Im Garten des Vaters, Jan Siebelink

Es gibt 4 Antworten in diesem Thema, welches 1.595 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Judith.

  • Hallo,


    ich möchte euch kurz ein Buch vorstellen, das ich in den beiden letzten Tagen gelesen habe.


    Es handelt sich um

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    Ich bin fasziniert. Dieses Buch beschreibt unheimlich eindringlich, wie ein Mann, gefangen in religiösem Einfluss, der Welt verloren geht obwohl er eigentlich ein weltzugewandter Mensch ist. Er gerät unter die Fuchtel von einer calvinistischen Freikirche, er liest wie besessen in alten Erweckungspredigten und gibt dafür auch noch einen Großteil seines Einkommens aus. Er hält sich in dunklen Gebetskreisen auf, umklammert speziell von drei Personen, die ihn immer tiefer in diese Jenseitswelt hineinziehen.
    Parallel dazu gibt es aber eine sehr helle Welt. Nämlich die Liebe zu seiner Frau. Seine Frau, die sich nie mit runterziehen lässt, sondern ihn wirklich liebt. Die sich wehrt gegen diese frömmlerischen Eiferer und Anhängerin der protestantischen Kirche der Niederlanden bleibt. Die helle Welt verkörpert auch die riesige Gärtnerei der beiden. In allen leuchtenden Farben werden die Blumen geschildert, die er, Hans Sievez, zum Blühen bringt.
    Auch das Ende des Buches reißt mit, ist absolut nicht kitschig, sondern äußerst konsequent.


    Jan Siebelink ist ein Niederländer und hat in den Niederlanden einen großen Erfolg mit seinem Buch, das eine halbe Autobiographie ist.


    Meiner Ansicht nach: 5ratten,


    viele Grüße,
    Judith

  • Vielen Dank für die schöne Rezi.


    In meiner Stammbuchhandlung wurde das Buch auch sehr positiv besprochen. Ein Buch mehr auf meiner Wunschliste :smile:

  • Ich bin gerade hier eingestiegen, kenn mich mit den Modalitäten noch nicht aus und stelle hier einfach einmal meine letzte Buchempfehlung (Rezension) rein:


    Jan Siebelink, Im Garten des Vaters (Knielen op en bed violen); Arche Literatur Verlag Zürich-Hamburg 2007, aus dem Niederländischen übersetzt von Bettina Bach, © 2005 by Jan Siebelink



    Als Jugendlicher schlich ich mit meinem Bruder jeden Sonntag von den Außenbezirken Hannovers, aus der Kleingartenkolonie Abendfrieden in die Innenstadt auf der Suche nach einem Film in einem der über 60 Filmtheater zu jener hohen Zeit des Kinos Ende der 50er Anfang der 60er Jahre. Die besten Filme gab es im Hochhaus Kino, einem Filmkunsttheater über den Dächern der Stadt im Anzeiger Hochhaus am Steintor. Ich erinnere mich an den beeindruckenden französischen Film „Das Loch“, an den verstörenden „Letztes Jahr in Marienbad“ aus dem wir uns das Streichholzspiel merkten, mit dem ich später immer allein gegen eine ganze Klasse gewinnen konnte, was mich in der Achtung der Schüler gewaltig voran brachte. Auch der Film „Der Hund der Herr Bozzi hieß“ hatte einen gewissen Charme, nicht zu vergessen natürlich „Die Ferien des Monsieur Hulot“. War es Zufall, dass dies alles Schwarzweiß-Filme waren, Filme, in denen durch das Fehlen der Farben eine größere Distanz, fast bin ich versucht zu schreiben eine größere künstlerische Aura ermöglicht wurde. Ein Film wie „Das Schweigen“ in Farbe wäre ein Unding. Ebenso „Nacht und Nebel“ oder „Onibaba, die Töterinnen“.
    Einer der beeindruckendsten Filme jener Zeit war ein niederländischer, von dem ich den Titel nicht mehr weiß, in dem es darum geht, dass jemand in einem Dorf hinterm Deich stirbt und die Dörfler, karge und ernste Gestalten mit schwieligen Händen und groben Gesichtern dann bei der Leiche sitzen, essen und trinken und sich Geschichten erzählen. Ein Film mit dunklen, schwarz-weißen Szenen wie aus einem Bild von Breughel.
    Ein Film, an den ich wieder erinnert wurde bei der Lektüre von Jan Siebelinks „Im Garten des Vaters“, wobei mir der Originaltitel, Knielen op en bed violen, viel passender für den kargen und nüchternen Charme dieses Romans zu sein scheint. Der deutsche Titel verschenkt einiges von den floralen Schönheiten des Buches. Und angesichts dieser Schönheiten der sorgsam gehätschelten Pflanzen (schön das Titelbild von Renoir) bedeutet das Knien auf einem Beet nicht etwa Demütiges, vielmehr etwas Gewalttätiges, Vernichtendes. Der dort kniet, der kniet nicht vor etwas, der kniet, als Gärtner, auf den Früchten seiner Arbeit, auf der Schönheit - und dieser verstörende Gedanke wird durch den deutschen Titel leider verschenkt.
    Siebelink erzählt die Lebensgeschichte des Hans Sievez, eine sensiblen, phantasievollen Jungen aus armen Verhältnissen, mit einem religiösen Fanatiker als Vater, der in seiner Wut gegen sich und den Rest der Welt nicht davor zurückschreckt, Kohlköpfe zu zertrümmern, seinen Sohn zu verprügeln und dessen Lieblingskaninchen totzuschlagen. Der Junge lebt in einer Fantasiewelt im Moor aus schwimmenden Inseln und einer Höhle, sieht sich aber gezwungen, nach dem Tod der Mutter sein Dorf im Moor zu verlassen. Wobei er Margje, seine Kindheitsgeliebte zurücklässt.
    Er gelangt in die Stadt, macht eine Lehre als Gärtner und kann sich dabei kaum der Zudringlichkeiten eines religiösen Fanatikers, des Lehrlings Joseph Mieras, erwehren, der ihn körperlich in seiner Zudringlichkeit zwar abstößt, der aber in seiner schleimigen christlichen Klebrigkeit nur schwer loszuwerden ist, der ihn regelrecht bedrängt, bis er ihn irgendwann grob von sich weist. Selten wurde das schleimige, sich mit gutmenschlichen Phrasen anschmierende Wesen christlich-gutmenschlicher Seichtigkeit derart scharfsinnig in einem Charakter wiedergegeben. Man möchte in diesen Schleimknödel hineinschlagen (Hans Sievers wird es schließlich tun) – und weiß dennoch, es hat keinen Zweck, er bietet für einen richtigen Hieb keinen Widerstand, es ist ihm nicht beizukommen. Es ist als wollte man Quecksilber packen und muss feststellen, wie es zerrinnt und sich wieder neu formiert.
    Mit Margje, die in die Stadt gekommen ist, gelingt es ihm unter großen Schwierigkeiten eine kleine Gärtnerei aufzubauen. Sie erwerben ein Grundstück, heiraten und bekommen Kinder. Die kleine Welt der Arbeit in einer Gärtnerei, die schwierige und aufwendige Pflege der kostbaren Farne und Pflanzen, sie über den Winter zu bringen, sie jahrelang zu behüten, diese Welt ist wohl noch nie liebevoller und genauer beschrieben worden.
    Eine Welt, in der Hans Sievers zu einem wahren Meister wird, was sich aber für ihn nicht auszahlt, weil er gegen die Konkurrenz nicht mithalten kann. Die grundsolide und handwerklich in sich stimmige Welt ist jedoch nicht gefeit gegen den Einbruch des Irrationalen einer ausufernden Religiosität und einer von außen kommenden knallharten Konkurrenz, die mit allen Mitteln des Betrugs vorgeht.
    Es scheint zunächst alles ganz gut zu laufen, bis Joseph Mieras, der Schleimknödel, plötzlich wieder auftaucht und Hans langsam in die Kreise einer religiösen antikirchlichen Bruderschaft zieht, die zurückwill zur ursprünglichen Religiosität der Reformationszeit im Sinne eines Thomas Von Kempis. Hans kann sich der Faszination der mystisch angehauchten Sprüche der heruntergekommenen Sektierer nicht entziehen, die ihm für Wucherpreise alte zerlesene Bücher andrehen, mit deren dunkler Sprache sein sich immer mehr verwirrender Verstand sich abmüht, deren Sinn ihm aber letztlich unverständlich bleibt. Zunehmend gerät er auch in Konflikte zu seiner Frau, die bemerkt, wie er sich ihr entfremdet. Auch zum Schaden seines Betriebs wird er in die Kreise der Bruderschaft gezogen, die zum Schluss, als er seinen Betrieb bereits verloren hat und von Sozialhilfe lebt, krank und geschwächt, gegen den Willen der ohnmächtigen Frau sein Sterben mit ihren religiösen Phrasen zu einem widerlich grotesken Schauspiel degradieren. Die schmerzhafte, ungemein intensive Sterbeszene zum Ende des Buches führt aus, wie ein vielversprechendes Leben, mit Hilfe religiösen Wahns noch um die Würde des Sterbens gebracht werden kann.
    Hier kommen wieder Erinnerungen an den Film aus den 50er Jahren hoch, an die Gesichter der Bauern, die etwas den Kartoffelessern auf dem Gemälde von van Gogh ähneln und an eine flache Landschaft am Meer über die ein Wind hinweggeht.
    Sibelink schreibt karg, unprätentiös und mit eine Ernsthaftigkeit und Wucht gegenüber dem Leben einfacher Leute, wie sie mir in der Literatur seit Jahren nicht mehr untergekommen ist. Dadurch wirkt sein Roman zeitlos und es scheint nicht vermessen, ihn als ein Meisterwerk zu bezeichnen.
    Ein Roman jenseits der Moden und Firlefanzereien des Kulturbetriebs, schlicht, einfach und unerbittlich, mit einer Sprache von unerhörter Klarheit und Wucht. Und die Kritik am Wahn der Religionen wird hier nicht beschreiben, sondern hautnah erlebbar.
    Ein notwendiges Buch gegen die zunehmende Inhumanität im Namen der Allerhöchsten aller Himmelreiche.


    geronemo Copyright 2007

  • Hallo,


    hab das Buch vor ein paar Tagen im Bereich "Belletristik" vorgestellt. Vielleicht wird dein engagierter Beitrag nach dort verschoben. regt gut zur Diskussion an,
    Judith :winken: