Letztinstanzliches Verbot von Maxim Billers Roman "Esra"

Es gibt 14 Antworten in diesem Thema, welches 4.094 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Klassikfreund.

  • Hallo,


    irgendwie finde ich es ganz schön heftig, was das Bundesverfassungsgericht da kürzlich geurteilt hat.


    Was meint Ihr dazu?


    [url=http://http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,511018,00.html]Spiegel Online-Artikel[/url]
    SZ-Artikel


    Liebe Grüße
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Hallo dubh,


    was genau findest du an der Entscheidung denn so heftig? Sowohl von der rechtlichen Begründung als auch vom persönlichen Gefühl her kann ich da eigentlich nichts beanstanden. Das Grundrecht der Kunstfreiheit findet seine Schranken eben u.a. in kollidierendem Verfassungsrecht, in diesem Fall dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und da muss man dann abwägen. In Bezug auf die Mutter hat Biller ja Recht bekommen, da diese stärker verfremdet dargestellt ist. Was die ehemalige Freundin angeht, so hat dieser Teil wohl nur noch sehr wenig mit Fiktion zu tun und das ist doch gerade, was einen Roman ausmacht.
    Jetzt habe ich das Buch natürlich nicht gelesen und kenne auch die privaten Hintergründe nicht, kann also nicht beurteilen, inwiefern sich der Roman tatsächlich mit der Wirklichkeit deckt. Sollte dies aber weitestgehend der Fall sein, finde ich zum einen die Klage der Freundin völlig nachvollziehbar und zum anderen auch die (übrigens 5:3) Entscheidung des BVerfG korrekt. Ich weiß zwar nicht, welche Motive Herr Biller beim Schreiben hatte, aber es dürfte wohl nicht gerechtfertig sein, sich hinter der Kunstfreiheit zu verstecken, um Menschen gezielt öffentlich bloßzustellen. Ehrlich gesagt kann ich aber auch nicht nachvollziehen, was der Autor sich dabei gedacht hat. Wenn man so deutlich wird, liegt es doch auf der Hand, dass sowas Folgen haben wird. Meine ich zumindest.


    Die Pressemitteilung zur Entscheidung fand ich übrigens auch ganz lesenswert.

  • Hallo,


    es sind eigentlich mehrere Dinge die zusammenkommen und mich in der Summe stören. Aber von Anfang an: 2003 (als das Buch erscheinen sollte) habe ich im Buchhandel in einer belletristischen Abteilung gearbeitet. Als ich in einer Verlagsvorschau die Ankündigung für das neue Buch von Maxim Biller gelesen habe, habe ich mich gleich dafür interessiert: die Inhaltsangabe klang vielversprechend. Seitdem verfolge ich diesen "Fall" - obwohl ich den Autoren nach einem für mich letzten Buch ("Die Tochter") nicht mehr sonderlich schätze und auch sein Auftreten im Fernsehen einige Male ziemlich fragwürdig fand...
    Trotzdem empfinde ich die künstlerische Freiheit als besonders wichtig und möchte nicht wissen, wieviele Bücher, die ich gelesen habe, Anlehnung an Personen und Erfahrungen aus dem realen Leben fanden. Ehrlich gesagt ist mir das auch gar nicht so wichtig - es geht um die Idee und deren Umsetzung, also um das schriftstellerische Können.
    Aber nun gut, es gibt zwei Frauen (Ayşe Romey + Birsel Lemke), die sich im Roman wiedererkennen und deshalb keine Veröffentlichung wünschen. Interessant wird es dann aber, wenn sie die die entsprechenden Personen im Roman als verzerrt empfinden... :spinnen:
    Kurzum, ich frage mich, ob die beiden sich so nicht viel mehr schaden. Jetzt steigt das Interesse an Esra, die (teilweise) ausgelieferten Bücher von vor vier Jahren schwirren durch die erwartungsfrohe Leserschaft, Kopierer tun den Rest.
    Was das Ganze aber noch fragwürdiger macht, ist nun die Klage um Schmerzensgeld. Wie kann ein Buch, das zudem kurzfristig gestoppt und zurückgefordert, schließlich verboten wurde, so viel Schmerzen zufügen? Die Forderung von 100.000 € gegen Maxim Biller mutet -für mich- nach einem Rachefeldzug an, der ihn wohl ruinieren soll und -sollten Mutter und Tochter Recht bekommen- auch wird.


    Ein Link zum Aufruf von rund 100 AutorInnen
    Daniel Kehlmanns Meinung in der FAZ
    Das Fazit: ein eBay-Angebot


    Liebe Grüße
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Hallo dubh,


    Danke für deine ausführliche und interessante Antwort! Einige Aspekte waren mir nämlich auch total neu, denn ich habe die Sache längst nicht so lange verfolgt wie du, sondern mich eher mit der rechtlichen Bedeutung des Falles befasst. Vielleicht sehe ich manches deshalb auch ein wenig anders, aber meine Meinung ist ja auch nicht das Maß aller Dinge. ;)



    Trotzdem empfinde ich die künstlerische Freiheit als besonders wichtig und möchte nicht wissen, wieviele Bücher, die ich gelesen habe, Anlehnung an Personen und Erfahrungen aus dem realen Leben fanden.


    Mir ist die Kunstfreiheit ebenfalls sehr wichtig. Aber andere Grundrechte sind es eben auch. Und wenn die sich in die Quere kommen, muss ich halt schauen, was im konkreten Fall schwerer wiegt. Deswegen schien mir die Abwägung, die das BVerfG mit dem Unterschied zwischen Mutter und Tochter gemacht hat, auch ein Indiz dafür, dass sich die entscheidenden Richter wirklich sehr genau mit dem Fall befasst haben.
    Ich glaube auch, dass viele Romanfiguren auch in der Realität auf unseren Straßen wandeln, aber eher in mehr oder weniger groben Zügen. Da das Leben oftmals die besten Geschichten schreibt, liegt es ja auch nahe, sich an solche anzulehnen. Aber eben nur anlehnen. Bei 'Esra' schien es mir hingegen sehr plump gemacht zu sein, sonst wäre es sicherlich nicht so extrem deutlich, um wen es da eigentlich geht.



    Ehrlich gesagt ist mir das auch gar nicht so wichtig - es geht um die Idee und deren Umsetzung, also um das schriftstellerische Können.


    Gut, Sprache und Umsetzung mögen schön sein, aber mir persönlich wäre das nicht genug für einen guten Roman. Wobei das natürlich Ansichtssache ist und ich Biller als Autor gar nicht beurteilen kann, da ich noch nichts von ihm gelesen habe.



    Aber nun gut, es gibt zwei Frauen (Ayşe Romey + Birsel Lemke), die sich im Roman wiedererkennen und deshalb keine Veröffentlichung wünschen. Interessant wird es dann aber, wenn sie die die entsprechenden Personen im Roman als verzerrt empfinden... :spinnen:


    Na ja, die Darstellung muss ja nicht 100%ig realistisch sein. Es reicht doch, dass klar ist, dass es sich nur um diese Personen handeln kann und sie eben in einem schlechten Bild dargestellt werden. Das gerade macht ja die Verzerrung aus, denke ich.



    Kurzum, ich frage mich, ob die beiden sich so nicht viel mehr schaden. Jetzt steigt das Interesse an Esra, die (teilweise) ausgelieferten Bücher von vor vier Jahren schwirren durch die erwartungsfrohe Leserschaft, Kopierer tun den Rest.


    Das habe ich mich allerdings auch schon gefragt. :rollen:



    Was das Ganze aber noch fragwürdiger macht, ist nun die Klage um Schmerzensgeld. Wie kann ein Buch, das zudem kurzfristig gestoppt und zurückgefordert, schließlich verboten wurde, so viel Schmerzen zufügen? Die Forderung von 100.000 € gegen Maxim Biller mutet -für mich- nach einem Rachefeldzug an, der ihn wohl ruinieren soll und -sollten Mutter und Tochter Recht bekommen- auch wird.


    Das wusste ich gar nicht. Aber es wundert mich nicht, denn bei einer Unterlassungsklage ist eine Forderung nach Schmerzengeld natürlich nicht ungewöhnlich. Kann ja vorkommen, dass der Ruf aufgrund der Veröffentlichung (selbst einer einzigen Ausgabe, dank der sich das Ganze rumspricht) ruiniert ist. Das kann ich allerdings in diesem Fall gar nicht beurteilen. Auch nicht, inwieweit diese hohe Summe gerechtfertigt sein soll.



    Finde ich, ehrlich gesagt, eher übertrieben.

    Zitat

    Es wäre der Ruin der Literatur, es wäre der Bankrott der Kunstfreiheit, wenn künftig jeder, der sich in einem Werk der Fiktion wieder zu erkennen glaubte, auf Schadensersatz klagte.


    Nur weil jemand klagt, heißt das ja noch lange nicht, dass er auch Recht bekommt. ;) Die - ohnehin schon überlasteten - Gerichte werden sich bedanken, wenn jetzt alle naselang jemand ankommt und meint, der Herr Müller aus Buch XY zu sein, der jeden neuen Morgen mit einer Flasche Korn und einer Zigarre beginnt. Es müssen ja schon extrem genaue Anhaltspunkte vorliegen, die darauf hindeuten, dass eine konkrete Person als Romanvorlage herhalten musste und dann auch noch auf literarischem Wege degradiert wurde. Da die Rechtsprechung die Kunstfreiheit schon ziemlich ernst und vermutet wird, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht eher dahinter zurücktritt, müssen sämtliche Instanzen also wirklich davon überzeugt gewesen sein, dass es sich bei 'Esra' wirklich um die beiden Damen handeln soll.



    Tja, das war zu erwarten. :rollen:


    Ich persönlich finde in dem Ganzen ein wenig schade, dass die aufschreierregende Forderung nach Schmerzensgeld den grundrechtlichen Aspekt überlagert.
    Wenn ich jemanden mit der Kamera verfolgen würde und das Video nach ein bisschen Zurechtschneiden und Musikuntermalung veröffentlichen wollte, würde sich mein unfreiwilliger Darsteller auch dagegen wehren und ich könnte nicht sagen "Das ist aber Kunst!" Wieso sollte das bei einem Roman anders sein?


  • Aber nun gut, es gibt zwei Frauen (Ayşe Romey + Birsel Lemke), die sich im Roman wiedererkennen und deshalb keine Veröffentlichung wünschen. Interessant wird es dann aber, wenn sie die die entsprechenden Personen im Roman als verzerrt empfinden... :spinnen:


    Das ist für mich kein Widerspruch. Eine Person kann in ihren Grundzügen (Beruf, Lebenssituation etc.) durchaus erkennbar angelegt, in ihren Verhaltensweisen aber verzerrt dargestellt werden. So, dass man weiß um wen es geht, aber ein negatives oder nicht der Realität entsprechendes Bild vom Charakter der Person erhält.



    Eindeutige Aussagen kann ich zu dem Fall nicht treffen, weil ich das Buch nicht gelesen habe. Ich habe den Rechtsstreit zwar immer so am Rande verfolgt aber der tiefere Einblick in die Sache fehlt mir. Generell sehe ich das aber ähnlich wie Sternenstauner.

  • Ich frage mich bei solchen Sachen immer eher wie ich selbst reagieren würde.
    Würde ich wollen, daß jemand ein Buch schreibt in dem ich vorkomme und auch wiedererkannt werde? Nein will ich nicht! Egal ob die Darstellung nun positiv oder negativ ist, ich möchte nicht daß mein Privatleben derart vor der Öffentlichkeit ausgebreitet wird. Punkt! Da gibt es kein Für und Wider. Ich habe der Person vermutlich vertraut und sie weiß Dinge über mich die ich sonst nie erzählen würde...wer will denn sowas?
    Anders sieht es mit der Schmerzensgeldforderung aus. Das finde ich nun völlig daneben. Das Buch ist verboten und gut ist die Anwalts- und Verfahrenskosten würde ich allerdings auch wiederhaben wollen soweit sie zu meinen Lasten gehen.

