Pat Conroy - Die Herren der Insel

Es gibt 20 Antworten in diesem Thema, welches 15.436 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

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    Die Herren der Insel von Pat Conroy


    Inhalt


    Erzählt wird in Rückblenden die Familiengeschichte der Wingos bzw die Kindheit der Wingo-Kinder Tom, Savannah und Luke. Henry Wingo ist Krabbenfischer und Besitzer der kleinen Insel Melrose Island vor South Carolina. Ständig verfällt er in neue Ideen um an das große Geld zu kommen, die jedoch alle zum Scheitern verurteilt sind. Seine Frau Lila verachtet ihn dafür und der daraus entstehende Ehekrieg geht zu Lasten ihrer Kinder.


    Tom Wingo erfährt eines Abends, daß seine Zwillingsschwester Savannah zum wiederholten Male versucht hat sich umzubringen. Jemand aus der Familie muß nach New York um sich um Savannah zu kümmern und mit ihrer Therapeutin zu sprechen. Da Tom sehr an seiner Schwester hängt, sie überdies seit einigen Jahren nicht gesehen hat und Bruder Luke tot ist, übernimmt er diese Aufgabe. Kurz vor der Abreise gesteht ihm seine Frau Sally eine Affäre mit einem gemeinsamen Freund und so packt Tom für den ganzen Sommer, nicht nur um Savannah zu helfen, sondern auch in der Hoffnung im fremden New York mit sich selbst ins Reine zu kommen.
    Dort angekommen lernt er die attraktive Psychotherapeutin Lowenstein kennen, die ihn auffordert die Familiengeschichte der Wingos zu erzählen, um Licht in das Dunkel der schwerwiegenden Depressionen und Wahnvorstellungen der Schwester zu bringen. Schnell wird allerdings klar, daß nicht nur Savannah, sondern auch Tom Hilfe braucht und Lowenstein selbst scheint ebenfalls Probleme zu haben...


    Meine Meinung


    Der Roman besticht durch seine besondere Erzählform. Der Rahmen der Handlung spielt in New York und die Vergangenheit der Wingos wird aus der Sicht Toms erzählt. Die Einsicht in die Familiengeschichte ist nicht immer chronologisch, manchmal befasst sie sich auch mit einem bestimmten Thema und dabei werden mehrere Jahre übersprungen. So erfährt der Leser häppchenweise die Auszüge einer erschreckenden, teils grausamen, aber gleichzeitig auch irgendwie schönen und abenteuerlichen Kindheit.
    Dabei ist das Buch ungeheuer detailreich und die Figuren so lebendig, daß man einfach mit ihnen zittern muß.
    Aus diesem Grund störte mich ab und an die Rahmenhandlung, weil ich unbedingt SOFORT wissen wollte wie es mit dem Wingo-Kindern weitergeht. Allerdings hielt dieses Gefühl nie besonders lange an, denn auch die Nebenhandlung ist spannend und vor allem nötig, denn sie schließt den Kreis, ohne sie würde ein wichtiger Bestandteil fehlen.


    Seltsamerweise hatte der brutale Vater Henry Wingo für mich wesentlich weniger Schrecken, als die intrigierende Mutter der 3 Geschwister. Die Handlungen des Familienoberhauptes sind vorhersehbar, manchmal sogar nachzuvollziehen (seine ständigen Fehlinvestitionen), im Gegensatz zu der ständig wechselhaften Mutter, vor deren Ergeiz, Egoismus und persönlichem Kalkül mich regelrecht gegruselt hat. Für ihren Platz in der Gesellschaft geht sie über Leichen, auch über die ihrer Kinder.


    Trotz der 780 Seiten weist der Roman meiner Meinung nach keine Längen auf, im Gegenteil, der Schluss und die Lüftung um das Geheimnis von Lukes Tod hätten durchaus noch 50 - 60 Seiten mehr vertragen. Das ist für mich denn auch das einzige Manko. Das Ende ist mir zu rasant und somit blieb der erwartete gefühlmäßige Super-GAU aus. Beides, Lukes Tod und das Ende von Melrose Island ist aus meiner Sicht das alles abschließende Finale und die größte Tragödie der Familie, das blieb einfach zu flach.
    Dennoch hat mir das Buch sehr gut gefallen, grad auch weil die Konflikte der Familie nicht nur persönlicher Natur sind, sondern auch Rassenhass, Krieg, Probleme der Klassengesellschaft und Umweltzerstörung beinhalten.
    Zur Sprache kann man noch sagen, daß sie leicht und flüssig zu lesen ist, aber keinesfalls seicht. Pat Conroy hat zudem die Gabe wirklich lebendig Landschaften und Personen zu beschreiben und dabei durchaus spannend und interessant zu bleiben, eine wahre Freude beim Lesen. :breitgrins:


    Dafür gibt:


    4ratten


    Eine ziehe ich ab, weil mir das "Finale" zu kurz war.



    EDIT
    Ich habe den Betreff geändert. LG, Seychella

    LG Gytha

    “Dieses Haus sei gesegniget”

    Einmal editiert, zuletzt von Gytha ()

  • Hi Gytha!


    Schöne Rezension! Conroy ist einer meiner Lieblingsautoren und das Buch ist IMO sein bestes. Selten habe ich eine tragische Geschichte so wunderschön erzählt gelesen. Es gingen mir bislang auch nicht viele Bücher so nahe, wie seine.
    Ich habe das Ende nicht so erlebt. Ich fand es ungeheuer spannend, daß man bis zum Ende zwar weiß, daß Luke kein gutes Ende genommen hat, aber das wie bleibt lange offen. Und daß es das war, was Tom aus der Bahn geworfen hat.


    Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, weil ich das immer wieder in Gespräch bringe, wenn das Thema Conroy aufkommt, seine Bücher sind für ihn Therapie, denn es ist immer wieder, wenn auch stets anders, seine eigene Geschichte, die er erzählt. Ich glaube, dewegen gehen mir seine Bücher auch so nahe, weil man das wohl zwischen den Zeilen spürt.

  • Hi Grisel,


    Daß es ungeheuer spannend war, will ich gar nicht in Abrede stellen. Gerade das Geheimnis um Lukes Ende hat mich ganz kribbelig gemacht beim Lesen, zumal man diese Wendung in keinster Weise vorhersehen konnte. Die ganze Geschichte und Lilas Beteiligung daran ist einfach unglaublich, im positiven Sinne :zwinker: Was mich stört ist wie gesagt nur, daß es mir im Gegensatz zum Rest zu kurz erschien und daß es irgendwie zu neutral bleibt. An sich bin ich ja wahrhaftig kein Freund von Rührseligkeit oder dergleichen, aber in dieser Situation hat mir einfach ein bißchen die Emotionalität gefehlt, schließlich ist die Story ein absolutes Brett! Da kommt selbst Callanwolde nicht mit, obwohl dieser Teil mich auch wirklich entsetzt hat. :entsetzt:


    Definiv wird das für mich aber nicht das letzte Buch von Conroy sein :zwinker: Woher weißt Du denn, daß er teils autobiographisch schreibt? Ich hab das jetzt schon öfter gelesen, finde aber irgendwie keine Quelle dazu :sauer:

    LG Gytha

    “Dieses Haus sei gesegniget”

  • Hi Gytha!


    Nicht alle seine Bücher sind als Romane getarnt, "echt" autobiographisch sind "The water is wide" über seine Anfänge als Lehrer und das hier, "My losing season".

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    In "My losing season" erzählt er von seinem letzten Jahr am Militärcollege "The Citadel" (siehe auch Roman "Lords of discipline") und der extrem erfolglosen Basketballsaison. Aber er nützt dies als Rahmenhandlung, um sein ganzes Leben mit dem Schwerpunkt auf seiner Jugend an sich vorbeiziehen zu lassen.


    Bevor ich das Buch gelesen hatte, hat auch googeln ein paar interessante Dinge ergeben. Eben zB daß er, wie die Hauptfigur von "Lords", auf einem Militärcollege war, daß der Spitzname seines Air Force Vaters "Der große Santini" war (siehe gleichnamiger (!!) Roman). Und daß dieses Buch, "Der große Santini", seine persönliche Abrechnung mit seinem Vater war und angeblich von seiner Mutter im Scheidungsprozeß als Beweismittel vorgelegt worden ist.


