Der Heliand übers. v. Wilhelm Stapel

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  • Der Heliand, übers. von Wilhelm Stapel, : Pawlak; Auflage: Bibliothek der literarischen Meisterwerke (1970)


    Das Buch
    Der Heliand ist das älteste in Mitteleuropa erhaltene deutsche Sprachdenkmal und ist zwischen 830 und 850 n.Chr. verfasst worden. Damit hat das Original ca. 1150 Jahre auf dem Buckel.
    Die vorliegende Ausgabe ist ein Nachdruck der Übersetzung von Wilhelm Stapel aus dem Jahre 1953.
    Inhaltlich folgt das Werk den drei synoptischen Evangelien (Markus, Matthäus, Lukas), ist aber ein eigenständiges Werk. Gerade die Unterschiede zwischen Vorlage und Nachdichtung geben dem 6000 Stabreime umfassenden Epos seinen großen wissenschaftlichen Wert. Eine wortgetreue Übersetzung der Evangelien würde uns erheblich weniger über die Welt, in der der Verfasser lebte, erzählen.
    Der Übersetzer verzichtet darauf, die Stabreime des ursprünglichen Textes in der Übersetzung widerzugeben, sondern schreibt in klarer Prosa. Damit spart er nicht nur sich eine Menge Arbeit, sondern kann auch seine Übersetzung näher an den ursprünglichen Text heranführen.
    Im Epos wird das Evangelium mit den Worten der Zeit wiedergegeben und an das Verständnis einer germanischen Ständegesellschaft angepaßt: Jesus wird zu einer Art jüdischem Volkskönig und seine Jünger zu Gefolgsleuten. Die 'bürgerliche' Herkunft (Josef war Zimmermann, Simon Petrus Fischer mit eigenem Boot, Matthäus Beamter) der an dem Geschehen Beteiligten wird verschwiegen.
    Mir stach beim Lesen besonders ins Auge, wie sehr der Verfasser des Heliand über die Evangelien hinausgeht, wenn es darum geht, die Tugenden Petri herauszustellen.
    Die Sprache des Werkes ist ein Altsächsisch, das sehr gut dazu stimmt, daß die Gerichtsszenen um die Verurteilung Christi, sich eher mit dem Sachsenspiegel in Einklang bringen lassen als mir dem Königsgericht der Franken. Insbesondere die Szene um die Freisprechung des Barnabas lassen eher an ein Thing denken als ein Hofgericht bestallter Schöffen.




    Der Autor und seine Welt
    Der Verfasser des Heliand ist anonym. Literaturwissenschaftliche Untersuchungen lassen ihn aber recht gut einordnen. Vermutlich ist das Werk in im Kloster Werden (heute: Essen-Werden) entstanden und nicht, wie früher oft vermutet, in Fulda.


    Die Schilderung des Gerichts über Jesus lassen juristische Kenntnisse erkennen, die aber mehr sächsisch als fränkisch geprägt sind. Wir dürfen also vermuten, daß der Heliandist eher der sächsischen Partei als der Kaiserpartei zuzurechnen ist, und eine klösterlich-juristische Ausbildung erhalten hat..
    Damit wird die Auffassung, daß das Werk von Ludwig dem Frommen in Auftrag gegeben worden ist, unwahrscheinlich.


    Die Schilderung der Gefolgschaft Jesu zeigt eine erzählt uns etwas über das Publikum, für das der Heliand geschrieben worden ist: Einem standesbewußten Adeligen, der seine Privilegien und Einkünfte aus der persönlichen Gefolgschaft zum Höhergestellten bezog, muß die Vorstellung eines Fischers, der zum Apostel des Westens wird , unerträglich gewesen sein. Deswegen hat ihn der Autor von diesen Zumutungen verschont und sein Evangelium entsprechend umgearbeitet.
    Besondere Sorgfalt ließ er dabei dem Charakter des Simon Petrus angedeihen, der im neuen Testament eigentlich sehr schlecht wegkommt. Wenn es einen Apostel in der Bibel gibt, der den Namen eines Großmauls und Feiglings verdient hätte, so ist das meiner Ansicht nach eben dieser Simon und der Beiname Petrus („der Fels“) bestenfalls ein ironischer Kommentar.
    Anders im Heliand: Die Lobeshymnen auf den Mut und den untadeligen Charakter Petri füllen ganze Kapitel. Offensichtlich spricht hier ein Mann, der die Stellung der Nachfolger Christi, der Päpste, durch Verweis auf die besondere Auszeichnung Petri untermauern will.
    Dazu paßt auch die vom Verfasser vertretene Theologie, die – in vollkommener Opposition beipsielsweise zur Wulfila – lupenrein römisch-katholisch ist.


    Wer sollte dieses Buch lesen?
    Kaum ein Germanist wird um dieses Werk herumkommen, auch mancher Anglist, Nordist oder Historiker kann aus der Lektüre Nutzen ziehen. Auch dem Theologen erzählt der Heliand einzigartiges. Und schließlich lernt jeder, der sich intensiv mit dem frühen Mittelalter berschäftigt, sehr viel über Mentalität und Gerichtswesen dieser Epoche daraus.
    Mich selbst lies dieses Werk meine Haltung zu Petrus überdenken. Wenn der Autor des Heliand solche Anstrengungen unternahm, um Petrus aufzuwerten, könnte es dann nicht sein, daß der Evangelist Lukas seinerseits ähnliche Manipulationen in Evangelium und Apostelgeschichte unternahm, um die Abwahl Petri als Vorstand der Urgemeinde und seine Niederlage in der Frage nach dem Heidenchristentum literarisch zu motivieren?

    ____<br /><br />Äh.. ja? :kaffee:

  • Danke für die interessante Buchvorstellung, mal ganz was anderes, obwohl ich schon einiges zum Thema: Chrisentum gelesen habe, das Buch ist mir völlig unbekannt, ist auch, so wie ich es sehen konnte, nur gebraucht zu kaufen. Mal sehen, ob ich es ausleihen kann.