Sylvia Iparraguirre – Land der Feuer

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    Klappentext: Man zählt das Jahr 1830: Da ist ein Schiff, die »Beagle«, mitten in der geschichtslosen Landschaft der Ozeane. Sie segelt von England nach Feuerland, wo der Kapitän, erfüllt von wissenschaftlicher Neugier, einige Angehörige der Yámana an Bord nimmt, eines südamerikanischen Indianerstamms. Einer von ihnen sticht hervor: ein junger Mann, der, weil der Kapitän ihn mit den Knöpfen seiner Uniform »gekauft« hat, Jemmy Button genannt wird.
    Zur Mannschaft des Schiffs gehört auch der 17jährige Matrose Jack Guevara, Sohn eines Engländers und einer Argentinierin. Sofort ziehen die unerwarteten Passagiere seine Aufmerksamkeit auf sich. Und als man nach einigen Monaten zurück in London ist, wo Jemmy Button und sene Stammesgenossen neu »erzogen« und zivilisiert werden sollen, ist es Jack, der sich um den Indianer kümmert, ihn durch die Straßen führt, ihm die besseren und schäbigeren Viertel der Metropole zeigt.
    Zwei Jahre später setzt man ihn wieder in Feuerland ab. Jetzt ist er ausgerüstet mit allen Insignien westlicher Lebensweise: mit einer gediegenen Schulbildung, Teetassen und Zuckerdosen, Landkarten und Büchern. Mit ihnen begibt Jemmy Button sich in den Urwald.
    Sylvia Iparraguirres historischer sorgfältig recherchierter und mitreißend erzählter Roman schildert die Begegnung zweier Kulturen und ihren Umgang mit dem Fremden. Das Leben auf See, die inmitten der Ödnis entspringenden Schönheiten Feuerlands, dann die Welt der Londoner Kneipen und Bordelle, aber auch das einsame Dasein des alternden Jack, wie er bei der Niederschrift seiner Erinnerungen auf die sich vor seinem Fenster weit erstreckende Pampa blickt – all das und vieles mehr macht die Facetten dieses Buchs aus.



    Meine Meinung: Die Geschichte von Jemmy Button ist nicht erfunden, sondern beruht in den Grundzügen auf Tatsachen. Interessant ist der Fall nicht nur wegen der im Klappentext angesprochenen Kulturkonfrontation, sondern vor allem wegen späterer Ereignisse. Die englische Regierung hatte die Hoffnung, mit Jemmy Button den Keim einer „Zivilisierung“ und Missionierung unter den Feuerlandindianern gelegt zu haben. Diese Hoffnung erwies sich als sehr trügerisch, denn Button kehrte wieder zu der traditionellen Lebensweise zurück und löste sich sehr schnell von den „zivilisatorischen Errungenschaften“. Die Mitglieder einer Missionsgesellschaft, die daran anknüpfen wollten, wurden 1859 von Indianern erschlagen. Beim folgenden Prozeß, der auf den Falkland-Inseln, den Malwinen, abgehalten wurde, wurde Button zwar als Anführer der Gruppe belastet, aber mangels Beweisen wohl freigesprochen.


    Um Jemmy Buttons Schicksal zu rekonstruieren läßt Iparraguirre einen Mitarbeiter der Admiralität in London dem fiktiven Guevara 1865 einen Brief mit der Bitte um einen genauen Bericht der Reise von 1830 und des weiteren Schicksals Buttons schicken. Guevara macht sich auch an den Bericht, stellt aber schnell fest, daß er diese Aufzeichnungen nicht herausgeben kann und will, deshalb verfaßt er sie auch in Spanisch und nicht in Englisch. Trotzdem spricht er die ganze Zeit über in seinem Bericht immer den unbekannten Briefschreiber an, wodurch mehr der Eindruck einer mündlichen Erzählung entsteht.


    Im großen und ganzen folgt Jack Guevara der Chronologie, auch wenn er immer wieder Hinweise auf spätere Ereignisse einstreut, z. B. in Form von Zeitungsartikeln bzw. Leserbriefen. Zunächst gibt er aber einen Einblick in sein Leben und seine Herkunft, um zu erklären, wie er überhaupt auf die »Beagle« gelangte, auf der er dann Button traf. Die nächsten Teile widmen sich der Reise und dem Aufenthalt in London. Dann geht es zurück nach Feuerland und Jack Guevaras erstes Wiedersehen mit Jemmy nach dessen „Re-Naturalisierung“ in seiner Heimat. Die letzten beiden Abschnitte rollen die Gerichtsverhandlung und damit auch die Ereignisse, die zu dieser geführt haben, auf. Dabei geht es mehr um innerenglische Interessengruppen und ihre Ziele in der Region als das Massaker und die dafür maßgeglichen Ursachen, die vor allem durch Jacks Gedanken dazu vermittelt werden.


    Jack ist parteiisch in seiner Schilderung und zwar ganz eindeutig auf Buttons Seite. Seine Überlegungen zum Umgang mit den Feuerlandindianern sind eher getragen von Kolonialismuskritik und moderner „political correctness“, als daß sie einem Zeitgenossen um die Mitte des 19. Jahrhunderts entsprechen, selbst nicht mit einem solchen familiären Hintergrund wie Jack ihn hat. Das tut dem Buch aber keinen entscheidenden Abbruch, weil es vermutlich trotzdem der Sichtweise der damals betroffenen Yámana nahe kommt, nur daß diese die Kritikpunkte anders formuliert, wenn auch an den gleichen Stellen angsetzt hätten. Da der Topos des Jemmy Button mittlerweile mehrfach Eingang in die Literatur gefunden hat, läßt sich sicher auch eine andere Sichtweise finden. Ein Manko dieses Buches ist definitiv die fehlende Karte. Ich war mir nicht immer ganz sicher, welche Wege zurückgelegt wurden und wo die einzelnen Ereignisse räumlich zueinander anzuordnen waren. Auch hätte ich gerne mehr über die Landschaft Feuerlands gelesen, das kam – im Vergleich zu Jacks geliebter Pampa – doch etwas zu kurz. Trotzdem aber


    4ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen