Friedrich Schwarz, Der Griff nach dem Gehirn

  • Nicht einfacher wird es, der Logik des Marktes, den Strategien der Werbefuzzis und denjenigen, die einem den letzten Dreck andrehen wollen, zu entkommen. Deswegen wäre es an der Zeit, die Kultur des Verrisses zu pflegen und zu hegen, um die armen Konsumenten, in diesem Fall die Leser von Büchern, vor den Angriffen der verkaufsfördernden Dummbeutel aller Genres und Verlage zu schützen. Verbraucherschutz gilt also auch für den Buchmarkt.


    Nun ein Verriss:

    Friedrich Schwarz, Der Griff nach dem Gehirn, Wie Neurowissenschaftler unser Leben verändern, rororo science, Reinbek bei Hamburg August 2007, 8.90 €


    Das Buch sollte besser betitelt werden: Der Griff nach dem Geldbeutel des dämlichen Lesers, der auf die Versprechungen von Waschzetteln bei Büchern hereinfällt. Denn das Buch von Schwarz hat durchgehend die Qualität eines Waschzettels. Es reiht Begriffe mit der Vorsilbe Neuro- aus allen Bereichen aneinander, brüht sie auf mit seichtestem Futurologen-Gewäsch, was alles sich ändern werde und vermeidet jeden Gedanken, der weiterdringen würde als bis zu großmundigen Prophezeiungen und Werbesprüchen. Kurz, das Buch kommt über das, was man Neuro-Idiotismus nennen könnte, nicht hinaus.
    Beispiele von blumigen, nichtssagenden und vollmundigen Aussagen, die großartig klingen, aber dabei so leer sind, wie die Versprechen jeder anderen Werbung auch reihen sich immer schneller und immer häufiger aneinander:
    „Ähnlich wie in der Computerindustrie werden immer schneller immer leistungsfähigere Medikamente auf den Markt geworfen und lösen alte Produkte ab.“ Man könnte ergänzen, ähnlich wie im üblichen Werbegeschwurbel auch, werden weiterhin immer mehr noch schwachsinnigere sprachliche Null-Aussagen aneinandergereiht, dass dem Leser irgendwann ob dieses schieren Geblubbers der Atem wegzubleiben droht beim Lesen.
    „In Zukunft werden neue Verhaltensweisen auftauchen, bis zu einem völlig anderen Verhaltensrepertoire, als es die Menschen bisher hatten. Eine Person, die etwas weniger depressiv, etwas weniger ängstlich, etwas bewusster und etwas aufmerksamer ist und ein etwas besseres Gedächtnis hat, wird sich anders verhalten als die Menschen heute“. Das ist doch wohl etwas logisch, oder? Kurz darauf heißt es: „Hier schlägt die Vision von der schönen neuen Welt tatsächlich Purzelbäume.“ Die tatsächlich Purzelbäume schlagende Vision ist mir tatsächlich bisher, bei meinem noch nicht durch Neuroceuticals und Neuro-Enhancement oder Gehirn-Doping aufgepeppten Sprachvermögen noch nicht untergekommen.
    Nicht dass sich Herr Schwarz, von dem wir erfahren, dass er Stabsmitarbeiter eines Hamburger Senators, Pressesprecher verschiedener Unternehmen und bei PR-Agenturen tätig war (wäre er nur dort tätig geblieben), nicht auch kritisch sich zu äußern versucht - er tut es und das klingt dann so: „Wozu länger leben, wenn man die gewonnen Jahre nur noch in einem immer schneller laufenden Hamsterrad verbringt und Glück nur noch mit Hilfe von Pillen erleben kann“. Ja wozu, wo man doch kein Hamster ist. Als Leser eher ein geficktes Eichhörnchen.
    Wenn man seine Recherche, unter Abstellung jedes eigenen Denkvermögens, auf die Aneinanderreihung von Projekten, Instituten, Begriffen und Zitaten aus Zeitschriften und Äußerungen von Wissenschaftlern begrenzt, gar noch Reklame für die Zeitschrift „Gehirn &Geist“ als Product Placement den Lesern unterzujubeln versucht, wenn man in seinem Leben noch nie über die glitzernde, glänzende Oberfläche des PR-Futzis hinausgekommen ist, dann mag es sein, dass man das Buch von Schwarz für ein Werk des Wissenschaftsjournalismus und für Futurologie hält.
    Selbst wahrscheinlich bald im Ramsch auftauchend sollte ein Leser dem Buch sowie dem Griff nach seinem Geldbeutel und Gehirn widerstehen und den Namen Friedhelm Schwarz auf die schwarze Liste derjenigen setzen, die nicht kapiert haben, dass es jenseits von Werbung und Wissenschaftsslang noch andere Möglichkeiten gibt, Wissen zu vermitteln.
    Ich möchte jedem, der an der Entwicklung der Neuro-Wissenschaften wirklich interessiert ist, das Buch von Eric Kandel (Nobelpreisträger) „Auf der Suche nach dem Gedächtnis“ München 2006 empfehlen. Noch teuer, aber es kann nicht mehr lange dauern, dann kommt es als Taschenbuch heraus. In diesem Buch kann er wirklich etwas lernen über die Funktionsweise seines Gehirns und seines Gedächtnisses. Das gilt (selbstredend) gleichermaßen für jede Leserin und jedes lesende Kind, ob mit oder ohne Migrationshintergrund – und auch Tiere mit neuroenhanctem Brain sollten sich nicht abschrecken lassen, wo wir doch alle unaufhaltsam auf dem Weg in eine postindustrielle, postinformationelle Neurosociety sein sollen nach Schwarz.


    © geronemo 07


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    (Wie schrieb einst Karl Kraus: Es reicht nicht keine Gedanken zu haben, man muss auch unfähig sein, sie ausdrücken zu können.)