Hi!
Diese Rezension ist mir nicht leichtgefallen und wahrscheinlich könnte ich mich hinsetzen und noch drei ganz andere Versionen schreiben. Zu diesem Buch hätte ich wirklich viel zu sagen, ich habe aber versucht, mich einigermassen kurz zu fassen. Ihr wollt ja schliesslich Bücher lesen und keine Bücher über Bücher
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Inhalt:
«England im Jahr 1845: Unter dem Kommando von Sir John Franklin stechen die modernsten Schiffe ihrer Zeit in See – die Terror und die Erebus. Franklins Auftrag lautet, die legendäre Nordwestpassage zu finden, den Weg durch das ewige Eis der Arktis in den Pazifik. 130 Männer nehmen an der Expedition teil. Sie verschwinden spurlos. Dies ist ihre Geschichte.»
So heisst es im Klappentext. Nur: Das ist wohl eher nicht ihre Geschichte. Es ist die Geschichte, wie sie Dan Simmons erzählt. Dazu hält er sich zwar weitgehend an die historischen Fakten (so weit bekannt), dichtet aber allerhand dazu. Da wäre mal die stumme Inuit-Frau, die von den Seeleuten «Lady Silence» genannt wird und ein unheimliches Geisterwesen, das im ewigen Eis lebt.
Die Terror und die Erebus sind im Eis der Arktis eingefroren und da es gerade ein paar sehr kalte Jahre gibt, taut das Eis auch im Sommer nicht auf. Zudem geht eine unheimliche Bestie im Eis um, die sich ab und zu mal einen Seemann schnappt und ihn ermordet, was besonders in den langen arktischen Nächten für Angst und Schrecken unter den Besatzungsmitgliedern sorgt. Nach eineinhalb Jahren an derselben Stelle beschliesst die Expeditionsleitung, die Schiffe aufzugeben und Rettung auf dem Festland zu suchen. Der Marsch übers Eis wird zu einer Art Ausscheidungsrennen, bei dem Kranke und Schwache reihenweise sterben. Da bei den Überlebenden die Lebensmittel knapp werden, steht die Expeditionsleitung vor der schweren Entscheidung, ob man die Leichen der Kameraden begraben oder lieber essen soll.
Meine Meinung:
Über 130 Leute stecken lange Zeit im Eis fest und dann versuchen sie sich zu retten – was allerdings keinem gelingen wird, wie uns die Geschichte lehrt. Ich habe mich anfangs gefragt, ob man darüber wirklich über 900 spannende Seiten schreiben kann. Simmons beweist: Ja, es geht.
Dabei funktioniert der Roman auf mehreren Ebenen: Einmal auf der historischen.
Simmons beschreibt die Expedition mit grosser Genauigkeit. Sein Personal rekrutiert er aus den Musterungsrollen von 1845, fast jeder Ausrüstungsgegenstand wird beschrieben und erklärt – egal, ob es sich dabei um die verschiedenen Sorten Kochherde, die Bekleidung der Seeleute oder die mitgeführten Waffen handelt. Man bekommt ein genaues Bild von Mannschaft und Ausrüstung vermittelt und hat manchmal das Gefühl, selber schlotternd auf dem gefrorenen Meer zu stehen und den Matrosen die Lampe beim Reparieren der Wegmale zwischen der Terror und der Erebus zu halten.
Man kann «Terror» aber auch als Horror-Roman lesen:
Die Bestie aus dem Eis ist mehr als unheimlich und ihre Morde sind äusserst grausam, manche Szenen fallen recht splatter-mässig aus. Schon fast bezeichnend ist allerdings, dass der brutalste und hinterhältigste Mord im Buch nicht von der Bestie, sondern von einem Menschen begangen wird...
Auch wenn man weiss, dass der Autor aufgrund historischer Tatsachen keinen bis sehr wenige Expeditionsteilnehmer überleben lassen darf und die Männer durch eine Art eisiger Hölle gegangen sein müssen (mit oder ohne Eiswesen), so überraschte mich die Brutalität gewisser Morde und Verstümmelungen immer wieder. Zarte Gemüter seien an dieser Stelle gewarnt.
Auch emotional bietet der Roman so einiges:
Simmons schafft es, einem Teil seiner über 130 Mitwirkenden sehr viel Glaubwürdigkeit zu geben. Wie oben erwähnt, hat man dank genauer Beschreibungen das Gefühl, mittendrin zu sein. Entsprechend fasste ich auch Ab- oder Zuneigung zu gewissen Protagonisten. Und wenn meine «Lieblinge» in Schwierigkeiten gerieten, war es unmöglich, das Buch zuzuklappen, bis das Problem gelöst war – oder auch nicht. Und so hatte ich tatsächlich feuchte Augen, als einer meiner Favoriten den Gang in die Ewigkeit antreten musste. Sowas passiert mir beim Lesen äusserst selten.
Zur Bestie aus dem Eis: Anfangs hoffte ich irgendwie noch auf eine naturwissenschaftliche Erklärung für das Phänomen. So gegen Mitte des Buches gab ich diese Hoffung (begründet) auf. Damit man als Leser aber nicht ganz dumm sterben muss, gibts auf den letzten 60 Seiten vom Autor noch eine Erklärung für das Biest. Diese Erklärung ist auch sowas wie ein sehr später Bruch in dem Buch: Ab dort driftet Simmons definitiv ins Mystische ab und fängt an, alte Inuit-Sagen zu erzählen, aus denen er dann das Monster erklärt. Dieser allerletzte Teil passt eigentlich überhaupt nicht zum Rest des Buches und er hat mich auch ziemlich gestört. Das war ein Ausflug in die Fantasy, der sich einfach nicht schön in den Rest einfügt.
Fazit:
Ein aufwühlendes, emotionales, brutales, spannendes Buch, das ich aber nicht uneingeschränkt jedem empfehlen möchte. Lesen sollten es Leute, die trotz des Settings auch mit einem übernatürlichen Phänomen leben können und keinen historisch korrekten Roman erwarten. Horror-Fans, die nicht alle zwei Seiten Blut in Strömen brauchen, sondern auch gerne die Geschichte zwischen den Morden lesen, haben daran sicher auch ihre Freude.
Zartere Gemüter, Leute auf der Suche nach einem akuraten Buch über die Franklin-Expedition und Fantasy-Hasser machen wohl besser einen Bogen um dieses Werk.
Der Abzug rührt vom unpassenden letzten Teil und ein paar anderen kleinen Unschönheiten her.
Gruss
Alfa Romea