Nathaniel Hawthorne - Der scharlachrote Buchstabe

Es gibt 11 Antworten in diesem Thema, welches 5.792 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Kiba.

  • Ich stecke gerade im ersten Drittel dieses Buches fest und versuche herauszufinden, warum es so erfolgreich ist. Es spielt in einer sittenstrengen Puritaner-Gemeinde in Salem/Neuengland im Jahr 1640 und erzählt die Geschichte der Hester Prynne, die Mutter einer Tochter wird, während ihr Mann in Europa weilt. Zum Zeichen ihrer Schande muss sie eine scharlachrotes E auf ihrem Kleid tragen. Trotzdem weigert sie sich, den Vater des Kindes preiszugeben.


    Etwas verwirrt hat mich schon das fast 50 Seiten lange Vorwort, in dem von einem Zollhaus und den Zöllnern die Rede ist. Worin der Zusammenhang zu der eigentlichen Geschichte besteht, konnte ich noch nicht feststellen. Aufgrund seines Stiles ist das Buch etwas schwer zu lesen, was aber auch daran liegen mag, dass ich nicht in die Handlung reinkomme. Teilweise sind die Sätze ein wenig verschachtelt, so dass ich sie zweimal lesen muss, um sie einmal zu verstehen :redface:. Dialoge sind eher seltener vorhanden, daher ist der ganze Ablauf ein bisschen zäh.


    Kennt jemand von euch dieses Buch und kann mir etwas davon vermitteln, was es so bekannt gemacht hat? Momentan habe ich nicht das Gefühl, dass es sich lohnt, weiterzulesen.


    Liebe Grüße
    Doris


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  • Hm das Buch kenne ich ja nicht, aber ich denke vielen ist der Titel deshalb bekannt weil sie die Verfilmungen kennen. Das ist ja bei vielen Romanen der Fall. Erst heute habe ich das bei 1984 erlebt, da kannte jemand dieses nur weil es eine Verfilmung gibt.

  • Bei mir war es umgekehrt, ich habe gerade erst gesehen, dass der Roman auch verfilmt wurde. Das ist aber normalerweise das beste Zeichen dafür, dass das Buch erfolgreich war. Ich hoffe, dass der Rest der Handlung spannender wird, denn wenn ich mit dem Stil nichts anfangen kann, sollte es wenigstens inhaltlich interessant sein.


  • Ich stecke gerade im ersten Drittel dieses Buches fest und versuche herauszufinden, warum es so erfolgreich ist.


    Au weia - da hast Du ein Monster erwischt. Und zwar ein Wechselbalg.


    Lass mich erklären: Es gibt Bücher, denen (oft zu Unrecht) der Ruf vorauseilt, schwierig und kompliziert zu sein. Ulysses oder Finnegans Wake von Joyce sind solche oder die Bücher von Eco. Da machen die Leser schon im voraus in die Hosen.


    Und dann gibt es die scheinbar einfachen. Die, die "man" kennt, gelesen hat. Meist sind diese Werke exzellent geschrieben. Doch, Achtung, diese Werke sind oft nicht nur doppelbödig sondern acht- bis zehnfach bebodet sind. Es sind Bücher, die selbst dem Nicht-Leser meist ein Begriff sind: Robinson Crusoe, Don Quijote, Gulliver's Travels, Moby-Dick1) - und eben The Scarlet Letter. Doch diese Kenntnis stammt meist aus zweiter Hand, vom Kinderbuch, das wir mal gelesen haben, vom Film, den die Freundin gesehen hat.


    Wer sich dann auf die Originaltexte einlässt, wird erfahren, dass der Ruf, der ihnen vorauseilt, ein falscher ist. Diese Bücher haben neben ihrer raffinierten Sprache auch eine raffinierte Geschichte zu erzählen. Einer dieser Böden ist das relativ simple Handlungsskelett, das dazu verführt, das Buch als Film oder als Kinderbuch zu verwerten.


    Hawthorne im Speziellen wird gerne der "dunklen Romantik" zugerechnet. Das stimmt z.B. für die Art und Weise, wie er The Scarlet Letter einführt: Das Manuskript, gefunden auf dem Dachboden, ist ein typisch romantisches Requisit. Damit erreicht der Autor gleich zwei einander völlig entgegengesetzte Ziele: Das erzählte Geschehen wirkt realistischer, da ja der Autor tatsächlich beim Zoll gearbeitet hat und das Manuskript wirklich gefunden haben könnte. (Vom Anklang an den biblischen Zöllner schweigen wir jetzt mal.) Andererseits wird die Geschichte als Geschichte aus zweiter Hand deklariert; der Autor kann also für ihren Wahrheitsgehalt nicht mehr garantieren.


    Wer nun eine Liebesgeschichte erwartet, oder einen historischen Roman oder das Schicksal einer Frau hören möchte, wird m.M.n. enttäuscht. Hawthorne schildert - mit einer Grausamkeit und gespenstischen Folgerichtigkeit, die selbst Poe übertrifft - die gruselige Geschichte der langsamen psychischen Dekonstruktion eines Menschen. Ein psychologischer Schauerroman. Daneben gibt's bei Hawthorne aber auch die andere Komponente: Selber aus tiefst-puritanischer Familie stammend, ist es ihm nicht möglich, das Handeln und Denken der Puritaner einfach zu verdammen, wie wir Europäer es heute erwarten würden. Also auch ein zutiefst US-amerikanischer Autor ;).


    Last but not least: Wenn Dein Übersetzer den Buchstaben "A" des Originals zum "E" mutiert, interpretiert er bereits - unzulässigerweise, meiner Meinung nach. Denn das "A" des Originals wird nirgends erklärt. Es steht nicht notwendigerweise für "Adulteress", was Dein Übersetzer offenbar annimmt, wenn er ein "E" verwendet (und doch wohl an "Ehebrecherin" denkt.) Es könnte auch für "Amerika" stehen und das Ganze eine grosse Parabal auf das Werden der USA sein. Oder ... oder ... oder ... :zwinker:
    [hr]
    1) Herman Melville hat dieses Buch nicht aus purem Zufall ausgerechnet Hawthorne gewidmet!

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • @ Flor
    Das steht auch in meinem "Vorwort zum Vorwort".


    @ Sandhofer


    Aus Deiner Auflistung der scheinbar einfachen Werke kenne ich Gullivers Travels und Moby Dick in der Originalversion. Sie mögen zwar doppel- oder mehrbödig sein, aber die meisten der Böden waren erkennbar und ließen sich entschlüsseln. Beim scharlachroten Buchstaben stehe ich allerdings etwas ratlos da. Mittlerweile bin bei der Mitte des Buches angelangt und die wichtigsten Figuren entwickeln sich langsam, aber immer noch fehlt mir das Maß an Intensität, das ich bei einer Geschichte mit diesem Thema erwarte. Die Handlung plätschert dahin und ich neige dazu, Gefühle für einzelne Protagonisten zu entwickeln, aber es fehlt einfach an Tiefe. Ich vermute, dass ich unbewusst nach diesem unkonventionellen Vorwort die Bereitschaft abgeschaltet habe, mich auf das Buch einzulassen.


    Sicher hat der Autor einiges an Zweideutigem in die Handlung eingeflochten, aber da er mir von seiner Biografie als auch seinen Werken her unbekannt ist, kann ich schwer einordnen, wo es hintergründig wird. Dadurch wird mir sicher einiges entgehen. Dass er den Puritanismus nicht direkt verdammt, ist mir allerdings schon aufgefallen (die Hauptperson wird von allen verachtet, ihre Dienste werden aber doch in Anspruch genommen).


    Auch ist die Sprache des Buches um einiges komplizierter, als ich es von zeitgenössischen englischen Autoren kenne. Über die Schachtelsätze habe ich oben schon berichtet. Als Romantiker würde ich - mit meinen Vorkenntnissen - Hawthorne nicht bezeichnen. Dazu erscheint er mir viel zu realistisch. Hoffentlich sind nicht alle seine Werke so, denn ich habe noch einen Band mit Erzählungen von ihm im Regal stehen.


    Und zu Melvilles Widmung: "...zum Zeichen meiner Bewunderung für seinen Genius...": Nur ein Genie erkennt ein Genie :breitgrins:


    Gruß
    Doris

  • Moin, Moin!


    Auch ist die Sprache des Buches um einiges komplizierter, als ich es von zeitgenössischen englischen Autoren kenne. Über die Schachtelsätze habe ich oben schon berichtet. Als Romantiker würde ich - mit meinen Vorkenntnissen - Hawthorne nicht bezeichnen. Dazu erscheint er mir viel zu realistisch. Hoffentlich sind nicht alle seine Werke so, denn ich habe noch einen Band mit Erzählungen von ihm im Regal stehen.


    Ich hatte bisher komischerweise überhaupt keine Schwierigkeiten mit Hawthorne, am zähesten war für mich, der ich für Bildende Kunst wenig übrig habe, "Der Marmorfaun". "Das Haus mit den sieben Giebeln" und eine Erzählband nebst "Scharlachrotem Buchstaben" las ich außerdem.

  • Ich hatte bisher komischerweise überhaupt keine Schwierigkeiten mit Hawthorne [...]


    Warum wundert mich das nicht? :breitgrins:


    Mittlerweile komme ich besser in das Buch rein. In dem Maße, wie mehr Handlung stattfindet, verringert sich das Hochgeistige und Nebensächliche. Die Protagonisten entwickeln sich auch weiter, es werden sehr gegensätzliche Charaktere beschrieben. In ein bestimmtes Genre kann man das Werk aber kaum einordnen. Wie Sandhofer schon schrieb, es handelt von der psychischen Dekonstruktion eines Menschen, aber diese Erkenntnis setzt erst langsam ein, wenn man den Inhalt nicht vorher schon kennt.


    Grüße
    Doris

  • Und schon fertig mit dem Lesen?
    Wie gefällt dir das Ende?


    Ich finde gegen Ende hin lohnt sich all die Mühe :zwinker:


    sandhofer
    Naja nochmal wegen der Adultery-Annahme da könnte man ja noch diskutieren, aber da im Original an der Stelle an der Hester verurteilt wird diesen Buchstaben zu tragen gesagt wird: "Thus she will be a living sermon against sin" kann man sich schonmal überlegen was die Kirche damals so als Sünde angesehen hat. Und wird sie nicht auch die ganze Zeit bedrängt zu sagen wer an dieser Sünde seinen Anteil hatte? Und der "Mitschuldige" wird ja am Ende entlarvt und trägt auch einen Buchstaben. Und dann ist da auch noch die kleine Pearl und durch sie wird es am Ende klar das adultery gemeint ist. Verstehst du was ich meine? Es klingt etwas seltsam, aber ich wollte es etwas vermeiden zu spoilern...ich hoffe dass ist mir einigermaßen gelungen.

  • Hallo zusammen!


    Ja. Da aber ein derartiger Brauch m.W. nicht nachgewiesen ist, und Hawthorne nicht explizit erklärt, was der Buchstabe bedeuten soll, bleibt es eine Interpretation des Lesers bzw. des Übersetzers. ;)


    Grüsse


    sandhofer

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Und schon fertig mit dem Lesen?
    Wie gefällt dir das Ende?


    Da bin ich leicht zwiegespalten. Ich fand es in Ordnung, weil das Ende etwas unvorhersehbar war. Andererseits hätte mein Mitgefühl für Hester etwas Positiveres gewünscht. Den Buchstaben (im Deutschen ein E) deute ich auch als "Ehebrecherin". Etwas anderes fällt mir dazu wirklich nicht ein.


    Grüße
    Doris

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    Meine Meinung
    Mit dem Buch hatte ich auch meine Schwierigkeiten. Aber ich habe für mich festgestellt, dass mir das bei den meisten Büchern aus dieser Zeit so geht. Ich komme mit dem Umgangton aus dieser Zeit einfach nicht zurecht :rollen:


    Für mich stand das A immer für Adultress, weitere Gedanken habe ich mir darüber nicht gemacht. Für mich war es einfach so: Hester hat ein Kind, das nicht von ihrem Mann sein kann und wird deshalb mit dem Buchstaben gezeichnet. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, als ob sie das Zeichen mit Stolz tragen würde. Sie wird von der Gesellschaft ausgestoßen, aber sie scheint nichts dagegen zu haben. Im Gegenteil: Hester fühlt sich außerhalb der Dorfgemeinschaft meiner Meinung nach recht wohl.


    Mit den Protagonisten hatte ich so meine Probleme. Mir war keiner so richtig sympathisch. Besonders Pearl hat es mir schwer gemacht. War sie anfangs noch das ausstaffierte Püppchen ihrer Mutter, wurde sie mit zunehmendem Alter ein kleines Biest. Vieles von dem, was sie gesagt hat, hätte ich damals (und heute erst recht nicht) nicht durchgehen lassen.


    Wie Doris bin ich zwiegespalten, was das Buch angeht. Das Ende hat mich angenehm überrascht, gerade weil es so unvorhersehbar war.
    2ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Ich habe das Buch als Hörbuch gelesen.


    Das ist eine gekürzte Version, wodurch es vermutlich wesentlich leichter verdaulich ist als die ausführliche Fassung.


    Beim Hören drängten sich mir 2 Begriffe auf: Schwermut und Schuld.


    Mein Kritikpunkt wäre Pearl: Die Tochter ist für ihr Alter m. E. zu durchschauend, zu spitzfindig.


    2ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.