    Spätestens bei "My losing season" hat sich herauskristallisiert, daß Conroy ein Mann ist, der immer noch schwer an seiner Vergangenheit trägt und daß das Schreiben seine Therapie ist.
    Ich fand alle seine Bücher bisher sehr gut, nur mit "Beach Music" hatte ich Probleme, weil das Übermaß der dort behandelten Traumata einfach der Overkill war, zu viel, was das Ende dann auch unglaubwürdig erscheinen ließ.
    Das bittersüße von "Herren der Insel" fand ich viel besser.

  • Hi Grise,


    dankeschön :breitgrins: Dann werd ich das Buch mal mit auf meine Liste setzen :smile:


    Was das Ende von "Die Herren der Insel" anbelangt....bittersüß ist wohl das richtige Wort und ich fand es auch stimmig, aber ich persönlich hätte Lila den Hals umgedreht und Henry Wingo hat mir irgendwie leid getan,

    LG Gytha

    “Dieses Haus sei gesegniget”

  • Hi Gytha!


    Und da merkt man eben auch seine eigene Familiengeschichte, daß er Vater und Mutter, trotz allem, was sie getan hat, doch nicht ganz loswird, auch emotional, denn sie bleiben die Eltern. Ich bin sicher, Psychologen hätten dazu eine Menge zu sagen.


    Irgendwie hat man aber auch Verständnis für sie, denn was hatte sie davor schon von ihrem Leben.
    Eine fatale Mischung, alles in allem. Am interessantesten fand ich das Verhältnis der Geschwister und ihre Strategien, um mit all dem umzugehen. Und was es am Ende aus ihnen gemacht hat.

  • Moin moin!


    Der autobiographische Hintergrund war mir auch nicht bekannt, bislang ist "Herren der Insel" das einzige Buch von Pat Conroy, das ich gelesen habe. Es ist aber schon wieder viele Jahre her und vom Inhalt habe ich nur noch Bruchstücke im Kopf.
    Ich weiß aber noch genau, das es mir sehr gut gefiel, vor allem, dass es nicht ins Rührselige abglitt, was auch hätte leicht passieren können (im Film ist das ja anders - aber den habe ich noch weniger im Gedächtnis).
    Wie quasi Schicht um Schicht die Familiengeschichte offengelegt wird fand ich sehr spannend.



    Und da merkt man eben auch seine eigene Familiengeschichte, dass er Vater und Mutter, trotz allem, was sie getan hat, doch nicht ganz loswird, auch emotional, denn sie bleiben die Eltern.


    Bin kein Psychologe, sondern Sozialpädagoge, habe aber häufiger mit (sexuell) mißbrauchten Kindern zu tun gehabt. Es ist bei ihnen oft eine große Ambivalenz im Fühlen zu beobachten. Fast egal, was die Eltern ihnen antaten, wie groß die Wut und auch der Hass der Kinder auf die Eltern sein kann: zur gleichen Zeit lieben die Kinder sie weiterhin. Das kann bei Aussenstehenden manchesmal auch Unverständnis hervorrufen. Da ist eine Nabelschnur, die nicht scheinbar nicht durchtrennt werden kann.

    [size=10pt]Tschüss und liebe Grüße<br />Rüdiger[/size]

  • Ich habe das Buch auch gelesen, es ist Jahre her, aber ich kann mich erinnern, dass es mir sehr gut gefallen hat. Ein paar Monate später habe ich dann einen Film gesehen: Herr der Gezeiten mit Barbra Streisand und Nick Nolte. Nachdem ich ein paar Minuten zugesehen habe, wurde mir bewusst, dass es die Verfilmung des Buches ist.


    Sehr empfehlenswert, genauso wie das Buch.


    Katrin

  • Danke für die Einblicke, RStehn! Das trifft es ziemlich genau, wenn der Mißbrauch in Conroys Familie auch "nur" rein gewalttätiger und psychischer Natur war. Denn fast schlimmer als die körperliche Gewalt erscheint mir, daß Don Conroy Pats Selbstvertrauen als Kind und Jugendlicher ständig untergraben hat.


