Nachdem ich das Buch einige Zeit hab sacken lassen, hier auch noch ein paar Eindrücke von mir:
Der Horror kommt schleichend, aber er kommt. Von der ersten Seite an merkt man, dass hier etwas Unbegreifliches und Schreckliches geschieht, man kann es aber nicht greifen oder benennen. Erst allmählich klärt sich das Bild, die letzten Details und Zusammenhänge werden erst relativ spät enthüllt.
Kath, eine junge Frau, erzählt von ihrem Leben als Betreuerin, aber wen oder was sie betreut, erfährt man zunächst nicht. Sie berichtet von ihrem Aufwachsen in einer Einrichtung, die scheinbar ein Internat ist, aber es gehen merkwürdige Dinge vor: es gibt keine Lehrer, sondern Aufseher. Die Schule, wenn es denn eine Schule ist, ist komplett eingezäunt und keines der Kinder scheint je etwas anderes als dieses Gelände gesehen zu haben. Die Außenwelt wird ihnen anhand von Kalenderfotografien gezeigt, Bücher und Filme zensiert. Die Kinder haben keine Familie. Und doch scheinen sie trotz der Kontrolle ihr Leben zu genießen, sie rebellieren nicht, sie wollen nicht fliehen, sie stellen nicht einmal unbequeme Fragen – wahrscheinlich, weil sie ahnen, dass das, was ihnen bevorsteht, so schrecklich und unausweichlich ist, dass sie sich einfach in ihr Schicksal fügen.
Wie gesagt hat man von Anfang an das unangenehme Gefühl, das hier etwas ganz und gar nicht stimmt. Die Auflösung des Geheimnis um die Kinder ist dann auch einigermaßen schockierend, wenn man sich das Ganze in all seinen Ausmaßen und seinem (möglichen?) Bezug zur Realität vorstellt. Man vergisst dieses Buch ganz sicher nicht so schnell, es gibt einem zu denken. Nicht zuletzt, weil es wunderbar geschrieben ist. Die Erzählerin schildert Ungeheuerliches sehr gelassen und gefasst. Es gibt für sie keinen anderen Weg, als den, den sie begeht, also widersetzt sie sich nicht. Auch die Art und Weise, wie sie einzelne Erinnerungen und kleinere Geschichten um ihre Freunde und ihre Vergangenheit miteinander verwebt, ist sehr gelungen. Genau so funktioniert bei mir auch Erinnerung: man erinnert sich an ein Bild, eine Episode, und dann folgen viele weitere, die damit zusammenhängen, aber erst mit etwas Distanz eine komplette Geschichte ergeben.
Ein leises, aber schwer im Magen liegendes, sehr empfehlenswertes Buch.