permanent präsent ist und einem stellenweise die Kehle zuschnürt.
    Man spürt eine lauernde Gefahr, kann sie dennoch nicht benennen.
    Das Ende jedoch stellt alles in den Schatten. Auf der letzten Seite schließt man fassungslos das Buch mit der Überlegung es unter ganz neuen Aspekten noch einmal zu lesen.


    5ratten + :tipp:


  • Das Ende jedoch stellt alles in den Schatten. Auf der letzten Seite schließt man fassungslos das Buch mit der Überlegung es unter ganz neuen Aspekten noch einmal zu lesen.


    Tina: Hast Du das Buch darufhin noch einmal gelesen? Mich würde interessieren, ob sich bei einer zweiten Lektüre Dein Verdacht erhärtet hat?


    Ich selber habe das Buch auf Deutsch vor rund 20 Jahren gelesen und kann mich außer an einige Szenen am Fluss bzw. auf einer der Brücken nur noch daran erinnern, dass ich irgendwie verwirrt war. Ich habe es letzte Woche endlich auf English gelesen und fand es soweit ganz gut verständlich, auch in seiner vagen aber nicht (mehr) irritierenden Unbestimmtheit.



    Mir ist bei der zweiten Lektüre nach so langer Zeit (wieder) nichts aufgefallen, was das Drama am Fluss andeutet. Obwohl es in der Tat Merkwürdigkeiten gibt:



    All dies ist eingebettet eine düstere, mysteriöse Stimmung. Ishiguro, ein Meister der Atmosphäre, vermittelt eine subtile Bedrohung, die permanent präsent ist und einem stellenweise die Kehle zuschnürt.
    Man spürt eine lauernde Gefahr, kann sie dennoch nicht benennen.


    Am subtilsten fand ich, dass es zweimal - am Anfang vom Ersten und am Ende vom Zehnten Kapitel - vorkam, dass Etsuko Mariko an den Fluss hinterherlief um sie zu suchen und dass sich beidesmal ein Seil an ihren Füßen verhedderte, was Mariko erschreckte, so dass Etsuko ihr versichern musste, sie wolle ihr nicht wehtun.


  • Etsuko bekommt nach langer Zeit einmal wieder Besuch von ihrer Tochter, doch viel zu sagen haben sich die beiden Frauen nicht, selbst im Angesicht eines tragischen Todesfalles schweigen sie mehr, als ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen.


    Etsukos Gedanken schweifen immer wieder zurück in die Vergangenheit. Damals in Nagasaki, nur wenige Jahre nach dem verheerenden Atombombenabwurf, hat sich die Stadt wieder aus der Asche erhoben, das Leben geht weiter, doch die grausamen Erinnerungen bleiben. Etsuko war damals jung verheiratet, ihr Mann dabei, die nächste Stufe auf der Karriereleiter zu erklimmen, das erste Kind war unterwegs.


    In einer ärmlichen Hütte in der Nachbarschaft hauste Sachiko, eine alleinerziehende Mutter mit einer schwierigen Tochter, der Etsuko ab und an half oder ihr Ohr lieh. Sachiko, die von einer goldenen Zukunft mit ihrem amerikanischen Liebhaber träumte und die abwechselnd brutal realistisch oder kindlich naiv sein konnte.


    Die beiden Frauen in diesem frühen Werk von Ishiguro stehen stellvertretend für eine ganze Generation junger Menschen aus Nagasaki, deren Erwachsenenleben im Schatten der Bombe begann und die schon früh lernen musste, mit zerstörten Zukunftsplänen und schlimmen Verlusten zu leben. Während Sachiko sich allein durchs Leben schlägt, allen Umständen zum Trotz an der Hoffnung auf bessere Zeiten festhält und dabei häufig überstreng mit ihrer traumatisiert wirkenden Tochter umgeht, wirkt Etsuko oft passiv, übermäßig angepasst, schafft es nur selten, den Mund aufzumachen oder zu handeln, wenn es eigentlich angebracht wäre.


    Der Erzählton - sie ist die Stimme der Geschichte - passt sich ihrer Art an, ist ruhig, langsam, die Dialoge oft ein wenig gestelzt und in ein Korsett von Höflichkeitsfloskeln gepresst. Die Handlung schwankt zwischen Gegenwart und Vergangenheit, nur ganz allmählich enthüllen sich kleine Details, auch die große nukleare Katastrophe wird lange nur zwischen den Zeilen erwähnt.


    Vielleicht liegt es daran, dass so vieles unausgesprochen bleibt, dass das Buch auf mich einen unausgegorenen Eindruck macht. Verstörende Dinge geschehen, doch es wird nie gänzlich klar, warum; Begonnenes wird nicht zu Ende geführt, was mich am Schluss ratlos und etwas unzufrieden zurückgelassen hat. Es gibt zwar einige sehr eindringlich gezeichnete Szenen, ein schlüssiges Gesamtbild konnte ich für mich daraus aber leider nicht zusammensetzen. Oder ich habe schlichtweg die Pointe, so es denn eine gab, nicht verstanden.


    3ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen