J. M. Coetzee – Warten auf die Barbaren

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    Rückentext: J. M. Coetzees früher Roman Warten auf die Barbaren (1980) gilt als eines der zentralen Werke des Autors. Der mehrfach ausgezeichnete Roman spielt im Grenzdistrikt eines nicht näher bestimmten Reiches und stellt die Frage nach Würde und Mitverantwortung des Einzelnen unter einem Regime, das sich über Recht und Anstand hinwegsetzt.


    Zum Buch: Jahrzehntelang ist der Magistrat ein loyaler Diener des Staates gewesen und hat die Amtsgeschäfte der winzigen Garnisonsstadt in einem Grenzdistrikt des Reiches geführt, ohne sich von der vermeintlichen Bedrohung durch die „Barbaren“, einem benachbarten Nomadenstamm, beirren zu lassen. Als jedoch eine Spezialeinheit der Staatspolizei eintrifft, um den Nachweis für kriegerische Absichten der „Barbaren“ zu erbringen, wird er Zeuge der grausamen und ungesetzlichen Behandlung von Gefangenen.
    Vom Mitleid mit den Opfern aufgerüttelt, will der alte Mann ein Zeichen setzen. Gleichsam in einem Akt privater Wiedergutmachung nimmt er ein schwer mißhandeltes „Barbaren“-Mädchen bei sich auf, um es schließlich zu seinem Volk zurückzubringen. Diese Expedition brandmarkt ihn als Verräter, er wird nun seinerseits Opfer von öffentlicher Demütigung und Folter.


    Zum Autor: J. M. Coetzee, der 1940 in Kapstadt geboren wurde und als Literaturprofessor in seiner Heimatstadt lehrt, gehört zu den meistgerühmten Autoren der Gegenwart. Er wurde für seine Romane mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. als einziger Autor zweimal mit dem Booker Prize, 1983 für Leben und Zeit des Michael K. und 1999 für Schande.



    Meine Meinung: Im Grunde könnte ich es mir leicht machen und einfach sagen: Obwohl viele häßliche Dinge beschrieben werden, macht die Art der Darstellung es zu einem großartigen Buch, das unbedingt lesenswert ist! Das wäre aber vielleicht doch ein bißchen kurz, deshalb will ich versuchen, es etwas ausführlicher zu fassen. Coetzee wirft hier viele Fragen auf, unter anderem und sicher nicht an letzter Stelle die im Rückentext genannten. Darüber hinaus geht es meiner Meinung auch aber auch um die Mechanismen, mit denen solche Situationen überhaupt erst heraufbeschworen werden sowie die Frage, warum manche Menschen zu Verbrechern an ihren Mitmenschen werden und andere nicht. Coetzee hat vor allem mit zwei Mitteln bei mir Beklemmung und intensives Nachdenken ausgelöst: eine vor allem anfänglich lakonische Sprache, die in krassem Widerspruch zu den Inhalten steht, aber gerade dadurch eine ungeheure Wirksamkeit entfaltet, sowie den im Präsens als Ich-Erzähler berichtenden Magistrat, an dessen äußerer und innerer Entwicklung man dadurch und durch die präzise Selbstreflexion des Erzählers besonders Anteil nehmen kann. Sein Versuch, „Wiedergutmachung“ zu leisten und Zivilcourage zu zeigen wird durch das Reich mit einer entmenschlichenden Haft und Folter beantwortet, und deren Wirkung ist mir vorher nie so deutlich bewußt geworden. Andere Detailüberlegungen möchte ich hier gar nicht wiederholen, sie finden sich in der Leserunde, die Saltanah, mombour und ich dazu gemacht haben. Über viele Aspekte muß ich noch nachdenken und es unbedingt auch noch mindestens ein weiteres Mal lesen. Sicher weiß ich aber schon, daß die Nachwirkung es zu einem 5ratten - Buch macht.


    Schönen Gruß,
    Aldawen

    Einmal editiert, zuletzt von Aldawen ()

  • ich wollte mich nur einmal für die interessante Leserunde zu dem Buch und die ansprechende Rezension bedanken, das Buch steht schon auf meinem Merkzettel!


    :winken:
    illy

  • Dann haben ja sowohl Leserunde als auch Rezi schon fast ihren Zweck erfüllt! Laß es aber nicht zu lange auf dem Merkzettel warten :zwinker:

  • Das Buch hatte ich neulich schon in der Hand, weil ich gerne bei eurer Leserunde mitgemacht hätte. Ich habe mich dann zwar doch anders entschieden (-> zur Zeit immer noch etwas leserundenmüde), aber das Buch wird nicht mehr sehr lange auf meinem Wunschzettel verweilen.

  • „Warten auf die Barbaren“ ist kurz, aber eindrucksvoll. Coetzee vermeidet eine Verortung der Geschehnisse, die Barbaren könnten gut ein indianischer oder mongolischer Stamm sein und auch die Landschaft und das Klima dieses Buches erinnern eher wenig an Coetzees Heimat Afrika. Für den Leser sind die Barbaren keine Bedrohung, und es wird von keinen wirklichen Übergriffen berichtet, trotzdem scheint der Staat eine Frühjahrsoffensive zu planen. Das Land, welches Heimat der Barbaren ist, ist so öde, dass man sich fragt warum es unbedingt erobert werden soll. Aber ein (totalitärer?) Staat muss seine Soldaten ja beschäftigen und sucht sich Feinde, wo er sie finden kann und dafür "erobert" man dann auch mal einen Streifen Wüste.


    Das Ganze wird aus Sicht des Magistrats geschildert, und so erleben wir zunächst den Gewissenskonflikt, in den der Magistrat gerät, weil er, obwohl ihm klar ist, dass es besser für ihn wäre, das geschehende Unrecht einfach nicht übersehen kann. Er greift zwar zunächst nicht wirklich aktiv ein, kann aber, sobald er die Folgen sieht, sie nicht einfach ignorieren. Wenn es einen Grund für die Folter gegeben hätte, könnte er sie als notwendig akzeptieren, aber er findet einfach keinen Grund und so lässt sein Gewissen ihm keine Ruhe. Dadurch, dass er der einzige ist, der anscheinend so denkt, isoliert er sich aus der Dorfgemeinschaft und durch diese Isolation kann er so leicht selbst zum Opfer werden, als er sich zu weit engagiert.


    Sprachlich gefiel mir das Buch hervorragend, es bietet viele überdenkenswerte Gedankengänge und einige ausdrucksstarke Formulierungen. Am Stärksten im Gedächtnis blieb mir dabei "die schwarze Blume der Zivilisation", wie der Magistrat das Errichten weiterer Gefängniszellen kommentiert. (Auch wenn dieser Ausdruck bereits von Hawthorne stammt)


    Das wird ganz bestimmt nicht mein letztes Buch von Coetzee gewesen sein!


    5ratten