David Lodge - Therapie

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  • [size=16pt]David Lodge: Therapie[/size] (Therapy)


    Laurence "Tubby" Passmore scheint ein wunderbares Leben zu führen: Er schreibt mehr als erfolgreich die Drehbücher zur Sitcom "Die Leute von nebenan", seine Ehe ist ein ruhiger sicherer Hafen und eine rein platonische Geliebte gibt es auch noch und sein geliebtes Auto, das er zärtlich "Plutokratomobil" nennt. Es wäre kein Roman geworden, wäre das alles! Zu Beginn hat er zwei Probleme (es werden mehr werden ;) ) Tubby ist depressiv, Tubby hat ein schlimmes Knie. Macht zwei Therapien - Verhaltens- und Physiotherapie, die er wechselnd durch Akupunktur und Aromatherapie ergänzt. Wer soviel therapiert, muss das richtige Leben aus den Augen verlieren! Und Kierkegaard interessiert Tubby plötzlich mehr als seine Fernsehserie.


    Lodge lässt Laurence sein Leben erzählen, er führt für seine Verhaltenstherapeutin Tagebuch, in das aber immer wieder längere rückblickende Abschnitte eingestreut sind. Daher bin ich als Leser von manchen Handlungsentwicklungen ebenso überrumpelt worden wie der arme, naive Tubby. Es war mein erstes Buch von Lodge, der für seine humorvoll-intelligente Schreibweise bekannt ist, und genau so habe ich den Roman auch empfunden: da gibt es schrullige Nebencharaktere, wie den Westendpenner, aber auch Tubbys Kierkegaard-Leidenschaft (den wir mit ihm ein bisschen kennenlernen), Slapstickeinlagen (Tennislehrer!), aber auch genaue Zeichnung der Charaktere mit all ihren Problemen von Frigidität bis Verlust eines Sohnes. Das TV- und Filmmilieu bekommt natürlich auch sein Fett weg.


    Eine schöne Unterhaltungslektüre mit einem selbstironischen Icherzähler!


    4ratten




    Dieses Buch ist im regulären Buchhandel (zumindest auf deutsch) nicht mehr erhältlich. Der leider nicht per Amazon zu verlinkende Doppelband "Therapie und Denkt", den ich gelesen habe, ist von Zweitausendundeins, wo man ihn zusammen mit "Autor, Autor", einem Roman über Henry James, für 14,90 haben kann.


    Katia

  • Oje, nach dieser guten Rezi traue ich mich ja fast gar nicht, meinen etwas gemeinen Verriss von vor ein paar Jahren hier zu posten. Aber gut, Meinungen sind zum Glück ja verschieden - und ich fand das Buch einfach nur schrecklich.


    Kurz-Rezi
    Laurence 'Tubby' Passmore, der tragische Held des Romans befindet sich in bestem Midlife-Crises-Alter. Und als ob er es im Leben nicht schon schwer genug hätte, wie er sich da mit übelsten Knieschmerzen von einem Tag zum nächsten quält, verlässt ihn zu allem Unglück auch noch seine Frau – was allerdings nicht sehr verwunderlich ist. Wer würde nicht die Flucht ergreifen, wenn er mit dem personifizierten Selbstmitleid verheiratet wäre?
    So leidet der arme Tubby vor sich hin - ebenso wie der Leser, der vergeblich auf geistreichen Witz oder gar Spannung hofft. Endlose Ausführungen über Tubby‘s Vorbild Kierkegaard nehmen dann auch noch das letzte bisschen Tempo aus der Geschichte, bis die Handlung langsam aber sicher auf das zu erwartende Ende zusteuert.
    Einzig positiv zu erwähnen sind die verschiedenen Erzählformen, die verwendet werden. Mal schreibt Tubby Tagebuch, mal beschreibt er sich selbst aus der Sicht eines Bekannten. Mitgefühl entwickelt man dennoch nicht für ihn.


    FAZIT: Vielleicht amüsant für Männer, die sich mit Tubby identifizieren können. Frauen jedoch werden wohl hoffen, dass ihr Mann niemals in die Midlife-Crises kommt.


    Bewertung: 1ratten

  • Sternenschauer, ich kann Deine Meinung auch verstehen. So in der Mitte des Buchs hab' ich teils damit gehadert und fand's nicht mehr so spannend, gegen Ende wurde das wieder besser. Aber ich mag Lodges Humor und ich mag die eher leisen Töne lieber als zu viel Slapstick. Die Abschnitte über Kierkegaard mochte ich sehr, Lodge zeigt hier, wie man einen Philosophen verstehen und (über)interpretieren kann, indem man seine konkrete Lebenssituation als dauernden Vergleich heranzieht. So wird auch deutlich wie Kierkegaards Leben seine Philosophie beeinflusst.


    Ja, Tubby schwimmt im Selbstmitleid, aber was ich sympathisch daran finde ist, dass er es merkt und sich selbst nicht so sehr ernst nimmt. Allerdings bin ich eine Leserin, die sich selten stark mit dem Protagonisten identifiziert, und Tubby ist kein Charakter den ich irgendwie in Zusammenhang meinem eigenen Leben sehe.


    Was ich übrigens nicht verstehe ist das in Zusammenhang mit diesem Buch immer auftauchende Wort "Midlife Crises: Laurence ist fast 60. Seine Frau sagt irgendwo etwas wie: Das ist meine letzte Chance mir noch ein eigenes Leben auszubauen. Ich hab' das eher als "Prärenten-Krise" gelesen.


    Da ich ja diesem Doppelband habe, werde ich "Denkt" die nächsten Monate auch lesen, mal schauen.


    Katia


  • Die Abschnitte über Kierkegaard mochte ich sehr, Lodge zeigt hier, wie man einen Philosophen verstehen und (über)interpretieren kann, indem man seine konkrete Lebenssituation als dauernden Vergleich heranzieht. So wird auch deutlich wie Kierkegaards Leben seine Philosophie beeinflusst.


    Zu Beginn dachte ich mir auch noch, dass diese Auszüge interessant sein könnten. Aber da die Geschichte für mich im Ganzen bloß vor sich hinplätscherte, hielten diese Abschnitte mE bald nur noch mehr auf.
    Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich damals einfach mit schwungvoller Unterhaltung gerechnet hatte und als ich die nicht bekam und die Hauptperson mir auch noch tierisch auf den Zeiger ging, konnte oder wollte ich mich auf solche philosophischen Abhandlungen dann auch nicht mehr einlassen.



    Ja, Tubby schwimmt im Selbstmitleid, aber was ich sympathisch daran finde ist, dass er es merkt und sich selbst nicht so sehr ernst nimmt. Allerdings bin ich eine Leserin, die sich selten stark mit dem Protagonisten identifiziert, und Tubby ist kein Charakter den ich irgendwie in Zusammenhang meinem eigenen Leben sehe.


    Ich muss mich auch nicht unbedingt mit Romanfiguren identifizieren können. Aber ich finde es immer schöner, wenn eine gewisse Sympathie vorhanden ist, damit ich das Schicksal der Figuren auch gerne verfolge. Und wenn ich schon keine Sympathie empfinde, so sollte es etwas anderes an dem Charakter geben, das ihn für mich interessant macht. Tubby fand ich aber leider nur extrem nervig, während jemand, der seine Probleme besser nachvollziehen kann, vielleicht auch gleich wieder mehr Spaß an dem Buch hat.



    Was ich übrigens nicht verstehe ist das in Zusammenhang mit diesem Buch immer auftauchende Wort "Midlife Crises: Laurence ist fast 60.

    Stimmt, jetzt wo du's sagst. Tubby ist ja schon gut über 50. Eigentlich also eine gute Frage.
    Ich muss ehrlich sagen, als ich die Rezi damals geschrieben habe, habe ich mich gar nicht genau dafür informiert, wann exakt die Midlife-Crisis anfangen/enden kann, sondern bin davon ausgegangen, dass der Zeitpunkt eben irgendwo in der Mitte des Lebens liegt. Und da Tubby sich doch ziemlich wie ein Mann in der Midlife-Crisis benimmt, v.a. was sein Liebesleben angeht, passte dieser Ausdruck für mich eben, um einen Hinweis darauf zu geben, mit welchen Problemen sich Tubby u.a. herumquält.