Ahmadou Kourouma – Die Nächte des großen Jägers

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    Zum Werk: Sechs Nächte lang lässt sich Koyaga, der große Jäger, Krieger und schließlich Präsident einer fiktiven Republik in Westafrika, sein Leben von einem Griot erzählen. Der Lobgesang seines Hofpoeten gerät zusehends zu einer dramatischen Anklage gegen die Diktatur.


    Zum Autor: Ahmadou Kourouma wurde in der Elfenbeinküste geboren. Wegen eines in den sechziger Jahren geschriebenen Theaterstücks verbrachte er zwanzig Jahre im Exil in Algier. Sein dort entstandener Roman „Der schwarze Fürst“ ist heute ein Klassiker. Für seinen dritten Roman „Die Nächte des großen Jägers“ wurde er vielfach mit Preisen ausgezeichnet.


    Zum Sprecher: Udo Samel, Schauspieler und Regisseur, derzeit festes Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater, führt in seiner atemberaubenden Lesung durch das Leben eines Diktators. Er ist der Griot, der Koyaga den Spiegel vorhält.


    Griots und Griottes: „Ohne die afrikanische Literatur ist die Weltliteratur wie ein Orchester, dem einige wichtige Instrumente fehlen,“ meinte Doris Lessing. Die Oralliteratur, von den Griots über viele Jahrhunderte von Generation zu Generation weiter getragen, hat nirgendwo sonst eine so hohe Kunst erreicht. Und nirgenwo sonst verfügt sie über eine so rebellische Kraft, denn die Griots und Griottes waren die einzigen, die ohne Zensur ihre Meinung kundtun durften. Die heutigen afrikanischen AutorInnen tragen mit ihrer leidenschaftlichen Erzählweise, ihrem Humor und ihren kraftvollen Sprachbildern den Geist der alten Sänger und Fabulierer in die Moderne.


    Ergänzungen zum Inhalt: Der Griot beginnt seine Geschichte natürlich bei den Eltern von Koyaga, was schon eine verkürzte Betrachtung der Ahnenreihe ist. Erzählt wird Koyagas ganzes Leben: Die Kindheit bei seinem Stamm, die wenig erfolgreiche Schulzeit, die Teilnahme am Indochina- und Algerienkrieg, der Putsch gegen Fricassa Santos und der Aufstieg zum Präsidenten und Diktator der Golfrepublik, seine Initiationsreise zu anderen afrikanischen Herrschern, die Techniken des Machterhalts im Kalten Krieg und die Abwehr von Attentaten. Eine große Rollen spielen dabei seine Mutter, die eine Hexerin ist, und ein Marabut, die beide gemeinsam Koyaga schützen. Aber auch Koyaga macht irgendwann mal einen Fehler, seine Mutter und der Marabut sind verschwunden. Koyaga erinnert sich, daß ihm gesagt wurde, wenn dieser Fall einträte, müsse er sich von einem Griot sein Donsomana, sein Heldenlied, vortragen lassen, um sich reinzuwaschen. Dies passiert in diesen sechs Nächten, nur daß das Heldenlied am Ende keines mehr ist.


    Meine Meinung: Mir hat dieses Hörbuch hervorragend gefallen, ich habe mir inzwischen auch das Buch bestellt. Zum einen liegt das an der Umsetzung. Da die Geschichte von einem Griot und seinem Antworter erzählt wird, und zwischendurch auch andere Zuhörer in den Erzählfluß einbezogen werden, eignet es sich für ein Hörbuch in besonderer Weise und Udo Samel präsentiert es überzeugend.