    LG Gytha

    “Dieses Haus sei gesegniget”

  • Hallo,


    irgendwie sitze ich zwischen den Stühlen. Ich würde auch nicht wollen, dass ich als Person wiedererkennbar in einem Buch vorkomme. Und das ist eben der springende Punkt: inwieweit sind die zwei Frauen tatsächlich erkennbar? Reicht schon die Erwähnung des Preises, den die Mutter erhalten hat aus um eine eindeutige Erkennung möglich zu machen? Für die betreffenden Personen sicherlich, für Otto-Normal-LeserIn wohl eher nicht.


    Dazu ein FAZ-Artikel (28.04.2003) von Richard Kämmerlings sehr treffend:
    [...]Da nun umgekehrt viele Details mit der Wirklichkeit übereinstimmen - Lales Auszeichnung mit dem alternativen Nobelpreis, Esras schließlich gescheiterte Schauspielkarriere -, kann dennoch, wer wollte, die Vorbilder eindeutig ausmachen. Doch welcher Leser sollte daran Interesse haben? Anders als bei Klaus Manns Gründgens-Roman "Mephisto" sind die Vorbilder öffentlich den wenigsten bekannt. Natürlich kann der Leser nicht wissen, wo hier die Grenze zwischen Dichtung und Wahrheit liegt. Nur ist sie für die Lektüre, anders als bei einer Figur der Zeitgeschichte, gar nicht von Bedeutung.[...]


    Interessant finde ich übrigens auch die von Sternenstauner verlinkte Pressemitteilung und hierbei besonders den Abschnitt "Sondervotum der Richterin Hohmann-Dennhardt und des Richters Gaier":
    [...]Der Senat werde zudem der
    qualitativen Dimension künstlerischer Verarbeitung von Wirklichkeit
    nicht gerecht, wenn er quantitativ fordere, je mehr ein Roman mit
    seinen Schilderungen den Intim- und Sexualbereich berühre, desto mehr
    müsse durch Verfremdung eine Verletzung der Persönlichkeit
    ausgeschlossen werden. Dies führe letztlich zu einer der Kunst
    verordneten Tabuisierung des Sexuellen. Denn Kunst lebe von Anlehnungen
    an die Wirklichkeit und stehe damit immer in der Gefahr, dass sich
    Personen in ihr wieder erkennen und für andere erkennbar seien.[...]


    Eindeutig liegt hier der Knackpunkt. Es ist absolut schwierig, zwei so wichtige Güter wie Kunstfreiheit und Schutz der Intimsphäre zu unterscheiden. Wo sind hier Grenzen? Was darf -leicht verfremdet- tausendfach unter die Menschen gebracht werden und was stört einen Menschen (und hier sind auch die Empfindungen sicherlich unterschiedlich) so sehr, weil seine eigenen Gedanken und Gefühle ausgebreitet werden?



    Das ist für mich kein Widerspruch. Eine Person kann in ihren Grundzügen (Beruf, Lebenssituation etc.) durchaus erkennbar angelegt, in ihren Verhaltensweisen aber verzerrt dargestellt werden. So, dass man weiß um wen es geht, aber ein negatives oder nicht der Realität entsprechendes Bild vom Charakter der Person erhält.


    Im gleichen FAZ-Artikel gibt es dazu einen wunderbaren Satz:
    [...]Je verzerrter die dargestellten Personen und ihre Handlungen, desto weniger stimmen Fiktion und Wirklichkeit überein, desto unbegründeter ist die Klage. Umgekehrt: Je realitätsnäher die Romanfiguren gezeichnet sind, desto weniger kann von absichtlicher Schmähung die Rede sein.[...]


    Schwierig, schwierig.


    Und auch wenn ich den Aufruf der hundert AutorInnen/SchauspielerInnen/etc. ebenfalls etwas übertrieben finde (hierzu ein schöner Artikel in der "Zeit"), so finde ich die horrende Schadensersatzklage noch deutlich übertriebener!


    Liebe Grüße
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea

    Einmal editiert, zuletzt von dubh ()

  • Zitat von "dubh"

    Und das ist eben der springende Punkt: inwieweit sind die zwei Frauen tatsächlich erkennbar? Reicht schon die Erwähnung des Preises, den die Mutter erhalten hat aus um eine eindeutige Erkennung möglich zu machen? Für die betreffenden Personen sicherlich, für Otto-Normal-LeserIn wohl eher nicht.


    Für Freunde und Bekannte sind die Personen ganz sicher erkennbar und das reicht m.M.n. aus. Ich weiß natürlich nicht wie offensichtlich das geschehen ist, aber ein Preis z.B. scheint mir zu offensichtlich.
    Stell Dir vor ein Ex-Freund beschreibt in einem Buch was ihr so alles im Bett getan habt und eine Bekannte (oder Deine Eltern) liest das, auch wenn Millionen Leser Dich nicht kennen, das allein würde wahrscheinlich ausreichen, daß Du auf die Barrikaden gehst.

    LG Gytha

    “Dieses Haus sei gesegniget”

  • Dazu ein FAZ-Artikel (28.04.2003) von Richard Kämmerlings sehr treffend:
    [...]Da nun umgekehrt viele Details mit der Wirklichkeit übereinstimmen - Lales Auszeichnung mit dem alternativen Nobelpreis, Esras schließlich gescheiterte Schauspielkarriere -, kann dennoch, wer wollte, die Vorbilder eindeutig ausmachen. Doch welcher Leser sollte daran Interesse haben? Anders als bei Klaus Manns Gründgens-Roman "Mephisto" sind die Vorbilder öffentlich den wenigsten bekannt. Natürlich kann der Leser nicht wissen, wo hier die Grenze zwischen Dichtung und Wahrheit liegt. Nur ist sie für die Lektüre, anders als bei einer Figur der Zeitgeschichte, gar nicht von Bedeutung.[...]



    Hier liegt doch der Hund begraben. Laut Kommenator der ZEIT hätte es eben ausgereicht (ob er recht hat, wissen wir natürlich nicht mit Sicherheit), diese, einen Menschen eindeutig charakterisierenden Beschreibungen wegzulassen, schon wäre der Roman nicht angreibar gewesen. Der Roman wäre auch ohne diese Stellen aus künstlerischer Sicht kein anderer gewesen.


    Gruß, Thomas


  • Urteil und Begründung des Bundersverfassungsgerichtes hier


    Oder eben - in Kurzfassung - in der o.g. Pressemitteilung. Ich muss gestehen, dass ich auch nur die gelesen habe, denn da derselbe Mensch, der den Urteilsentwurf verfasst, auch die Pressemitteilungen schreibt, sind diese ziemlich gut. Und eben kürzer. ;)


    @ Gytha
    Nicht nur das. Sowas spricht sich ja auch rum. Immerhin ist Biller (als bekannte Person) auch selbst involviert, so dass das Interesse an den Figuren/Personen, über die er schreibt, zwangsläufig groß ist.
    Außerdem, selbst wenn mein Ruf nicht in der gesamten Öffentlichkeit geschädigt wäre, sondern nur im Bekanntenkreis - was mir schon reichen würde - warum sollte ich einem Autor erlauben, damit Geld zu verdienen, dass er mich in die Pfanne haut?



    Interessant finde ich übrigens auch die von Sternenstauner verlinkte Pressemitteilung und hierbei besonders den Abschnitt "Sondervotum der Richterin Hohmann-Dennhardt und des Richters Gaier".


    Das fand ich auch interessant. Zumal sich da auch gerade eine RichterIN äußert. Ich selbst sehe aber nicht, warum hier das Sexuelle tabuisiert werden sollte. Das Thema darf doch auch weiterhin eine Rolle in der Kunst spielen. Im konkreten Einzelfall möchte die ehemalige Geliebte - verständlicherweise - nur nicht, dass ihre Sexualpraktiken bis ins kleinste Detail beschrieben werden, damit nicht Bäcker, Nachbar und Chef wissen, was sie im Bett so treibt. Ist halt nicht jeder im Umgang mit "Privatpornos" so locker wie Paris Hilton. ;) Jetzt mal übertrieben gesagt.



    Im gleichen FAZ-Artikel gibt es dazu einen wunderbaren Satz:
    [...]Je verzerrter die dargestellten Personen und ihre Handlungen, desto weniger stimmen Fiktion und Wirklichkeit überein, desto unbegründeter ist die Klage. Umgekehrt: Je realitätsnäher die Romanfiguren gezeichnet sind, desto weniger kann von absichtlicher Schmähung die Rede sein.[...]


    Wieso nicht? Die Grundzüge der Personen werden so beschrieben, dass sie als diese erkennbar sind. Und durch Übertreibungen z.B. wird die Situation sogar vielleicht noch schlimmer dargestellt als sie tatsächlich war. Nur dass eben die wenigsten die Wahrheit kennen und der Ruf dann hin ist.



    Und auch wenn ich den Aufruf der hundert AutorInnen/SchauspielerInnen/etc. ebenfalls etwas übertrieben finde (hierzu ein schöner Artikel in der "Zeit"), so finde ich die horrende Schadensersatzklage noch deutlich übertriebener!


    Ich weiß nicht, wie es in diesem Fall aussieht, aber Rufschädigung kann auch finanzielle Folgen haben, so dass ein Schadensersatzanspruch durchaus gerechtfertigt sein kann. Ebenso wie eine Entschädigung für das persönlich erlittene Übel (z.B. seelische Belastung). Was die Summe angeht, da haben sie sich wohl gedacht, dass sie lieber mal mehr einklagen und schauen, was bei rauskommt. ;)


    Ich möchte jetzt auch für niemanden Partei ergreifen, da ich beide Seiten nicht kenne. Aber wenn Biller die beiden Frauen wirklich gezielt bloßstellen wollte, wirkt das nicht auch wie eine Art Rachefeldzug? Warum sollten die Frauen es da nicht ebenso machen? Sie versuchen, ihn finanziell zu ruinieren, nachdem er - möglicherweise - ihr Ansehen ruinieren wollte. Beides nicht die feine englische Art.
    Hätte Biller die eindeutigen Passagen aber weggelassen, hätte er das ganze Theater vermeiden können. Und ich glaube einfach nicht, dass er so naiv war und gedacht hat, dass er so mit der Sache davon kommt.

  • @Sternenstauner: Vielen Dank für Deine so ausführlichen und fundierten Antworten! :knuddel: Wenn ich vorher zwischen den Stühlen saß, so hast Du mich - zumindest in der Frage des Urteils des BVerfG - inzwischen überzeugt.
    Dennoch sehe ich bei "Esra" weiterhin die Gattung Roman im entscheidenden Vordergrund. Biller hat weder ein Sachbuch geschrieben, noch einen Tatsachenroman.
    Und wie es in der Urteilsbegründung heißt:
    "Für ein literarisches Werk, das an die Wirklichkeit anknüpft, ist es gerade kennzeichnend, dass es tatsächliche und fiktive Schilderungen vermengt."
    Aber (und dieses Aber wirkt seit unserer Diskussion schwerer): Wer will sowas schon erleben? Die pikaten Einzelheiten, die die Klägerin gestört haben, kennen wir letztlich nicht - sie mögen schlimm sein (oder aber auch harmloser :zwinker:)...



    Hätte Biller die eindeutigen Passagen aber weggelassen, hätte er das ganze Theater vermeiden können. Und ich glaube einfach nicht, dass er so naiv war und gedacht hat, dass er so mit der Sache davon kommt.


    Und genau das ist eigentlich noch der einzige Punkt, der mich noch interessiert: warum hat er die Preise (Bundesfilmpreis + Alternativer Nobelpreis) genau so erwähnt? Auch wenn die beiden Damen damit noch lange nicht für jeden erkennbar sind, machen diese beiden Nennungen (mit den ethnischen Hintergründen) die Personen zu 100% zuortbar. In der "geweißten" Fassung von "Esra" wurden dann ja fiktive Preise vergeben - aber da war der Ofen vermutlich schon aus.
    Ich denke nicht, dass Biller die beiden (zumindest seine Ex) in aller Öffentlichkeit bloßstellen, sie viel eher provozieren bzw. aufrütteln wollte. Denn wie in der Urteilsbegründung die handschriftliche Widmung im Buch an die Klägerin zitiert wird:
    Liebe A..., dieses Buch ist für Dich. Ich habe es nur für Dich geschrieben, aber ich verstehe, dass Du Angst hast, es zu lesen. Vielleicht liest Du es, wenn wir alt sind - und siehst dann noch einmal, wie sehr ich Dich geliebt habe. Maxim. Berlin, den 22.2.03.


    Letzten Endes bleibt alles weitere dazu Spekulation, da sich Maxim Biller dazu wohl nicht mehr äußern wird. Und vielleicht ist das auch besser so. :breitgrins:


    Liebe Grüße
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea


  • @Sternenstauner: Vielen Dank für Deine so ausführlichen und fundierten Antworten! :knuddel:


    Na aber gerne doch! :knuddel: Dank deiner intensiven Beschäftigung mit dem Thema hast du mich ja auch auf viele neue, interessante Sachen gestoßen und vor allem die von dir gesetzten Links waren sehr informativ.



    Dennoch sehe ich bei "Esra" weiterhin die Gattung Roman im entscheidenden Vordergrund. Biller hat weder ein Sachbuch geschrieben, noch einen Tatsachenroman.
    Und wie es in der Urteilsbegründung heißt:
    "Für ein literarisches Werk, das an die Wirklichkeit anknüpft, ist es gerade kennzeichnend, dass es tatsächliche und fiktive Schilderungen vermengt."


    Hm, vielleicht liegt es daran, dass ich mich mit den speziellen Literaturgattungen und möglichen Unterschieden nicht auskenne, aber ich sehe das Problem, ehrlich gesagt, nicht so richtig. Es ist doch logisch, dass in einem Roman nicht alles fiktiv, also frei erfunden ist, sondern manche Dinge an die Wirklichkeit angelehnt sind, z.B. der Rahmen (wie Handlungsort oder historische Hintergründe). Und auch Handlungsabläufe oder bestimmte Situationen können bechrieben werden, wie es sie so oder ähnlich auch im wahren Leben gibt. Nur - so verstehe ich das - soll eben nicht ein Lebensabschnitt einer bestimmten real-existierenden Person genau geschildert werden, zumindest nicht in der Form, dass man die echte Vorlage für die Figur auch gleich erkennt.



    Ich denke nicht, dass Biller die beiden (zumindest seine Ex) in aller Öffentlichkeit bloßstellen, sie viel eher provozieren bzw. aufrütteln wollte. Denn wie in der Urteilsbegründung die handschriftliche Widmung im Buch an die Klägerin zitiert wird:
    Liebe A..., dieses Buch ist für Dich. Ich habe es nur für Dich geschrieben, aber ich verstehe, dass Du Angst hast, es zu lesen. Vielleicht liest Du es, wenn wir alt sind - und siehst dann noch einmal, wie sehr ich Dich geliebt habe. Maxim. Berlin, den 22.2.03.


    Ach, das ist schon alles komisch. Ich vermute, die Exfreundin hätte, auch wenn die Figuren verfremdet gewesen wären, an den groben Zügen der Geschichte erkannt, dass der Charakter der Esra in ihr angelegt ist und dass Biller ihr etwas damit sagen wollte. Warum ist er so sehr ins Detail gegangen, dass er das Buch angreifbar gemacht hat?
    Ich werd's wohl nie verstehen. :schulterzuck:


  • Ich werd's wohl nie verstehen. :schulterzuck:


    Ich auch nicht! :breitgrins:
    (Aber dass Maxim Biller gerne mal wie ein verzogenes Gör durch die Landschaft hüpft und durchaus -für meinen Geschmack auch zu- provokante Themen anschneidet, ist ja weder wirklich neu noch in irgendeiner Form überraschend.)


    Liebe Grüße :winken:
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea