Christine Brückner - Wenn du geredet hättest, Desdemona

Es gibt 43 Antworten in diesem Thema, welches 22.905 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Aldawen.

  • Jetzt hab ich mir doch glatt selbst auf die Sprünge geholfen - wikipedia sei Dank!


    Christine Brückner spielt hier auf das Drama "Sappho" von Franz Grillparzer an, da muss man erstmal draufkommen. Dieser letzte Absatz hat mich stutzen lassen, als Sappho von einem jungen Phaon spricht.


    Aha, Liebeskummer also! Dann verstehe ich ihren Weltschmerz schon eher... :zwinker:
    Und auch natürlich ihr Hadern mit ihrem Alter, denn damit hängt es bestimmt auch zusammen, dass ihre Liebe unerwidert bleibt. Ihren letzten Satz "Ihn zu erlangen, hätte ich euch alle hingegeben, euch, meine Mädchen!" setzt sie offenbar bei Grillparzer in die Tat um, denn sie versucht, Phaons Auserwählte und gleichzeitig ihre Dienerin Melitta zu töten. Als sie ihre Schuld erkennt, gibt sie den beiden ihren Segen und stürzt sich in den Tod.


    Ja, mit diesem Hintergrundwissen liest sich die Rede gleich ganz anders, obwohl ihr Freitod in Wirklichkeit nicht bewiesen und nur Legende ist. Trotzdem hat mir diese Rede weniger gefallen als die bisherigen, bei denen es nach meinem Empfinden weniger verschlüsselt und viel direkter zuging. Auch die sehr theatralische Sprache ist nicht so nach meinem Geschmack, obwohl sie sicher zur antiken Dichtkunst Sapphos recht gut passt.

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel

  • Vergesst den Namen des Eisvogels nicht


    Auch ich hatte mit dieser Rede Probleme.
    Anfangs dachte ich, Sappho sei stellvertretend für die jungen Frauen, die sie in die griechische Gesellschaft entlässt, ungehalten. Deren Situation wird sich laut Sappho ja dramatisch verschlechtern; aus nahezu paradiesischen Verhältnissen auf Lesbos werden sie mit der Realität des Lebens als Gattin, Hausfrau und Mutter konfrontiert werden. Dass Sappho dies auch mal durchgemacht hat, wird aus der nebensächlichen Erwähnung ihres (Ex-)Mannes deutlich. So weit, so gut.


    Ein ungutes Gefühl hinterlässt bei mir allerdings ihr Verhältnis zu "ihren" jungen Frauen. Ich hatte eine Art Hohelied der lesbischen Liebe erwartet und in gewisser Hinsicht ist es das auch. Aber mir erscheint ihre ganze Situation sehr "männlich": sie erinnert mich an einen Sultan mit seinem Harem; immer eine junge Frau zur Hand, und für die Frischfleischzufuhr ist auch gesorgt. Zwar trauert sie etwas den Frauen hinterher, die sie verlassen werden, aber es kommen ja ständig neue... Die einzelnen Frauen sind problemlos ersetzbar.
    Sappho hat sich ihr eigenes Paradies erschaffen, und einzig die Schlange - ihr Altern - macht ihr zu schaffen.


    Und dann der letzte Satz :grmpf: ! Nichts von wegen "mehr als die Schönheit des Jünglings liebte ich die Schönheit der Mädchen", sondern "ihn zu erlangen hätte ich euch alle hingegeben" - ihre große, tragische Liebe war (natürlich :rollen: ) auch ein Mann. Was soll denn das?
    Ich hatte von Brückner eine alternative Deutung erwartet, aber hier übernimmt sie dann doch die männlichen Vorgaben (ihr wisst schon, die übliche Verschwörung der Männer gegen unabhängige Frauen :zwinker: ). Ärgerlich! (Oder habe ich da etwas einfach nicht verstanden?)


    Zum Titel:
    Ich hatte mich (und Google) gefragt, was es denn mit dem "Eisvogel" im Titel auf sich hätte und bin hier fündig geworden:

    Zitat

    Das Alter
    Nicht mehr, ihr Mädchen, die ihr so erregend und süß euer Lied singt;
    Wollen die Füße mich tragen, O dass ich ein Eisvogel wäre,
    Der überm Schaum der sich wälzenden See auf den Schwingen des Weibchen
    Furchtlosen Herzens sich wiegt, der geheiligte, meerdunkle Vogel.


    Und noch ein Zufallsfund:
    Neptis sappho, der schwarzbraune Trauerfalter


    Danke für den Hinweis auf Grillparzer, Miramis. Vielleicht werde ich ihn mir aus der Stadtbücherei ausleihen.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Vergesst den Namen des Eisvogels nicht


    Mich hat dieser Text schon irritiert als ich ihn das erste Mal gelesen habe und das ist irgendwie auch nicht besser geworden. Ich vermute – zumindest für mich – mindestens zwei Ursachen:


    1. Die zeitliche Distanz ist einfach viel größer als bei den vorangegangenen Reden. Manche Probleme, wie Sappho sie hier zwischen Männern und Frauen andeutet, haben sich zwar wahrscheinlich seit dem Altertum in der Substanz nicht verändert (in der Austragung dagegen sehr wohl :zwinker:), aber die Denkweise der Antike ist mir doch so fremd, daß ich daran nicht allzuviel nachvollziehen kann.
    2. Die dünne Quellenlage von Sapphos Werk und zu ihrem Leben läßt breiten, vielleicht zu breiten, Interpretationsspielraum für einen solchen Text, wie Brückner ihn uns hier präsentiert – Spielraum sowohl für den Schreiber als auch die Leser. Es wäre daher interessant zu wissen, wann genau diese Rede entstanden ist, dann ließe es sich zu Erkenntnissen der Sappho-Forschung in Beziehung setzen, womit manche Formulierung sich wohl erklären ließe.



    Ein ungutes Gefühl hinterlässt bei mir allerdings ihr Verhältnis zu "ihren" jungen Frauen. Ich hatte eine Art Hohelied der lesbischen Liebe erwartet und in gewisser Hinsicht ist es das auch. Aber mir erscheint ihre ganze Situation sehr "männlich": sie erinnert mich an einen Sultan mit seinem Harem; immer eine junge Frau zur Hand, und für die Frischfleischzufuhr ist auch gesorgt. Zwar trauert sie etwas den Frauen hinterher, die sie verlassen werden, aber es kommen ja ständig neue... Die einzelnen Frauen sind problemlos ersetzbar.


    Das Verhältnis zwischen ihr und den Mädchen ist zumindest umstritten und hat wohl zeit- und kontextbedingte Wandlungen erfahren. Obwohl homoerotische Liebe im antiken Griechenland durchaus akzeptiert war, galt dies eher für Männer als für Frauen. Es hätte also durchaus einigen persönlichen Mut erfordert, sich offen dazu zu bekennen. Aus sehr viel späteren (und prüderen) Zeiten stammt die Interpretation einer rein religiös orientierten Gemeinschaft. Mein Lexikon nennt die Wahrnehmung der Beziehungen im Sinn einer lesbischen Liebe „verzerrt“. Ein bißchen ergibt sich das aus dem englischen Wikipedia-Eintrag, der umfangreicher als der deutsche ist, vor allem zu den Spekulationen über ihr Leben.



    Aha, Liebeskummer also! Dann verstehe ich ihren Weltschmerz schon eher... :zwinker:


    Dafür bin ich wohl zu nüchtern veranlagt, aber so viel Weltschmerz wegen eines Mannes? Also nee, wirklich nicht :breitgrins:



    So richtig ungehalten ist sie ja nicht, eher schwermütig und fast schon depressiv.


    Den Eindruck hatte ich auch eher. Stellvertretend ungehalten könnte sie ja durchaus sein, dafür gäbe es durch den Rollenwechsel vom unbelasteten Mädchen zur verantwortlichen Ehefrau Gründe genug, wie Saltanah sie ja auch angeführt hat. Aber diesen Punkt hat Brückner leider in meinen Augen verschenkt.


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Du irrst, Lysistrate!


    Hintergrund der Komödie „Lysistrata“ von Aristophanes und damit auch dieser Rede ist der sog. Peloponnesische Krieg zwischen dem Attischen Seebund unter athenischer Führung und dem Peloponnesischen Bund unter der Führung Spartas, der mit wechselnder Intensität fast 30 Jahre andauerte, von 431 v. Chr. bis 404 v. Chr. Die Komödie wurde 411 v. Chr. aufgeführt, Megara hat also recht, wenn sie von 20 Kriegsjahren spricht. Nach einer solchen Zeit ist es natürlich mehr als legitim, über Möglichkeiten der Beendigung nachzudenken, auf die die Herren Kriegführer nicht selbst kommen :zwinker:


    Hier setzen allerdings auch die Probleme an, die ich mit dieser Rede habe, oder besser gesagt: sowohl mit dem Plan Lysistratas wie auch Megaras. Megara ist eine Hetäre, also keine einfache Prostiuierte, sondern eine gebildete Frau in gesellschaftlich anerkannter Position, die eben mit Geschlechtsverkehr ihr Geld verdient. Ohne Männer in der Stadt fehlt ihre Einnahmequelle, daher ist es verständlich, daß sie die Männer zurückwüscht. Aber was nutzt es ihr, wenn die Ehefrauen auf einmal die Verlockungen ausstrahlen, die die Männer sonst bei den Hetären suchen und finden? Hält sie das für einen so kurzfristigen Effekt, daß sie ihre „Kunden“ binnen kürzester Zeit wieder bei sich hätte? Gut, ganz ausgeschlossen ist das nicht, da die „normalen“ Frauen auf Grund der üblichen weiblichen Erziehung den Hetären intellektuell nur selten ebenbürtig gewesen sein dürften. Umgekehrt gilt für Lysistrata: Wenn die Ehefrauen sich, wie von ihr geplant, den Männern verweigern – was nutzt das, wenn diese ihre Befriedigung bei den Hetären finden können? Oder anders formuliert: Warum sollten die Hetären sich am Boykott beteiligen, wenn er ihnen doch Geld einbringen kann?


    Megara merkt im Verlaufe ihrer Rede selbst, daß sie nicht überzeugend ist, aber den Schwenk, den sie dann vollführt, finde ich noch weniger überzeugend. Die Einmischung in die öffentliche Politik halte ich ja noch für eine ausgesprochen gute Forderung, es wäre ein emanzipatives Element in der athenischen „Demokratie“ jener Zeit, die das demos als relativ eingeschränkte Gruppe definierte. Und zu guter Letzt sollen auf einmal die Frauen mit den Männer in den Krieg ziehen. Worin liegt da der Sinn? Eigentlich will sie den Krieg doch auch beendet sehen. :confused: Sie ist zwar in ihren Forderungen sehr nachdrücklich und versteht es, sie immer wieder ein bißchen anders zu verpacken, aber mir fehlt da die erkennbare Absicht. Möglicherweise geht es ihr aber – allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz – gar nicht um Athen. Megara ist schließlich nicht nur der Name der Hetäre in dieser Rede, sondern auch der Name einer Stadt auf der Landenge zwischen Mittelgriechenland und dem Peloponnes, Mitglied des Peloponnesischen Bundes (also der feindlichen Seite) und Ziel eines, den Krieg mitauslösenden, athenischen Handelsverbotsbeschlusses. Wenn man sie also quasi als Verköperung der gleichnamigen Stadt sieht, dann macht diese Rede der Hetäre einigen Sinn :smile:


    Schönen Gruß,
    Aldawen

    Einmal editiert, zuletzt von Aldawen ()

  • Du irrst, Lysistrate!


    Zugegeben, diese Rede hat mich ziemlich amüsiert... :breitgrins:


    Die Hetäre Megara hält Lysistrate und ihren Anhängerinnen eine Vortrag zum Thema "Enthaltsamkeit - ja oder nein?" Sie spricht sich ganz klar gegen Lysistrates Plan, die Männer durch Liebesentzug vom Krieg abzubringen, aus und versucht sie genau vom Gegenteil zu überzeugen. Wie sie den ganzen treudoofen Ehefrauen Tipps gibt, wie sie sich am besten herrichten sollen, um ihre Ehemänner zu verführen, das finde ich sehr witzig und ganz große Klasse! Hihi, sie ist da sehr direkt mit ihren Verbesserungsvorschlägen ("Du musst jetzt nicht erröten, Ampelis, spar deine Röte für den Abend auf." oder: "Kamille duftet reinlich, Euratea, aber nicht verführerisch.")


    Naja, so lustig das Ganze anfangs ist, irgendwie gehen mit der guten Megara mit der Zeit die Pferde durch. Spätestens bei diesem Satz: "Wer seinen eigenen Mann nicht liebt, der liebt - kann sein!- den Schwager oder auch den Nachbarn. Ich beschwöre euch, seid jetzt nicht kleinlich." dachte ich mir: jetzt übertreibt sie es aber ein bisschen, die Gute. Sie will aus ganz Athen ein einziges Freudenhaus machen, um somit den Krieg zu verhindern - ihr Plan ist ebenso zum Scheitern verurteilt wie der von Lysistrate.


    Je länger sie redet, desto mehr vergaloppiert sie sich; zum Schluss sollen die Frauen sogar selbst in den Krieg ziehen, wenn sie ihn schon nicht verhindern können. Hier ist dann leider auch mit Logik nicht mehr weit her; dass sie sich als Hetäre berufen fühlt, den Ehefrauen gute Ratschläge zum Thema Liebe zu erteilen, kann ich noch verstehen - dass sie nun selbst zum Krieg aufruft, nicht mehr. Als ihr die Unsinnigkeit dieses Unternehmens klar wird, kriegt sie gerade noch die Kurve und erklärt, dass die Frauen den Krieg auch mit den Waffen der Frauen führen sollen, sprich, Verführung der Spartaner. Ganz schön abgefahren... :zwinker:


    Den Frauen Athens geht es offenbar ebenso wie mir, und das fand ich wiederum sehr lustig, dass eine nach der anderen abzieht. "Ampelis! Musarion! Bleibt hier! Wollt ihr zu Hause eure Witwenhaube flicken?" und "Warum lauft ihr alle weg? Bleibt doch, bis ich fertig bin, Thula! Myrrhene!"


    Ich fand diese Rede zwar wirr und die Vorschläge masslos übertrieben, trotzdem aber sehr amüsant, direkt und unverschnörkelt. Wenn man sie natürlich unter dem von Aldawen aufgeworfenen Aspekt sieht, dass Megara für die griechische Stadt Megara steht, durch die der Peleponnesische Krieg erst ausgelöst wurde, dann klingt das natürlich gleich ganz anders. Hatte Christine Brückner diesen Gedanken im Hinterkopf, als sie die Rede schrieb und die Hetäre ausgerechnet Megara nannte?

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel

  • Ich möchte nur kurz vermelden, dass ich nun in Vorbereitung auf die nächste Rede noch Effi Briest eingeschoben habe. Ich habe schon einige Kapitel gelesen und mir gefällt es bis jetzt recht gut.

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel

  • Das finde ich Klasse, Miramis, dass du die "Effi" liest! :klatschen: Viel Spaß dabei. Sag Bescheid, wenn du dich dem Ende näherst; ich warte dann mit Brückners Effi-Rede so lange.


    Und jetzt endlich meine Gedanken zu Megara:


    Du irrst, Lysistrate!
    Der Anfang dieser Rede irritierte mich maßlos. Megaras Gegenvorschlag zu Lysistrates Idee, dem Krieg durch Liebesentzug ein Ende zu bereiten, ließ mich die Augen rollen. Die Frauen sollen also auf althergebrachte Weise handlen, mit den "Waffen der Frau" :rollen: . Sich für die Männer schön machen, sie verführen, indirekt ihre Ziele durchsetzten, ganz so wie es die traditionelle Rollenverteilung vorsieht :grmpf: . Bei Lysistrate hingegen sollen die Frauen ja gerade ihre "weiblichen Pflichten" verweigern, eine Idee, die mir viel mehr zusagt.
    Erst später, als Megara ihren ursprünglichen Plan verwirft, die direkte Einmischung der Frauen in die den Männern vorbehaltene Politik fordert, gefällt sie mir besser. Der Schluss mit der Forderung, auch die Frauen sollten in den Krieg ziehen, ist dann wieder mehr als zweifelhaft. Allerdings höre ich aus Megaras gesamter Rede eine tiefe Verzweiflung heraus. Ein Wissen, dass sich die Verhältnisse nie ändern werden, dass die Männer immer das Sagen haben werden, dass die Frauen sich nie auf ein gemeinsames Vorgehen einigen werden. So greift sie nach Strohhalmen, nimmt eine Idee nach der anderen auf, versucht mit allen Mitteln, die desinteressierten Frauen für einen Vorschlag zu begeistern - eigentlich, so scheint es mir, ist es ihr egal, welchen. Ob die Frauen in die Politik eingreifen, sich weigern, Männerarbeit zu leisten, während die Männer an der Front sind, die Männer verführen, oder eben selbst Soldatinnen werden... Hauptsache, es geschieht was!
    Aber es geschieht nichts. Die Frauen, die (vermutlich) schon Lysistrates Vorschlag gar nicht berauschend fanden, gehen eine nach der anderen weg, und nur Megara und Lysistrate bleiben zurück. Deprimierend.



    Ich habe ja auch Aristophanes' Drama "Lysistrate" noch mal gewielt - eine ebenso empfehlenswerte wie amüsante Lektüre - und möchte so noch ein paar vergleichende Anmerkungen machen.
    Aus Megaras Rede lässt sich ja der Vorwurf herauslesen, Lysistrate (und die Ehefrauen überhaupt) sei/en "sexualfeindlich" eingestellt. Überraschenderweise ist dies bei Aristophanes ganz und garnicht der Fall. Im Gegenteil reagieren die Frauen entsetzt auf ihren Vorschlag "Wie, ich soll nicht mehr mit ihm ins Bett gehen? Was soll ich denn dann tun?" Lysistrate empfiehlt darauf den Gebrauch von ledernen Phallussen (laut meinem Fremdwörterbuch ist neben Phalloi, Phalli und Phallen auch diese Pluralendung möglich). Auf Genuss sollen die Frauen nicht verzichten müssen.


    Ebenso überraschte es mich, dass Aristophanes' Frauen zweigleisig fahren: sie verweigern nicht nur den Sex, sondern besetzen auch die Burg von Athen - und befinden sich so auch im Besitz der Staatskasse. Dies ist es auch, was den Männern als erstes auffällt; kein Geld mehr da, um Krieg zu führen! Empörend - und effektiv! (Im zweiten Teil der Komödie fällt dieser Aspekt dann unter den Tisch und es geht nur noch um die unbefriedigten Triebe der Männer, die wirklich sehr darunter leiden :breitgrins: .)


    Ein Blick in die Rollenliste zeigte mir, dass eine Megara bei Aristophanes fehlt, was mich auf die Frage brachte, woher Bückner diesen Namen nimmt. Aldawen hat das ja schon beantwortet. Allerdings wird Megara gegen Ende der Komödie auch von Aristophanes erwähnt. Spartanische Abgesandte sind zu Friedensverhandlungen nach Athen gekommen, beide Parteien sind auch bereit, den Krieg zu beenden, aber so ganz ohne "Erfolg" wollen sie nun doch nicht dastehen. Also tauschen die beiden Staaten Gebiete aus, wobei dies in einer zum Thema passenden sexualisierten Wortwahl stattfindet. Die betroffenen Städte werden mit weiblichen Körperteilen verglichen. Vom Malischen Busen ist da die Rede und eben auch von den "Megar'schen Schenkeln" (womit laut Anmerkung auf die langen Mauern dieser Stadt angespielt wird.) Nicht nur, dass einfach über andere Städte verfügt wird; diese werden zudem noch mit Frauen verglichen, über die man(n) nach Belieben bestimmt und die dabei nichts zu sagen haben. Mir scheint, Brückner hat ihre Megara gut gewählt.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • So, ich habe am Wochenende "Effi Briest" von Theodor Fontane zu Ende gelesen und ich muss sagen, der Roman hat mir recht gut gefallen. Klar ist manches vielleicht ein bisschen angestaubt, aber ich bin mit der Sprache gut zurecht gekommen, und die Handlung war interessant genug, um mich auch im nachhinein noch zu beschäftigen. Da versteht es sich wie von selbst, dass ich natürlich sehr neugierig auf Effis Rede aus Christine Brückners Feder war.


    Triffst du nur das Zauberwort


    Gleich vorweg - so richtig getroffen hat Frau Brückner die Effi meiner Meinung nach nicht. Meine Eindrücke von Effi Briest sind, wie gesagt, noch frisch und ich habe ein ganz anders Bild von ihr.


    Die Rede ist an den Hund Rolle gerichtet (auf eine Taubheit des Tieres habe ich übrigens bei Fontane keinerlei Hinweise gefunden) und ist zeitlich in der Zeit nach Effis Scheidung anzusiedeln, als sie von ihren Eltern wieder in Gnaden aufgenommen wird und in Hohen-Cremmen wohnen darf.


    Effis Wort selbst sind sehr nachdenklich, ein Rückblick auf ihr ganzes Leben und auf die Verkettungen, die zu ihrer Situation geführt haben. Sie macht verschiedenen Leuten Vorwürfe, nicht mit dem Holzhammer, aber doch so, dass man sofort merkt, wer sich angesprochen fühlen sollte.


    Ihre Mutter, die zugelassen hat, dass sie mit 17 heiratet. Und zwar den Mann, der eigentlich sie, die Mutter, heiraten wollte.


    Ihr Vater, der wichtigen Gesprächen immer mit den Worten "Das ist ein weites Feld" aus dem Weg ging


    Baron von Innstetten, der vor allem seine Karriere im Sinn hatte. Der sie als Spielzeug angesehen hatte. Der ihren Erzieher spielen und ihr Angst einjagen wollte. Der ihr ganzes Leben vorgeplant hatte.
    "Ich klage dich nicht an, Innstetten, du bist, wie du bist. Aber klagen werde ich doch noch dürfen."


    Major Crampas, zu dem sie eigentlich "Nein!" gesagt hatte, und der diese Antwort aber nicht akzeptieren wollte. Der nicht zum Leben taugte.


    In diesen Anfangsseiten der Rede ist mir die Effi wenig selbstkritisch; alle sind schuld an ihrer Situation, nur sie nicht. So kommt sie mir im Roman gar nicht vor; bei der Lektüre hatte ich eher das Gefühl, dass sie sich selbst nicht vergeben kann und daran zugrunde geht. Meinte Christine Brückner vielleicht das mit ihrer ungehaltenen Rede? Dass Effi vielleicht mal einige Leute an den Pranger hätte stellen sollen, anstatt in Hohen-Cremmen langsam vor sich hinzusterben? Das könnte ich mir gut vorstellen.


    Nach einer Weile fällt der Satz: "Warum habe ich seine Briefe nicht verbrannt?" Ja, das habe ich mich auch die ganze Zeit gefragt! Interessant, dass sie den Fehler einräumt, die Beweismittel für ihren Ehebruch nicht beseitigt zu haben. Den Ehebruch selber, um den redet sie herum wie um den heißen Brei. Aber im Laufe ihrer Rede meine ich zunehmend ein Bedauern für ihr Handeln herauszulesen. Irgendwann gibt sie dann auch zu: "Aber schuld war doch ich.", womit sie aber den Tod des Majors meint, der beim Duell mit ihrem Ehegatten gefallen ist. Nun ja, eine Art indirektes Schuldeingeständnis, denn für den Tod von Crampas ist eigentlich schon Innstetten verantwortlich, sie ist allerdings der Auslöser für seine Tat.


    An diesem wirklich schwierigen Punkt angekommen, stürzt sie sich in Gehirngespinste: Auswandern nach Amerika, alles hinter sich lassen und vergessen. Aber als sie realisiert, dass es kein zurück gibt, stürzt sie sich gleich in die nächste Welle des Selbstmitleids, für meine Begriffe zunehmend verwirrt. Ihr Schicksal sei zu klein, als dass sie daran wachsen hätte können, nun, das ist auch ein gute Ausrede, um sich gehen zu lassen. Sie hadert mit ihrem zu kleinen Schicksal, dass sie mit siebzehn schon Mutter war, andererseits nie selbst ihr Kind versorgen durfte, dass sie nur Nebenrollen gespielt habe und nie die Hauptrolle...es geht drunter und drüber in ihren Gedanken.


    Ich finde es schade, dass Effi hier nur noch als hinfällige, verwirrte und verbitterte Person dargestellt wird. Ich hätte mir gewünscht, Christine Brückner hätte, wenn auch nur andeutungsweise, ihren früheren Charme und ihre Gewitztheit aufblitzen lassen, denn vor allem diese Passagen im Roman haben mir sehr viel Freude bereitet. Man hätte doch auch eine Effi zeichnen können, die sich wieder fängt und ein neues Leben anfangen will, nicht ohne mit ihrem vorherigen abzurechnen. Eine Effi, die, anders als im Roman, das Zauberwort trifft. Aber die Autorin hat sich entschieden, Effi Briest als gebrochene Frau darzustellen, die nichts mehr vom Leben erwartet. Und so war es ja auch. Von daher geht die Rede in Ordnung.


    Was mir auch noch aufgefallen ist: während die anderen Reden sich auch sprachlich ziemlich an ihren Figuren orientieren, ist hier von Theodor Fontanes Stil sehr wenig, wenn nicht sogar gar nichts übernommen. Schade eigentlich.

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel

    Einmal editiert, zuletzt von Miramis ()

  • Triffst du nur das Zauberwort


    Freut mich, dass die Effi dir gefallen hat, Miramis. Ich habe sie ja vor einigen Monaten gelesen und war angenehm überrascht davon. Allerdings fasse ich Brückners Effi-Rede ziemlich anders auf als du. Ich finde sie gelungen; diese Effi nimmt einiges auf, das mir bei Lektüre des Originals auch durch den Kopf gegangen ist. Trotzdem verstehe ich dich, wenn du schreibst


    Man hätte doch auch eine Effi zeichnen können, die sich wieder fängt und ein neues Leben anfangen will, nicht ohne mit ihrem vorherigen abzurechnen. Eine Effi, die, anders als im Roman, das Zauberwort trifft. Aber die Autorin hat sich entschieden, Effi Briest als gebrochene Frau darzustellen, die nichts mehr vom Leben erwartet. Und so war es ja auch. Von daher geht die Rede in Ordnung.


    Eine alternative Effi zeichnet Brückner gerade nicht, genausowenig wie ihre anderen Rednerinnen Alternativen zu ihren altbekannten Ichs sind. Dass uns das stören kann (dass mich das bei manchen Reden sehr gestört hat), liegt meiner Meinung nach an Brückners toll klingendem, aber nicht ganz passendem Untertitel: "Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen". Ungehalten ist Effi ja nicht, waren auch Sappho oder Katharina Luther nicht wirklich. Sie alle haben sich in ihr Schicksal ergeben, schweigen nur nicht länger, sondern sprechen es aus. Nur wem erzählen sie es? Christiane von Goethe spricht mit dem leeren Vorzimmer, Martin Luther ist während Katharinas Rede eingeschlafen, die Athener Frauen hören Megara nicht weiter zu, Effi spricht mit Rollo, die Kameliendame im nächsten Kapitel redet zu ihrer Kleiderpuppe. Den meisten der Frauen wird, wie in ihrem "richtigen" Leben auch, nicht zugehört. Ich erwartete von diesem Buch "Frauenpower", positive Alternativen. Nur liefert Brückner dies eben nicht. Ihre Rednerinnen sind von den Konventionen, von ihrer Erziehung genauso eingeschnürt wie die Vorbilder. Brückner zeigt nur noch einmal etwas deutlicher, was frau (man auch) zwischen den Zeilen der Originale lesen kann. So auch bei Effi.


    Hier wird deutlich, wie unausweichlich Effis Schicksal eigentlich war, wie wenig man jemandem dafür die "Schuld" zuschreiben kann. Die Menschen handeln so, wie es ihre Rolle und ihr Charakter vorgeben, und aus diesem Korsett von gesellschaftlichem Zwang und persönlichem Charakter kommen sie nicht heraus, mit manchmal tragischen Folgen. Alle hätten anders handeln sollen und theoretisch (wenn die Verhältnisse andere gewesen wären oder sie andere Menschen gewesen wären) auch handeln können, aber praktisch konnten sie es eben nicht.
    Effi wurde nicht mit dem Ziel erzogen, aus ihr eine selbständige, unabhängige Frau zu machen und auch in ihrer Ehe ging es nicht darum, sie "wachsen" zu lassen. Sie wurde umhegt und gepflegt, war ein "Spielzeug", wurde bewundert für das "was nicht ihr Verdienst war", was zur Folge hatte, dass sie auch weiterhin "klein" blieb. Wie sollte sie unter diesen Voraussetzungen anders werden als sie es wurde? Ihre anfangs noch vorhandene Lebensfreude wurde allmählich erstickt, da sie nicht erwünscht war und wenn sie mal kleine Versuche startete, sich wenigstens darüber zu beschweren, wurde sie mit einem Beruhigungspülverchen abgespeist. Ich finde, es ist Brückner gut gelungen, eine Frau darzustellen, die nicht wirklich leben durfte.
    Passend war auch ihr "ich hätte ins Wasser gehen sollen", denn genau dieses Ende hatte ich zu Anfang des Buches für Effi vorausgesehen. Auf den ersten seiten kam das Wassermotiv so oft vor, dass ich von Effis passivem Dahinsiechen wirklich überrascht wurde.



    Ich bin am Überlegen, ob ich passend zur nächsten Rede Dumas' Kameliendame wielen soll oder nicht. Die Erstlektüre ist schon sehr lange her, mir allerdings nicht als besonders gut in Erinnerung geblieben.

    Wir sind irre, also lesen wir!

    Einmal editiert, zuletzt von Saltanah ()

  • Saltanah: toll, deine Gedanken zur Effi. Vielleicht sollte man auch die Rede eher in deinem Sinne lesen, aber ich hatte nunmal von der Rede genau die Auflösung erwartet, die es Roman nicht gab. Wieder mal eine falsche Erwartungshaltung.... :rollen: :zwinker:


    Weil du gerade von der Kameliendame anfängst, die Gute subt bei mir ebenfalls. Wir könnten ja ein spontane kleine Minileserunde dazu abhalten, ich könnte ab Sonntag. Ich sehe schon, diese Leserunde wird ein Fass ohne Boden :breitgrins:

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel

  • Miramis:
    Ja, mein Groschen fiel bei der vorigen Rede. Da verstand ich auf einmal, was Brückner wirklich macht, nämlich keine Alternative bietet, nur eine Verdeutlichung. So konnte ich dann auch ihre Effi-Rede ganz anders lesen.


    Ne Minileserunde zur Kameliendame ab Sonntag wäre schön. Willst du es auch lesen, Aldawen?
    Nur frage ich mich allmählich, ob wir das Buch dieses Jahr noch zu Ende bekommen :breitgrins: . Eigentlich hat es ja eine Maximal-3-Tage-Dicke, aber ich hatte mir vorgenommen, es langsam anzugehen und jeden Tage eine Rede zu lesen. Aber ich finde es toll, dass wir uns gemeinsam so viel Zeit damit lassen!

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Hihi, ich bin die allerbeste: mache Minileserunden zur Kameliendame aus, dabei habe ich in meiner Ausgabe der Desdemona gar nicht den entsprechenden Text! :rollen: Bei mir kommt als nächstes die Rede der Autorin an Fräulein von Meysenbug.


    Aber nichts desto trotz: "Die Kameliendame" liegt schon auf meinem Wohnzimmertisch, und ich werde es nicht übers Herz bringen, sie wieder zurück ins Regal zu stellen. Von mir aus können wir am Sonntag damit durchstarten.


    Dass dieses Buch weitere Bücher nach sich zieht, finde ich sehr schön. Und ich finde es genial, dass wir das Buch wirklich häppchenweise lesen, wie wir uns das vorgenommen haben. Ich profitiere sehr von euren Beiträgen und habe schon sehr viel dazugelernt. Ein bisher wirklich sehr gelungene Leserunde, so mein Fazit zur Halbzeit. :smile:

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel

  • Eigentlich hätte ich auch Effi Briest gerne vor der Rede gelesen, aber das war parallel einfach nicht mehr unterzubringen. Von daher werde ich morgen versuchen, mir den Film in Erinnerung zu rufen und dann die Rede einzuschieben.
    Die Kameliendame subt bei mir auch, daran scheitert es also nicht. Wenn ich das Buch in meinen Stapeln wiederfinde, wobei ich schon eine ziemlich genaue Vorstellung habe, wo es sein müßte, wäre das durchaus zu erwägen. Immerhin bin ich dank Beendigung der Nordwanderung von fünf ja wieder auf vier angefangene Bücher runter :breitgrins:


    Mir gefällt es übrigens auch sehr gut, daß wir uns so langsam da durchhangeln. Ich gewinne gegenüber meiner Allein-Lektüre auch noch viele neue Einsichten, das macht wirklich Spaß! Der Vorteil bei den relativ kurzen Texten ist natürlich, daß man sie gut mit Pausen lesen kann, weil man keinen Zusammenhang über Personenkonstellationen und Handlungen verlieren kann.


    Miramis: PM mir doch mal Deine Mailadresse, dann scanne ich Dir die sechs Seiten (gerade extra nachgesehen) einfach ein und schick sie Dir :smile:


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Triffst du nur das Zauberwort


    Also, ich muß feststellen, daß diese Rede ohne Kenntnis des Romans schlicht unverständlich ist :schulterzuck: Soweit ich meiner Erinnerung an den Fassbinder-Film trauen kann, würde ich mich aber auch eher Saltanahs Interpretation anschließen wollen:



    Hier wird deutlich, wie unausweichlich Effis Schicksal eigentlich war, wie wenig man jemandem dafür die "Schuld" zuschreiben kann. Die Menschen handeln so, wie es ihre Rolle und ihr Charakter vorgeben, und aus diesem Korsett von gesellschaftlichem Zwang und persönlichem Charakter kommen sie nicht heraus, mit manchmal tragischen Folgen. Alle hätten anders handeln sollen und theoretisch (wenn die Verhältnisse andere gewesen wären oder sie andere Menschen gewesen wären) auch handeln können, aber praktisch konnten sie es eben nicht.


    Die Menschen sind eben ein Produkt ihrer Zeit und der Erziehung bzw. Sozialisation und daraus auszubrechen würde einen stärkeren Charakter erfordern als es Effi ist. Daher gehen diese etwas wirren Gedankengänge und der weinerliche Tonfall wohl in Ordnung.



    Eine alternative Effi zeichnet Brückner gerade nicht, genausowenig wie ihre anderen Rednerinnen Alternativen zu ihren altbekannten Ichs sind. Dass uns das stören kann (dass mich das bei manchen Reden sehr gestört hat), liegt meiner Meinung nach an Brückners toll klingendem, aber nicht ganz passendem Untertitel: "Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen". Ungehalten ist Effi ja nicht, waren auch Sappho oder Katharina Luther nicht wirklich. Sie alle haben sich in ihr Schicksal ergeben, schweigen nur nicht länger, sondern sprechen es aus. Nur wem erzählen sie es? Christiane von Goethe spricht mit dem leeren Vorzimmer, Martin Luther ist während Katharinas Rede eingeschlafen, die Athener Frauen hören Megara nicht weiter zu, Effi spricht mit Rollo, die Kameliendame im nächsten Kapitel redet zu ihrer Kleiderpuppe. Den meisten der Frauen wird, wie in ihrem "richtigen" Leben auch, nicht zugehört. Ich erwartete von diesem Buch "Frauenpower", positive Alternativen. Nur liefert Brückner dies eben nicht. Ihre Rednerinnen sind von den Konventionen, von ihrer Erziehung genauso eingeschnürt wie die Vorbilder. Brückner zeigt nur noch einmal etwas deutlicher, was frau (man auch) zwischen den Zeilen der Originale lesen kann. So auch bei Effi.


    Darüber habe ich so noch gar nicht nachgedacht, aber da ist eine Menge dran. Die einzige wirklich alternative Darstellung finden wir bislang bei Desdemona, aber soweit ich mich erinnere findet sich dergleichen auch bei den noch ausstehenden Reden genauso wenig wie bei Christiane von Goethe, Katharina von Bora und den anderen. Unter diesem Gesichtspunkt sollte ich glatt eine zweite Wieholek der ersten Reden starten :breitgrins:


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Gerade habe ich mir per Fernleihe, die innerhalb „meines“ Bibliotheksverbundes auch nicht zu lange brauchen sollte, übrigens ein Büchlein mit ins Deutsche übersetzten Novellen von Giambattista Giraldi bestellt. Ich hoffe sehr, daß das Othello-Original dabei sein wird. Was ich durch ein bißchen googlen schon herausgefundene habe: Außer Desdemona ist in der ursprünglichen Novelle keine Person namentlich benannt, und „der Mohr“ bringt die Frau wohl nicht um. Bin ja gespannt, wieviel Umdichtungen da noch so passiert sind. Ich werde dann berichten :zwinker:


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Das klingt ja sehr interessant, Aldawen! Auf deinen Bericht bin ich sehr gespannt. Die schwedischen Bibliotheken haben Giraldi leider nur auf italienisch, sonst würde ich mir Shakespeares Vorbild auch angucken.

    Wir sind irre, also lesen wir!


  • Ich habe unsere Diskussion der Kameliendame im schon vorhandenen Thread begonnen.


    Schon gesehen. Aber „Manon Lescaut“ lesen wir jetzt nicht auch noch, nur weil's in der Kameliendame eine Rolle spielt, oder? :breitgrins:


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Wir sind quitt, Messieurs!


    Oh je, nach der Lektüre der "Kameliendame" von Alexandre Dumas kommt diese Rede mir nun wie ein kalte Dusche vor. Ist das wirklich Marguerite Gautier, die da spricht? Oder ist nicht vielmehr eine alternative Marguerite; die Marguerite, die sämtliche Vorurteile erfüllt, die man und vor allem frau von einer Kurtisane hat?


    Den Anfang finde ich recht gelungen, Marguerite vergleicht sich mit ihrer Kleiderpuppe und arbeitet die wesentlichen Unterschiede zwischen ihnen beiden heraus. Ja, da gibt es doch einige. :zwinker: Was ich im Thread zur "Kameliendame" bereits geschrieben habe, verdeutlicht sich hier: sie sehr temperamentvoll und launisch. Allüren habe sie, sagt sie. Nun, das gehört wohl auch zum Beruf.


    Mit ihrer Krankheit hadert sie gar nicht so sehr, sie scheint sich damit abgefunden zu haben - wobei eine gewisse Bitterkeit doch aus ihren Zeilen spricht. Ganz offen spricht sie vom Tod, vom Friedhof am Mortmartre, von ihrem Nachlass.


    Aber dann kommts: wie lieblos und hart sie von ihrer Liebe zu Armand spricht! Hier kann ich Marguerite nicht wiedererkennen. "Das hätte mir nicht passieren dürfen." "Wir waren ein paar Wochen glücklich miteinander, das genügt doch. Das muß doch genügen!" Entweder will Christine Brückner hier wirklich eine alternative Marguerite darstellen, die den Schmerz und den Liebeskummer nicht an sich heranlässt. Anderseits kann ich gerade in dieser Rede keinen Sinn darin finden, das Original zu verfremden. Marguerite kommt im Buch erst ganz zum Schluss zu Wort, und zwar in einem ganz anderen Ton. Christine Brückner hätte diese Lücke ergänzen können...


    Witzig eigentlich, denn hier geht es mir gerade anders herum wie bei Effi Briest. Effi hätte ich mir energischer gewünscht, eine zum Buch alternative Effi, die auf den Putz haut. Bei Marguerite wünsche ich mir genau das Gegenteil, nämlich einen Einblick in ihre Gedankenwelt, bevor sie anfängt, Tagebuch zu schreiben. Mir kann man es eben nicht recht machen. :breitgrins:


    Auch das fiktive Gespräch mit Armands Vater als Kleiderpuppe ist so gar nicht nach meinem Geschmack. Sie ist kratzbürstig und stellenweise sogar frech zu ihm. Sie pocht auf ihre Stellung als Kurtisane und kehrt die unabhängige Frau heraus - da macht sie sich aber ganz schön was vor. Sie war niemals unabhängig. Immer war da ein Mann, dem sie zu Willen sein musste, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen; frei war sie nur in ihrer Wahl. Aber darauf stützt sie sich, daraus bezieht sie ihr Selbstbewusstsein. "Monsieur Duval! Vor Ihnen steht eine unabhängige Frau! Wenn ein Liebhaber anfängt, mich zu langweilen, schicke ich ihn weg." Und um das zu beweisen, bietet sie sogar ihm, dem Vater ihres Geliebten, ihre Dienst an. :entsetzt:


    Im Roman hat Marguerite doch ganz schön gelitten unter der Erkenntnis, dass ein bürgerliches Leben mit einem einzigen Mann für sie nicht möglich ist, auch wenn der sie bedingungslos liebt (und andersherum). Und der Schritt, ihn zu verlassen - und zwar so gründlich, dass er wirklich nicht mehr zu ihr zurückkehrt - ist ihr doch sehr schwer gefallen, hat ihren Rest Gesundheit gekostet und sie in seelische Not gestürzt. Dieser Aspekt fehlt mir einfach in Christine Brückners ungehaltener Rede, zu kaltschnäuzig ist mir ihre alternative Marguerite.


    Wir sind quitt, Messieurs? Nein, ich glaube nicht.


    Ein dickes :bussi: für Aldawen - dank dir konnte ich diese Rede auch mitlesen. :winken:

    :lesen: Kai Meyer - Die Bibliothek im Nebel

    Einmal editiert, zuletzt von Miramis ()