    Das mit dem Unverständnis kann ich auch gut nachvollziehen, denn genauso ging es mir, als Conroy in "Losing Season" erzählt hat, wie er und sein Vater sich wieder angenähert haben. Und, das ist das erschütternde daran, man spürt, wieviel es ihm bedeutet hat und wieviel es ihm bedeutet, um ihn trauern zu können. Als ich das gelesen habe, war ich echt fassungslos. Und doch habe ich ihm gewünscht, daß er dadurch dem Finden seines eigenen Friedens näherkommt.


    In der Totenrede, die er für seinen Vater gehalten hat, kommt das auch ganz gut rüber. Man ignoriere den amerikanischen Hurrapatriotismus.


    http://www.skyhawk.org/2d/tinsanti.htm


    Katrin:
    Ich fand den Film auch gut. Einer der wenigen, in denen ich Nick Nolte nicht schrecklich finde. Ich fand es nur schade, daß sie, wohl aus Zeitgründen, die Geschichte vereinfacht und Lukes Rolle runtergeschraubt haben.


    Aber, beides ist tatsächlich sehr gelungen, Buch und Film. Die anderen Conroy-Verfilmungen kenne ich noch nicht.

  • RStehn


    Ich bin Erzieherin und habe mal im Heim gearbeitet, die Problematik kenne ich daher sehr gut, was mich in dem Buch wundert, daß sich diese positiven Gefühle hauptsächlich auf die Mutter beziehen, in der Kindheit, genauso wie später. Henry Wingo bleibt irgendwie davon ausgeschlossen, zumindest in dem Maße.


    Grisel


    Danke für den Link, dann werd ich mal lesen, vielleicht wird dann einiges klarer.


    Grisel & Jaqui


    Lag der Fokus des Films nicht auf der Beziehung zwischen Tom und Lowenstein? Es ist ewig her, daß ich den mal gesehen hab, kann mich also auch täuschen....

    LG Gytha

    “Dieses Haus sei gesegniget”

  • Das Buch war klasse. Es ist zwar schon sehr lang her und ich kann mich kaum an Details erinnern, aber ich weiß noch, dass es mich unheimlich beeindruckt hat.


    Der Film war auch nicht übel, aber da fehlte sehr viel aus dem Buch...


    "Beach Music" von Conroy mochte ich auch sehr.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen






  • Grisel & Jaqui
    Lag der Fokus des Films nicht auf der Beziehung zwischen Tom und Lowenstein? Es ist ewig her, daß ich den mal gesehen hab, kann mich also auch täuschen....


    Es ist ewig her, seit ich Film und Buch gesehen und gelesen habe. Mir ist damals nur aufgefallen, dass der Film auf der Basis des Buches beruht. Wieviel aber fehlt, weiß ich nicht mehr.


    Katrin


  • Grisel & Jaqui
    Lag der Fokus des Films nicht auf der Beziehung zwischen Tom und Lowenstein? Es ist ewig her, daß ich den mal gesehen hab, kann mich also auch täuschen....


    Ich kann mich erinnern, daß im Film Tom der "Prince of Tides" war, wohl ein Gedichtband von der Schwester, das weiß ich nicht mehr. Aber im Buch war es Luke. Und es war Lukes Schicksal, das vor allem Tom endgültig aus der Bahn geworfen hat. Im Film klang es eher so wie ein Epilog zu schlimmen Ereignissen davor und das andere üble Ereignis aus der Jugend wäre bei Tom der Knackpunkt gewesen. Aber der Knackpunkt war eben Luke.
    Das heißt, sie haben seine Rolle wohl aus Zeitgründen reduziert, weil es sonst wohl zu ausufernd geworden wäre.
    Ist ein schöner Film und eine gelungene Romanverfilmung, keine Frage. Und Streisand ist zwar eine totale Fehlbesetzung für Susan, aber sie spielt gut. Da kann man ihr das verzeihen.

  • Moin Gytha!



    ... was mich in dem Buch wundert, daß sich diese positiven Gefühle hauptsächlich auf die Mutter beziehen, in der Kindheit, genauso wie später. Henry Wingo bleibt irgendwie davon ausgeschlossen, zumindest in dem Maße. ...


    Es deutet sich aber scheinbar dennoch an (ich zitiere lieber Grisel, weil ich selbst das Buch nicht so detailliert in Erinnerung habe:):



    ... als Conroy in "Losing Season" erzählt hat, wie er und sein Vater sich wieder angenähert haben. Und, das ist das erschütternde daran, man spürt, wieviel es ihm bedeutet hat und wieviel es ihm bedeutet, um ihn trauern zu können. Als ich das gelesen habe, war ich echt fassungslos. ... In der Totenrede, die er für seinen Vater gehalten hat, kommt das auch ganz gut rüber.


    Aber eigentlich wundert es mich nicht, dass sich seine positiven Gefühle mehr auf die Mutter beziehen, wenn ich es auch nicht recht erklären kann. Gleichgeschlechtliche Eltern-Kind-Beziehungen unterscheiden sich eben von den gegengeschlechtlichen.


    Ganz laienhaft wird ja oft angenommen, das die Mutter-Sohn-Beziehung enger sei als die Vater-Sohn-Beziehung.
    Heute wird auch die Theorie vertreten, dass die Beziehung Mutter-Kind ein biologisches, die Beziehung Vater-Kind eine kulturell gestiftetes Verhältnis sei.
    Interessant finde ich in diesem Zusammenhang auch noch den Umstand, dass Studien gezeigt haben, das hinsichtlich der Eltern-Kind-Bindung Zärtlichkeiten zwischen Mutter- und Tochter am ehesten anerkannt werden, die zwischen Mutter und Sohn weniger (Inzesttabu?) und am wenigstens die zwischen Vater und Sohn (Homophobie?).
    Damit aber wird ebenfalls der Grundstein zu einer engeren Mutter-Sohn-Bindung gelegt.
    Und entwicklungspsychologisch gesehen spielt der Vater bei einem Sohn wohl eine größere Rolle bei der Ablösung von der Familie und ist damit noch mehr durch Konflikte geprägt als die Beziehung zur Mutter (ganz allgemein ist der "Vater-Sohn-Konflikt" ist auch ein großes Thema der (vorrangig männlichen) Weltliteratur).
    Von daher könnte man also behaupten, dass die positiven Gefühle, die Liebe eines Sohnes zum Vater auch anfälliger ist als die zu seiner Mutter und bei Missbrauch durch den Vater eher zerstört werden.
    Damit könnte man sehr laienhaft, aber halbwegs plausibel erklären, wieso Tom seine positiven Gefühle gegenüber der Mutter mehr bewahrt und seinen Vater ausschließt (und das ist nur eines von vielen möglichen Erklärungsmodellen - zur Vater-Sohn-Beziehung gibt es ja einige psychologische Modelle, angefangen bei Freud).


    Doch die Vorstellung der biologischen versus kulturell gestiftete Beziehung bei Mädchen zu kurz. Demnach müsste ja die Mutter-Tochter-Beziehung enger sein als die Vater-Tochter-Beziehung.
    In eine solche solche Richtung deutet zwar ebenfalls der Umstand hin, dass Zärtlichkeiten zwischen Mutter-Tochter sozial anerkannter sind als die zwischen Mutter-Sohn, doch als Erklärungsmodell für die meist unterschiedlich starken ambivalenten Gefühle von Mädchen gegenüber Mutter und Vater in Missbrauchssituationen taugt das nicht:
    dem widerspricht nämlich meines Erachtens die Beobachtung, dass Mädchen trotz Missbrauch durch ihren Vater diesen weiterhin positive Gefühle entgegenbringen, sie in vielen Fällen aber gegenüber der Mutter (die eventuell den Missbrauch geduldet hat) abnehmen.
    Zur Erklärung könnte man hier allenfalls wieder das entwicklungspsychologische Modell anführen, wonach in Analogie zur Vater-Sohn-Beziehung die Mutter die größere Funktion bei der Ablösung ihrer Tochter von der Familie hat und daher die Beziehung zur Mutter sich eher löst als die zum Vater.


    Um mit Fontane zu sprechen: ein weites Feld - und meine psychologischen Kenntnissen reichen leider nicht aus, es zu beackern.

    [size=10pt]Tschüss und liebe Grüße<br />Rüdiger[/size]

  • Hallo zusammen,


    eins meiner Lieblingsbücher. Die Geschichte ist spannend und sehr dicht erzählt. Manchmal zwar etwas theatralisch, aber das macht ja nichts :zwinker:


    RStehn: Deinen Hinweis auf die Mutter-Sohn-Beziehung (Inzesttabu) finde ich sehr interessant. Direkt vor der Callanwoldeszene tanzen ja Lila und Savannah miteinander, was Tom als erotisch empfindet. Und Lila fühlt sich immer geschmeichelt, wenn man sie für Toms Ehefrau (statt Mutter) hält.


    Den Film habe ich übrigens nicht gesehen. Allerdings hatte ich Nolte und Streisand wg. des Covers beim Lesen ständig vor Augen, was ich ziemlich störend fand. Den Beschreibungen im Buch entsprechen sie ja nicht :rollen:


    Liebe Grüße
    Manjula


  • Den Film habe ich übrigens nicht gesehen. Allerdings hatte ich Nolte und Streisand wg. des Covers beim Lesen ständig vor Augen, was ich ziemlich störend fand. Den Beschreibungen im Buch entsprechen sie ja nicht :rollen:


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    Von Streisand und Nolte habe ich gott sei Dank erst später erfahren. :breitgrins:


    Katrin

  • Pat Conroy – Die Herren der Insel (verfilmt als "Herr der Gezeiten")
    (Rezension für den SLW 2008, Kategorie „Vergleich Buch und Film“)


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    Inhalt:
    Tom Wingo, Vater von drei Töchtern, Englischlehrer und Footballtrainer, lebt in South Carolina und befindet sich in einer tiefen Lebenskrise. Schon seit über einem Jahr ist er arbeitslos und seine Ehe mit der erfolgreichen Ärztin Sallie scheint am Ende zu sein.
    Als seine Zwillingsschwester Savannah, eine bekannte Lyrikerin, zum wiederholten Mal einen Selbstmordversuch verübt, reist er nach New York, um ihrer Psychotherapeutin Susan Lowenstein zu helfen, Savannah wieder auf das Leben vorzubereiten. Seine Aufgabe ist es, Susan Lowenstein von seiner und Savannahs Kindheit, ihren Eltern und ihrem großen Bruder Luke zu berichten, dabei kann er auch vor den vielen totgeschwiegenen Familiengeheimnissen nicht Halt machen. Während er erzählt, muss er auch seinen eigenen Lebenslügen aufdecken und sein anfänglich sehr misstrauisches Verhältnis zu Susan Lowenstein beginnt sich zu wandeln.
    Der Roman spielt etwa in den 80er Jahren in USA, mit Rückblenden in die 40er, 50er und späteren Jahre. Zeitbezüge (zweiter Weltkrieg, Koreakrieg, Vietnamkrieg) sind am Rande vorhanden, stehen aber nicht im Vordergrund.



    Der erste Satz (Prolog):
    „Meine Heimat ist meine Wunde, aber sie ist auch mein Ankerplatz, mein sicherer Hafen.“


    Meine Meinung zum Buch:
    Ich habe dieses Buch vor etwa zwei Jahren schon einmal angefangen zu lesen, dann aber abgebrochen. Deshalb hatte ich bei diesem Leseversuch große Bedenken – unnötigerweise, wie sich herausgestellt hat. Gekauft hatte ich es mir damals, weil der Film mit Nick Nolte und Barbra Streisand zu meinen Allzeit-Top-Lieblingsfilmen gehört.


    Ich empfand die Darstellung der Personen in diesem Buch als sehr beeindruckend. Alle Personen werden sehr einfach in die Handlung eingeführt, und mit jeder Zeile und jeder Seite enthüllt der Autor Facette für Facette ihren Charakter und ihre Abgründe. Das Buch liest sich wie ein Puzzle und wirklich erst am Schluss erfährt man das gesamte Schicksal von Tom Wingo, seiner Zwillingsschwester Savannah, seinem großen Bruder Luke, der immer sein Vorbild war und von seinen Eltern Lila und Henry.
    Meine Lieblingsfigur im Buch ist Savannah, die als einzige ernsthaft versucht, sich von ihrer Familie zu lösen und nach New York zieht, die Dramen der Vergangenheit aber auch nicht abschütteln kann und dabei fast zugrunde geht.


    Sehr erschüttert haben mich die Familiendramen, die sich in dem kleinen Haus auf der Insel in South Carolina abspielen, auf der die drei Geschwister aufwachsen. Überhaupt spielt das Leben in South Carolina bzw. im Süden der USA eine große Rolle in der Geschichte. Vieles dreht sich um die Erziehung und die Erwartungen, die in diesem Teil des Landes an die Kinder und die Erwachsenen gestellt wurden, angefangen damit, immer ein „perfekter Gentleman“ zu sein und alles, was nicht in dieses Bild passt, zu verschweigen und zu verdrängen und insbesondere nicht zu zeigen, wie zerrüttet die Wingo-Familie tatsächlich war und was Toms Mutter Lila in ihrem grenzenlosen Ehrgeiz, gesellschaftlich aufzusteigen, und seinem gewalttätigen Vater Henry mit den Kindern anrichtete.


    Das Buch wird in der Ich-Form aus der Sicht von Tom Wingo erzählt. Die Sprache ist wunderschön, üppig und bildhaft, dabei aber nie überladen oder driftet in den Kitsch ab. Ich konnte das Buch überraschend schnell und flüssig lesen und habe es sehr genossen.


    Nur einen Punkt habe ich zu bemängeln, die Rückblenden in die Kindheit gerieten mir manchmal etwas zu ausführlich und waren dann auch nicht mehr so interessant. Dies kam mir hauptsächlich in der Buchmitte so vor, gegen Ende hin wurde es dann wieder besser.


    Meine Meinung zum Film:
    Natürlich kann der Film nicht in zwei Stunden das gesamte Buch aufnehmen, so hat man den Schwerpunkt auf die Rahmenhandlung gelegt. Während im Buch die Familie Wingo im Mittelpunkt steht, liegt im Film die Aufmerksamkeit auf Tom und Susan Lowenstein bzw. auf der sich zwischen ihnen entwickelnden Liebesbeziehung.


    Die Besetzung (Nick Nolte als Tom Wingo und Barbra Streisand als Susan Lowenstein) finde ich sehr gelungen. Nick Nolte gibt den „Südstaatler“ sehr gut mit seiner gedehnten Sprechweise, ich vermute jedenfalls, dass er im Film eine Art Südstaaten-Dialekt spricht, so genau unterscheiden kann ich das nicht - aber die Vorstellung gefällt mir.
    Barbra Streisand als intellektuelle New Yorkerin passt auch sehr gut.
    Lediglich Lila Wingo hätte ich mir anders vorgestellt: während sie im Buch als sinnlich-üppig beschrieben wird, wirkt sie im Film eher modelhaft schön und ist als gealterte Frau wenig glaubwürdig.


    Natürlich war ich beim Lesen des Buches voreingenommen. Ich habe gehofft, den Film vorzufinden und gefürchtet, enttäuscht zu werden. Jetzt bin ich aber froh, das Buch doch noch gelesen zu haben, denn ich habe viele Details erfahren, die mir den Film jetzt noch wertvoller machen.


    Viele Grüße von Annabas :winken:


  • Der erste Satz (Prolog):
    „Meine Heimat ist meine Wunde, aber sie ist auch mein Ankerplatz, mein sicherer Hafen.“


    Den Anfang finde ich im Original noch weit schöner:

    Zitat

    My wound is geography. It is also my anchorage, my port of call.


    Das hat mich bei dem Buch gleich am Anfang umgehauen. Was für eine Art, mit Worten umzugehen. Klar, der erste Satz ist eigentlich unübersetzbar, das haben sie eh schön hinbekommen, sinngemäß.


    Sitze gerade da und kaue nervös-freudig an den Fingernägeln, weil ich kürzlich erfahren habe, daß er an einem neuen Roman schreibt. Zur Abwechslung mal eine Familiengeschichte. :breitgrins:
    Dieses Buch hätte ich gerne JETZT. Auch wenn es sicher nicht leicht sein wird, mich damit ebenso tief zu beeindrucken, wie mit "Prince of Tides". Zwar nicht mein Lieblings-Conroy, aber IMO der beste bislang.


  • Sitze gerade da und kaue nervös-freudig an den Fingernägeln, weil ich kürzlich erfahren habe, daß er an einem neuen Roman schreibt. Zur Abwechslung mal eine Familiengeschichte. :breitgrins:


    Das ist eine tolle Nachricht :klatschen:


    Sowohl "Prince of Tides" als auch "Beach Music" haben mich sehr beeindruckt ... und ich kriege gerade große Lust, die beiden mal wieder zu lesen.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Pat Conroy


    Die Herren der Insel


    The Prince of Tides

    Tom Wingo ist ein weißer Mann aus den Südstaaten der USA. Er bemüht sich ständig, nicht das zu sein, was diese Kombination im Allgemeinen vermuten lässt. Er will kein Macho sein, kein Rassist, kein Holzkopf. Doch er kämpft nicht nur gegen Vorurteile, Traditionen und Familiengene, sondern er versucht auch, sein Leben und das seiner Zwillingsschwester Savannah zu retten. Denn die traumatischen Ereignisse aus der Kindheit, die Fehler der Eltern und verschiedene andere Aspekte überschatten das Leben der beiden noch heute.


    Als Savannah wieder einen Selbstmordversuch knapp überlebt, beschließt Tom, mit Savannahs Therapeutin zusammenzuarbeiten, um Savannahs Leben zu retten und sie falls möglich wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Dafür muss Tom seine Erinnerungen ans Tageslicht bringen und die Therapeutin in sorgsam gehütete Familiengeheimnisse einweihen…



    Die Geschichte wird in der Ich-Form aus Toms Perspektive erzählt. Episoden der Gegenwart und der Vergangenheit wechseln sich ab. Der Leser bekommt allmählich einen immer größeren Einblick in die Geschehnisse, die die Familienmitglieder zu dem gemacht haben, was sie heute sind.


    Neben einer gewissen erblichen Belastung hinsichtlich psychischer Störungen bei den Wingos gibt es einen gewalttätigen Vater und eine manipulative Mutter, die sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen und ihre Kinder in diesen Ehekrieg mit hineinziehen. Immer, wenn der Leser meint, jetzt endlich die schrecklichste Geschichte gehört zu haben, kramt Tom noch eine andere Erinnerung aus, und es tut sich ein weiterer Abgrund auf.


    Das Buch ist in einer üppigen Sprache geschrieben, wirkt auf mich aber nicht überladen. Ich mochte den Schreibstil sehr. Tom ist sehr sympathisch. Trotz allem, was ihm passiert ist, ist er weder voller Selbstmitleid, noch zerfressen von Wut und Aggressivität. Er versucht, auf seine flapsige Art klarzukommen. Gleiches gilt für seinen älteren Bruder Luke. Bei Savannah wird es da schon schwieriger.


    Mit seinen 800 recht klein bedruckten Seiten ist das Buch schon von ordentlichem Umfang, man ist eine schöne Weile damit beschäftigt. Und vieles wird gar nicht ausgesprochen, sondern nur gestreift oder angedeutet. Obwohl das Thema schwer verdaulich ist und man mit den Kindern mitleidet, hat mir das Buch die ganze Zeit über Spaß gemacht.


    Da ich den Film schon gesehen hatte, waren mir viele Details allerdings schon bekannt. Außerdem hatte ich beim Lesen immer Nick Nolte und Barbra Streisand vor Augen.


    Warum ich so lange Zeit gar keine Lust auf das Buch hatte und mit minimalen Erwartungen zu lesen begonnen habe, ist mir jetzt ganz und gar schleierhaft.

    5ratten

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.