    Zum anderen liegt es natürlich an der Textvorlage. Kouroumas Anklage gegen die Diktatur ist gerade deswegen so überzeugend, weil er selbst ihr Opfer wurde und weil er es hier schafft, quasi ohne Fiktion auszukommen. Denn fast keine der Personen in diesem Werk läßt sich nicht auf echte Personen zurückführen. Sie sind, auch ohne daß Kourouma ihre Namen nennt, sehr leicht erkennbar, wenn man sich in neuerer afrikanischer Geschichte etwas auskennt. Ich denke aber auch, daß ohne diese Kenntnis das Werk vieles von seinem Reiz verliert, weil man zwar das grundsätzliche Anliegen sicher versteht und mitträgt, aber die zahlreichen Anspielungen verpaßt. Daher gebe ich unten noch eine Liste mit den Ländern und Personen im Roman und „in echt“, soweit ich selbt identifiziert bzw. durch Recherchern verifiziert habe (sobald ich das Buch gelesen habe, aktualisiere ich die Tabelle ggf. noch, denn beim Hören im Auto ist mir da sicher einiges durchgegangen ...). Bei aller Ernsthaftigkeit nimmt es sich der Griot aber auch heraus zu spotten, was zu Schmunzelszenen führt. Ein großartiges Beispiel afrikanischer Erzählkunst!


    5ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen


    Land im Buch Person im Buch (Totem) Land Person
    Golfrepublik Fricassa Santos (Boa)[br]Koyaga (Falke) Togo Sylvanus Olympio[br]Gnassingbé Eyadéma
    Ebenholzrepublik Tiékoroni (Kaiman) Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste) Felix Houphouët-Boigny
    Bergrepublik Nkoutigui (Hase) Guinea Ahmed Sékou Touré
    Zweiflußland Bossouma (Hyäne) Zentralafrikanische Republik Jean-Bédel Bokassa
    Republik am großen Fluß – (Leopard) Demokratische Republik Kongo (vormals Zaïre) Joseph-Desiré Mobutu (Mobutu Sese Seko)
    Land der Dschebel und der Wüsten – (Schakal) Marokko Hassan II.
    – (Löwe) Äthiopien Haile Selassie


    Tabelle nach Lektüre des Buches ergänzt.

    Einmal editiert, zuletzt von Aldawen ()

  • Danke für die Rezension, Aldawen! Bei mir subt das Buch schon seit geraumer Zeit, demnächst will ich es in Angriff nehmen. Ich bin gespannt darauf, wieviel ich mit meinen nicht vorhandenen afrikanischen Geschichtskenntnissen damit anfangen werden kann.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Meine Eindrücke
    Koyaga, unerbittlicher Herrscher eines Staates, lässt sich seinen persönlichen Donsomana erzählen. Der Donsomana ist ein Lobgesang für die Jäger der Malinké, der eine reinigende Kraft haben soll. Koyaga sitzt sechs Nächte lang am Lagerfeuer, während ein Erzähler und sein Antworter die Lebensgeschichte Koyagas bis zu diesen Abenden aufbereiten. Das Besondere für mich: Bei dieser Erzählstruktur kommt die Hauptperson Koyaga gar nicht zu Wort, obwohl sie mit dem Griot, dem Erzähler, gemeinsam am Feuer sitzt.
    Die Geschichte beginnt heroisch mit Koyagas Vater, einem furchtlosen, angesehenen Jäger und Kämpfer, und seiner schönen Mutter, die magische Kräfte hat. Koyaga beginnt ein mutiges Leben, jagt große Tiere, zeigt keine Furcht und schafft es auch, sich trotz Missverständnissen als Schwarzer unter den französischen Kolonialmächten zu behaupten. Koyagas große Stunde schlägt, als er nach einem Zwist mit den Machthabern drei Mitstreiter zu einem - erfolgreichen - Putsch findet.


    So wie er als junger Mann durch einen Initiationsritus in die Bruderschaft der Jäger aufgenommen wurde, findet er Aufnahme in den Kreis der Diktatoren Afrikas durch eine Initiationsreise durch fünf verschiedene Staaten. Zwar fallen nur fiktive Namen und Umschreibungen, doch eine kleine Internetrecherche ergibt, dass Kourouma sich bei seinen Beschreibungen ganz nah an reelle Diktatoren hält, wie z. B. Gnassingbé Eyadéma aus Togo. Bei den fünf Besuchen Koyagas erläutern die Amtskollegen, mit welchen perfiden Mitteln sie ihre Macht ausspielen und festigen. Bereits während seiner ersten drei Jahre als Herrscher überlebt Koyaga drei Attentate. Eine Mischung aus paranoider Vorsicht, ausgeklügeltem Spitzelsystem und der gezielten Ausnutzung des Aberglaubens gelingt es ihm, aus jedem Attentat einen Vorteil zu ziehen und sich nahezu übernatürlich zu machen.


    Kourouma teilt in seiner Erzählung vieles in zwei Hälften und zeigt Ursachen und Wirkungen mit unterschiedlicher Sichtweise. Das beginnt mit dem Kniff, die ausschließlich mündlich vorgetragenen Donsomanas in einen Roman zu verwandeln (was hier als Hörbuch wieder ganz traditionell umgesetzt ist).
    Während die Bürger von Koyagas Land viel auf Magie setzen, bietet Kourouma parallel rationale Erklärungen: Koyaga überlebt ein Attentat, bei dem ein Schütze aus nicht einmal zehn Metern geschossen hat. Für viele hört es sich am Ende an, als wäre die Kugel zwischen den Augen abgeprallt, während der Schütze schlicht daneben geschossen hat (und wegen dieser Missleistung von Koyaga zwei Wochen Kerker kassiert hat - schlechte Schützen duldet er nicht). Bei seinem Putsch zur Machtergreifung kolportiert das Volk, dass die Verfolger der Putschisten durch einen Zauber nichts mehr sehen konnten und orientierungslos waren, während sich die Aufrührer in Wirklichkeit gut in einem Gewässer versteckt hatten. Macht und Magie ergeben ein undurchdringliches Gewebe, das Koyaga und seine Diktatorenkollegen schützt.


    Trotz ihrer blutigen und brutalen Methoden gelingt es den Diktatoren, sich jahrzehntelang zu halten. Die Gründe dazu sind vielfältig und gehen gleichermaßen auf die ehemaligen Kolonialherren und jetzt ebenbürtigen Politiker anderer Länder zurück wie auf die Gesellschaftsstrukturen in der Bevölkerung, in der z. B. Macht mit Magie einher geht. Die afrikanischen Länder werden zu Spielbällen der internationalen Politik, weil sie u.a. hofiert werden, um bloß nicht dem Kommunismus mehr Raum zu geben. Den Diktatoren gefällt's, weil sie sich so legitimieren. Das geht im Land Koyagas dreißig Jahre lang gut. Als die Jubiläumsfeiern extrem teuer ausfallen und ein wirtschaftlicher Engpass zusätzlich die Kassen leert, wird das Volk unruhig, begehrt auf. Erst zu diesem Zeitpunkt fordert das Ausland politische Zugeständnisse von Koyaga ein, um ihm im Gegenzug finanziell aus der Patsche zu helfen: Der Kommunismus ist zusammengebrochen und es besteht daher kein Grund mehr, afrikanische Staaten zu unterstützen. Koyagas Mutter, die ihn gemeinsam mit einem Marabout über all die Jahre mit Magie beschützt hat, ist verschollen und um seine Macht und Unbesiegbarkeit zurückzuerlangen muss Koyaga eben das Donsomana hören. Das so sachlich vorgetragene Loblied, das die Taten Koyagas schildert, wird immer mehr zur Anklage.


    Mir hat das Hörbuch sehr gut gefallen. Zwar finde ich, dass Udo Samel etwas eintönig liest (Griot und Antworter sind kaum zu unterscheiden), aber dafür sind zwischen den einzelnen Abenden immer wieder Beispiele für die Gesänge der Malinké zu hören (jedenfalls nehme ich an, dass es Malinké-Gesänge sind). Außerdem gibt "Die Nächte des großen Jägers" einen guten Einblick in die Geschichte Afrikas von traditioneller, bewährter Lebensform über die Kolonialherrschaft bis hin zur erneuten Unabhängigkeit. Letztere gehorcht nur bedingt den Strukturen, die dereinst entwickelt wurden; die neuen Herrscher verbinden verheerenderweise das Wissen um traditionelle Formen mit den Gepflogenheiten der verhassten Ex-Kolonialherren. Kouroumas Stil verrät viel über die Mechanismen der Staaten, berichtet allerdings wenig über die Menschen, die darunter zu leiden haben. Alles in allem aber ein auf unterhaltsame Art sehr, sehr informative Geschichte.


    4ratten

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