Dietrich Schwanitz: Bildung

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  • Hallo,


    nach zwei Jahren :zwinker: ist es mir gelungen, das oben stehende Werk zur Gänze zu bewältigen.


    Daher folgende Besprechung:


    Inhalt:
    Schwanitz gibt in seinem ca. 700-Seiten Buch einen Einblick in grundlegende Themen des abendländischen Bildungskanons, dabei beschränkt er sich - bis auf marginale Ausnahmen wie die Relativitätstheorie, die ja nun auch für die Philosophie ungemein wichtig ist - auf geistes- und sozialwissenschaftliche Inhalte.
    Er bietet einen gut geschriebenen Abriss der Geschichte Europas, eine Überblick über die Literatur-, Musik- und Kunstgeschichte sowie über philosophische Klassiker und moderne Theorien und Ideologien.
    Im zweiten Teil des Buches beschäftigt er sich damit, wie sich der gebildete Mensch seiner Ansicht nach zu verhalten habe: welche Themen sich für ihn schicken und welche nicht. Das Buch endet mit einer Zeittafel zur vorwiegend europäischen Geschichte und einer Liste und kurzen Darstellung von Werken, die die europäische Geistesgeschichte maßgebend beeinflusst haben.


    Meine Meinung:


    Mit Genuss und viel Erinnerungsauffrischung und Wissenszuwachs habe ich den ersten Teil gelesen. Schwanitz besitzt die Gabe, auch komplizierte Zusammenhänge anschaulich und unterhaltsam zu erklären. Man muss seinen eigenen Hintergrund, den des - sowie ich es herauslese - Konservativ-Liberalen dabei einkalkulieren und kann sich je nach eigener Einstellung zu einigen seiner Thesen positiv oder kritisch verhalten: Er lässt z.B an der Linken auf den ersten Blick wenig Gutes, aber wenn man ein wenig zwischen den Zeilen liest, sieht man, dass er das heutige Weltbild entstanden sieht aus der fruchtbaren Auseinandersetzung mit den Theorien des Marxismus und der Frankfurter Schule.
    Es ist allerdings fraglich, ob an der Auffassung des Bildungsbegriffs, der sich ausschließlich an geistes- und sozialwissenschaftlichen Inhalten orientiert, festgehalten werden sollte. Obwohl ich selbst - wie wohl viele von uns Leseratten - mich in diesen Zusammenhängen wohlfühle, finde ich eine hochnäsige Wegschau über wichtige naturwissenschaftliche und auch technische Grundkenntnisse - wie sie Schwanitz ausdrücklich artikuliert - borniert. Ich kann daher auch die Kritik - z.B. Ernst Peter Fischers ("Die andere Bildung") - gut nachvollziehen.


    Ein wenig geärgert habe ich mich über den zweiten Teil und kann nur hoffen, dass er ihn im Wesentlichen ironisch gemeint hat: Hier stellt er plötzlich Regeln für die Frau/ den Mann von Welt auf, die sich auf dem Niveau eines Hochglanzmagazins für die Bourgeoisie befinden: Das ist über weite Strecken überaus lächerlich und beleidigt den Leser.
    Schade, dass er es nicht beim ersten Teil und den Listen belassen hat!


    Dennoch: Die ersten 500 Seiten sind eine sehr lohnende Lektüre und auch noch unterhaltsam.


    HG
    finsbury

  • Hallo finsbury,


    "Bildung" habe ich ebenfalls mit Vergnügen gelesen. Es ist flüssig und leicht verständlich geschrieben und bietet einen guten Einstieg in viele Themen. Das Fehlen von naturwissenschaftlichen Inhalten habe ich allerdings auch als negativ empfunden. Und der letzte Teil erinnert tatsächlich an die Regenbogenpresse (wobei ich ihn ebenfalls recht amüsant fand :zwinker:)


    Deiner Empfehlung kann ich mich anschließen.


    Liebe Grüße
    Manjula

  • Hallo Manjula,



    Und der letzte Teil erinnert tatsächlich an die Regenbogenpresse (wobei ich ihn ebenfalls recht amüsant fand :zwinker:)


    Da hast du wahrscheinlich die gesündere Einstellung. Man muss sich nicht über alles ärgern.
    Mir stieß es deshalb auf, weil ich mich mit allen diesen BIldungsthemen beschäftige, da sie mich interessieren und ich gerne einen Hintergrund und Überblick habe, in die ich meine Lektüre- und sonstigen Lebenserfahrungen einordnen kann: Pädagogisch würde man sagen, ich bin intrinsisch motiviert.
    Der zweite Teil des Buches scheint dagegen von Lesern auszugehen, die das Buch lesen wie andere eine Sammlung klassischer Zitate, damit sie damit in Gesellschaft blenden können. Sollen sie doch! :schulterzuck:


    HG
    finsbury

  • Hallo finsbury,


    (nachdem ich erst nachschauen musste, was intrinsisch bedeutet :redface:) ja, da kann ich Dein Mißvergnügen verstehen. Andererseits nimmt der zweite Teil unsicheren Lesern vielleicht gewisse Ängste, wenn sie erkennen, dass bei Blendern auch vieles nur Fassade ist. Ich kenne einige, die (obwohl ihre Allgemeinbildung gar nicht so klein ist) ständig davon ausgehen, dass sie "eh nichts wissen" und sich auch entsprechend verhalten - da würden Schwanitz' Ausführungen vielleicht ganz gut tun.


    Wie fandest Du denn den Teil "Literatur"? Mir kam es hier sehr befremdlich vor, dass er einem Nichtleser als Einstieg den "Mann ohne Eigenschaften" empfiehlt. Ich müsste sehr lange nachdenken, um auf ein Buch zu kommen, das mir dafür ungeeigneter erscheint :rollen:


    Liebe Grüße
    Manjula

  • Hallo Manjula,

    Wie fandest Du denn den Teil "Literatur"? Mir kam es hier sehr befremdlich vor, dass er einem Nichtleser als Einstieg den "Mann ohne Eigenschaften" empfiehlt. Ich müsste sehr lange nachdenken, um auf ein Buch zu kommen, das mir dafür ungeeigneter erscheint :rollen:


    Meine Lektüre des Literaturteils liegt schon sehr lange zurück und ich konnte mich an diese Empfehlung nicht mehr erinnern. Ich habe gerade den Abschnitt über den MoE gelesen, da habe ich diesen Hinweis nicht gefunden.
    Aber natürlich ist solch ein Vorschlag ziemlich abstrus, vor allem, wenn man mit dir davon ausgeht, dass Schwanitz für den unsicheren Leser schrieb: Besser kann man einen solchen wohl nicht noch mehr abschrecken! Ganz deiner Meinung.
    Ich z.B:.muss gestehen, dass ich mich zu dem in Frage stehenden Werk noch nicht aufraffen konnte, obwohl ich die ganze "Suche nach der verlorenen Zeit" und den "Ulysses" schon vor langer Zeit mit Genuss las. Was man von dem Roman hört, schreckt einen ganz schön ab. Gehörst du zu dem MoE-Leserundenkreis im Klassikerforum oder hast du das Werk schon anders bewältigt?


    HG
    finsbury


    PS:: Enschuldigung wegen "intrinsisch". Da sollte ich mich schämen, nicht du. Ich arbeite in der Pädagogik, da ist es ein Allerweltsbegriff, da vergisst man manchmal, dass man sein Anglerlatein nicht in der Öffentlichkeit zur Schau stellen muss. :redface:

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()

  • Hallo finsbury,


    sorry, da habe ich Dich auf die falsche Fährte gelockt: beim nochmaligen Nachlesen habe ich gemerkt, dass die Musilempfehlung im zweiten Teil kommt, und zwar im Rahmen der Empfehlung, man solle doch zumindest ein Werk der Weltliteratur gelesen haben, um alles auf dieses beziehen zu können. Abgesehen von den Vorbehalten, die ich ja schon gegen Musil als Erstlektüre geäußert habe, finde ich diesen Tipp als eher realitätsfern: Die Leute in meinem Umfeld wären durch Klassikerkenntnisse kaum zu beeindrucken, weil das Gespräch ganz einfach nicht darauf kommt. Über Literatur austauschen kann ich mich eigentlich nur hier (und im Klassikerforum natürlich).


    Zitat

    Gehörst du zu dem MoE-Leserundenkreis im Klassikerforum oder hast du das Werk schon anders bewältigt?


    Sowohl als auch :zwinker: - ich habe das Buch zwar in einer Leserunde begonnen, aber die ist ziemlich dahingedümpelt, ein echter Austausch fand fast nicht statt - vielleicht ist der MoE aber auch nicht leserundengeeignet. Ich muss gestehen, dass ich mich mit dem Werk sehr schwer getan habe, obwohl es auf jeden Fall großartig ist. Mit der "Suche" wird es ja immer verglichen, ich empfinde die Bücher aber als sehr unterschiedlich.


    Liebe Grüße
    Manjula


    PS: Kein Grund, sich zu entschuldigen :smile:

  • vielleicht ist der MoE aber auch nicht leserundengeeignet.


    Das glaube ich nicht. So etwas gibt es m.M.n. nicht. Aber es gibt Bücher, die, um in einer Leserunde zu "bestehen", an der Spitze des Leserrudels mindestens zwei Terriers brauchen: Leser, die sich mit aller Gewalt in den Text verbissen haben und nicht aufgeben, dabei auch noch regelmässig (d.i. 2-3mal die Woche) etwas Brauchbares posten. Gerade bei umfangreichen Texten sind diese Leute leider Mangelware ... :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)